Prinzipiell kann jeder Mensch an einer bipolaren Störung erkranken. Weshalb jedoch genau der Einzelne erkrankt, ist bisher noch unklar. Man geht von verschiedenen Ursachen aus, die oft in der jeweiligen Kombination ihre Wirkung entfalten und zum Entstehen der Erkrankung beitragen können. Es scheint, dass der genetische Anteil hier recht hoch ist. Doch man kann etwas dagegen tun und sogar präventiv vorsorgen, damit es nicht zum Ausbruch der Krankheit kommt.
Das Vulnerabilitäts-Stress-Modell
Das gängige Erklärungsmodell für die Entstehung der Erkrankung ist das Vulnerabilitäts-Stress-Modell. Jeder Mensch besitzt eine andere Anfälligkeit (Vulnerabilität), an einer psychischen Störung zu erkranken. Die Anfälligkeit kann z. B. durch eine genetische Vorbelastung, durch eine bestimmte Persönlichkeitsakzentuierung, durch traumatische Beziehungserfahrungen in der Kindheit oder andere Dinge erhöht sein. Kommt nun Stress (Pubertät, Schulabschluss, Heirat, Verlust eines nahestehenden Menschen, Schwangerschaft oder kritische Lebensereignisse) hinzu und bestehen keine ausreichenden Bewältigungsstrategien, kann es zum Krankheitsausbruch kommen.
Zwischen himmelhoch jauchzend und zu Tode betrübt
Bei der bipolaren oder auch manisch-depressiven Erkrankung gehen Stimmungsschwankungen weit über das normale Maß hinaus und sind unabhängig von den Lebensumständen. Die Stimmungsschwankungen reichen von schwer depressiv bis schwer manisch mit allen dazwischenliegenden Ausprägungen.
Symptome der Manie sind ein intensives Hochgefühl und Selbstbewusstsein, eine deutlich gesteigerte Leistungsfähigkeit, ein vermindertes Schlafbedürfnis bis hin zur Schlaflosigkeit, Distanzlosigkeit oder Rededrang im Umgang mit anderen Menschen.
Symptome der Depression sind dagegen ein gesteigertes Gefühl der Traurigkeit, Antriebslosigkeit, Interesselosigkeit an Dingen, die normalerweise Freude machen, Neigung zum ständigen Grübeln, pessimistische Zukunftsgedanken, Durchschlafstörungen, frühmorgendliches Erwachen oder ein gesteigertes Schlafbedürfnis.
Wie erkenne ich, dass ich krank bin?
Betroffene erkennen mitunter nicht so schnell, dass etwas nicht in Ordnung ist. In Phasen einer leichten Manie fühlt man sich sehr leistungsfähig und belastbar. In solchen Momenten hört man vielleicht nicht auf Freunde oder andere Bezugspersonen, die sich Sorgen machen und einen Arztbesuch empfehlen. Das Erkennen der Erkrankung ist nicht immer leicht, oft werden zunächst andere Diagnosen gestellt: Angststörungen, Phobien, unipolare Depressionen. Erst in Zusammenschau mit der ganzen Krankheitsgeschichte und wenn möglich einer Fremdanamnese durch Bezugspersonen der Betroffenen wird das Bild der Erkrankung deutlicher.
Die Folgen einer unbehandelten Erkrankung sind fatal
Wird eine bipolare Erkrankung nicht erkannt und bleibt unbehandelt, können die Folgen dramatisch sein. Die Stimmungswechsel können zu Problemen im sozialen, beruflichen und privaten Bereich führen. In manischen Phasen kann es zur Verschuldung, dem Verlust des Arbeitsplatzes und Beziehungsabbrüchen kommen. In depressiven Phasen ziehen sich die Betroffenen sozial zurück, sind wenig belastbar und haben oft Zukunftsängste. Der spezielle Charakter einer bipolaren Erkrankung mit Stimmungswechsel, kann zu schweren suizidalen Krisen und im schlimmsten Falle zum Suizid führen. Die Suizidrate aller Betroffenen liegt bei rund 15 Prozent und ist damit weit höher als bei rein depressiven Erkrankungen.
Einteilung der bipolaren Störungen nach internationalen Diagnosekriterien
Bipolar-I-Erkrankungen sind durch ausgeprägte Manien und Depressionen charakterisiert. Die Betroffenen haben eine oder mehrere über mindestens eine Woche anhaltende Phasen, in der die Kriterien für eine Manie erfüllt sind.
Die Bipolar-II-Erkrankung ist durch weniger ausgeprägte bzw. kürzer andauernde Manien (Hypomanien) und oft schwere depressive Episoden gekennzeichnet. Diese Form der bipolaren Erkrankung ist sehr schwierig zu erfassen. Hypomanien werden rückwirkend oft nicht als krankheitswertig erachtet oder erinnert.
Rapid Cycling bedeutet einen schnellen Wechsel der Episoden. Bei dieser speziellen Form der bipolaren Erkrankung treten innerhalb von zwölf Monaten mindestens vier Episoden der Manie, der Hypomanie oder der Depression auf.
Zwei Millionen Menschen sind allein in Deutschland betroffen
In Deutschland leiden rund zwei Millionen Menschen an einer bipolaren Störung. Frauen und Männer sind von einer Bipolar-I-Störung gleich häufig betroffen, während die Bipolar-II-Störung bei Frauen häufiger auftritt. Das Ersterkrankungsalter liegt bei den meisten Menschen zwischen dem 17. und 21. Lebensjahr. Einzelne Symptome oder bis dahin nicht als solche erkannte oder abgeschwächte Phasen, werden jedoch oft früher wahrgenommen, etwa ab dem 15. Lebensjahr. 60 Prozent der Betroffenen berichten über das Auftreten erster Symptome schon vor dem 18. Lebensjahr. Nach dem 40. Lebensjahr ist das erstmalige Auftreten einer bipolaren Erkrankung eher selten.
Prävention ist möglich und gar nicht schwer
Wenn man über seine Vulnerabilität, wie dem Auftreten der Erkrankung in der Familie, Bescheid weiß und es noch nicht zum Ausbruch einer bipolaren Störung gekommen ist, kann man dem präventiv entgegenwirken. Man sollte versuchen, einen möglichst gleichmäßigen und rhythmischen Lebenswandel ohne Extrembelastungen zu führen. Daher gilt es, dauerhaften Stress an der Arbeit, ungeregelte Tag-Nacht-Rhythmen (Schlafentzug kann eine Manie auslösen!) und Konsum von Suchtstoffen und Drogen zu vermeiden. Das gemeinsame Gespräch mit einem Fachmann – Psychiater und Psychotherapeut – bezüglich möglicher Frühwarnsymptome kann helfen. Dies soll keine Angst machen, sondern Wissen und Sicherheit vermitteln. Sie können sich hierzu auch auf der Homepage der deutschen Gesellschaft für bipolare Störungen (www.dgbs.de) sehr gut informieren.
Behandlung einer Bipolarstörung
Die Behandlungsmöglichkeiten nach einer Diagnosestellung sind mittlerweile sehr gut. Es stehen eine Reihe zugelassener und gut evaluierter Medikamente zur Verfügung. Nach der Diagnosestellung ist eine schnelle und leitliniengerechte Behandlung entscheidend. Es gibt seit 2012 eine S3-Leitlinie für bipolare Erkrankungen. Neben der pharmakologischen Behandlung spielt die psychotherapeutische Betreuung eine entscheidende Rolle. Man versucht, u. a. durch Psychoedukation (Vermitteln von wissenschaftlich fundiertem Wissen), das Krankheitsverständnis der Betroffenen zu stärken. So werden sie Spezialisten ihrer Erkrankung, um in Krisensituationen schnell handeln zu können und sich die entsprechende Hilfe holen.
Beispielhafte Behandlung eines ambulanten Patienten
Die Diagnose bipolar war bei dem Patienten bisher nicht gestellt. Mittels psychologischer Testverfahren, dem ausführlichen Gespräch und dem klinischen Eindruck erhärtet sich der Verdacht auf eine bipolare Störung. Die Laboruntersuchungen, ein MRT des Schädels und die klinisch neurologische Untersuchung ergeben keinen Verdacht auf eine organische Genese der Symptome. Zum Vorstellungszeitpunkt war der Patient leicht manisch. Damit keine weiteren Phasen auftreten, ist eine medikamentöse Behandlung mit einer Phasenprophylaxe meist sinnvoll. Eine Aufklärung über Wirkung, mögliche Nebenwirkungen und Einnahmedauer schließt sich an. Parallel wird der Patient psychoedukativ geschult. Er soll so viel Fachwissen wie möglich bekommen. So kann er weitere Krisensituationen oder Phasenwechsel adäquat beurteilen und sich dementsprechend schnell erneut in Behandlung begeben. Zur Bearbeitung tiefgreifender Probleme ist häufig auch eine ambulante Psychotherapie indiziert.
Das Risiko wird man nicht los
Wenn die Behandlungsmaßnahmen positiv anschlagen, ist die weitere Lebensqualität meist sehr gut. Es geht den Betroffenen entscheidend besser. Eine Ausheilung kann jedoch nicht eintreten. Das erhöhte Risiko, immer wieder in Stimmungsschwankungen zu geraten, wird man nicht mehr los. Aber man kann viele Faktoren so beeinflussen, dass die Wahrscheinlichkeit, erneut in eine Phase zu rutschen, erheblich kleiner wird. In meiner Tätigkeit als Facharzt sowohl im tagesklinischen und auch im ambulanten Bereich habe ich schon sehr erfreuliche Verläufe meiner Patienten erlebt. Es ist immer wieder schön zu sehen und zu erleben, wenn eine Therapie anschlägt und der Lebenswille bei den Patienten zurückkommt.