Vor gut einem Jahr, im Sommer 2015, wurde in den Medien Kritik an den Pflegenoten laut. Diese sollten für die Planungs- und Entwicklungsdauer eigentlich ausgesetzt werden. Dazu kam es jedoch nicht, sodass stationäre Pflegeeinrichtungen und ambulante Pflegedienste weiterhin mit den umstrittenen Pflegenoten benotet werden – bis zur Reform, die für das Jahr 2018 erwartet wird. Und was ist bis dahin?
Der Status quo: Pflegenoten
Aktuell werden die Pflegenoten als Schulnote aus insgesamt 77 Kriterien bei stationären und 37 Kriterien bei ambulanten Einrichtungen gebildet. Durch die Bewertung sollen die Bereiche Pflege und medizinische Versorgung, Umgang mit demenzkranken Bewohnern, Soziale Betreuung und Alltagsgestaltung, Wohnen, Verpflegung, Hauswirtschaft und Hygiene erfasst werden. 18 der Kriterien beziehen den Bewohner ein. Auf diese Weise werden Pflegeeinrichtungen seit rund sieben Jahren bewertet. Erfolgreich, so scheint es, denn mit einer Durchschnittnote von 1,2 (Stand: 2/16) wurde die angeblich erstklassige Qualität deutscher stationärer Pflegeheime bestätigt.
Ein Manko hat das Ganze jedoch: Mit den Pflegenoten werden Kriterien auf eine Art geprüft, die der Pflegequalität und dem Wohlbefinden der Bewohner nicht gerecht wird. Die allgemeine Kritik bezieht sich auf das falsche Hauptaugenmerk, die Dokumentation oder auf die Verschleierungsmöglichkeiten für schlechte Teilbereiche, die Durchschnitts- und Gesamtnoten bieten. Der mangelhafte Umgang mit demenzkranken Bewohnern kann zum Beispiel durch regelmäßige Mitarbeiterschulungen ausgeglichen werden. Dass die Realität hier dem ursprünglichen Sinn der Bewertung nicht gerecht wird, liegt auf der Hand. Wie könnte die Benotung oder Bewertung denn stattdessen aussehen?
Ergebnisqualität statt Dokumentationsqualität
Bereits im Jahr der Einführung der Pflegenoten im Jahr 2009 zeigte sich das Bundesgesundheitsministerium willens, ein neues Bewertungskonzept zu fördern. Mit der Aufgabe wurde unter anderem Dr. Klaus Wingenfeld von der Universität Bielefeld betraut.
Er entwickelte das „Konzept zur Beurteilung von Ergebnisqualität“, welches 2012 erste Auswirkungen auf das Pflegeneuausrichtungsgesetz hatte und in diesem Berücksichtigung findet. Um die Wirksamkeit der Theorie zu bestätigen, führt Wingenfeld seit 2012 außerdem ein Pilotprojekt durch. Unterstützt wird er bei der gezielten Erhebung entsprechender Daten von rund 280 stationären Pflegeeinrichtungen der Diözesan-Caritasverbände Köln und Münster. Gemeinsam testen sie die Qualitätsindikatoren und bereiten das Konzept auf einen Regelbetrieb vor.
Am Beispiel der Dekubitusentstehung zeigte Wingenfeld in der Fachzeitschrift „Die Schwester Der Pfleger“ (54. Jahrgang 7/15) exemplarisch, nach welchem Prinzip die Qualität beurteilt werden soll. Er bezieht sich dabei auf Daten aus 2014.
Aktuell wird die Erhaltung von Standards bei der Dekubitusvorsorge anhand von Protokollen bewertet. Dabei werde nicht erfasst ob Druckgeschwüre verhindert wurden, so Wingenfeld.
Bewertung der Ergebnisqualität bei Druckgeschwüren
Als ersten Schritt haben er und sein Team die zu untersuchenden Fälle von Druckgeschwüren eingegrenzt. Der Pflegeeinrichtung sollen nur die zugeschrieben werden, die während eines dortigen Aufenthaltes eintreten. Das traf in dem betrachteten Zeitraum auf 78 Prozent der Fälle zu. Die Druckgeschwüre werden in den Projekteinrichtungen wie gehabt in Grade eingeordnet. Für die Bewertung werden allerdings nur jene von Grad zwei bis vier ins Visier genommen. Reversible Hautrötungen seien schlecht von anderen Hautläsionen abzugrenzen und deshalb uninteressant, erklärt Wingenfeld. Im Ergebnis haben 3,8 Prozent der Bewohner ein Druckgeschwür in dem beobachteten Ausmaß entwickelt. Diese Art von Fällen wird negativ bewertet.
Nach weiterer Einteilung in zwei Risikogruppen, mobile und immobile Personen, ergab das Projekt ein ernüchterndes Ergebnis. Ungefähr ein Viertel der bewerteten Einrichtungen schnitt hier unterdurchschnittlich ab. Vergleicht man die Pflegenote der jeweiligen Einrichtung mit diesem Ergebnis, zeigt sich die geringe Aussagekraft der Note, mit der „unsere“ Pflegeeinrichtungen derzeit gekennzeichnet werden. Die unterdurchschnittlich abschneidenden Einrichtungen erreichen Pflegenoten von 1,2 bis 1,3 und entsprechen damit dem Bundesdurchschnitt.
Bis die Reform kommt, dauert es noch…
… bis 2018. Dann sollen die Pflegenoten durch ein neues Bewertungssystem ersetzt werden. Kürzlich äußerte sich die Süddeutsche Zeitung mit den Worten „Null Vertrauen“ zu dem Thema. Nur fünf Prozent der Bürger vertrauen den gesetzlichen Pflegenoten zurzeit noch, während eine sehr große Mehrheit die Pflegequalität kritisiert (mehr dazu im Artikel). Wir haben also Pflegenoten, deren Abschaffung bereits verkündet wurde, die kaum jemand für verlässlich hält und die vor allem Dokumentation und Bürokratie fördern.
Sollten sich Pflegeeinrichtungen nun wehren und dem Beispiel eines Pflegeheims in Augsburg folgen und sich weigern, die Dokumente herauszugeben? Die Zeit schrieb 2014 darüber. Sich eine gute Pflegenote zu dokumentieren hilft im Endeffekt schließlich niemandem; nicht den Angehörigen, den Bewohnern und auch nicht der Altenpflegekraft, die lieber für den wirklich wichtigen Teil ihrer Arbeit bewertet werden würde; ihre Pflegeleistung.
Bild: Cozy Bed, Bildausschnitt, Mario Goebbels, CC BY-SA 2.0
Der Beitrag Schlechte Pflege trotz guter Note? erschien zuerst auf gesundheitshelden.eu – Deine Karriereplattform.