„Ficken nur mit Gummi!“ – diese Regel war über viele Jahre gesetzt. Doch auch eine funktionierende HIV-Therapie oder die PrEP (Prä-Expositions-Prophylaxe) schützen. Wir haben mit dem Berliner PrEP-Aktivisten Emmanuel gesprochen
Emmanuel, du bist vor fünf Jahren nach Berlin gezogen. Wie dachtest du früher über Safer Sex?
Meine Weltsicht war bis dahin ganz einfach: Wir benutzen fast alle Gummis. Manchmal passiert zwar ein Unfall, dann kann es zu einer Infektion kommen, aber letztendlich kennen ja alle die Risiken und lassen sich regelmäßig testen. Die einzige Möglichkeit, ohne Gummi ficken zu können, ist in einer monogamen Partnerschaft, nachdem man vorher gemeinsam zum Test gegangen ist. Nur dann gibt es den offiziellen „Stempel“ mit der Erlaubnis zum kondomlosen Ficken.
Aber so einfach war die Welt dann doch nicht.
Ja, denn es wurde immer deutlicher, dass das althergebrachte Schwarz-Weiß-Denken nicht mehr funktioniert: „Positiv“ und „negativ“ oder „safe“ und „unsafe“ – was sagt das heute aus? Wir wissen inzwischen ja, dass man sich bei einem HIV-Positiven in erfolgreicher HIV-Therapie nicht infizieren kann. Dagegen gibt es viele vermeintlich HIV-Negative, die von ihrer Infektion nichts wissen, und ohne Gummi unterwegs sind …
Zeit und Erfahrung haben mir gezeigt, dass sehr viele Typen doch keine Gummis benutzen, oder nur unter Druck. Ich wurde oft abgelehnt, weil ich nicht ohne Kondom ficken wollte. Dann gab es auch zwei Fälle, wo das Gummi „verschwunden“ bzw. „weggerutscht“ ist. Das hat mein Gefühl von Sicherheit und Kontrolle zerbrochen.
Und was hat dich zur PrEP geführt?
Ich kam zu einem Punkt, wo ich entscheiden musste: Entweder lebe ich mit ständiger Angst vor HIV, weswegen ich Sex auch nicht uneingeschränkt genießen kann, oder ich gebe auf und akzeptiere, dass HIV kein „Wenn“, sondern ein „Wann“ ist. Ich habe immer wieder junge Männer mit dieser Einstellung getroffen: „Ich werde sowieso irgendwann HIV bekommen. Wenn es passiert, dann lasse ich mich einfach behandeln.“ Diese Einstellung kam für mich aber nicht in Frage. Glücklicherweise habe ich zu diesem Zeitpunkt von der PrEP erfahren und wusste sofort, das ist genau die dritte Option, die ich brauche.
Was hat dein Umfeld gesagt, als du mit der PrEP begonnen hast? Wie waren die Reaktionen?
Das war sehr unterschiedlich. Bei Heteros kam das eigentlich sehr gut an. Die Schwulen dagegen hatten schon Probleme damit und waren teils ziemlich moralisch. Ich denke, das hängt damit zusammen, dass es manchen Schwulen nach 30 Jahren „Condom-only“-Botschaft schwerfällt, diese fast schon heilige Botschaft aufzugeben. Immerhin haben wir ja alle gelernt: Analverkehr ohne Gummi ist eine „Sünde“. Und jetzt kommt jemand, der meint, Sex ohne Gummi sei nicht mehr unsafe?!
Hat sich dein Sexleben mit der PrEP verändert?
Ich hatte mit der PrEP anfangs eine ziemlich wilde Zeit und habe einiges ausprobiert … (lacht) Und jetzt weiß ich besser, wo meine Grenzen liegen. Die viel größere Veränderung hat letztlich im Kopf stattgefunden und nicht zwischen den Beinen. Plötzlich war es mir möglich, eine Nähe und Intimität zuzulassen und zu fühlen, die ich bisher nicht von mir kannte. Auch mein Alltag ist seitdem anders. Die Angst vor HIV war bei mir oft im Hinterkopf – diese ständigen Rechnungen, mit wem habe ich was getan und wo könnte ein Risiko bestehen, haben mit der PrEP aufgehört. Vor der PrEP hatte ich gar keine Ahnung, wie viel Einfluss die Angst auf mein ganzes Leben hat – und eben nicht nur auf mein Sexleben.
Was sagst du zu den Gegnern, die behaupten, PrEP würde ein Tor zu anderen sexuell übertragbaren Infektionen öffnen?
Jeder, der PrEP unter ärztlicher Aufsicht nimmt, wird alle drei Monate auf sexuell übertragbare Infektionen untersucht und falls nötig auch behandelt. Ja, es gibt genug anderen Mist, gegen den aber auch Kondome nur teilweise schützen, und viele Fälle sind symptomlos. Wer behauptet, er brauche nicht regelmäßig beim Arzt Abstriche machen zu lassen, weil er immer mit Gummi fickt und keine Symptome hat, wiegt sich und seine Partner in einer falschen Sicherheit.
PrEP könnte die Lage ändern – endlich würden sich genau die Männer, die davon am meisten profitieren könnten, häufig vom Arzt beraten und auf sexuell übertragbare Infektionen testen lassen! Könnte das nicht sogar zu einem Rückgang zum Beispiel der Tripper-Epidemie führen?
Du hast angefangen, dich als Aktivist für die PrEP einzusetzen. Warum?
Weil ich es traurig finde, dass junge Schwule das Risiko einer Infektion bewusst eingehen, während es schon seit Jahren eine neue, zusätzliche Schutzmöglichkeit gibt! Und auch weil ich es untragbar finde, dass in Deutschland der Zugang zur PrEP noch fast unmöglich ist. Wenn das Thema nicht so moralistisch geladen wäre oder wenn HIV ein Problem der Heterogesellschaft wäre, wäre die PrEP schon längst verfügbar. Ich will anderen in der Community den Zugang zur PrEP einfacher machen.
Wie setzt du dich konkret für die PrEP ein?
Ich habe erst mal einen Planetromeo-Club gegründet, um Informationen darüber zu verbreiten, wie man in Deutschland an die PrEP kommen kann („PrEP-info-DE“). Aber das reicht natürlich nicht. Als nächsten Schritt hoffen wir, bald eine eigene Website und eine Facebook-Gruppe zu haben. Es gibt andere Aktivisten, die viel machen – zum Beispiel die LoveLazers oder PANSY, die Abende rund um Sex und Drogen organisiert.
PrEP ist schon eine Realität. Lasst uns nicht die Chance verpassen, sie richtig einzusetzen. Nur so haben wir eine Chance, die HIV-Neuinfektionsrate zu senken!