Normalerweise blicken wir ja durchweg nach vorne. Aber zum 20. Geburtstag der Stiftung Gesundheit wage ich einen kleinen Blick zurück – auch wenn in zwei Dekaden etwas mehr passiert ist, als in einen Blogbeitrag passt. Tja, 20 Jahre! 1996 zum Beispiel, im Gründungsjahr der Stiftung, hieß der Bundesgesundheitsminister noch Horst Seehofer. Sie erinnern sich? Der Mann ist gar nicht als bayrischer Ministerpräsident auf die Welt gekommen.
Genauso wenig wie die Stiftung Gesundheit an einem einzigen Tag errichtet wurde. Das aber wäre schon ganz praktisch gewesen: Denn tatsächlich waren eine zweijährige Vorlaufphase und Verhandlungen mit dem Innenministerium nötig, bevor das Ministerium (Stiftungsrecht ist Landesrecht) durch das „Stiftungsgeschäft“ die Stiftung errichtete. Zwei Jahre, in denen offenkundig umfängliche Abstimmungen zwischen Stiftungsdepartement des Innenministeriums und Gesundheitsministerium stattfanden. Das Gesundheitsministerium konsultierte wiederum die Ärztekammer und konferierte mit dem Finanzministerium, um die Gemeinnützigkeit der Stiftung festzustellen.
Satzungszweck, also Aufgabe und Pflicht Stiftung ist damals wie heute, mehr Transparenz im Gesundheitssystem zu schaffen – nicht bloß auf Papier, sondern ganz konkret: Zum einen mit einer unabhängigen und werbefreien Arztsuche, die die freie Arztwahl auch ermöglicht, wenn Spezialisten gebraucht werden, beispielsweise ein in Migränetherapie fortgebildeter Mediziner. Zum anderen mit der Zertifizierung von verlässlichen und verständlichen Patienteninformationen sowie der Förderung von Medizin- und Gesundheitsjournalismus, der einen wirklichen Mehrwehrt für seine Leser oder Zuschauer bietet. Was wir machen, hat sich im Grunde nicht verändert – wie wir es machen, allerdings schon. Und zwar deutlich.
Im ersten Jahr unterstützte das Team der Stiftung rund 100.000 Menschen telefonisch bei der Arztsuche. Diese kostenfreie Telefon-Hotline gibt es auch heute noch; zusätzlich jedoch ist die Arzt-Auskunft schon seit 1999 auch im Web vertreten und verzeichnet aktuell rund 40 Millionen Aufrufe im Jahr. Daneben versorgen wir mit der Arzt-Auskunft und Arzt-Auskunft Professional unter anderem gesetzliche wie private Krankenversicherungen, bei denen zusammen rund 75 Millionen Menschen in Deutschland versichert sind.
An dieser Stelle sei erwähnt, dass so mancher Kollege und so manche Kollegin, die heute noch tragende Säulen unserer Arbeit sind, zu der Zeit schon zu uns stießen.
Wer etwas Neues macht, muss natürlich auch Hürden nehmen. Denn dass Ärzte ihre Behandlungs- und Therapieschwerpunkte öffentlich angeben dürfen, war noch in den späten Neunzigerjahren keine Selbstverständlichkeit – auch wenn es kaum gelingt, sich das heutzutage überhaupt noch vorzustellen.
Freie Arztwahl: überall und für jeden
Für Klarheit sorgte das Landgericht Kiel im November 1998: Das Gericht entschied, dass es keine standeswidrige Werbung darstellt, wenn Ärzte ihre tatsächlich praktizierten Diagnose- und Therapieschwerpunkte benennen; werbefrei und für jedermann zugänglich. Übrigens: Beinahe zeitgleich unterlag ein kommerzielles Portal damals vor Gericht, denn Werbung in diesem Feld war eben nicht zulässig. Ein Jahr später wurde das Urteil durch das Oberlandesgericht Schleswig bestätigt und rechtskräftig. Dieses Urteil war auch eine Entscheidung für die freie Arztwahl in Deutschland und zugunsten von „Patient Empowerment“. Zugetragen hat sich dies übrigens, als Andrea Fischer das Gesundheitsressort im Bund grad von Seehofer übernommen hatte.
Natürlich war die Nachfrage nach verlässlichen Informationen über die ärztliche Versorgung ungebrochen hoch – nicht nur bei Patienten, sondern auch etwa bei Krankenversicherern, die ihren Mitgliedern den Weg zum passenden Arzt weisen wollten. Daher entwickelte die Stiftung Gesundheit 2000 die Arzt-Auskunft Professional, die mit ihrer stark ausgeweiteten Funktionalität auch professionellen Ansprüchen genügt – und von Profis im Gesundheitswesen bewältigt werden kann.
Kassen glücklich, alle glücklich? So einfach ist es natürlich nicht. Mit der damals ersten bundesweit flächendeckenden Patientenbefragung entwickelte die Stiftung 2001 den Patientenzufriedenheitsindex (PZI) – Arztbewertungen im Netz, Jahre, bevor andere (Arzt-)Bewertungsportale überhaupt aus dem Boden schossen. Im selben Jahr übrigens hat Ulla Schmidt dann Andrea Fischer im Bundesgesundheitsministerium abgelöst. Wer neues macht, hat nicht nur Freunde: Im Jahr darauf hatten wir es schriftlich; also rechtskräftig ausgeurteilt: Patienten / User dürfen im Internet ihre Meinung über Ärzte äußern. „Dies ist hinzunehmen, auch wenn dies mit wettbewerblichen Wirkungen einhergeht“, urteilten die Richter. Damit stand das „Spickmich“-Urteil in der Medizin; Jahre vor dem Bewertungs-Hype im Netz.
Barrierefreiheit 2.0
Als Ulla Schmidt 2013 bei unserem Jahresempfang in der Hörsaalruine der Charité zu Gast war, hielt sie die Keynote zum Thema „Gesundheitliche Versorgung und die Bedeutung der Barrierefreiheit im Gesundheitswesen für Menschen mit geistiger oder mehrfacher Behinderung“.
Barrierefreiheit, darauf hat sie damals treffend aufmerksam gemacht, ist kein analoges Thema. Hand aufs Herz: Wissen Sie, wie blinde Menschen eigentlich im Web surfen? Oder, dass sie im Web surfen? Um auch online offen für alle zu sein, erfüllt die Arzt-Auskunft schon seit 2006 die Anforderungen der „Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung“ (BITV) nach dem Behindertengleichstellungsgesetz. 2009 starteten wir dann das Projekt Barrierefreie Praxis, um differenzierte Informationen zum Grad der Barrierefreiheit in Arztpraxen zu sammeln. Support dafür erhielten wir unter anderem vom Hubert Hüppe, dem damals Behindertenbeauftragten der Bundesregierung und von dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS).
Ein Jahr später, in der Amtszeit von Philipp Rösler als Bundesgesundheitsminister, konnten wir uns über Bestnoten für Barrierefreiheit freuen: Das vom BMAS getragene Portal für Menschen mit Behinderungen, einfach-teilhaben.de, und unsere darin integrierte Arzt-Auskunft erzielen bei der Bewertung der Barrierefreiheit ein hervorragendes Ergebnis. Beim BITV-Test erhält das Portal 98,5 von 100 möglichen Punkten.
Bislang war vor allem von Patienten und Krankenversicherern die Rede. Wir kooperieren gleichermaßen mit Ärzten – eben weil wir der Überzeugung sind, dass Transparenz im Gesundheitswesen nur mit allen Akteuren wirklich machbar ist.
Derzeit hatte grade der Hype der „Arztbewertungen“ im Internet seine Spitze erreicht. Was aber boten die Arztbewertungsportale? Jeweils eine Sammlung von Meinungsäußerungen und Befindlichkeitsbekundungen von Patienten über Ärzte. Interessant, zweifellos. Aber eben nur eine schmale Facette des vielschichtigen Ganzen. Patienten können ihren Arztbesuch auf vielen Ebenen bewerten – nicht aber auf der Ebene der medizinisch-fachlichen Qualität.
Der Aggregation von Patientenmeinungen haben wir dann die fachliche Sicht hinzugefügt und zwar indem wir fragten: Zu wem gehen eigentlich Ärzte, wenn sie krank sind? Damit begann unsere Entwicklung der „Medizinischen Reputation“, die maßgeblich auf der zyklischen Erhebung der wechselseitigen Einschätzung von Fachkollegen aufbaut. Unsere Kooperationspartner bei dieser methodisch durchaus diffizilen Entwicklung reichen vom Picker Institut bis zum Mannheimer Institut für Public Health, von Dr. Schmidt-Kaehler, heute Chef der Patientenprojekte GmbH, bis zu den Redakteuren von Focus.
Diese Arbeit ist auch die Basis für unsere aktuelle Kooperation mit Focus-Gesundheit: Auf Basis der Medizinischen Reputation ermittelt die Stiftung regionale Top-Mediziner für die Focus-Gesundheit Arztsuche. Denn der Wunsch der Patienten und Versicherten, den „Guten Arzt“ zu finden, begleitet uns seit 1996. Und so delikat, so diffizil die möglichen Antworten darauf auch sein mögen, arbeiten wir weiterhin daran.