Ein entsprechender Gesetzentwurf soll am 1. Juni in dritter Lesung verabschiedet werden und am 1. Juli in Kraft treten. §175-Opfer können dann innerhalb von fünf Jahren Entschädigungen beantragen.
Von Manuel Izdebski
Den noch lebenden Opfern der Homosexuellenverfolgung in Deutschland könnte jetzt endlich Gerechtigkeit widerfahren: Der Entwurf des Gesetzes zur Rehabilitierung und Entschädigung für die nach §175 (bzw. §151 in der DDR) verurteilten schwulen Männer soll Freitag nächster Woche (28.4.) in erster Lesung vom Bundestag beraten und am 1. Juni in dritter Lesung verabschiedet werden.
Das Gesetz sieht vor, dass die Urteile pauschal aufgehoben werden (sofern es nicht um Vergehen mit Personen unter 14 Jahren ging, wenn ein Abhängigkeitsverhältnis bestand oder Sex mit Gewalt erzwungen wurde). Außerdem können verurteilte Männer eine Entschädigungsleistung beantragen.
Pauschalisierte Entschädigung der §175-Opfer
Durch ein pauschalisiertes Entschädigungssystem wird auf eine langwierige Einzelfallprüfung der Ansprüche verzichtet: Je aufgehobenes Urteil gibt es pauschal 3.000 Euro und je angefangenes Haftjahr 1.500 Euro. Wer mehrfach verurteilt wurde, hat auch entsprechend höheren Anspruch, z. B. bei drei Verurteilungen auf 9.000 Euro. Die Entschädigungsleistung für jedes angefangene Haftjahr gilt dabei für alle richterlich angeordneten freiheitsentziehenden Maßnahmen, etwa Jugendarrest oder zwangsweise Unterbringung in einer Psychiatrie.
Entschädigungsanspruch hat nur die rehabilitierte Person. Die Leistungen sind steuer- und pfändungsfrei und dürfen nicht auf Sozialleistungen angerechnet werden.
Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD werden den in der Regierungskoalition abgestimmten Entwurf von Justizminister Heiko Maas voraussichtlich mittragen. Grüne und Linke hingegen haben bereits Änderungsanträge angekündigt. Sie kritisieren unter anderem die ihrer Meinung nach zu geringen Entschädigungsleistungen. Alle Bundestagsfraktionen hatten sich geeinigt, auf eine Sachverständigen-Anhörung im Rechtsausschuss zu verzichten, um das Verfahren zu beschleunigen.
Entschädigungsantrag innerhalb von fünf Jahren möglich
Das Gesetz soll bereits am 1. Juli in Kraft treten. §175-Opfer können dann innerhalb von maximal fünf Jahren beim Bundesjustizamt einen Antrag auf Entschädigung stellen. Wer aktuell noch einen Eintrag im Bundeszentralregister hat, kann zugleich die Löschung beantragen.
Um einen Entschädigungsantrag zu stellen, braucht man eine Rehabilitierungsbescheinigung der Staatsanwaltschaft. Da viele Männer ihre Prozessunterlagen nicht aufbewahrt haben und auch in den Archiven der Justizverwaltung viele Strafakten nicht mehr vorhanden sind, genügt notfalls die Glaubhaftmachung der Verurteilung mittels eidesstattlicher Erklärung.
Schon jetzt gibt es zahlreiche Beratungsanfragen
Reinhard Klenke, Mitglied im Vorstand der Bundesinteressenvertretung schwuler Senioren (BISS) und Ehrenmitglied der Deutschen AIDS-Hilfe, geht davon aus, dass gleich nach Inkrafttreten des Gesetzes eine erste Antragswelle erfolgt. „Wir entwickeln gerade Handreichungen, um die zumeist betagten Männer bei ihrem Antrag zu unterstützen“, erklärt er. „Sinnvoll wäre auch eine telefonische Beratungshotline, aber dafür brauchen wir finanzielle Mittel.“ Schon jetzt hat die Senioreninitiative zahlreiche Beratungsanfragen verurteilter Männer, der älteste von ihnen ist 88.
Im Justizministerium rechnet man mit insgesamt 5.000 Entschädigungsbegehren. Dafür sollen in den nächsten fünf Jahren 30 Millionen Euro im Bundeshaushalt zur Verfügung gestellt werden. Aktuell sind im Bundeszentralregister noch 2.976 Personen mit einem Vergehen nach § 175 aufgeführt. Die meisten Einträge wurden bereits 1994 mit der Abschaffung des Paragrafen getilgt.
Kollektiventschädigung bleibt offene Baustelle
Eine „offene Baustelle“ bleibt für Reinhard Klenke die Frage einer Kollektiventschädigung. Justizminister Heiko Maas will dafür der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld eine jährliche Förderung von 500.000 Euro zukommen lassen. Doch das wird nach Meinung von Klenke und seiner Senioreninitiative der Sache nicht gerecht: „Eine Kollektiventschädigung muss auch bei der Generation ankommen, die unter dem Paragrafen gelitten hat. Unabhängig von einer Verurteilung hat die Strafbarkeit viele schwule Männer traumatisiert und ihr Lebensglück beeinträchtigt. Schon ein Ermittlungsverfahren reichte aus, um eine Existenz zu ruinieren.“ BISS fordert dafür als Wiedergutmachung eine finanzielle Förderung für schwul-lesbische Altenarbeit.
Für die erste Lesung in der kommenden Woche plant der BISS-Vorstand einen Besuch im Bundestag. Mit einer Gruppe verurteilter Männer wollen die schwulen Senioren von der Besuchertribüne aus die Debatte im Plenarsaal verfolgen. Die „175er“ sollen dabei sein, wenn ihnen endlich Gerechtigkeit widerfährt – für die Männer wird das ein bewegender Moment.