(MÜNSTER/NORDWEST) Eigentlich klingt es nach einer ganz vernünftigen Idee: das Land NRW plant mit dem Gesundheitscampus NRW ein Zentrum, das Einrichtungen der Gesundheitswirtschaft bündeln, vernetzen und weiterentwickeln soll. Zudem soll dort die erste öffentlich-rechtliche Fachhochschule für Gesundheitsberufe angesiedelt werden. Hier können dann Gesundheits- und Krankenpfleger/innen, Altenpfleger/innen, Hebammen/Entbindungspfleger, Logopäden/innen, Ergotherapeuten/innen und Physiotherapeuten/innen grundständig akademisch ausgebildet werden.
Nun trafen im Rahmen einer Podiumsdiskussion im Westfälischen Münster der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe und der designierte Leiter des Gesundheitscampus erstmals aufeinander, wie die Münstersche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 10.Dezember zu berichten wusste. Und kuscheln geht anders, wie sich aus dem Artikel unschwer rauslesen lässt.
Der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe ist Chirurg, also Akademiker, Wissenschaftler, sogar Chefarzt – er weiß also, wovon er redet. Aber auch so ein Chiurg kann sich schon mal in Rage und dann um Kopf und Kragen reden, z.B. wenn er im Verlauf der Diskussion seine Meinung zum Gesundheitscampus mit der Bemerkung auf den Punkt bringt, man möge das viele Geld lieber in die Ausbildung der Ärzte und nicht in ein akademisiertes Proletariat investieren.
Natürlich ist dieses Zitat völlig aus dem Zusammenhang gerissen, das ist es immer, wenn man in der Zeitung liest, was für einen Mist man verzapft hat. Und eigentlich habe der Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe ja gemeint, dass im derzeitigen Pflegenotstand die Akademisierung in der Masse gar nichts bringen würde, man bräuchte doch jetzt das qualifizierte Personal in den Kliniken, wie aus der Pressestelle auf Anfrage versichert wird.
Aber auch die Durchsicht der von der Ärztekammer bisher so im Namen ihres Präsidenten herausgegebenen Meldungen lassen eigentlich keinen Zweifel offen, dass die Bereitschaft, Pflegende mit mehr Verantwortung und Kompetenzen auszustatten – ganz im Sinne einer effizienteren Krankenversorgung – nicht sehr ausgeprägt ist. Das ist seitens der Ärzteschaft keine neue Perspektive, zumindest auf der Ebene der Funktionäre nicht.
Der Aufreger ist dabei die Wortwahl. Da hat z.B. vor geraumer Zeit schon mal ein hoher Ärztefunktionär von den Kulissenschiebern gesprochen. Der Wind wird eben immer schärfer, wenn die Argumente knapp werden.
Kein Zweifel: mit dem akademisierten Proletariat sind die Pflegenden gemeint – zu klären wäre noch, vor welchem Hintergrund der Präsident zu der Wahl seiner Worte kam. Meint er mit Proletariat die umgangssprachliche Bedeutung mit einem diskriminierendem Charakter (im Sinne von derb, vulgär, unkultiviert, ungebildet)? Das wäre einfach nur eine Beleidigung, fast billig.
Oder ist es doch eher der soziologische Bedeutungshintergrund, also das Proletariat als die Bezeichnung der Gesellschaftsschicht, die keinen Besitz an Produktionsmitteln hat und gezwungen ist, ihre Arbeitskraft als Ware zu Erstellung fremdbestimmter Leistungen anzubieten? Wenn hier mal nicht die (tief sitzende) Wurzel des Übels zu finden ist: wer Pflegende als das Proletariat der Gesundheitswirtschaft wahrnimmt, spricht ihnen eine tragende Rolle in der Gesundheitsversorgung ab – Pflegende werden so als ArbeiterInnen betrachtet, die beliebig aus einem Füllhorn ständig neu auf den Markt drängender Pflegender jederzeit gefahrlos zu ersetzen seien. In der Behandlung und Genesung von Patienten spielen sie hingegen keine Rolle, die über die Erbringung der reinen Arbeitskraft hinaus eine Bedeutung hätte.
Das sollte aber mittlerweile auch auf der letzten Funktionärsebene angekommen sein: so ist das nicht. Und eines ist ganz gewiss – der Abbau von Ausbildungs- und Arbeitsplätzen in der Krankenpflege lässt sich weder kurz- noch langfristig durch markige Sprüche ewig Gestriger Funktionäre umkehren. Eines sollte dabei nicht vergessen werden: es war ausgerechnet das Proletariat, das bestehende Herrschaftsverhältnisse hinterfragt hat. (Zi)