Warum Beschwerden in der Arztpraxis Zeit, Geld und Nerven kosten

„Ständig klingelt das Telefon!“

Mit dieser Begrüßung begann mein typischer Arbeitsalltag noch vor einigen Jahren in der Arztpraxis.

Sobald ich zur Praxistür herein gekommen war, erhielt ich anstelle eines „Guten Morgen“ von weitem  Zurufe wie „Der Computer ist heute so langsam!“, “Wir haben schon sie viele unangemeldete Patienten!“ oder eben „Das Telefon klingelt andauernd!“.

Wie fühlt man sich da? Schlecht.

Wie wäre es mit: „Guten Morgen. Leider haben wir ein paar Schwierigkeiten heute Morgen. Vielleicht kannst Du uns helfen?“.

Der nächste kommt: „Oh, es war so heiß am Wochenende, ich konnte so schlecht schlafen. Jetzt habe ich Kopfschmerzen. Und ich sollte noch so viel tun.“

Schließlich kleben überall kleine Notizzettel vom Seniopraxispartner mit Texten wie „Pflanzen wieder völlig übergossen.“, „Leistungsziffern falsch eingetragen“ oder „Nicht so viel Labor“.

Ich fühle mich in diesen Momenten an meine kleinen Kinder zu Hause erinnert: dort meckert meine 4-jährige Tochter sobald sie ins Bett soll. „Ich hab‘ mir auf die Zunge gebissen und schlafen kann ich sowieso nicht. Außerdem habe ich noch Hunger.“ (Meine kleine Tochter sagt jedoch in solchen Momenten immer „außenrum“ anstelle „außerdem“ und ist in solchen Momenten so süß, dass man mehr lachen als sich ärgern muss J )

Bei meinen Kindern darf ich klipp und klar sagen, dass sie keine Ausreden für das „Ins Bett gehen“ suchen und aufhören sollen „herum zu heulen“. Das funktioniert. Sonst gibt es IPad-Verbot oder ich drohe damit, mir was ganz fieses bis zum nächsten Tag aus zu denken.

Und Wunder was? Trotz dieser vermeintlichen „Härte“ sind die Kinder nach 5 Minuten wie ausgewechselt und fröhlich.

Die Beschwerdementalität liegt anscheinend in unserem Beruf verankert (oder sogar in unserer Gesellschaft?):

Nehmen wir zum Beispiel unseren lokalen Ärztestammtisch: warum trifft man sich einmal im Monat mit Kollegen, nur um sich zu beschweren? Der „Verbund“ wurde gegründet, um einen kollegialen Austausch unter den lokalen Kollegen zu ermöglichen.

Aber was passiert bei den Sitzungen? Äußerungen von Unmut über die schlechten Abrechnungsbedingungen, die schwierige lokale ärztliche Situation und sowieso die Bürokratie ist ja meistgehasst.

Ich würde am liebsten sagen: „Liebe Kollegen: bitte maulen Sie nicht so viel rum. Suchen Sie lieber eine Lösung. Tun Sie etwas.

Was läuft hier in unserer täglichen Kommunikation falsch? Wir haben so viele Fragen, Probleme, Sorgen und Ängste. Und trotzdem, obwohl wir uns tagtäglich mit gleichgesinnten Kollegen unterhalten (dürfen), können wir unsere Probleme nicht lösen.

Problem Nr. 1: Wir beschweren uns nur, anstelle nach Lösungen zu suchen

Wir tendieren dazu, uns täglich zu beschweren. Wir beschweren uns über das Wetter, das frühe Aufstehen und die Arbeit.

Jammern, Meckern und Nörgeln ist allerdings emotional schwerer Ballast für andere Personen.

Wenn Sie sich beschweren oder einfach mal „Dampf ablassen“ möchten, dann rufen Sie bitte bei der Telefonseelsorge an. Aber bitte lassen Sie die Kollegen in Ruhe. Es belastet emotional und führt zu keiner Verbesserung des Arbeitsalltages.

Konzentrieren Sie sich lieber auf das das sachliche Problem und versuchen Lösungen zu finden.

Ein paar Beispiele:

Emotional: „Wir haben so viele unangekündigte Patienten in der letzten Zeit!“

Lösungsorientiert: „Wie können wir mit den unangekündigten Patienten in Zukunft besser umgehen?“

Emotional: „Bald ist wieder Winter. Da werden wir überrannt“

Lösungsorientiert: „In der Grippesaison wird es wieder einen Patientenansturm gehen. Wie können wir uns darauf vorbereiten?“

Emotional: „Der Kollege schreibt nichts auf seine Überweisung“

Lösungsorientiert: „Welche Möglichkeiten haben wir, die Zusammenarbeit mit den Kollegen zu verbessern?“.

Problem Nr. 2: Wir erwarten schon eine Beschwerde

Kennen Sie das? Bei manchen Menschen tendieren wir schon zu einem „oh je“, bevor diese überhaupt einen Ton gesagt haben. Wir sind hier in der Erwartungshaltung einer emotionalen Beschwerde.

Das müssen Sie unterbinden. Verkneifen Sie sich ein „Oh je“ oder „Ach Du Arme(r)“. Sonst geben Sie das Signal: „Bei mir darf man sich beschweren“. Und das nutzen Menschen einfach immer wieder aus.

Sie haben erstens keine Zeit für reine Nörgelei und zweitens nicht genügend emotionale Kapazitäten, um sich das alles anzuhören.

Oder sind sie Psychotherapeut, können die Gespräche abrechnen und haben gelernt sich emotional abzugrenzen?

Was Sie konkret tun können: Unterbrechen Sie die Kollegin / den Kollegen mit einem „Stopp“ (Eigenartigerweise sind Menschen bei einer solchen Unterbrechung durch ein einzelnes Wort nicht böse). Weisen Sie freundlich aber bestimmt daraufhin, dass Sie gerade keine Zeit und emotionale Kapazität für ein solches Gespräch haben. Bieten Sie an, das Problem später sachlich mit ihr / ihm zu diskutieren.

Beispiel:

Kollegin: „Mir geht es nicht gut. Der Chef hat mich schon wieder angepöbelt“.

Sie: „Stopp… (Pause…) Leider kann ich mich gerade nicht auf Dein Problem konzentrieren. Können wir zu einem späteren Zeitpunkt gemeinsam, in Ruhe und sachlich dafür eine Lösung suchen?“

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass die Kollegin nicht auf Sie zukommen wird, da sie sich bei ihnen ja nicht beschweren konnte.

Problem Nr. 3: Die Führungskräfte (Praxisinhaber / Praxismanager) unterbinden die Nörgelei nicht

Wer traut sich schon diesen Satz zu sagen: „Hört auf auch zu beschweren und geht die Probleme sachlich an!“?

Aber das ist nun mal eine der Aufgaben von Führungskräften: emotionale Diskussionen in sachliche und lösungsorientierte zu wandeln.

In meiner persönlichen Situation ist mir irgendwann einmal der Kragen geplatzt. Eine Medizinische Fachangestellte hat immer gemeckert, anstelle nach Lösungen zu suchen (damals im Rahmen der Einführung einer Terminsprechstunde). Ich sagte: „Wer nörgelt, der fliegt.“ – Mit einem durchschlagenden Effekt, aber natürlich nicht die feine Art.

Das können Sie besser (auch arbeitsrechtlich) formulieren: „Ich möchte, dass wir gemeinsam und sachlich Lösungen für die Probleme suchen. Rein emotionale Beschwerden führt uns, als Praxisteam, nicht weiter.“

Problem Nr. 4: Wir konzentrieren uns auf die eigene Person, anstelle das gesamte Praxisteam zu sehen

Emotionale Beschwerden haben eine spezifische Eigenheit: Sie lenken die Aufmerksamkeit auf die Sichtweise der einzelnen Person: „Immer muss ich länger arbeiten.“ (Um davon ein wenig abzulenken wird oft wird zum Ausgleich noch ein Nachsatz verfasst: „Ich weiß, dass nur ich die meisten Tätigkeiten ausführen kann.“).

Wir sollten uns in einem funktionierenden Praxisteam auf die gemeinsame Arbeit konzentrieren. Eine erfolgreiche Arztpraxis funktioniert nur, wenn alle an einem Strang ziehen.

Wenn also jemand immer länger arbeiten muss, weil nur eine Medizinische Fachangestellte (MFA) diese Tätigkeiten ausführen kann, dann sollte sie Anderen die Tätigkeiten beibringen. Am besten sie fixiert eine Handlungsanleitung schriftlich z.B. im Rahmen eines Qualitätsmanagements.

Eine Leitformel im Führungswesen lautet: „Was kann ich für die Arztpraxis tun? Was ist mein Beitrag?“. Und das sollten sich alle Mitarbeiter fragen, nicht nur die MFA, sondern auch die Praxismanagerin, Ärzte und die Praxisinhaber.

Der Kollegiale Rat

Das Beschwerdeverhalten scheint sehr menschlich zu sein. Auch in unserer Führungsebene mit mehreren Gesellschaftern gab zu einem Zeitpunkt nur noch emotionale Diskussionen.

Nach einem Führungsseminar wurde uns ein Werkzeug in die Hand gegeben: „Der kollegiale Rat

Das funktioniert wie ein Schlüsselwort und wird dann angewendet, wenn jemand ein Problem hat. In einer solchen Situation geht ein Kollege auf den anderen zu und sagt:

„Ich brauche Deinen / euren kollegialen Rat“

Der Kollege versucht in diesem Augenblick mindestens 15 Minuten Gesprächszeit in Ruhe zu finden, entweder gleich oder zu einem späteren Zeitpunkt.

Vereinbart ist, dass der Ratsuchende sich nicht beschwert, sondern ein konkretes, sachliches Problem beschreibt. Bei uns können das Probleme sein, wie z.B. „Die angestellte Ärztin macht nicht, was ich ihr sage“ oder „Ich glaube, dass die medizinische und Servicequalität unzureichend ist“.

Den kollegialen Rat kann man aber sehr gut auch unter MFA einsezten:

„Der Chef hat mich in dieser konkreten Situation {x} angefahren. Wie soll ich damit umgehen?“.

Wichtig ist, dass man die emotionale Beschwerde vermeidet: „So ein blöder Chef: immer wieder fährt er nur mich an.“

Es darf ruhig auch mal eine Orientierungsfrage sein: „Ich bin mir unsicher, wie ich mich in der Situation {y} verhalten soll.“

Auch emotionale Probleme dürfen geäußert werden: „Ich mach mir um meinen Job sorgen“ oder „Ich fühle mich nicht mehr wohl. Warum eigentlich?“

Im Umkehrschluss muss der kollegiale Berater seine volle Aufmerksamkeit auf die Kollegin / den Kollegen lenken und sich in dessen Situation hineinversetzen. Dessen Meinung zu dem Thema ist natürlich subjektiv und muss auch als Meinung akzeptiert werden.

Also:

Hört auf euch zu beschweren.

 

Welche Beschwerden nerven Dich am meisten?

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P.S:

Diese Menschen haben Grund sich zu beschweren