Ärzte sprechen Latein. Glauben viele Patienten. Stimmt aber nicht. Viele Fachausdrücke entstammen zwar dem Lateinischen, meistens sind es aber völlig krause Kompositionen aus einem (bisweilen) falschen Latein und einem noch häufiger falschen (Alt-)Griechisch. Zunehmend kommt jetzt auch noch Englisch hinzu.
Was aber heutzutage die meiste Verwirrung stiftet, ist der zunehmende Hang zu Abkürzungen. Verwirrung nicht nur zwischen Arzt und Patient, sondern auch zwischen den Ärzten.
Ich wollte das ja nie zugeben, aber auch ich verstehe einige Abkürzungen aus dem eigenen Fachgebiet nicht. Und viele Abkürzungen aus fremden Fachgebieten klingen selbst für professionelle Heiler genau so fachchinesisch wie für jeden “blutigen” Laien. Ich traue mich jetzt, meine Unkenntnis öffentlich zuzugeben, weil eine amerikanische Studie gezeigt hat, dass diese Unkenntnis unter Ärzten weit verbreitet ist. Zugegeben, diese Studie ist nicht ganz neu, sie stammt aus dem Jahre 2008. Ich habe diese Untersuchung gefunden, weil ich (wieder mal) eine medizinische Abkürzung im Internet suchen musste. Und weil ich die deutsche Übersetzung nicht fand, habe ich nach “medical abbreviation” gegoogelt. (Also liebe Eltern: Eure Kinder müssen Englisch und nicht Latein lernen, wenn sie mal Medizin studieren wollen.)
Abkürzungen, falsch verstanden, richten oft Unheil an
Na ja, und da habe ich diese amerikanische Studie gefunden, bei der die Gründe gesucht wurden für 30.000 Fehler in der Verschreibung von Medikamenten. (In diesem Gebiet sind die Amerikaner und Briten sehr viel weiter als wir Deutschen: In der Analyse von Fehlern in der Medizin.) Nun stellte sich heraus, das 5 % aller dieser Fehler darauf zurückzuführen waren, dass Abkürzungen falsch gedeutet wurden!
Ein Patient erhielt 61 Einheiten Insulin, weil in der Patietentenakte 6 IU (= International Units, Internationale Einheiten) vermerkt war. Das waren mehr als zehnmal so viel wie geplant. Ein anderer Patient erhielt Metothrexat (MTX) unter HD (Hämodialyse, Blutwäsche). Gelesen wurde HD als TID und das ist die Abkürzung für Three Times Daily = dreimal täglich. Der Patient starb an der Überdosis.
In einem Krankenhaus in Birmingham fragte man Kinderärzte nach Abkürzungen, die andere Kinderärzte verwendet hatten. Im schlimmsten Fall interpretierte der kinderärztliche Kollege nur 56 % der Abkürzungen so, wie sie der Arzt, der die Krankenakte schrieb, eigentlich gemeint hatte. Und bei den Ärzten der anderen Fachgruppen kam es zu Übereinstimmungen nur in 31 bis 63 % der Fälle. (Kein Wunder, wenn man bedenkt, dass ein angeborener Herzfehler, die Fallotsche Tetralogie und die angeborene Fistel zwischen Speiseröhre und Luftröhre mit dem gleichen Kürzel bezeichnet wird: TOF steht für den Herzfehler (Tetralogie Of Fallot) und die Tracheo-Ösophageale Fistel (“Tracheo-Oesophageal Fistula”).
Im gleichen Krankenhaus fand man nur 15 % der von den Ärzten verwendeten Abkürzungen im Lexikon des Computersystems der Klinik richtig erklärt, in dem Nachschlagewerk der Sekretärinnen, die die Arztbriefe schreiben, fanden sich immerhin die Bedeutungen von 17 % der Abk..
Ok, in Großbritannien arbeitet man an der Lösung des Problems: Die MDU (Medical Defense Union, eine Art Haftpflichtversicherung für Ärzte) und die NPSA (National Patient Safety Agency) wollen sichere Standards für den Umgang mit Abkürzungen erarbeiten.
Ich hoffe, dass sich diese Bemühungen weltweit herumsprechen und zur Nachahmung anregen. Ich hoffe auch, dass die AAAAI (American Academy of Allergy Asthma and Immunology – Amerikanische Asthmaliga) und die deutsche BÄK (Bundesärztekammer) davon Wind bekommen. Solange werden wir weiter googlen müssen.
Empfehlenswert übrigens im deutschen Sprachraum: Beckers Abkürzungslexikon und Med-Serv.de, im englisch-sprachigen Bereich der Bereich Abkürzungen im mediLexicon.
Auf dass Sie nie wieder äA (=ärztliche Anordnung) und Äa (=Äthylalkohol, der wirksame Bestandteil von Wodka, Wein und Bier) verwechseln mögen!
Quellen
BBC News: “Medical abbreviations ‘pose risk”
Beckers Abkürzungslexikon medizinischer Begriffe