Gesundheitsratgeber: Wenn der Doktor rät…

Der Titel des Autors – Professor, Doktor oder gerne beides –, ist bei vielen Gesundheitsratgebern ein wichtiger Bestandteil der Covergestaltung und soll die Seriosität vermitteln: Hier weiß ein studierter Mensch, was für mich beziehungsweise für meine Gesundheit am besten ist. Das Problem: Je schwieriger die medizinische Problematik, desto fachlicher, sprich unverständlicher, drücken sich Experten häufig aus. Hier spiegelt sich die traditionelle hierarchische Beziehung zwischen Arzt und Patient wider: Selten findet diese auf Augenhöhe und gleichberechtigt statt. Was aber bezüglich der somatischen Medizin unter dem Aspekt des aufgeklärten Patienten schon infrage zu stellen ist, sollte bei psychischen Problemen, die ungleich vielseitigere Antworten erfordern, noch viel sensibler behandelt werden.

Um nicht missverstanden zu werden: Seriosität und Fachwissen bilden die Grundlage jedes ernst zu nehmenden Ratgebers, das gilt besonders für die Medizin. Aber: Welches Wissen, welche Erfahrungen und welche Perspektiven sind wirklich hilfreich für Menschen, die zu einem Buch greifen, um sich mit einer Erkrankung auseinanderzusetzen? Besonders, wenn es sich nicht um einen Beinbruch, sondern um ein Problem handelt, das den ganzen Menschen, seinen Körper, seine Persönlichkeit, seine sozialen Beziehungen betrifft?

Irren ist menschlich

Dazu ein kleiner Ausflug in die Geschichte: Vor vierzig Jahren begann in Deutschland die Psychiatrie-Reform. Untrennbar mit ihr verbunden ist ein Buch, das den programmatischen Titel „Irren ist menschlich“ trägt. Die Autorin und der Autor dieses völlig neu gedachten „Lehrbuches des Psychiatrie und Psychotherapie“ fanden bezeichnenderweise keinen medizinischen Verlag – und gründeten mit anderen einen eigenen. So entstand der „Psychiatrie Verlag“. Bis heute kümmert er sich wie kein anderer um die Psychiatrie als humane, demokratische und emanzipatorische Praxis. Bereits in den 80er Jahren erschienen die ersten Ratgeber für Menschen mit Psychiatrie-Erfahrung und ihre Angehörigen – nur war man sich damals nicht bewusst, dass es „Ratgeber“ waren. Erst nach zehn Jahren wurde dieses Programmsegment auch als solches bezeichnet. Bald schon stieß man auf eine neue Hürde: Die Grenze zwischen persönlichen Eigenheiten, seelischen Besonderheiten und Krankheit sind erstens fließend, zweitens ist kein Mensch ganz und gar krank – seine gesunden Anteile sind nie völlig weg und bleiben zumeist die wichtigeren. Kann man Menschen an dieser Grenze immer gleich mit Psychiatrie kommen? Zwingt man sie damit nicht in ein System, das sie vielleicht gar nicht brauchen? Oder macht man aus einem menschlichen Problem ein psychiatrisches?

Kinder am Tisch die Armdrücken machen

Die Kinderbücher der Reihe »Kids in BALANCE« helfen Kindern, psychische Erkrankungen und Krisen zu verstehen und Eltern seelische Notlagen innerhalb der ganzen Familie zu bewältigen.

So wurde das Imprint (Verlag im Verlag), der BALANCE buch + medien verlag, gegründet. Hier erscheinen seit 2007 Ratgeber und Erfahrungsliteratur, aber auch Sach- und Fachbücher. Und damit sind wir bei der Eingangsfrage: „Was hilft?“ Worin unterscheiden sich BALANCE-Ratgeber nun von der eingangs erwähnten klassischen Ratgeberliteratur? Hier wie dort sind die Autorinnen und Autoren ausgewiesene Experten ihres Fachs, Professoren- und Doktortitel sind hier nicht seltener als anderswo, sie stehen nur nicht prominent auf dem Buchcover. Der Unterschied liegt in der Perspektive – und derer gibt es mindestens drei: die der betroffenen Menschen, die der Angehörigen und die der Therapeuten, also der Profis. Wären wir Maschinen, würden die Profis reichen. Weil aber der Mensch und sein Gehirn ein biologisches und soziales Wesen ist, hat auch die Gesundheit beide Seiten. Diese Zusammenhänge bewusst in Text umzusetzen und nicht nur im Schlagwort „biopsychosozial“ abzuhaken, ist die Grundlage der Arbeit des Lektorats. Das hat Auswirkungen auf die Auswahl der Autorinnen und Autoren, die inhaltlichen Schwerpunkte, auf die Sprache und die Gestaltung. „Augenhöhe“ und „voneinander lernen können“ ist das Rezept.

Die Sache mit der Perspektive

Und so ist es eigentlich kein Wunder, dass „BALANCE“ erstmals ein eigenes Programmsegment für Kinder geschaffen hat. „Kids in BALANCE“ hilft Kindern, mit psychischen Störungen in ihrer Umgebung umzugehen, insbesondere mit Erkrankungen ihrer Eltern. Was als Wagnis – und lange bevor sich die Fachwelt der Brisanz dieses Themas bewusst wurde – begann, erwies sich als großer Erfolg. Neun Titel sind bisher erschienen, das Themenspektrum umfasst die verschiedensten psychiatrischen Diagnosen, es geht aber auch um Alltagshilfen, wie Mut oder Einschlafen. Die Idee wird inzwischen von zahlreichen Verlagen nachgeahmt, doch der Verlag braucht diese Konkurrenz nicht zu fürchten – denn die Würze liegt in der Sache mit der Perspektive. Und die ist ziemlich schwer umzusetzen …

Übrigens: Die Stiftung Gesundheit hat inzwischen fast die ganze Serie zertifiziert.