Die internationale Kampagne „Stop Trans Pathologization 2012“ hat weltweit Erfolg, wie Carla LaGata / Dr. Carsten Balzer vom Forschungsprojekt “Transrespect versus Transphobia Worldwide” von Transgender Europe zeigt:
Auch dieses Jahr wieder werden weltweit transgeschlechtliche Menschen und ihre Unterstützer_innen gegen die Pathologisierung von Trans-Identitäten im Rahmen der internationalen Kampagne „Stop Trans Pathologization 2012“ (STP 2012) auf die Straße gehen.
Transgeschlechtliche Menschen sind jene Menschen, die eine andere geschlechtliche Identität besitzen und ausleben/darstellen als jene, die ihnen bei der Geburt zugewiesen wurde. Dazu gehören auch Menschen, die fühlen, dass sie aus einem Zwang, einer Vorliebe oder einer freien Wahl heraus durch Sprache, Kleidung, Accessoires, Kosmetik oder körperliche Modifikationen sich in einer anderen Weise präsentieren als den Erwartungen an die ihnen bei Geburt zugewiesene Geschlechterrolle entsprechend. Dies sind – unter anderem – Transsexuelle und Transgender, Transvestiten, Cross-Dresser, No Gender, Multigender, Genderqueere und auch jene geschlechtsvarianten Menschen, die sich mit obigem identifizieren oder in Beziehung setzen.
Diagnose „Geschlechts-identitätsstörung“ aus den internationalen Diagnostikhandbüchern streichen!
Die Hauptforderung der Kampagne STP 2012 lautet: „Streichung der Diagnose ‚Geschlechtsidentitätsstörung‘ aus den internationalen Diagnostikhandbüchern“ und bezieht sich auf die derzeit stattfindende Überarbeitung des DSM-IV-TR (Diagnostisches und Statistisches Handbuch psychischer Störungen) der (US-)Amerikanischen Psychologischen Vereinigung (APA) und des vom DSM-IV-TR beeinflussten ICD-10 (Internationaler Klassifikationskatalog von Krankheiten und anderen Gesundheitsproblemen) der Weltgesundheitsorganisation WHO.
Eine aktualisierte Version des DSM-IV-TR sollte ursprünglich 2012 publiziert werden. Es bleibt zu vermuten, dass die jüngst angekündigte Verschiebung dieser Veröffentlichung auf 2013 auch aufgrund des internationalen Drucks und der weltweiten STP2012-Kampagne erfolgte. Denn diese Kampagne stellt einen nie dagewesenen Mobilisierungserfolg der internationalen Trans-Bewegung dar.
Im Herbst 2009 gingen in mehr als 40 Städten in insgesamt 20 Ländern in Europa, Asien, Nord- und Südamerika transgeschlechtliche Menschen auf die Strasse, um gegen die Pathologisierung ihrer Identitäten zu demonstrieren. Die Kampagne des Trans-Entpathologisierung-Netzwerkes wurde von mehr als 200 Trans-Gruppen und ihren Verbündeten in 40 Ländern Europas, Afrikas, Asiens, Nord- und Südamerikas unterstützt und wurde so zur ersten weltweiten Kampagne der internationalen Trans-Bewegung.
Im Juni 2010 demonstrierten auf der internationalen STP2012-Demonstration in Barcelona mehr als 1000 Menschen aus Nordamerika, Mittel- und Südamerika, Europa, Asien, Afrika und Ozeanien gegen die Pathologisierung von transgeschlechtlichen Menschen.
Weg von der medizinischen Perspektive, hin zur Menschenrechtsperspektive!
Diese starke Bewegung erfuhr ihren Aufschwung im Kontext eines Paradigmenwechsels der Wahrnehmung von transgeschlechtlichen Menschen, der von einer medizinischen Perspektive weg hin zu einer Menschenrechtsperspektive führte. Dieser Paradigmenwechsel zeigt sich beispielsweise in den 2007 veröffentlichten „Yogyakarta-Prinzipien zur Anwendung der Menschenrechte in Bezug auf die sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität“ (sie fordern, dass alle Staaten sicherstellen müssen, dass „sexuelle Orientierungen oder geschlechtliche Identitäten im Rahmen medizinischer oder psychologischer Behandlungen oder Beratungen weder explizit noch implizit als Erkrankungen betrachtet werden, die behandelt, geheilt oder unterdrückt werden sollten“) sowie in dem im Juli 2009 veröffentlichten Themenpapier „Menschenrechte und Geschlechtsidentität“ des Kommissars für Menschenrechte des Europa-Rates, Thomas Hammarberg, in dem die Pathologisierung von Trans-Personen als Hindernis bei der Erfüllung ihrer Menschenrechte beschrieben wird.
Mit der Pathologisierung geht eine soziale Stigmatisierung einher
Mit der Pathologisierung von transgeschlechtlichen Menschen geht eine soziale Stigmatisierung einher, die sich in allen gesellschaftlichen Bereichen, inklusive dem der Gesundheitsfürsorge, auswirkt. Daher wird im Rahmen der STP2012-Kampagne explizit eine nicht pathologisierende und kostenfreie, transspezifische Gesundheitsfürsorge für jene Trans-Personen gefordert, die diese, beispielsweise in Form von Hormontherapie und geschlechtsangleichenden Operationen, wünschen oder benötigen.
Zur diesjährigen Kampagne haben bisher Trans-Organisationen in 53 Städten in Nordamerika, in Mittel- und Südamerika, in Afrika, in Asien und in Europa ihre Teilnahme angekündigt. Auch in Berlin fanden und finden dieses Jahr wieder Veranstaltungen statt:
- Am 17.10.2010 gab es im „Haus der Demokratie und Menschenrechte“ eine Informationsveranstaltung.
- Am 20.Oktober 2010 wurde um 20.00 Uhr im Silverfuture in der Weserstrasse 206 der Film „Diagnosing Difference“ (How does it feel to have your gender identity included in the Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders?) gezeigt.
- Am 23. Oktober 2010, dem Tag der weltweiten Demonstrationen, findet in Berlin um 15.00 Uhr eine Kundgebung vor der Charité in der Nähe des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin in der Luisenstrasse 57 statt.
Weiterführende Informationen:
Zur STP2012-Kampagne 2010: http://www.stp2012.info/old/de, http://stp2012.wordpress.com/
Zur Verbreitung der STP 2012-Kampagne im Jahre 2009: www.tgeu.org/node/78
Zur Situation von transgeschlechtlichen Menschen in Deutschland: http://www.transrespect-transphobia.org/en_US/countries/germany-1/germany-2.htm
Deutsche Fassung der Yogyakarta-Prinzipien (von der Eddy-Hirschfeld-Stiftung veröffentlicht): http://www.hirschfeld-eddy-stiftung.de/yogyakarta-prinzipien/yogyakarta-prinzipien/
Deutsche Übersetzung des Themenpapiers „Menschenrechte und Geschlechtsidentität“ (als Band 2 der Publikationreihe des „Transrespekt versus Transphobie weltweit“-Forschungsprojektes von Transgender Europe veröffentlicht): http://www.transrespect-transphobia.org/en_US/tvt-project/publications.htm