Ein Bericht von Dr. Harald Kischlat, Vorstand der German Doctors, über seinen Projektbesuch auf den Philippinen
Bei meinem Besuch unseres Projektes in Cagayan de Oro, Philippinen, habe ich natürlich auch unser Malisa Home besucht, ein Heim für Mädchen, die von Menschenhandel und sexueller Ausbeutung betroffen waren. Im Zusammenhang mit dem Malisa Home arbeiten wir eng mit der Selbsthilfeorganisation Tisaka zusammen. Die Frauen von Tisaka, zum größten Teil ehemalige Prostituierte, gehen jeden Abend durch die Straßen und in die Clubs, um den Mädchen, die dort ihren Körper verkaufen müssen, ihre Rechte aufzuzeigen und um zu verhindern, dass sie – aus vielerlei Gründen – selber anfangen, ihre Freundinnen, ihre Schwestern zu prostituieren.
Auf den Philippinen ist Sextourismus ein großes Problem. An einem der Abende während meines Besuchs begleiten wir die Frauen von Tisaka in einen der Clubs. Etwa 15 Mädchen und einige Jungs, die sich als Mädchen kleiden, kommen in einen der größeren „privat rooms“ und hören sich die Schulung von Tisaka an. Sie sind alle noch sehr jung, ein Großteil mit Sicherheit noch nicht volljährig. Der Club ist ein mieser, heruntergekommener, stinkender Laden. Im Erdgeschoss eine billige Bar mit Tanzfläche, auf der die Mädchen später am Abend tanzen werden. Im ersten Stock Zimmer verschiedener Größe, zum Teil mit Monitoren, alle mit Sofas, alle speckig, alles irgendwie eklig.
Damit die Frauen von Tisaka überhaupt die Chance haben, in einem solchen Club ihre Schulung abzuhalten, müssen sie recht früh am Abend da sein. Bei unserem Besuch sehen wir deshalb noch keine Kunden, sie werden erst später kommen. So bleibt die Frage, die mir die ganze Zeit im Kopf herumschwirrt, an diesem Abend unbeantwortet: Was sind das eigentlich für Männer, die hierhin kommen? Die dafür bezahlen, dass junge Mädchen ihnen in dieser Umgebung zu Willen sein müssen? Deren Geld der Grund ist, warum das alles passiert: Menschenhandel, Verschuldung, Sklaverei, Gewalt. Die zerstörten Seelen dieser Mädchen und Jungs sind dabei nur ein Abfallprodukt dieser Geldmaschine, deren Treibstoff die Gier und die krankhafte Lust von Männern sind. Was für Männer sind das, die als Sextouristen die Philippinen besuchen?
Am nächsten Tag treffe ich zufällig zwei dieser Männer. Wir fliegen zuerst von Manila nach Abu Dhabi, dann von dort nach Frankfurt. Beim Anschlussflug von Abu Dhabi sitzen die Beiden neben mir: Einer groß, mittelalt, über-übergewichtig und nicht sonderlich gepflegt, der andere im Rentenalter, gekleidet mit praktischer Reiseweste. Der eine, der Ungepflegte, kommt gerade aus Thailand zurück, wo er vier Monate im Jahr verbringt, der andere hat vier Wochen in Sri Lanka Urlaub gemacht. Der Schmierige duzt den älteren Herren gleich. „Woher kommst Du? Wo warst Du? Wie ist das Essen in Sri Lanka? Was sind die da alle? Hindus?“ „Nein, so Buddhisten.“ „Und die Mädchen? Wie kommt man an die ran? Selber nicht, ne?“ „Immer über die Typen, über die Taxifahrer und so.“ „Und ich sag’ Dir mal was, also, ich bin ja nicht schwul, aber die Ladyboys in Thailand sind auch nicht schlecht, die wissen ja am besten, was man als Mann so will…“
Mir reicht‘s! Ich beuge mich rüber und sage genau das. „Was denn?“ Ich erkläre, dass ich gerade bei einer Organisation war, die Minderjährige aus diesem Sumpf herausholt, und dass ich das nicht hören will. „Ah, bist wohl von `ner NGO? Ja, toll, die NGOs. Weißte, das sind No Government Organisationen. Die kenne ich, die Typen. Weißte, die haben immer die schicksten Häuser, und was die für Autos fahren, NGOs, ach erzähl mir doch nichts.“
Mal abgesehen davon, dass es ja nichts an seinem frauen- und damit menschenverachtenden Verhalten ändert, wenn NGOs tolle Büros oder große Autos haben, ist er damit bei uns eh an der falschen Adresse. Egal. Das Gespräch ist jedenfalls beendet. Der Rentner schaut etwas peinlich berührt in die andere Richtung, der Ungepflegte brummelt noch ein bisschen rum, hält aber auch bald ganz den Mund.
Das Deprimierendste daran ist, dass diese Männer – wie so unendlich viele andere – augenscheinlich zu dumm sind, zu begreifen, was sie tun. Dass sie glauben – weil sie es glauben wollen – dass es für die Mädchen nicht schlimm ist, sich jeden Tag den Wünschen unzähliger fremder Männer beugen zu müssen. Dass sie nicht sehen, dass es beim Sextourismus um Gewalt und moderne Sklaverei geht. Dass sie so wenig begreifen, dass sie sogar im Flugzeug bei einem Gespräch zwischen Fremden ganz einfach und locker darüber reden. So, wie andere über die billigen Ledertaschen-Imitate, die sie bei der Türkeirundreise so günstig erstanden haben. Dass sie einfach gar nichts von alledem kapieren. Und dass sie daheim in Speyer vielleicht ganz nette Nachbarn sind. Es ist – mit Verlaub – zum Kotzen.
Hat es irgendeinen Sinn, mit solchen Männern darüber ausführlicher zu reden? Ich weiß es nicht, aber ich kann es mir nicht vorstellen – erst recht nicht nach dem jüngsten Erlebnis auf dem Flieger. Wenn diese Männer Straftaten begehen, müssen sie dafür bestraft werden. Hoffentlich wird das immer häufiger passieren. Aber es hat auf jeden Fall Sinn, vor Ort, in den Dörfern Aufklärung zu betreiben, damit keine Familie mehr auf die falschen Versprechungen der Schlepper hereinfällt. Es hat Sinn, Tisaka weiter zu unterstützen, damit sie in die Clubs gehen, um die Mädchen und Jungs über ihre Rechte aufzuklären. Damit sie für sie da sind. Damit sie weiter ihr Drop-In-Center aufrecht erhalten können, in dem die Mädchen von der Straße wenigstens für ein paar Stunden Ruhe und ehrliche Zuwendung finden. Und es hat Sinn, unser Malisa Home weiter zu betreiben, damit es einen sicheren Ort für Mädchen gibt, die Opfer von Menschenhandel und solchen Männern geworden sind, wie ich sie zuletzt erleben musste.
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