Kunsttherapie – Mehr als Malerei

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Wenn Menschen in eine schwierige Lebenssituation geraten, aus der sie selbst keinen Ausweg mehr finden, brauchen sie Hilfe. Die bekommen sie bei Vitos auf den unterschiedlichsten und individuellsten Wegen. Als einen Baustein im Gesamtbehandlungsangebot bieten wir die Möglichkeit der Kunsttherapie und das ist definitiv mehr als Malerei. Seit Anfang der 90er Jahre hat diese Therapieform einen wichtigen Stellenwert in Hadamar.

Mein außergewöhnlicher Arbeitsplatz

Ich arbeite bei Vitos Hadamar im Atelier, im Haus Bild1Nummer fünf. Das Atelier befindet sich direkt unterm Dach und das macht es zu einem sehr besonderen Ort. Die Dachfenster sorgen für einen wunderschön hellen Raum mit einem tollen Lichteinfall. Von so einem Arbeitsplatz kann man eigentlich nur träumen. Zum einen kommen die Patienten ins Atelier zur Therapie, zum anderen gehe ich auch auf Station.

Ich habe nicht den klassischen, geraden Weg genommen.

Ich habe erst mit 36 Jahren mein Abitur nachgeholt, seinerzeit eine Voraussetzung um Kunsttherapie zu studieren. Und dieser Zeitpunkt war für mich genau richtig. Ich bin in den Jahren zuvor sehr viel gereist und habe Vieles ausprobiert. Mit Mitte dreißig mein Abitur nachzuholen und im Anschluss zu studieren, war das Beste, was ich machen konnte. Natürlich hätte ich es bereits eher machen können, doch alle Erfahrungen, die ich bis dahin sammeln konnte, helfen mir in meinem jetzigen Beruf. Ich hätte in jungen Jahren sicher weitaus weniger Verständnis für die unterschiedlichsten, oft sehr schwierigen, belastenden und komplexen Lebenswege, die individuellen Biografien gehabt, um die Menschen, die zu uns in die Klinik kommen, zu begleiten.

Ein anderer Weg, sich auszudrücken

Bild2Die Kunsttherapie ist in den Behandlungskonzepten verankert und bei den Patienten per Therapieplan verbindlich. Wir bieten ihnen die Möglichkeit, sich hier im Künstlerischen auszuprobieren und auszudrücken, oft ein ungewohnter, ungeübter, neuer, anderer Weg sich auszudrücken, zu kommunizieren. Dazu braucht`s manchmal Mut.

Auch, wenn wir eine Gruppe sind, arbeite ich doch mit jedem individuell

Zu Beginn einer jeden Therapie spreche ich mit jedem Patienten. Die Individualität ist mir sehr wichtig. Gemeinsam mit den Patienten schaue ich immer wieder individuell, je nach deren Charakter und Krankheitsbild, welche der gestalterischen Medien sinnvoll, hilfreich sein können. Auch wenn die Gruppe aus fünf bis sieben Patienten besteht, sind Gruppenarbeiten selten. Jeder arbeitet individuell und ich unterstütze ihn dabei.Bild3

Wir arbeiten mit ganz verschiedenen Materialien. Manchmal bringen Patienten eine Aufgabe ihres Therapeuten mit oder haben eigene Ideen. Manchmal entsteht erst im Austausch das, was sie malen oder zeichnen möchten. Das Arbeiten mit Stift und Pinsel steht bei uns im Vordergrund. Hinzu kommen Collagen und Objekte mit Draht. Es gibt leider keine Holz- und auch keine Tonarbeiten. Ein Aspekt, den ich gerne verbessert sehen würde. Denn auch plastisches Arbeiten ist eine effektvolle Ergänzung in der Kunsttherapie.

Durch die besondere Räumlichkeit, die kleine Gruppe und das individuelle Arbeiten geht es im Atelier meist ruhig und konzentriert zu. Zwei Aspekte, die für einige Patienten mit verschiedenen Krankheitsbildern nicht selbstverständlich sind.

Menschen mit Depressionen werden aktiver

Die Patienten können während der Arbeit zur Ruhe Bild4kommen und zu sich finden. Sie stabilisieren sich und konzentrieren sich auf das, was sie tun. Menschen mit Depressionen werden aktiver. Wenn die Kunsttherapie gelingt, wirkt sie ausgleichend für die Patienten. Bei Krankheitsbildern, wie Depressionen, Psychosen, Persönlichkeitsstörungen, eventuell auch mit emotionaler Instabilität, kann die Kunst eine wirkungsvolle Therapie sein.

Sich auf die eigene Art und Weise ausdrücken

In der Regel dauert eine Therapieeinheit eineinhalb bis zwei Stunden, einmal bzw. zweimal die Woche. Es wird sich besprochen, der Arbeitsplatz wird eingerichtet. Konzentriert gearbeitet wird dann rund Bild5eine Stunde, was für manche Patienten eine enorme Leistung ist. Denn Kunsttherapie bedeutet nicht nur Malerei. Sie geht tiefer, gibt den Patienten die Möglichkeit, Gefühle auszudrücken, auf ihre ganz eigene Art und Weise. Und das ist für viele eine richtige seelische Anstrengung. Wenn ich einen Patienten mit ADHS behandle, ist oft auch schon eine halbe Stunde, die er konzentriert arbeitet, ein richtiger Erfolg.

Die künstlerische Arbeit ist immer auch eine Begegnung mit sich selbst. „Der Mensch kommt zu sich selbst.“

Erlebbar, sichtbar wird dies oft, wenn sich während der Therapie Mimik und Gestik, oft sogar die Atmung Bild6ändern und ich sehe beispielsweise wie sich die Menschen entspannen, Blicke wacher werden, hier und da ein Lächeln entsteht. Diese Entwicklungen mit anzusehen, ist für mich, das Schönste an diesem Beruf. So kann ich manchmal Menschen helfen, zu sich und zur Ruhe zu kommen.

„Malen kann ich aber nicht!“Bild7

Viele kommen zu Beginn auch ins Atelier und sagen mir: „Malen kann ich aber nicht“. Doch es braucht gar nicht lange, bis sie merken, dass es darum auch gar nicht geht. Jeder kann sich künstlerisch ausdrücken. Und mit ein wenig Technik und Hilfestellung erarbeiten die Patienten schöne und berührende Ergebnisse.

Manche Malereien landen im Papierkorb

Aber natürlich gibt es auch das Scheitern. Es gibt Sitzungen, in denen der Patient aufsteht und geht, in denen die Malereien im Papierkorb landen und die Therapie keinerlei Erfolg zeigt. So individuell jeder Mensch ist, so individuell passt auch die Kunsttherapie zu einem Menschen oder eben auch nicht. Aber es ist über die Jahre hinweg schön zu sehen, dass die positiven Entwicklungen und Erfolge doch überwiegen.

Wir stellen auch aus!

Zur Tradition bei uns gehört auch, die Arbeiten der Patienten intern und extern, zum Bespiel im Rahmen von Ausstellungen, zu würdigen. Im Moment erarbeiten wir eine Ausstellung zum Thema „Die Farbe Rot“. Die Arbeiten dazu sollen im Mai 2016 im Rahmen der 6. Frauenfachtagung hier in Hadamar gezeigt werden – eine tolle Bestätigung für die Patientinnen des Maßregelvollzuges.

Ich finde es auch toll, dass überall in der Klinik gerahmte Arbeiten der Patienten an den Wänden hängen. Es ist ein sichtbares Ergebnis dessen, was sie im Rahmen der Kunsttherapie geschaffen haben.