“Hallo, Herr Doktor, darf ich stören?”
Nee, dürfende nicht, tunse aber trotzdem, also nicht mehr als fünf Minuten bitte, ja?
“Alles gut, Herr Doktor, ja? Ihnen geht es gut? Und das Wetter ist ja heute auch wieder….”
Ich setze meinen stechendsten Blick auf und bemühe mich um Pokerface.
“Was kann ich für Sie tun?”
“Schön, dass Sie sich die Zeit nehmen, Herr Doktor, Schmidt mein Name, Schmidt von der Firma… Sie wissen schon, also es geht mal wieder um das Holladiol, kennen Sie ja, ist ja das beste Medikament auf dem Markt, und seit der großen Studie…”
Demonstratives Gähnen. Demonstrativer Blick zur Seite. Tief durchatmen. Demonstratives Nesteln am Handy.
“…und genau das ist mein Stichwort, Herr Doktor, wir haben nämlich ein neues App entwickelt!”
“Ein…. was?”
“Ein neues App. Kennense nicht? Das sind doch diese kleinen….. Dinger, Sie wissen schon, wenn Sie so ein neumodisches Telefon haben, also so ein Smaaaaaaaaht-Fon, damit können Sie….”
“Ich weiß, was ein Smartphone ist!”
Außerdem bin ich jünger als Du. Idiot.
“…also, und da haben wir ein App entwickelt. Ein brandneues Holladiol-App.”
Das App?
“Wozu soll das gut sein?”
“Da erfahren Sie alles über Holladiol….”
Alles, was mich über diese Pillen sowieso noch nie interessiert hat?
Früher gab es zu diesem Zweck Broschüren und unhandliche Pappkartondinger, hochtrabend “Folder” genannt, die man mit gezieltem Schwung in den Papierkorb werfen konnte.
“Kann man das nicht auch anderswo nachlesen?”
Zum Beispiel in den guten, alten Medikamentenlisten, die das Gewicht von zwei bis drei ausgewachsenen Ziegelsteinen aufweisen und über einen beachtlichen Heizwert verfügen, sofern man einen Kamin besitzt. In der warmen Jahreszeit auch hervorragend als Drillanzünder geeignet. Und weil das so ist, gibt es die Dinger natürlich längst auch in elektronischer Form, als CD, im Netz und selbstverständlich auch als App. Wozu dann also eine spezielle Hollatiol-APP? Nur, weil die Konkurrenz auch eine eigene App hat? Als ob es nicht schon genügend sinnfreie Medizin-Apps gäbe, mit denen man den Bildschirm seines Telefons zukleistern könnte, wenn man wollte.
Ich habe noch keine App gefunden, die mir mehr Inhalte geboten hätte als Informationen, die man auch in zwei Minuten ergoogeln kann.
Egal. Die fünf Minuten sind herum. Herr Schmidt sitzt zwar immer noch auf seinem Stückchen, aber ich stehe schonmal auf und begleite ihn zur Tür. Tür auf, einladende Geste zum Flur…. Herr Schmidt versteht. Tür zu, Griff zur Kaffeetasse… Halt!
Irgendwas fehlt: das gewohnte “Klonk”, wenn man nach einem Vertreterbesuch das erhaltene Werbematerial unbesehen in die Rundablage befördert.
Dieser Klonk fehlt mir irgendwie.