Undine de Rivière bietet mit ihrem Buch „Mein Huren-Manifest“ einen unverstellten Einblick in ihre Arbeitswelt – und viele Argumente, warum mit der Diskriminierung von Sexarbeiter_innen endlich Schluss sein muss.
„Huren-Manifest“, das klingt nach dogmatischer Kampfschrift und theoretischem Grundlagenwerk. Doch von dem knalligen Titel sollten sich Interessierte nicht abschrecken lassen.
Auch der Untertitel „Inside Sex-Business“ könnte in die Irre führen, erinnert er doch an die kaum mehr zu überblickende Zahl an Bekenntnis- und Enthüllungsbüchern von Sexarbeiter_innen, die in jüngster Zeit auf den Markt kamen und mit ihren mehr oder weniger authentischen Einblicken ins „Rotlichtmilieu“ vor allem voyeuristische Bedürfnisse befriedigten.
Mit Vorurteilen aufräumen
Undine de Rivière berichtet zwar nicht minder unverkrampft von ihrem Arbeitsalltag, die Schlüssellochperspektive aber ist ihr völlig fremd. Hier gibt es nichts Verruchtes, Verschwiemeltes und keine sensationellen Enthüllungen. Die Hamburgerin, Jahrgang 1973, will mit größtmöglicher Offenheit dem anrüchigen Image ihres Berufs und den sich darum kreisenden Vorurteilen begegnen.
Etwa jenem Vorurteil, dass alle Sexarbeiter_innen unfreiwillig oder aufgrund einer sozialen Zwangslage in die Prostitution abgerutscht seien. Undine de Rivières eigene Biografie widerspricht dieser Erwartung ganz klar, hätte die diplomierte Physikerin doch jederzeit die Möglichkeit gehabt, auch anderweitig ihre Brötchen zu verdienen.
De Rivière hat sich allerdings dazu entschlossen, ihre naturwissenschaftlichen Fachkenntnisse nur noch einzusetzen, um das Bild einiger bornierter Freier von „der hilflosen kleinen Nutte“ durcheinanderzuwirbeln. Etwa, wenn sie einem Physikstudenten in der Solokabine einer Peepshow mal eben eine Hausaufgabe mit dem Kajalstift auf Küchenpapier löst.
Akribisch, meinungsstark und mit Fakten unterfüttert
Undine de Rivière erzählt diese Anekdote ganz beiläufig und nicht ohne Grund. Denn die Mitbegründerin des Berufsverbands erotische und sexuelle Dienstleistungen (kurz: BesD) hat eine politische Agenda. Und die stellt sie in ihrem Buch so anschaulich und nachvollziehbar dar, dass die Leser_innen nicht nur interessiert der Schilderung ihrer sexuellen wie beruflichen Selbstfindung als BDSM-Dienstleisterin, sondern auch den allgemeineren Kapiteln zur Sexarbeit folgen werden.
„Sondergesetze, umfassende Kontrolle, Kasernierung in staatlich bewachten Bordellen“
Akribisch, meinungsstark und stets mit Fakten unterfüttert zerlegt Undine de Rivière beispielsweise das neue „Prostitutiertenschutzgesetz“: „Statt gefährlich geisteskrank sind wir nur noch naiv und manipuliert; statt die Gesellschaft vor uns zu schützen, müssen wir selbst geschützt werden. Dazu aber gern mit denselben Methoden wie damals: Sondergesetze im Strafrecht, möglichst umfassende Kontrolle, Kasernierung in staatlich überwachten Bordellen“, so ihr leidenschaftliches Fazit.
Auch die Kampagnen von einigen Feministinnen – im Besonderen die von Alice Schwarzer und ihrer Zeitschrift EMMA – werden von Undine de Rivière auseinandergepflückt: „Wenn ich jemanden zwangszuretten versuche, ihn nicht mehr als handelndes Subjekt wahrnehmen, sondern ihn vor seinen eigenen Entscheidungen schützen will, bin ich nicht besser als die anderen, die Druck auf ihn ausüben“, so de Rivière.
Gleichwohl, nicht alle Menschen seien für diese Art von Job geschaffen, gibt sie zu bedenken, wobei sie auch deutlich macht, wie verschieden die einzelnen Tätigkeiten im Bereich der erotischen und sexuellen Dienstleistung sind – wie unterschiedlich die Möglichkeiten, selbstbestimmt dieser Berufstätigkeit nachzugehen. Schlaglichtartig skizziert sie die jeweiligen Arbeitsbedingungen: im Laufhaus, bei Gangbang-Partys oder im selbstgeführten Studio. Und auch hier greift sie auf ihre eigenen Erfahrungen zurück.
Und weil ein Billigpuff in ihrer Vita bislang noch fehlte, hat sie das zu Recherchezwecken nachgeholt: mit der Erkenntnis, dass selbst in 12-Stunden-Schichten die Zimmermiete nur schwer zu erwirtschaften ist und „Frischfleischjäger“ und „Sextouristen“ wenig Geld, vor allem aber wenig Respekt für die Frauen mitbringen.
Ein realistisches Panorama der Sexarbeit in Deutschland
So wie Undine de Rivière sich dagegen wehrt, die Sexarbeit als Ganzes zu stigmatisieren, zu kriminalisieren und allein unter vermeintlich moralischen Vorzeichen zu bewerten, versucht sie auch die Haltungen, das Selbstverständnis und die Beweggründe von Kunden wie Kolleginnen differenziert zu betrachten. Dazu lässt sie ein gutes Dutzend von ihnen ausführlich zu Wort kommen.
Das Panorama, das Undine de Rivière mit ihrem „Huren-Manifest“ entfaltet, kann und will die Sexarbeit in Deutschland nicht allumfassend abbilden – aber doch zumindest großflächig und sicherlich auch recht realistisch.
„Menschen in der Sexarbeit müssen ernst genommen werden“
Vor allem aber entwickelt sie daraus klare Vorstellungen und, damit verbunden, politische Forderungen, nach denen die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter_innen verbessert werden könnten. Legale Zusammenschlüsse und gemeinsame Infrastrukturen, so die Autorin, ermöglichten gegenseitige Supervision, eine Professionalisierung sowie sinnvolle Weiter- und Ausbildung.
Darüber hinaus sieht sie die Notwendigkeit zu einem flächendeckenden Angebot „fundierter, bedarfsgerechter und vor allem freiwilliger Einstiegsberatung – auch bei einem Umstieg in ein anderes Sexarbeitssortiment“.
Von entscheidender Wichtigkeit ist für Undine de Rivière, Menschen in der Sexarbeit ernst zu nehmen und ihre Bedürfnisse anzuhören, statt sie von oben herab zu bevormunden. Es gilt, Sexarbeit als legitime Berufswahl gesellschaftlich anzuerkennen: „Wenn ein Mensch, der sich für einen beliebigen Arbeitsplatz bewirbt, ohne Bedenken in seinem Lebenslauf angeben kann, zuvor als Sexarbeiter_in freiberuflich oder angestellt tätig gewesen zu sein, halte ich unser Ziel für erreicht.“
Undine de Rivière: „Mein Huren-Manifest. Inside Sex-Business“. Heyne Verlag, 272 Seiten, 14,99 Euro
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