Herr Kachidza weiß seit 2001 von seiner HIV-Infektion. Seinem Sohn Enock, ebenfalls positiv, ist er nicht nur ein liebender Vater, sondern auch ein guter Kumpel. „ATLAS2018“ traf die beiden in Sambia
Ich sitze in einem Garten zusammen mit einem Vater und dessen Sohn. Das ist an sich nichts Ungewöhnliches, werden Sie sicher denken. Auf der ganzen Welt kann man Väter und ihre Söhne zusammen antreffen. Aber hier handelt es sich um eine ganz besondere Begegnung, weil beide, Vater und Sohn, HIV-infiziert sind. In Sambia kommt das nicht so häufig vor. Und die Zahl der HIV-infizierten Väter, die für ihren Sohn nicht nur Vater, sondern auch Buddy sind, ist noch geringer…
Eine Familie mit HIV in Sambia
Herr Kachidza ist nicht nur Enocks Vater, sondern auch sein Sicherheitsnetz und Freund; er ist der Mann, der öffentlich versprochen hat, bei ihm zu bleiben und ihn zu unterstützen, vor allem in schwierigen Zeiten.
Diese beiden, den Buddy und seinen Sohn, hier in diesem Garten neben der Kinderabteilung des Krankenhauses zu sehen, in ihrer besten Kleidung und ein bisschen nervös angesichts der Dinge, die auf sie zukommen, ist in seiner Alltäglichkeit eine herzerwärmende Erfahrung.
„Selbst auf die sensibelsten Fragen antwortet er ehrlich“
Sie sind früh aufgestanden. Es war eine lange Reise. Das war Herrn Kachidza jedoch egal. Er hat Enocks Lehrer gefragt, ob Enock seinen Test in Naturwissenschaften früher als der Rest der Klasse schreiben könnte, damit sie nicht zu spät kämen. Und weil er wegen seiner schweren Neuropathie nicht gut gehen kann, hatte er den Transport für diesen anstrengenden Tag schon zuvor organisiert.
Herr Kachidza ist ein stolzer, aber liebenswürdiger Mann. Er erzählt seine Lebensgeschichte mit sorgfältig gewählten Worten. Was sofort auffällt, ist, dass er seine Scham bereits überwunden hat ̶ auch das ist in Sambia selten. Selbst auf die sensibelsten Fragen antwortet er ehrlich. Enock, 15 Jahre alt, ist da vorsichtiger. Schüchtern, vielleicht müde aufgrund von 15 anstrengenden Jahren und einer ungewissen Zukunft, spricht er mit heiserer Stimme und in kurzen Sätzen. Sein Vater leitet unser Gespräch ein.
„Enock ist ein guter Junge. Ein Lausejunge! Aber in der Schule gibt er immer sein Bestes. Er bekommt gute Noten. Ich habe noch einen Sohn, auch er ist ein guter junger Mann. Er ist 18. Nein, er hat das Virus nicht… Das ist alles. Wir sind zu dritt. Die Mutter der Jungen, meine Frau, ist 2008 an dem Virus gestorben.“
Bist du gern zu Hause?, frage ich Enock.
„Ja.“
Verstehst du dich mit deinem Bruder gut? Unternehmt ihr viel gemeinsam?
„Ja. Ich liebe meinen Bruder.”
Und deinen Vater …
„Ich liebe meinen Vater sehr.“
Das meint er auch so. Sein Vater lacht und fährt fort.
„2001 habe ich erfahren, dass ich das Virus habe. Für Enock war das leider schon zu spät. Seine Mutter stillte ihn bereits. Anfangs war es hart. Ich hatte viele opportunistische Infektionen und ständig Durchfall. Ich nahm keine Tabletten. Es gab keine, und selbst wenn es welche gegeben hätte, wären sie sehr teuer gewesen. Viele Menschen sind nach Südafrika gefahren, um dort Tabletten zu kaufen. Jetzt ist es besser. Jetzt sind die Tabletten kostenlos.“
„Ich bin Christ. Ich habe es akzeptiert und habe keine Angst“
Ich bin in Sambia noch niemandem begegnet, der so offen über seine HIV-Infektion spricht wie Sie. Viele Menschen scheinen Angst zu haben, so offen zu sprechen.
„Ich bin Christ. Ich habe es akzeptiert und habe keine Angst.“
Nein, Sie haben keine Angst, Sie sind tapfer!
„Ja … tapfer. Wissen Sie, nicht jeder ist auf dieselbe Art und Weise tapfer. Einige sind tapfer und machen sehr viel Lärm, andere sind ruhiger… Ich spreche offen über mein Virus, weil ich Hilfe gesucht habe. Wenn man nicht offen ist, findet man auch keine Hilfe. Bei diesem Virus muss man besonders achtsam sein, sonst hat man keine Überlebenschance.
Ja, auch meine Frau ist offen damit umgegangen… Aber nicht so sehr wie ich.”
Wie sieht es mit Ihrer Gesundheit aus? Bekommen Sie die richtigen Medikamente?
„Das ist in Ordnung. Hier in Lusaka werden wir in Sambias bestem Krankenhaus behandelt. Sie haben dort gute Ärzte, und die Tabletten sind immer verfügbar. Das ist in anderen Krankenhäusern nicht immer der Fall.
Wir sind auf dem richtigen Weg. Früher ist man an dem Virus gestorben, und die Gelder wurden nicht richtig verwendet. Es wurden Fehler gemacht. Jetzt ist es besser. Jetzt ist es normal zu sagen, dass man das Virus hat.
Ich habe nur ziemlich viele Schmerzen. Das liegt an der Neuropathie. Deshalb kann ich auch nicht mehr gut laufen. Das ist schade, weil ich nicht mehr arbeiten kann. Aber ansonsten geht es mir gut.“
Sie sind ein optimistischer Mensch!
„Mein Glaube ist mir eine große Stütze. Gott hilft mir. Ich war schon gläubig, bevor ich das Virus hatte, aber jetzt ist mein Glaube noch stärker. Ich kann meine Jungen nicht im Stich lassen. Enock hat es so weit geschafft… Er war 20 Tage lang krank. Er konnte weder Wasser noch Nahrung bei sich behalten. Die Ärzte haben ihr Bestes getan. Und Gott. Der Glaube war eine große Unterstützung.”
Es ist heiß, sogar im Schatten. Herr Kachidza wischt sich den Schweiß von der Stirn. Er behält seine Jacke an. Im Hintergrund hört man die Stadt. Ich trinke einen Schluck Wasser und bemerke, dass Herr Kachidza und Enock noch nichts gegessen und getrunken haben. Ich biete ihnen meine Flasche an, aber sie lehnen dankend ab. Enock bleibt zurückhaltend. Er ist ein stolzer Junge. Er sieht jünger aus, als er tatsächlich ist, wie das bei etlichen Kindern, die wir treffen, der Fall ist. Elf, höchstens zwölf, aber bestimmt nicht 15.
Was machst du in deiner Freizeit?
„Ich spiele Fußball!“
Welcher ist dein Lieblingsclub?
„Joyce! Aber sie werden nicht Meister.“
„Mein Vater liest mir viel vor“
Und was möchtest du einmal werden?“
„Arzt!”
Alle Kinder, mit denen wir hier sprechen, möchten Arzt oder Ärztin, Rechtsanwalt oder Rechtsanwältin werden, weil sie alle dasselbe möchten. Ein gesundes Leben in einer gerechten Welt. Sein Vater hilft ein bisschen bei dem Gespräch.
„Enock wird von Doktor Moela, einem sehr guten Arzt, behandelt. Sie arbeiten jetzt seit elf Jahren mit ihm zusammen. Es geht ihm gut.“
Hast du viele Freunde?
Er nickt.
„Aber ich spiele auch mit meinem Vater, er liest mir viel vor.“
Welches ist dein Lieblingsbuch?
„Die Bibel!“
Gibt es in der Bibel eine Geschichte, die du am liebsten magst?
„Die beste Geschichte ist die von Noah und der Arche. Damals waren die Zeiten hart, und es sah so aus, als ob die Welt dem Untergang geweiht wäre. Aber Noah hatte eine Arche und sagte, dass jeder in der Arche willkommen ist…“
Er spricht zehn Minuten lang ohne Probleme. Er kennt die Geschichte in- und auswendig. Kein Detail wird ausgelassen. Er nennt alle Tiere, alle Katastrophen, die sie hinter sich lassen. Die Geschichte hat ein glückliches Ende. Gott sei Dank.
Als er fertig ist, ist er sichtlich müde. Aber doppelt so stolz. Es ist seine Lieblingsgeschichte, und ich verstehe auch warum. Kurz darauf verabschieden wir uns. Herr Kachidza dankt uns für unsere Zeit und Mühe. Er möchte nicht, dass wir ihm danken. Und nein, das Angebot für den Transport zurück nach Hause ist wirklich nicht nötig.
Mit einer Hand auf seinen Stock gestützt und mit der anderen fest Enocks Hand haltend, so gehen der stolze Vater und sein stolzer Sohn langsam aus dem Garten in die geschäftige Stadt.
Text: Erwin Kokkelkoren
Fotos: Marjolein Annegarn
Übersetzung: Agentur MacFarlane
Dieser Beitrag erschien zuerst unter dem Titel „Buddy“ auf atlas2018.org, der Website zum Projekt „ATLAS2018“, mit dem die niederländischen Künstler Erwin Kokkelkoren und Bert Oele die Geschichten von Menschen mit HIV aus aller Welt erzählen (wir berichteten auf magazin.hiv). 2018 sollen die Porträts und Interviews auf der Welt-Aids-Konferenz in Amsterdam präsentiert werden. Eine Auswahl stellen wir hier vor und danken Erwin Kokkelkoren und Bert Oele für das Recht zur Zweitveröffentlichung.