„Ich habe einen langen Weg hinter mir“

Jeffrey Drijver (24) lebt seit vier Jahren mit HIV. Seine Infektion wurde früh erkannt, sodass er schnell mit der HIV-Behandlung beginnen konnte. Ein früher Therapie-Einstieg steigert die gesundheitlichen Chancen.  

(Dieser Text erschien zuerst im HIV-Magazin hello gorgeousHerzlichen Dank an Herausgeber und Autor Leo Schenk sowie Fotograf Henri Blommers für die Erlaubnis zur Veröffentlichung.)

„Im Sommer 2010 wurde ich von Kopfschmerzen geplagt. Außerdem hatte ich Ausfallerscheinungen in den Armen und Beinen und sackte deshalb manchmal zusammen. Bei meinem Hausarzt ließ ich mich auf alles Mögliche testen, auch auf HIV. Der HIV-Test fiel positiv aus. Ich hatte eine akute HIV-Infektion und fing mir dadurch eine Hirnhautentzündung ein. Nach einer Woche sollte ich zum Bestätigungstest kommen, doch kurz vorher fiel ich ins Koma. Das hat sieben Tage gedauert, und ich brauchte neun Monate, um mich davon zu erholen.

Ich wollte unbedingt Kinder haben, doch die Sache hatte sich mit einem Mal erledigt. Jetzt weiß ich es besser, aber damals empfand ich es als großen Verlust. Ich wusste zwar, dass ich daran nicht sterben würde, aber ich wusste nicht, wie ich damit leben sollte. Mein Hausarzt konnte mir dazu auch nicht viel erzählen.

Die ersten Monate war ich hauptsächlich damit beschäftigt, mich von dem Koma zu erholen. Ich lernte wieder zu laufen und zu sprechen und gegen meinen Gedächtnisverlust anzukämpfen, alles Folgen der Hirnhautentzündung.“

„Ich ging ich auf die Suche nach den schönen Seiten des Lebens“

„Nach dem Krankenhausaufenthalt wohnte ich bei meiner Großmutter, um mich weiter auszukurieren. Dort habe ich mich im Internet darüber informiert, wie ich mit HIV leben soll. So gelangte ich direkt ins Forum des HIV-Verbandes, wo alle äußerst deprimiert waren. Ich war erst 20 und wollte HIV nicht die Schuld an allem geben. Bewusst ging ich auf die Suche nach den schönen Seiten des Lebens, vor allem, um nicht trübsinnig zu werden.

Vor allem Schamgefühle machten mir zu schaffen. Auf Texel, wo ich aufgewachsen bin, haben die Menschen kein allzu positives Bild von HIV. Ich selbst hatte eine ziemlich schlechte Meinung von anderen Schwulen. Ich wollte zeigen, dass nicht jeder Schwule fremdgeht und sich HIV einfängt. Als ich dann selbst HIV hatte, war das wie ein Schlag ins Gesicht. In meinen Beziehungen nahm ich es mit Sex sehr genau. Erst gemeinsam testen lassen, dann erst Sex ohne Kondom. Schließlich stellte sich heraus, dass mein Partner über jemand anders HIV in die Beziehung gebracht hatte.

Langsam bin ich, was meine HIV-Infektion angeht, offener geworden. Durch meine Offenheit habe ich Freunde verloren. Sie wollten nicht im gleichen Raum mit mir sein und warfen sogar die Teller weg, von denen ich gegessen hatte. Aber die Beziehungen zu denjenigen Freunden, die mich nicht verlassen haben, wurden stärker.“

„Ich lebe mit dem Tag“

„HIV zu haben ist nicht lustig und bringt sicherlich auch Elend mit sich. Ich leide an chronischer Müdigkeit und habe wegen der Medikamente Gelbsucht. Aber seit ich HIV-positiv bin, kann ich das Leben mehr genießen. Ich habe einen langen Weg hinter mir und lebe mit dem Tag, weil ich weiß, dass ich ihn so herumbekomme.

Früher war ich depressiv und selbstmordgefährdet. Als HIV-Positiver musste ich wieder von Grund auf laufen und sprechen lernen. Das hat mich stärker und auch weiser gemacht.

Ich verstehe, warum Menschen vor dem Test zurückschrecken. Doch es ist vernünftig, sich testen zu lassen. Je eher man es weiß, desto besser kann man sich behandeln lassen. Und desto geringer ist das Risiko, andere anzustecken. Ich ließ mich immer zweimal im Jahr testen. Dadurch konnte meine Infektion HIV frühzeitig erkannt werden. Wenn man HIV zu lange mit sich herumträgt, kann es irgendwann zu spät sein.“

„Ich bin sein ideales Studienprojekt“

„Meinen heutigen Freund habe ich über die Dating-App Grindr kennengelernt. Ich war auf einem Geburtstag und langweilte mich. Dann chattete ich mit ihm. Zwei Tage später hatten wir ein Date. Seitdem ist er nicht mehr von meiner Seite gewichen. Beim ersten Date erzählte ich von meiner HIV-Infektion. Er sagte mir, er habe Krankenpflege studiert und wolle sich auf HIV und andere sexuell übertragbare Infektionen spezialisieren. Und dann wurde mir klar: Ich bin sein ideales Studienprojekt.

Er erschrak ein bisschen, fragte aber gleich nach meinen Werten. Danach sagte er, es sei in Ordnung. Und dann war das Gespräch auch schon wieder vorbei. Ich war sehr erstaunt. Die meisten Gespräche mit potenziellen Partnern verliefen deutlich schwieriger. Ich musste ihm nicht viel erklären, und er scheute sich nicht, nachzufragen.

Wir halten uns in Sachen Sex an das EKAF-Statement. Er wollte noch vor mir Sex ohne Kondom. Als er seinen ersten HIV-Test machte, war ich ziemlich nervös. Seither gehen wir lockerer damit um. Die Angst, dass er sich anstecken könnte, ist in den Hintergrund getreten, zumal wissenschaftlich bewiesen wurde, dass bei erfolgreicher Behandlung das Virus nicht mehr übertragen werden kann.

Seit Ende letzten Jahres sind wir verlobt und hoffen, binnen zwei Jahren zu heiraten. Meine früheren Beziehungen führten oft in eine Sackgasse. Bei ihm ist alles anders. Wir sind schnell zusammengezogen. Es fühlt sich gut an, bei ihm zu sein.“