Krankheiten gibt’s, die gibt’s gar nicht

In diesem Blogartikel begeben wir uns auf die Spuren von Krankheiten, die umstritten sind. Denn nicht jede Krankheit, die in den Medien ihr Unwesen treibt, ist unter Experten anerkannt und nicht jeder Grenzwert hat zwingend seine Berechtigung. Wir betrachten dazu im Folgenden zwei Beispiele. Viel Vergnügen!

gesundheitshelden-eu_ sissi-syndrom _qZu Beginn muss geklärt werden, wer überhaupt Interesse an der Verbreitung von (Volks-)Krankheiten hat. Es mag zwar abgedroschen klingen, aber es sind vor allem pharmazeutische Hersteller, die davon profitieren. Sie entwickeln Medikamente und es ist ihnen deshalb daran gelegen, immer neue Bedarfe zu schaffen.

Der deutsche Journalist Jörg Blech hat sich bereits vor einigen Jahren mit dem Thema auseinandergesetzt. Er erklärte kürzlich, wie eine neue Krankheit beschaffen sein muss, damit sie die breite Masse erreicht. Blech zufolge braucht es erst einmal eine interessante Geschichte, also eine neue Krankheit. Diese muss relevant sein, in der Bevölkerung also vertreten sein, sonst würde sich keiner angesprochen fühlen. Ein spannender Name, wie beispielsweise Sissi-Syndrom, rundet das Gesamtpaket ab.

Das Phänomen, das mit dem wir es hier allgemein zu tun haben, nennt sich Medikalisierung. Es bezeichnet einen Prozess, bei dem Lebensbereiche zunehmend in den Fokus der Medizin rücken, die vorher keine besondere Beachtung fanden; etwa Anti-Aging-Medizin. So werden zum Teil bisher gewöhnliche Persönlichkeitsmerkmale zu krankhaften Eigenarten erhoben.

Grenzwerte und ihre Sinnhaftigkeit

Betrachten wir einmal den menschlichen Blutdruck. Die Grenze, anhand derer er gemessen und bewertet wird, steigt über die Jahre. Bis in die 80er-Jahre lag der Grenzwert bei 160/100 mmHg, Werte darüber galten als zu hoch. 1983 veränderte die Weltgesundheitsorganisation den Wert und passte ihn nach unten, auf 140/90 mmHg, an. Fast schlagartig wurden 45 Millionen US-Amerikaner zu Prä-Hypertonikern ernannt und Ärzte konnten blutdrucksenkende Mittel verschreiben.

Feste Grenzwerte können schnell problematisch werden, denn sie lassen den Patienten und seine individuellen Eigenschaften außer Acht und ziehen immer eine klare Linie – „zwischen gesund und krank, normal und nicht mehr normal, gewünscht und unerwünscht.“ Eine medikamentöse Behandlung des Blutdrucks kann unter Umständen sogar mehr schaden als nutzen. Abgesehen von psychischen Auswirkungen, die die Einnahme und ständige Erinnerung an die angebliche Krankheit mit sich bringen, haben Forscher eine Studie mit interessantem Ergebnis durchgeführt. Ihr nach wurden die Probanden mit erhöhtem Blutdruck im Schnitt genauso alt wie Personen mit „normalen“ Werten.

Litt Sissi wirklich unter Depressionen?

Ein zweites Beispiel ist das so genannte Sissi-Syndrom. Es ist angeblich eine Sonderform der Depression, die erstmalig 1998 an die Öffentlichkeit gelangte. Seinen Namen bekommt das Syndrom von der österreichischen Kaiserin Elisabeth (Sissi), die unter ihm gelitten haben soll und alle Auffälligkeiten vereint haben soll. Die Anzeichen sind folgende:

  1. Gesteigerter Antrieb, Rastlosigkeit, Hyperaktivität
  2. Rasche Stimmungsschwankungen
  3. Extremer Körperkult, striktes Einhalten von Diäten oder Fastenkuren, Essstörungen und Untergewicht
  4. Exzessiver (Hochleistungs-) Sport
  5. Reiseaktivitäten
  6. Sinnsuche
  7. Selbstwertprobleme
  8. Zahlreiche Selbstbehandlungsversuche
  9. Häufig beruflich erfolgreiche Persönlichkeiten mit makellosem Aussehen
  10. Schlafstörungen

Ob diese Anzeichen tatsächlich auf eine eigenständige Krankheit hinweisen ist hoch umstritten. Das erste Mal gelang das Syndrom über eine Werbeanzeige in einer Fachzeitschrift für Psychiatrie an die Öffentlichkeit, damals im Zusammenhang mit dem Medikament Paroxetin eines Pharmaunternehmens. Eine Forschergruppe aus Münster untersuchte 2003 das Syndrom und kam zu dem Ergebnis, dass die Anzeichen eher auf eine Essstörung, als eine Depression hindeuten. Sie unterstellte dem Unternehmen daraufhin, die Krankheit gemeinsam mit einer PR-Agentur „erfunden“ zu haben.

Welche Beispiele für fragwürdige Krankheiten oder Grenzwerte kennt Ihr? Teilt sie mit uns auf unserer Facebook-Seite.

Bild: Hydrocodone, Bildausschnitt; Guian Bolisay; CC BY-SA 2.0

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