Kantinengeständnis

Sarah blickt von ihrem Teller auf, beugt sich zu mir vor.
„Also, erzähl! Was ist da los?“
Wir haben uns still und heimlich von der Station in die Kantine geschlichen, einfach aus Prinzip, weil uns jeden Tag eine halbe Stunde Mittagspause vom Gehalt abgezogen wird, die wir aber so gut wie nie nehmen können.
„Was soll da sein?“
Sarah lacht.
„Man hört, dass da eine gewisse junge Dame in Deinem Leben eine Rolle spielt…“
Ich stochere in meinem Gulasch herum.
„Aha, eine gewisse junge Dame?“
„Komm, jetzt tu doch nicht so!“
Unterm Tisch verspüre ich einen dezenten Tritt gegen mein Schienbein.
Es wird mir wohl nichts übrig bleiben, als die Sache auszudiskutieren. Sarah hat ein Talent dafür, gute Anamnesen zu erheben. Gestern Abend sind wir leider gestört worden, weil just im richtigen Moment unser lieber Kollege Kalle aufgetaucht ist. Ich hätte ihn umarmen können. Jedenfalls hat er das Gespräch umgehend wieder auf unverfänglichere Themen gebracht. Jetzt aber ist weit und breit nichts von ihm zu sehen. Leider.
„Du sprichst von…“
„Wir wissen beide genau um wen es geht!“
„Eigentlich war ja gar nichts…“
Sarah schaut mich scharf an.
„Eigentlich?“
Nun ja. Vorglühen war. In der Silvesternacht. Jenny und die anderen hatten alle schon eine Menge intus, als ich so zwischen sieben und acht im Schwesternwohnheim aufgelaufen bin. Kaum war ich durch die Tür, da fiel Jenny mir um den Hals und blieb da auch für eine Stunde oder so, so genau weiß ich das nicht mehr. Für halb zehn hatten sie zwei Taxis bestellt um ins „Delirium“ zu fahren, aber wir waren zu viele. Also flüsterte Jenny mir etwas ins Ohr und zog mich kurz darauf in ihr Zimmer um zu zweit noch ein wenig weiter vorzuglühen.
Lassen wir die Details. Nur soviel: Ihr Bauchnabelpiercing kenne ich, aber es soll noch ein gut verstecktes Tatoo geben, welches ich nicht zu Gesicht bekommen habe, denn wenige Minuten später donnerte es gegen die Tür: Marvin stand davor.
Marvin ist eine Art Faktotum, ein Mann für alles: Hilfspfleger, Bettenschieber, Pförtner, Hausmeister und manchmal auch Rausschmeißer oder Sicherheitsmensch.
„Kommt Ihr mit?“ fragte er.
Widerspruch war zwecklos. Marvin ist eine Seele von einem Mensch, aber man darf es sich mit ihm nicht verscherzen. Also haben wir uns brav von ihm in seinem klapprigen Fiesta hinaus ins Gewerbegebiet kutschieren lassen.
„Und den Rest kennst Du ja!“ sage ich zu Sarah.
Sie grinst.
„Na, in ganz groben Zügen.“
Ich schaue auf die Uhr. Sarah bemerkt meinen Blick
„Müssen wir schon los?“
„Eigentlich hätten wir seit drei Minuten in der Röntgenbesprechung sein sollen!“
Sarah springt auf, greift nach ihrem Essenstablett und wuchtet es in den Geschirrwagen.
Ich stelle meinen halbvollen Gulaschteller daneben.
Nächstes Mal sollte ich den Salatteller ordern.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *