Das Gesundheitssystem von Deutschland ist facettenreich auf und seine Akteure haben diverse Möglichkeiten, das System zu hintergehen und finanzielle Vorteile zu ergaunern. Kürzlich verkündete der Chef der Techniker-Krankenkasse, Jens Baas, es sei eine Methode der Krankenkassen, Krankheitshäufigkeiten statistisch zu erhöhen und so mehr Geld zu erhalten. Wir haben uns diesen Fall von Abrechnungsbetrug genauer angeschaut und erklären ihn Euch.
Man sollte meinen, dass Krankenkassen an gesunden Patienten interessiert sind, die wenige bis keine Krankheiten aufweisen. Dass in diesem Fall Arztkosten vermieden werden, liegt auf der Hand. Aber was, wenn es einen Topf gäbe, aus dem manche Krankheiten finanziell besser entlohnt werden als andere?
Der Morbi-RSA – gut gemeint, aber schlecht umgesetzt?
Morbi-RSA bedeutet übersetzt „morbiditätsorientierter Risikostrukturausgleich“. Den gibt es in der jetzigen Form seit 2009. Mit ihm sollen Ungleichheiten der verschiedenen gesetzlichen Krankenkassen ausgeglichen werden, die vor allem in der Zusammensetzung ihrer Mitglieder bestehen. Während einige Krankenkassen eher alte und kranke Menschen versichern, setzen sich die meisten Betriebskrankenkassen, wie beispielsweise die von BMW, aus jüngeren und im Schnitt gesünderen Patienten zusammen.
Die Krankenkassen erhalten Zahlungen aus einem Ausgleichstopf, in den jede Kasse einzahlt. Die Höhe der Zahlungen berechnet sich anhand von Altersgesichtspunkten, der Geschlechtsverteilung und auch anhand bestimmter Erkrankungen, insgesamt 80 verschiedene. Leiden Versicherte unter bestimmten Krankheiten, bekommen die Kassen mehr Geld. Zwischen einer Diabeteserkrankung ohne und einer mit zusätzlichen Krankheitserscheinungen liegen mehr als 200 Euro monatlich für die Kasse.
Krankenkassen locken die Ärzte
Das obige Beispiel zeigt, dass Krankenkassen also durchaus ein Interesse daran haben können, dass ihre Versicherten krank sind. Im besten Fall müssen sie gar nicht wirklich erkrankt sein, sondern nur entsprechend in der Statistik auftauchen.
Ärzte behandeln einen Patienten oder eine Patientin und kodieren seine/ihre Krankheit. Anhand dieser Kodierung erhalten die Krankenkassen dann schließlich das Geld aus der Ausgleichskasse.
Es entsteht so schnell das Problem, dass die Krankenkassen Ärzte anscheinend insofern unter Druck setzen können, als sie sie dazu ermuntern, entsprechende Diagnosen zu stellen. Zum einen geschieht dies über belohnende Bonuszahlungen, zum anderen mit sogenannten Kodierberatungen.
Ist auszuschließen, dass auch die Techniker-Krankenkasse, auf diese Weise Geld verdient? Wir können diese Frage nicht mit Sicherheit beantworten. Denn anscheinend ist es üblich, dass Krankenkassen Ärzte zur Anpassung von Diagnosen drängen. Darauf wies zuletzt der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, hin. Selbstverständlich weisen die gesetzlichen Krankenkassen diese Vorwürfe jedoch zurück. Ein Vertreter der AOK, Martin Litsch, geht beispielsweise direkt gegen Baas vor und unterstellt ihm vor allem die Verfolgung eigener Interessen. Er wolle die Störanfälligkeit des Risikoausgleichs verdeutlichen, damit dieser nach seinen Bedürfnissen angepasst würde (vgl. hier). Im Endeffekt, so Litsch, ginge es um vor allem um Geld.
Nur eine Angelegenheit zwischen Krankenkassen und Ärzten?
Die Krankenkassen und Ärzte profitieren durch solche Absprachen, die Patienten dagegen sicher nicht. Zwar macht es erst einmal keinen Unterschied, ob nun ein Diabetes mit oder ohne zusätzliche Krankheitserscheinungen dokumentiert wird. Die Diagnosen fallen aber dann ins Gewicht, wenn es beispielsweise um eine Berufsunfähigkeit geht. Im Versicherungsfall könnten falsche oder sogar erfundene Vorerkrankungen ins Gewicht fallen; im Zweifel zum Nachteil für den Patienten.
Die Patienten haben zur Zeit außerdem kaum eine Chance, sich gegen falsche Diagnosen zu wehren; derzeit haben sie nämlich keinen Zugriff auf ihre Gesundheitsdaten. Sie können die Diagnosen also nicht überprüfen. Mit dem für die kommenden Jahre angesetzten E-Health-Gesetz soll sich das aber ändern. Die Transparenz wird dadurch deutlich erhöht. Ob die Fachnotizen der Ärzte aber verständlich genug sind, um Patienten einen Vorteil zu bringen, bleibt fraglich.
Bild: A hypochondriac surrounded by doleful spectres. Coloured etching by T. Rowlandson after J. Dunthorne, 1788, Bildausschnitt; CC BY 2.0
Der Beitrag Abrechnungsbetrug und falsche Kranke erschien zuerst auf gesundheitshelden.eu – Deine Karriereplattform.