Generika – eine Betrachtung (5)

Immer, wenn man, denkt, dass man fertig ist.

Hier kommt ein Nachtrag zu meiner Generika-Reihe: Generika – die Seite der Krankenkasse in Deutschland

geschrieben allerdings nicht von mir, sondern von einer Apothekerin, die bei einer Krankenkasse arbeitet. Sie hat sich enorm Mühe gemacht und ausführlich geschrieben. Darum bringe ich nicht den ganzen Artikel auf der Hauptseite, sondern nach dem „weiter“.

Krankenkassen und Generika in Deutschland:

1. Aufgabe der Gesetzlichen Kranken-Versicherung
2. Wirtschaftliche Rolle der Generika und Rabattverträge
3. Gesundheitliche Aspekte
4. Zusammenfassung/Beurteilung

Aufgabe der GKV:

Wikipedia hat einen recht lesenswerten Artikel zum Thema gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland parat:

Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung ist es, die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern (§ 1 SGB V). Dazu gehört auch, Krankheitsbeschwerden zu lindern (§ 27 SGB V)….Alle Versicherten haben grundsätzlich den gleichen Leistungsanspruch, dessen Umfang im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) festgelegt und durch § 12 Abs. 1 SGB V begrenzt ist. Danach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten.

Soweit die Theorie.

Wirtschaftliche Rolle von Generika und Rabattverträgen:
Dabei war es vor Einführung der Rabattverträge so: Es existieren zwar Festbeträge (staatlichfestgesetzte Maximalbeträge, bis zu denen die Krankenkassen Arzneimittel/Hilfsmittel bezahlen müssen), aber natürlich orientieren sich alle Firmen an diesem Maximalbetrag.
Festbeträge werden vom gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) festgesetzt. Beim GBA haben Sachverständige aus Industrie, Forschung, Medizin und Patientenvertreter Anhörungsrechte. So stellen die Festbeträge eher den kleinsten gemeinsamen Nenner aus diesen heterogenen Gruppen dar.
Die „Kundenbindung“ der Pharmafirmen (auch der Generikafirmen!!) passierte „damals“ nicht über den Preis, sondern über Werbung („Gibt’s da nicht auch was von Zwillingsfarm?“), über Patientenselbsthilfegruppen (Informationsveranstaltungen sponsored bei Beispielpharm), Apotheker (Naturalrabatte) oder Ärzte (Arztmuster).
Ganz grob vereinfacht lief es so: Der Arzt stellte ein Rezept aus, der Patient ging in die Apotheke, der Apotheker lieferte und die Krankenkasse zahlte. Alle Generika kosteten ungefähr das gleiche (Festbetrag!) und der Patient erhielt sein vertrautes/gewünschtes Medikament. Wieso konnte das nicht so bleiben?

Weil natürlich auch Preise unterhalb des Festbetrages möglich sind. Dadurch lassen sich sogenannte „Wirtschaftlichkeitsreserven“ realisieren. Daher wurde das Konzept der „Rabattverträge“ entwickelt. Der „Kontrahierungszwang“ auf Produktebene wurde aufgehoben und den Krankenkassen die Möglichkeit eingeräumt, Verträge mit Arzneimittelherstellern zu schließen. Wenn nach den Angaben des deutschen Apothekerverbandes DAV 2,45 Milliarden € für Arzneimittel ausgegeben werden (und das allein im November 2009), dann erscheinen Einsparungen durch Rabattverträge in diesem Bereich sehr attraktiv.

Diese Rabattverträge sind dabei meistens folgendermaßen gestaltet: Über einen bestimmten Zeitraum hinweg schließen Pharmafirma A und Krankenkasse B einen Vertrag. B verpflichtet sich dabei, für den Wirkstoff X nur noch das Präparat der Firma A zu bezahlen. Im Gegenzug dazu räumt A der Kasse B einen Rabatt ein. Dieser Rabatt ist mengenabhängig. Sprich: Je mehr das Präparat der Firma A verordnet wird, desto mehr Rabatt gibt es. Natürlich muss A auch etwas davon haben, deshalb gibt es „Mindestabnahmemengen“ oder die Krankenkasse verpflichtet sich, dass mindestens y % aller Verordnungen des Wirkstoffes über Präparat A abgewickelt werden. Dabei werden auch ab und zu sogenannte „Vertragsstrafen“ verabredet.
Sprich: Bricht einer den Vertrag (Preissteigerungen oder, bei der Kasse: fehlenden Marktanteil), so muss eine Strafe gezahlt werden.

Das ist auch der Grund für sogenannte Retaxationen, die deutschen Apothekern teilweise zu schaffen machen: Retaxationen sind das Druckmittel, das die Kasse hat, um über die abgebenden Apotheken den Rabattvertrag umzusetzen. Auch in diesem Blog wurde schon das Argument gebracht „Das andere Generikum kostet nur 0,10€ mehr, der Patient erhält das gewohnte Produkt und trotzdem retaxiert mich die Kasse. Dabei zahlt sie das ganze Produkt nicht, und nicht nur nicht den Preisunterschied“.

Das hat folgende Gründe: Zum einen sind die Vertragsbedingungen „Firmengeheimnis“. Zum anderen sind die Differenzen –wie bereits gesagt- in Abhängigkeit vom Betrag und dem Umsetzungsgrad variabel. Und zum anderen ist die komplette Retaxation –ganz klar- ein Druckmittel. 0,10 €, 0,20€ oder 3,40€ sind kein Druck. 50 € und mehr bedeuten Umsetzungsdruck.

Damit sich die Rabattverträge lohnen, müssen sie über einen bestimmten Zeitraum laufen. Aber natürlich wollen viele Firmen und viele Krankenkassen möglichst viel von dem Kuchen „abgreifen“, weshalb es bei der Vielzahl an Generikafirmen und Krankenkassen zu teilweise unübersichtlichen Marktsituationen kommen kann. Und da wir in einer freien Marktwirtschaft leben, können Firmen, die sich bei der Vergabe der Rabattverträge benachteiligt fühlen, dagegen klagen. Bekommen diese Firmen Recht, werden sie in den laufenden Rabattvertrag aufgenommen. Oder sie bieten der Kasse einen noch günstigeren Rabattvertrag an….

Daher kommt es, dass viele Leute den Eindruck haben, die Krankenkassen wechselten vierteljährlich die Rabattverträge. Das ist aber aus organisatorischen und juristischen Gründen fast unmöglich.

Gesundheitliche Aspekte:

Soweit die wirtschaftlichen Aspekte. Was ist denn mit den gesundheitlichen Aspekten? Schließlich haben die Kassen ja auch den Auftrag, „die Gesundheit der Versicherten zu erhalten, wiederherzustellen oder ihren Gesundheitszustand zu bessern“ (SGBV). Ist das mit Rabattverträgen und dem „Zwang“, ein bestimmtes Generikum nehmen zu „müssen“, möglich?

Viele Bedenken gegen die Austauschbarkeit von Generika wurden in diesem Blog schon genannt.

Wie Pharmama schon sagte, ideal wäre für Generika der Nachweis einer „therapeutischen Äquivalenz“. Als Surrogatparameter wird die Bioäquivalenz herangezogen. Nach den Untersuchungen der FDA (USA) liegen die tatsächlichen Bioäquivalenzdifferenzen zwischen Erstanmelder-Präparaten und Generika lediglich im Schnitt um 3,5% (Quelle: „Orange book“ oder „Approvend Drug Products with Therapeutic Equivalence“). Diese Unterschiede sind klinisch nicht relevant. Also können Erstanmelder-Präparate („Originale“) bedenkenlos gegen Generika ausgetauscht werden.

Aber was ist mit den Unterschieden der Generika untereinander? Was passiert, wenn Generikum 1 gegen Generikum 2 ausgetauscht wird? Folgende Argumente werden besonders häufig in Bezug auf den Austausch von Generika untereinander genannt:

1. Die Äquivalenz zum Erstanmelderpräparat mag gegeben sein, aber die Äquivalenz von Generikum A zu Generikum B wurde nicht untersucht.
2. Die Therapie mit dem gewohnten Generikum/Präparat verbessert die Therapie im Rahmen eines Placebo-Effektes, der Austausch könnte einen Nocebo-Effekt zur Folge haben.
3. Ältere Patienten nehmen oft besonders viele Medikamente ein (Polypragmasie). Sie sind verwirrt, wenn sie ein anderes Präparat erhalten und nehmen dieses dann falsch ein.
4. Medizinische Behandlung ist individuell. Jeder Patient sollte das für ihn passende Präparat erhalten. Wichtig ist in dem Falle, was dem Patienten hilft (Oder das, von dem er glaubt, dass es ihm helfen würde). Die Krankenkasse darf deshalb nicht vorschreiben, was der Patient erhalten soll. Das darf nur der Arzt und/oder der Patient selber entscheiden.

Ich möchte dazu folgendes antworten:

1. Die meisten Arzneistoffe haben eine genügend große therapeutische Breite. Es sind zwar Abweichungen von bis zu 25% bei der Bioäquivalenz erlaubt, aber meistens sind diese Abweichungen wesentlich geringer. Also sind erfahrungsgemäß auch die Abweichungen zwischen Generika untereinander wesentlich geringer als befürchtet.
Die Wirkungen von Medikamenten wird innerhalb eines therapeutischen Fensters erzielt, das bedeutet: Um die gewünschte Wirkung zu erzielen, muss der Wirkstoffspiegel im Körper innerhalb eines bestimmten Bereiches bleiben. Viele Menschen haben die Vorstellung, dass der Wirkstoffspiegel exakt auf dem gleichen Wert bleiben muss – dem ist nicht so. Das therapeutische Fenster ist in den meisten Fällen breit genug, um einen Austausch zu erlauben.
2. Placebo/Nocebo-Effekt: Das mag sein. Allerdings sollte man folgendes beachten:
Krankenkassen haben auch einen wirtschaftlichen Auftrag (§12 SGB V). Überspitzt ausgedrückt: Ein Haus mit Pool und einem Auto davor hätte einen immens hohen Placebo-Effekt auf die meisten Patienten. Wirtschaftlich ist das aber leider nicht.
3. Der Austausch von Medikamenten verunsichert ganz sicher viele Patienten. Nur: Wie soll man damit umgehen? Sollte man die Patienten eher an die Hand nehmen, ihnen Hilfen bei der Einnahme bieten und sie aufklären, oder sollte man sie letztlich mit ihrem gewohnten Präparat alleine lassen? Ich persönlich neige zu ersterem. Und hier ist –meiner Meinung nach- auch ein wichtiges Aufgabenfeld für den Apotheker zu finden.
4. Eine auf den einzelnen Patienten individuell abgestimmte Behandlung ist das Optimum, keine Frage. Mit welchen Mitteln will man diesen Erfolg erreichen? Behandlungen müssen auch effizient sein. Grob formuliert: Das Verhältnis von Ertrag und Aufwand müssen stimmen. Der Aufwand beinhaltet nicht nur die Arbeit des Arztes, die Therapie zu bestimmen, sondern auch die Kosten für die Therapie. Und die Kosten können mit Hilfe von Generika und Rabattverträgen gesenkt werden.

Zusammenfassung und Beurteilung:

Die Einstellung von Krankenkassen zu Generika ist also (auch) in hohem Maße von den zu erwartenden Einsparungen geprägt. Um Einsparungen unterhalb der Festbeträge zu erzielen, wurde den Krankenkassen das Rabattvertragsmodell ermöglicht.

Was die Frage der Austauschbarkeit von Generika betrifft: Interessanterweise stimmt der Kommentar von Herrn Offenraus (Generika – Teil 4) ziemlich gut mit der Krankenkassenmeinung (so es denn eine homogene gibt) überein. Ich persönlich bin ebenfalls der Meinung, dass man mit Ausnahme von Antiepileptika/Neuroleptika/Arzneistoffen mit enger therapeutischer Breite in den meisten Fällen austauschen kann. Mal ganz abgesehen davon, dass es zwar wahnsinnig viele Generika gibt, aber die Firmen oftmals nur Unterfirmen anderer Firmen sind, die wiederum eigene Generika führen. Zum Beispiel gehört 1A-Pharma zu Novartis und Sandoz. Häufig haben diese Firmenkonglomerate gemeinsame Produktionslinien, so dass am Ende nur die Verpackung und der Stempel auf der Tablette unterschiedlich sind. Auch aus diesem Grund ist der Austausch von Generika untereinander oftmals problemlos möglich.

Das größte Problem mit dem Thema „Generika“ ist jedoch ein emotionales. Die meisten Menschen sind der Meinung, dass mit/bei dem Thema „Gesundheit / Krankheit“ kein Geld verdient werden bzw. kein Geld eingespart werden solle. Und natürlich ist dieses hochemotionale Thema auch ein willkommenes Druckmittel, um das eine oder andere Produkt auf dem Markt zu platzieren. Wichtig wäre in diesem Zusammenhang eine engere
Zusammenarbeit von Ärzten, Apothekern und auch Krankenkassen, um den Patienten diese Ängste zu nehmen.

Tagged: Generika, Krankenkasse

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *