Die Visite dauert ewig.
Ich kenne kaum einen Patienten. Also kämpfe ich mich zunächst durch die Krankenakten und versuche, Martin Bückling’s Aufzeichnungen zu entziffern, aber seine Handschrift ist fast so schlimm wie meine.
Derweil steht Schwester Paula betont gelangweilt herum und gibt mir immer wieder zu verstehen, dass ihre Anwesenheit eine ganz besondere, nicht selbstverständliche Gunst ist und überhaupt haben vor zwanzig Jahren die Ärzte eigentlich immer alleine ohne schwesterliche Hilfe Visite gemacht. Ich überhöre die Bemerkungen.
Endlich sind wir durch. Es geht längst auf Mittag zu. So, und jetzt noch schnell beim Postfach vorbei… da liegt der Dienstplan für den kommenden Monat drin.
Ein Blick und mein Blutdruck schießt in die Höhe.
Das Wochenende mit der geplanten Fortbildung? Dienst.
Der Abend, an dem ich mit Jenny zum Kino verabredet bin? Dienst.
Das geplante verlängerte Kurzurlaubwochendene…?
Ich greife zum nächsten Telefon und funke Martin an.
Der ist gelangweilt.
“Selber schuld, wenn Du nicht zur Dienstplanbesprechung kommst!”
“Wann war die denn?”
“Letzten Donnerstag.”
“Da war ich im Urlaub.”
“Selber schuld.”
“Wieso hat mir keiner Bescheid gesagt?”
Ich hätte ihm einen Zettel ins Fach legen können mit meinen Wünschen und den Daten, an denen ich nicht kann. Es gäbe zwar keinerlei Garantie, dass er diesen Zettel berücksichtigen würde, das tut er grundsätzlich nicht, aber ein Versuch hätte es wert sein können.
“Weil eigentlich jeder Bescheid wusste.”
Dienstplanbesprechung ist an jedem ersten Dienstag im Monat, immer morgens nach der Frühbesprechung. Schon seit Jahren. Im Prinzip wenigstens. Aber nicht immer. Eigentlich nie.
“Warum war die Besprechung nicht am ersten Dienstag?”
“Weil wir den Termin verlegt haben.”
Will sagen: Weil er den Termin verlegt hat.
“Warum?”
“Weil ich nicht konnte.”
Aha.
“Entschuldige, ich habe zu tun!” sagt Martin und legt auf.
So ein Arschloch! Ich schlucke meinen Ärger hinunter und gehe wieder hinauf auf Station.
Auf meinem Schreibtisch liegt ein Stapel Krankenakten. Die waren vor meinem Urlaub noch nicht da. Sieht nach Arbeit aus.
Und dann klingelt das Telefon. Chef ist dran. Ich weiß schon, was er will. Sarah hätte heute Dienst. Sie ist aber immer noch krank.
“Alles in Ordnung!” sage ich mit gespieltem Optimismus, “Ich übernehme den Dienst!”
Und jetzt brauche ich wieder mal einen starken Kaffee.