Eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung braucht gestärkte Therapeuten

Gastbeitrag von Dr. Roy Kühne (MdB) über das Positionspapier „Heilmittelerbringer direkter in die Versorgung einbinden“ der Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.

Nach dem Biologie- und Sportstudium promovierte Dr. Roy Kühne zum Thema „Heben und Tragen unter kinästhetischem Aspekt“, bevor er sich zum Diplom-Sporttherapeut und Physiotherapeuten weiterbildete. Nach Arbeitsstationen als Physiotherapeut und Mitarbeiter in einem Reha-Zentrum ließ er sich anschließend im niedersächsischen Northeim nieder, wo er ein Gesundheitszentrum führt. Seit 2005 Mitglied der CDU, ist er seit der Bundestagswahl 2013 Mitglied des Deutschen Bundestages. Dort ist unter anderem Berichterstatter für Heil- und Hilfsmittel im Gesundheitsausschuss und verantwortlich für nicht-ärztliche Gesundheitsberufe. 2014 wurde er in den Bundesfachausschuss Gesundheit und Pflege der CDU Deutschlands berufen.

Dr. Roy Kühne (MdB)

Dr. Roy Kühne (MdB)

Die etwa 322.000 Heilmittelerbringer in Deutschland (Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 12 Reihe 7.3.1, 2011) sind im Gesamtgefüge des deutschen Gesundheitswesens ein wesentlicher Leistungserbringer und eine der größten Berufsgruppen. Eine Gesundheitsversorgung ohne Therapeuten ist undenkbar. In der medizinischen Versorgungskette führen die Therapeuten sowohl präventive wie auch kurative und rehabilitative Maßnahmen durch, und das sektorenübergreifend. Die Heilmittelerbringer haben einen zentralen Anteil an der Erhaltung von Arbeitskraft, an der Wiederherstellung von Lebensqualität oder an der Linderung von Schmerzen. Sie unterstützen bereits Säuglinge bei Erlangung ihrer motorischen Fähigkeiten, sie helfen Kindern beim Sprechen lernen oder sie begleiten Menschen, sich in ihrer Umwelt wieder besser zurecht zu finden. Nach Unfällen, Operationen oder Erkrankungen sorgen Therapeuten dafür, dass Patientinnen und Patienten so schnell wie möglich wieder beschwerdefrei ihren Alltag bewältigen können.
Trotz dieser zentralen Rolle in der Gesundheitsversorgung lag der Anteil der Heilmittelausgaben in der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahr 2014 bei 2,94 %, das entspricht 5,69 Mrd. Euro (Quelle: GKV-SV, 2015).

Die Arbeitsgruppe Gesundheit der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat Ende März mit breitem Konsens ein Positionspapier beschlossen, welches in den Kernforderungen die größten Probleme im Heilmittelbereich zusammenfasst und konkrete Lösungsansätze aufzeigt. Vor dem Hintergrund zukünftiger Versorgungsengpässe muss die Verantwortung für die medizinische Versorgung der Menschen auf möglichst viele Schultern verteilt werden. Die Zusammenarbeit aller qualifizierten Gesundheitsberufe ist dafür eine entscheidende Voraussetzung. Das Positionspapier orientiert sich an der Frage, wie ein Mehrwert für die Patientenversorgung in Deutschland geschaffen werden kann, wenn man die Versorgungsstrukturen besser vernetzt und die Heilmittelerbringer direkter einbindet.

Das Positionspapier mit dem Titel „Heilmittelerbringer direkter in die Versorgung einbinden“ spricht keine neuen Problemfelder an. Im Gegenteil: Die hier genannten strukturellen Defizite sind seit Jahren in der berufspolitischen Diskussion und belasten die Therapeuten in ihrer täglichen Arbeit. Erst in den vergangenen Monaten, im Zuge des inzwischen verabschiedeten GKV-Versorgungsstärkungsgesetzes, haben die Therapeuten Gehör in der Gesundheitspolitik gefunden.

Die im Positionspapier formulierten Kernforderungen ergeben sich aus drei entscheidenden Faktoren und bilden somit entsprechende Maßnahmenpakete: Vergütung, Ausbildung und Arbeitsbedingungen.

Die Vergütung der niedergelassenen Therapeuten befindet sich seit Jahren auf einem unterdurchschnittlichen Niveau und unterscheidet sich darüber hinaus gravierend in Ost- und Westdeutschland. Die Bruttogehälter liegen im Bundesdurchschnitt etwa zwischen 1.700 Euro und 2.000 Euro. Hilde Mattheis (SPD) und Jens Spahn (CDU) haben sich Anfang des Jahres in ihrer Funktion als gesundheitspolitische Sprecher eindeutig dazu geäußert, die Entkoppelung von der Grundlohnsumme zeitnah umzusetzen. Das Versorgungsstärkungsgesetz wäre ein richtiger Zeitpunkt gewesen. Zwar sind wichtige Weichen für die zukünftige Gesundheitsversorgung in Deutschland gestellt worden, allerdings wurde die Zukunft der Therapeuten in Deutschland dabei vergessen.

Die überfällige Entkoppelung von der Grundlohnsumme und der entsprechenden Veränderungsrate, die als Grenze für die jährlichen Vergütungsverhandlungen steht, ist das wichtigste Ziel der Therapeuten und zentrale Kernforderung des Positionspapieres. Eine Umsetzung ist bisher nicht erfolgt. Die Vergütungsangleichung zwischen den Krankenkassen, welche stattdessen mit dem Versorgungsstärkungsgesetz beschlossen wurde, ist nur ein kleiner Baustein mit geringer Wirkung. Wichtige Fragen bleiben somit weiterhin unbeantwortet: „Was ist uns die Leistung der Therapeuten wert?“ und „Können wir es noch länger verantworten, dass Therapeuten in unserem Gesundheitssystem auf einem Niveau bezahlt werden, welches in keiner Weise ihrer Verantwortung und ihrem Wert für die Patienten gerecht wird?“. Die Therapeuten in Deutschland haben es verdient, dass wir an dieser Stelle nachbessern und diese drängenden Fragen so schnell wie möglich beantworten.

Eine bessere Vergütung muss unserer Ansicht nach zwingend zusammen mit einer umfassenden Ausbildungsreform umgesetzt werden. Hier kommt es darauf an, die Therapeuten in den einzelnen Heilberufen für die veränderten und die zukünftigen Versorgungsbedarfe adäquat auszubilden. Ausbildungsordnungen aus den Neunzigerjahren können diese Anforderungen nicht mehr abdecken. Dazu zählen neben bestimmten Screening- und Diagnoseverfahren auch Überweisungs- und Verordnungskompetenzen. Diese sollen dazu befähigen, Risikobewertungen durchzuführen, Kontraindikationen frühzeitig zu erkennen und gegebenenfalls eine Überweisung zum Facharzt vorzunehmen. Nur umfassend qualifizierte Therapeuten können sich an neuen Versorgungsformen wie der Blankoverordnung oder einem Direktzugang beteiligen. Die verbesserte Ausbildung und die Therapieverantwortung sind weitere Bausteine, um das Berufsbild des Therapeuten generell wieder attraktiver für junge Menschen zu machen. Damit verbunden sein muss aber auch eine Abschaffung des Schulgeldes. In einem Land, in dem durch den demografischen Wandel sowohl Fachkräfte fehlen als auch die Versorgung einer alternden Bevölkerung immer schwieriger wird, ist die Zahlung von Schulgeld nicht mehr zeitgemäß. Nur eine grundsätzliche Ausbildungsreform, gemeinsam mit den übrigen Gesundheitsfachberufen, kann den rückläufigen Ausbildungszahlen entgegenwirken.

Die Forderung im Positionspapier nach einer perspektivischen Zulassung des Direktzugangs der Patienten zum Therapeuten muss als langfristigstes Ziel gesehen werden. Hier gilt es noch einmal zu betonen, dass ein Direktzugang nur mit entsprechend qualifizierten Therapeuten möglich ist. Als Zwischenschritt ist aber die sogenannte Blankoverordnung anzusehen. Dieses Versorgungskonzept wird derzeit in einem Modellversuch in Berlin und Brandenburg in der Praxis erprobt. Dabei stellt zwar der Arzt weiterhin die Diagnose und überweist den Patienten mit einer Verordnung an den entsprechenden Therapeuten, gibt aber die Therapie- und Ergebnisverantwortung an diesen ab. Der Therapeut entscheidet demnach über Art und Umfang der Therapie. Mit der Blankoverordnung wird der spezifischen Fachkenntnis der Therapeuten Rechnung getragen, die den Therapieverlauf der Patienten optimal steuern können. Die Versorgungsqualität kann somit nachhaltig gesteigert werden.
Die Ergebnisse der Modellversuche beider Versorgungskonzepte werden Ende 2015 vorliegen. Zwischenergebnisse und Erfahrungen aus anderen Ländern zeigen aber bereits die positiven Effekte für die Patientenversorgung und ein mögliches Einsparpotential für die GKV, etwa durch die Substitution oder gar die Vermeidung teurer Therapieformen.
Geklärt werden müssen in diesem Zusammenhang Fragen bezüglich der Vergütung, beispielsweise durch ein entsprechendes Heilmittelbudget oder Behandlungspauschalen, aber auch das Haftungsrecht.

Die stärkere Vernetzung der Versorgungsverantwortung zwischen Ärzten und Therapeuten soll ebenfalls eine Entlastung der Ärzte bewirken. Ein gutes Beispiel für die Öffnung des Direktzugangs für Heilmittelerbringer ist die Versorgung von chronisch kranken Patienten mit einem langfristigen Heilmittelbedarf. Diese könnten den Therapeuten direkt aufsuchen und müssten nicht quartalsweise einen Arzt aufsuchen, um ihre Folgeverordnung zu erhalten. Für die Vertragsärzte würde dies mehr Zeit für die ärztliche Versorgung bedeuten, Wartezeiten könnten sich reduzieren.

Die Umsetzung dieser Maßnahmen wird die Attraktivität des Berufsbildes nachhaltig steigern. Um den zukünftigen Versorgungsbedarf decken zu können, brauchen wir mehr qualifizierte Therapeuten, die leistungsgerecht bezahlt werden. Wir sind überzeugt, dass die Kernforderungen dieses Positionspapiers nicht nur die Arbeitsbedingungen für die Heilmittelerbringer in Deutschland verbessern, sondern auch, dass sich dadurch die Versorgungsqualität im Heilmittelbereich deutlich erhöht.