Der 60 Jahre alte Patient wird unruhig und beginnt, sich zu bewegen. Sofort reagieren die beiden operierenden Ärzten. Trotz des umfangreichen Monitorings ist es immer noch eine gute Idee, auch den Patienten selbst zu seinem Befinden zu befragen. ‚Ist alles in Ordnung Monsieur C., haben Sie Schmerzen? Wir sind fast fertig, gleich haben Sie es überstanden.‘ Der Stent, der das durch den langjährigen Diabetes des Patienten stark mitgenommene Gefäß offen halten soll, ist soeben erfolgreich eingesetzt worden. Auf den Monitoren zeigt das eingespritzte Kontrastmittel, dass das Herzkranzgefäß das Blut deutlich besser passieren lässt als noch vor ein paar Minuten. Thomàs – Oberarzt in der Kardiologie, der mich heute eingeladen hat, einigen Koronarangiographien beizuwohnen – ist zufrieden. Auch sein Senior-Chef Prof. D. nickt. Nur der Patient windet sich vor Schmerzen. Eben war es noch der Arm, durch den der Katheter eingeführt wurde. Dass das etwas unangenehm und schmerzhaft ist, ist normal. Nun ist es aber der Rücken. Thomàs spritzt Kontrastmittel nach, um sich alles noch einmal anzusehen: und erschrickt. Der eben noch durchlässige Ramus interventricularis anterior (RIVA), eines der größten Gefäße am Herzen, das für die Versorgung eines Großteils des linken Vertikels zuständig ist, ist verschlossen. Kein Wunder, dass der Patient plötzlich starke Schmerzen hat. Es ist typisch, dass Schmerzen von inneren Organen, die normalerweise keine Signale dieser Art senden, vom zentralen Nervensystem irrtümlicherweise einer in der Nähe liegenden Körperregion zugeordnet werden. Bei einem Verschluss der Herzgefäße oftmals dem linken Arm, dem Retrosternalbereich (dem Bereich hinter dem Brustbein) – oder auch dem oberen Rücken.
Der plötzliche Gefäßverschluss ist in diesem Falle iatrogen. Das heißt, er ist von Ärzten verursacht bzw. mit dem medizinischen Eingriff selbst in Verbindung zu bringen. Dieses Risiko besteht bei einem Eingriff dieser Art immer; daneben könnte es auch passieren, dass versehentlich die Gefäßwand verletzt wird und es zu inneren Blutungen kommt. Während Prof. D. von der OP-Schwester zügig das notwendige Material anfordert, um die Arterie schnellstmöglich wieder durchgängig zu machen, erklärt er mir, was verantwortlich für diesen Kunstfehler gewesen sein kann: zum Beispiel kann sich ein Plaque gelöst haben, ein Luftbläschen in das System gelangen können, oder aber es hat sich während der Manipulation ein Thrombus gebildet. Ganz einfach war es nicht, den Katheter einzusetzen und obwohl das Blut des Patienten vorbereitend angemessen verdünnt worden war, kann so etwas passieren. Die genaue Ursache wird man nie herausfinden. Und obwohl es die Ärzte natürlich interessiert, ihr trotzdem auf die Schliche zu kommen, ist das jetzt auch erst einmal nebensächlich. Wichtig ist, die Arterie wieder durchgängig zu machen und dem Patienten verhängnisvolle Folgen (im schlimmsten Fall durch den Untergang von Gewebe) zu ersparen!
Der Patient in besten Händen – wenn schon ein Verschluss der Herzkranzgefäße, dann doch während eines solchen Eingriffs. Die Ärzte handeln sofort und setzen insgesamt noch drei weitere Stents ein. Fast die gesamte Arterie wird nun von Drähten offen gehalten. Eigentlich macht man das eher ungern, da mit jedem Stent die Chance, ggf. noch einen Bypass legen zu können, geringer wird. Denn ein Gefäß, das bereits durch Draht ausgekleidet ist, kann auf dieser Strecke keinen Bypass mehr bekommen. In diesem Fall blieb den Ärzten aber keine andere Wahl.
Der Patient ist inzwischen ruhig. Seine Schmerzen wurden mit Morphin behandelt, von dem zweiten Teil der OP bekommt er kaum mehr etwas mit. Erst im Nachhinein werden die Ärzte ihm erklären, was vorgefallen ist und ihm immerhin die gute Nachricht überbringen, dass sie sehr zufrieden mit dem Resultat sind. Doch ganz ist die Gefahr noch nicht überwunden. Die nächsten Wochen sind entscheidend, denn eines der größten Risiken nach dem Einsetzen eines Stents ist ein erneuter Gefäßverschluss durch Zellproliferation innerhalb der ersten Monate nach der OP. Monsieur C. wird genauestens kontrolliert werden müssen und – so wünschen es sich die Ärzte – selbst darauf achten, seine Risikofaktoren so gering wie möglich zu halten: nicht rauchen, den Diabetes gut kontrollieren, die Medikamente gegen seine Dyslipidämie nehmen. Dann wird er sich hoffentlich gut von dem Eingriff erholen und die Stents das tun, wofür man sie eingesetzt hat: für eine ordentliche Durchblutung seines Herzens sorgen. Alles Gute, Monsieur C.