Jetzt dauert mein Praktikum schon zwei Wochen. Und so verrückt es klingt: Seit dem ersten Tag kommentiert das Glockenspiel des Kölner Rathausturmes meinen Alltag. Klingt komisch? Ist aber so! Ich muss es wissen. Schließlich habe ich im Redaktionsbüro im fünften Stock den ultimativen optischen und akustischen Logenplatz.
Um 9 Uhr spornen mich die Glocken an: „Die Gedanken sind frei.“ Recht so! Frei sind sie. Jetzt muss ich sie nur noch ordnen. Stutzig macht mich jedoch die vierte Strophe des Liedes: „Nun will ich auf immer den Sorgen entsagen. Und will mich auch nimmer mit Grillen mehr plagen.“ Na toll! Jetzt hackt auch das Glockenspiel noch auf meiner Ernährung herum. Als Plage habe ich das eigentlich nie empfunden. Aber irgendwie habe ich den Verdacht, dass die mit dem Grillen im 19. Jahrhundert vielleicht doch etwas anderes gemeint haben.
Nicht weniger vieldeutig kommentiert das Glockenspiel um 15 Uhr meine Rückkehr aus der Mittagspause : „Wer soll das bezahlen? Wer hat das bestellt? Wer hat so viel Pinke-pinke? Wer hat so viel Geld?“ Menno, ich war doch letzte Woche nur ein einziges Mal bei der Currywurstbude! Aber vermutlich nehme ich die ganze Sache zu persönlich. Wahrscheinlich wollte das Glockenspiel eher einen allgemeinen Kommentar zur Gesundheitsreform abgeben; oder über die Kölner Haushaltslage. Ja, so wird das sein! Ist ja schließlich nicht nur mein Glockenspiel.
So ganz falsch kann ich mit dieser Interpretation nicht liegen. Das Glockenspiel gibt sich jedenfalls seit gestern zufrieden und spielt stattdessen „En unserm Veedel“. Hmm, offenbar nimmt es mir noch immer übel, dass ich neulich aus der Innenstadt nach Worringen gezogen bin. Langsam sollte es aber mal darüber hinweg kommen.
Letzte Woche habe ich mich ausführlich mit verschiedensten Katzenkrankheiten beschäftigt. Aus gegebenem Anlass bimmelt das Glockenspiel mittags den Löwen aus Karlheinz Stockhausens Tierkreismelodien. Langsam wird mir dieses Glockenspiel unheimlich. Zum Glück fange ich morgens immer recht früh an und bleibe deshalb nicht bis 18 Uhr. Dann spielt das Glockenspiel nämlich Orpheus in der Unterwelt.