Professor Dr. Rolf Rosenbrock, mitverantwortlich für die erfolgreiche deutsche Aidspolitik, wird 70 Jahre alt. Wir haben allen Grund, uns bei ihm zu bedanken. Eine Würdigung von Bernd Aretz
Eigentlich wollte Rolf Rosenbrock an das Thema Aids nicht ran. Aber Gerd Paul, von 1985–87 im Vorstand der Deutschen AIDS-Hilfe (DAH) und ehemals Leiter der Bibliothek des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), machte ihm klar, er dürfe sich als schwuler Mann – geoutet oder nicht – nicht heraushalten. Er sei als Gesundheitswissenschaftler verpflichtet, Stellung zu beziehen in einem Streit um seuchenrechtliche Maßnahmen wie Erfassung, Tätowierung und Internierung HIV-infizierter Menschen einerseits und um eine empathische Aufklärung und Hilfe andererseits.
Aids durchkreuzte Lebenspläne
Doch dann erging es Rolf Rosenbrock wie vielen Menschen in den 1980ern, deren Lebensweg durch direktes Miterleben der Aidskrise oder durch berufliche Beschäftigung mit HIV und Aids zunächst völlig anders verlief als geplant. Dabei ist gleich, was den Ausschlag gab – ob die Begleitung eines Freundes oder die Einsicht, hier müsse man seinen Freunden als Gesamtheit wissenschaftlich beistehen, oder aber auch die Erkenntnis, dass die Schwächsten der Gesellschaft, denen Aids zugeschrieben wurde – Junkies, Huren und Stricher, Schwule und Migranten –, ernsthaft bedroht waren.
Ich, der seit 1984 von seiner Infektion Kenntnis hat, weiß diejenigen zu schätzen, die mit verhindert haben, dass wir, die mit HIV infizierten Menschen, zu Parias der Gesellschaft wurden. Von Rita Süssmuth wissen wir heute, dass damals die Kabinettsentscheidung zwischen Seuchen- und Lernstrategie wirklich auf der Kippe stand. Ihnen allen gebührt Dank, denn man konnte sein Engagement nicht begrenzen – Aids fraß die Energien auf. Rolf Rosenbrock weiß ein Lied davon zu singen.
Unter der Hand gerann ihm der geplante SPIEGEL-Artikel zu einem Buch mit dem Titel „Aids kann schneller besiegt werden“, das 1986 noch druckfrisch schon nachgedruckt werden musste. Gerd Paul erinnert sich: „Mein Schreibtisch und mein Arbeitszimmer in der DAH waren im Juli und August 1986 nicht besetzt. Rolf bat mich, dort in dieser Zeit für die Erstellung des Manuskripts arbeiten zu dürfen – sozusagen im Auge des Hurrikans. Diese Idee hat sich als sehr fruchtbar erwiesen. Wahrscheinlich nirgendwo in Deutschland liefen so viele Informationen zu Aids, Aidshilfe, Politik, Medizin, Versorgung, Konflikten, Akteuren oder Konzepten zusammen wie hier.“
„Schreibtisch im Auge des Hurrikans“
Die DAH-Geschäftsstelle, so Gerd Paul, habe Rolf Rosenbrock damals mit ihrem Wissen und ihren Netzwerken als „ressourcenreicher, ständig in Bewegung befindlicher Bienenstock für alle möglichen Details, Gesprächspartner, Hintergrundinformationen und Diskursangebote“ zur Verfügung gestanden.
Roger Staub, Leiter der Sektion Prävention und Promotion des schweizerischen Bundesamtes für Gesundheit, muss etwas ausholen, wenn er das Geburtstagskind würdigen will: „Eigentlich ist ja Fidel Castro schuld, dass ich vor 30 Jahren die Aids-Hilfe Schweiz mitbegründete. 1983 nämlich reiste ich als Leiter der Schweizer Delegation in der Brigade José Marti nach Kuba und lernte dort eine Frau aus Rosenbrocks WG kennen. Als ich sie dann 1984 in Berlin besuchte, hat sich Rolf meiner angenommen und mir das schwule Berlin gezeigt. Wir haben viel über linke Politik gesprochen, und Aids war am WG-Küchentisch ein Thema wegen der SPIEGEL-Berichterstattung.“
1985, nach der Gründung der Aids-Hilfe Schweiz, sei er abermals nach Berlin gekommen. „Rolf zeigte sich enttäuscht, dass ich mich statt der Politik Aids gewidmet hatte. Bald hörte ich aber, dass er sich selbst dem Thema zugewendet hatte. Sein Buch haben wir in großen Mengen importiert und hier allen Bundesparlamentariern zu Weihnachten geschickt. Dank Rolf konnte die Debatte ‚Seuchen- oder Lernstrategie?‘ bald zugunsten der Letzteren entschieden werden. Für diesen Beitrag kann die Schweiz ihm nicht dankbar genug sein.“
„Plötzlich einer der ständig gefragten Experten“
Das Thema Aids sollte für die nächsten Jahre Rolf Rosenbrocks Leben bestimmen. Von Beginn an war er als Gesundheitswissenschaftler Mitglied der Enquete Kommission des Deutschen Bundestages „AIDS: Fakten und Konsequenzen“. Hans-Jochen Vogel hatte ihn für die SPD dorthin entsandt, jedoch erst nach Überprüfung seiner Ansichten bei einem gemeinsamen Abendessen mit dem Ehepaar Vogel. Nach der Veröffentlichung seines Buchs war er plötzlich einer der ständig gefragten Experten. Er schrieb, kämpfte, bestritt hunderte von Interviews und Podiumsdiskussionen zum Thema Aids.
Sein Arbeitsbereich am WZB war ja eigentlich Public Health. Bis 1986 weist der Katalog der Deutschen Nationalbibliothek 17 Veröffentlichungen von der Arbeitsmedizin über schichtenspezifische Gesundheitsfragen oder die Bedeutung der Selbsthilfe bis hin zur Kolonialisierung des Sozialstaats aus. Danach liegt, bis zur Einführung der HIV-Kombinationstherapie 1995/96, der Schwerpunkt bei HIV und Aids.
Der Soziologe Michael Bochow kam mit seinen empirischen Studien und kaum zu zählenden Aufsätzen hinzu. „Das war alles möglich in Rolfs Abteilung am WZB“, merkt Gerd Paul an. „Man muss es sich schon mal klarmachen: Ein gewichtiger Bereich eines renommierten hochschulfreien deutschen Forschungsinstituts hatte Geld und Ressourcen und auch das ‚Backing‘ der Forschungscommunity, um das Thema HIV/Aids zu bearbeiten. Das ist im Rückblick schlicht und einfach großartig.“
1995 wurde Rosenbrock in den Nationalen Aids-Beirat (NAB) berufen, wo er bis heute für die Patientenrechte streitet. Zu den eher kleinteiligen Fragen, mit denen sich der NAB beschäftigt, bringt er immer wieder die gesundheitspolitische Gesamtperspektive ein. Dabei wird deutlich, dass ihm, bei aller Normierung durch Public Health, die Freiheit des Individuums heilig ist.
Vielleicht ist das einer der Gründe, warum er auch fachlich mit Sexualwissenschaftler Martin Dannecker gut zurechtkam. Sie respektierten einfach die unterschiedlichen Wissenschaftsblickwinkel. Er bemerkte dazu mal beiläufig. „Martin Dannecker hat immer gesagt, das geht nicht mit der HIV-Prävention, Sexualität funktioniert anders, und natürlich hat er damit beim Individuum recht. Ich habe gesagt, es wird funktionieren. Das hat es dann ja auch.“
„Fürsprecher und kritischer Beobachter unserer Präventionsarbeit“
Karl Lemmen, DAH-Referent für „Psychosoziales und Qualitätssicherung“, schätzt Rolf Rosenbrock vor allem als „Zerberus der informierten Zustimmung“ zu HIV-Test und Behandlung und stehe für ihn wie kein anderer für das Selbstbestimmungsrecht des Patienten. Er zählt zu unseren wichtigsten Fürsprechern, aber auch zu den kritischsten Beobachtern unserer Präventionsarbeit. Letzten Endes musste er uns überzeugen, dass man mit Partizipation, also der Beteiligung der Zielgruppen in der Prävention am weitesten kommt und dass genau das unser Markenzeichen ist. Über seine Mitarbeiter hat er uns noch ein wundervolles Instrument geschenkt, die Partizipative Qualitätsentwicklung.“
Es wäre ein Verlust gewesen, wenn es dem WZB gelungen wäre, diesen kreativen, kritischen und fleißigen Wissenschaftler wegen eines nicht bewiesenen Stasivorwurfs von seiner Arbeit abzuhalten!
„Großartiges Engagement für soziale Gerechtigkeit“
„Rolf Rosenbrock hat in seinem jetzt 70-jährigen Leben und Arbeiten ein großartiges gesundheits- und gesellschaftspolitisches Engagement für soziale Gerechtigkeit gezeigt“, würdigt ihn Prof. Dr. Elisabeth Pott, ehemalige Direktorin der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA). „Dabei haben seine fachlich-wissenschaftlichen Kompetenzen im Zusammenspiel mit seiner kämpferischen Persönlichkeit Vieles ermöglicht, was zunächst aussichtslos erschien.“ Auch, was die Aidsaufklärung und die Solidarität mit Menschen mit HIV und Aids angehe, so Dr. Pott, sei er von Anfang an ein Vorkämpfer gewesen.
Wohl nicht zufällig wurde Rolf Rosenbrock am Tag der Arbeit geboren, am 1. Mai 1945 in Thüringen. Zunächst machte er eine kaufmännische Lehre. Dann folgten das Studium der Betriebswirtschaftslehre, der Politischen Ökonomie und der Sozialwissenschaften an der Freien Universität Berlin. Schließlich 1977 die Promotion in Volkswirtschaftslehre/Politische Ökonomie an der Universität Bremen und 1988 die Habilitation zum Privatdozenten für Sozialwissenschaften mit besonderer Berücksichtigung der Gesundheits- und Sozialpolitik an der Universität Bremen. Seit 1996 ist er Professor im Fachbereich Umwelt und Gesellschaft der Technischen Universität Berlin.
Ehrenämter häufen sich in seiner Biografie: als Mitglied des Sachverständigenrats für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen, des wissenschaftlichen Beirats der BZgA (teils als Vorsitzender), der Ethik-Kommission der Bundeszahnärztekammer und – als Krönung – Vorsitzender des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes und Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege.
„Ehrenämter häufen sich in seiner Biografie“
Klaus Stehling, Geschäftsführer der Aids-Hilfe Hessen, stellt fest, dass der Paritätische seit Rosenbrocks Vorsitz in den Themenfeldern der Außenseiter und der gesundheitlichen Auswirkungen von sozialer Ungleichheit sehr viel deutlicher sichtbar sei. Ihm scheint, als nehme die Aidshilfe „ihren“ Wohlfahrtsverband seither aufmerksamer wahr. Jedenfalls freut er sich über die Interviews und Beiträge des Vorsitzenden in den Verbandsmedien des Paritätischen.
Rolf auf die Frage, ob er als Rentner weniger arbeite als zuvor: Sein Mann habe ihm gesagt, er arbeite genauso viel wie vorher, nörgele aber nicht mehr herum, offensichtlich mache ihm die jetzige Arbeit sehr viel mehr Spaß. Und dabei soll es möglichst lange bleiben.
Danke, Rolf Rosenbrock, und alles erdenklich Gute zum Geburtstag!