Ich lasse mich nicht gerne verarschen!

Schade, dass ich nicht zwei Köpfe größer bin.
Ich stemme die Hände in die Hüften und versuche, furchteinflößend wie möglich auszusehen.
“Also gut,” sage ich mit betont strenger Stimme, was mir aber nicht so recht gelingen will, “Was ist los?”
Der Patient liegt wie ein Häufchen Elend auf seinem Bett.
“Nichts ist los, Herr Doktor!”
“Was ist nichts?”
“Gar nichts, Herr Doktor!”
“Sie wissen, dass Sie zur Entgiftung da sind?”
“Natürlich, Herr Doktor!”
“Und Sie kennen unsere Regeln?”
“Selbstverständlich, Herr Doktor!”
“Regel Nummero eins lautet: Sie kriegen von uns Medikamente – und verpflichten sich, keinen Alkohol zu trinken!”
Der Patient nickt schweigend.
“Regel zwei lautet: Wenn Sie doch Alkohol trinken, dann fliegen Sie raus!”
Der Patient schweigt immer noch und starrt mich reglos an.
“Dann frage ich Sie mal direkt: Haben Sie Alkohol getrunken?”
“Nein, Herr Doktor!”
“Und wenn ich Ihnen jetzt Blut abnehme?”
Der Patient zuckt zusammen.
Wenn ich ihm jetzt Blut abnehmen würde, dann hätte er mit ziemlicher Sicherheit eine Menge Promille. Eigentlich müßte ich ihn dann rausschmeißen, wenn ich konsequent sein will. Aber der Chef mag keine Rausschmisse. Abgesehen davon ist draußen Wochenende und unser Labor ist am Wochenende nur notfallmäßig besetzt. Und wenn ich diesen Patienten am Wochenende bei Schnee und Minusgraden in seine vermutlich eiskalte und aller Wahrscheinlichkeit nach fürchterlich vergammelte Wohnung entlassen würde…
“Also gut,” sage ich, “Ich glaube Ihnen. Aber wenn ich noch einmal erfahren sollte, dass Sie hier Alkohol zu sich nehmen…”
“Selbstverständlich, Herr Doktor!”
Die Erleichterung ist ihm an der Nase anzusehen.
Schwester Paula allerdings wirft mir einen missbilligenden Blick zu, als ich am Dienstzimmer vorbei zurück in die Notaufnahme stapfe.

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