Nach der Frühbesprechung nimmt der Chef mich zur Seite.
„Ich muss da noch was mit Ihnen besprechen…“
Oje! Die Kinnlade fällt mir gefühlte zwei Meter tief runter.
„…es geht um den Herrn Großbaum!“
Na klar, worum denn sonst? Wo ist hier der Notausgang? Oder der Knopf zum Unsichtbarmachen?
„Jetzt machen Sie sich mal keine Sorgen!“
Aha?
„Der Sohn hat Sie übrigens sehr gelobt. Sie hätten ihm sehr kompetent Auskunft gegeben. Er hat auch kurz mit seinem Vater telefoniert…“
Das weiß ich allerdings!
„Aber der Senior?“
„Ich hoffe mal, Sie haben das nicht zu persönlich genommen!“
„Nun ja… was die Verletzung der Schweigepflicht angeht…“
„Mit dem Sohn stehe ich schon seit Wochen in Kontakt. Ich halte ihn regelmäßig auf dem Laufenden, er weiß über alles Bescheid. Allerdings habe ich das nicht an die große Glocke gehängt. Es war ein dummer Zufall, dass er mich Freitag Nachmittag nicht erreicht hat. Mein Fehler. Ich hätte Ihnen Bescheid geben sollen.“
„Ich dachte, Herr Dr. Großbaum hätte keine Angehörigen…“
„Der Sohn hat sich sehr um ihn gekümmert. War sogar zweimal hier gewesen. Der Vater hat ihn nicht erkannt…“
„Nicht erkannt?“
„Oder nicht erkennen wollen. Das Verhältnis zwischen den Beiden war wohl in der Vergangenheit nicht einfach…“
„Und warum…?“
„Herr Großbaum schämt sich wegen seiner Krankheit. Er war sein ganzes Leben lang Choleriker. Ich kenne ihn ja von früher. Er kann es nicht zulassen, dass er jetzt keine Macht mehr hat. Vor allem nicht über die Leute, die er früher herumkommandiert hat. Ich glaube, er wird allmählich dement.“
„Und wie geht es jetzt weiter?“
„Der Sohn hat etwas organisiert. Es gibt da eine private Palliativklinik, so eine Art Hospiz. Das Problem ist der Transport. Aber ich werde dafür sorgen, dass Herr Großbaum heute noch dahin kommt. Ich darf Sie nur bitten, noch einen kurzen Verlegungsbericht zu schreiben…“
Nichts lieber als das.