Emerenz, die Bauernmagd: Heldin oder einfach eine arme Irre?

Fassen wir die wichtigsten Aspekte der Handlung des vorgenannten Romans von Hans Carossa also kurz zusammen:
Im ersten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts gab es auf den Bauernhöfen noch Knechte und Mägde.
Eine solche landwirtschaftliche Hilfskraft namens Emerenz wird schwanger. Ihr Arzt erklärt ihr, dass sie an einer nicht weiter erklärten Krankheit leidet und das Kind nicht ohne Gefahr für ihr eigenes Leben austragen kann.
Sie entscheidet sich – gegen ärztlichen Rat – für das Kind und damit gegen ihr eigenes Leben.
Das Kind lebt, die Mutter stirbt.
„Der Zweig zieht allen Saft aus dem welken Blatt in die neue Knospe hinein und stößt es ab!“ heißt es in dieser Schlüsselszene, und der Autor stilisiert die Figur der Mutter, welche ihr Leben für das Kind hingibt zu einer Art Heiligen.
Es ist anzunehmen, dass so eine Sache auch in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts extrem selten waren, wenn sie den überhaupt vorkammen. In Kunst und Literatur hingegen waren derartige Szenen und Bilder bis die zweite Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein ziemlich beliebt: In einem Holywood-Schinken von 1963 mit dem Titel „Der Kardinal“ stirbt die Schwester des Protagonisten unter Qualen bei der Geburt ihres (unehelichen!) Kindes. Die Entscheidung gegen die Spät-Abtreibung hat – da die Gebärende bereits bewusstlos war – der Bruder, eben jener katholische Priester und spätere Kardinal getroffen und zwar gegen den Rat der Ärzte.
Theoretisch sind derartige Situationen auch im einundzwanzigsten Jahrhundert noch möglich. Allerdings haben sich die ethischen Rahmenbedingungen geändert: dass sich eine werdende Mutter gegen ihr eigenes Leben und für das Kind entscheidet, gilt heutzutage als völlig undenkbar.
Eine Frau, welche eine entsprechende Absicht äußern würde, gälte vermutlich als unzurechnungsfähig. Ärzte und Juristen würden sich sehr wahrscheinlich in den meisten Fällen über den Patientenwillen hinwegsetzen dem Leben der Mutter Vorrang einräumen.
Ist das nun ein Beispiel für die Verrohung der Sitten – oder einfach der Triumph des gesunden Menschenverstandes über die Religion?
Ich weiß es nicht.

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