Bis vor wenigen Jahren galt das Dogma “Krebs frühzeitig erkannt ist heilbar” selbst in Fachkreisen als unumstritten. Heute gerät dieser Grundsatz zur Vorsorgeuntersuchung zunehmend in die Kritik. So lassen sich manche Tumore überhaupt nicht früher erkennen, stellen keine gesundheitliche Gefahr dar oder können ohnehin nicht behandelt werden. Es stellt sich deshalb zunehmend der Sinn breitgefächerter Kampagnen der Früherkennung, welche oftmals Negativkonsequenzen für den Patienten implizieren.
Diese neue Ansicht, dass zahlreiche Maßnahmen der Früherkennung mehr schaden als nutzen könnten, wurde vor kurzem auf einer Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing eindrucksvoll dargelegt.
Ein solcher Schaden kann sich in vielfacher Weise äußern. So können beispielsweise überflüssige Therapiemaßnahmen zu Harninkontinenz oder Impotenz bei Männern führen. Daneben handelt es sich bei Vorsorgemaßnahmen häufig um entwürdigende Prozeduren, wie beispielsweise die rektale Untersuchung mit der Hand.
Dabei werden vor allem Früherkennungsprogramme kritisiert, welche ausschließlich auf absolut gesunde Menschen abgestimmt werden und mit aufwendigen Medienkampagnen beworben werden. Einer solchen Kampagne drehte sich beispielsweise um das sogenannte Mammographie-Screening. So setzt sich seit geraumer Zeit die Felix-Burda-Stiftung mit aufwendigen Werbekampagnen für diese Form der Darmspiegelung ein, sodass möglichst breite Schichten der Bevölkerung entsprechenden Alters bereit sind, die Vorsorgeuntersuchung über sich ergehen zu lassen. Wie unnütz das ist, belege ich in meinem Beitrag: “Mit Zahlen jonglieren – Beispiel Brustkrebs“.
Krebs scheint dabei heutzutage ein Produkt der Medien zu sein, welches gleich eines wirtschaftlichen Guts untereinander aufgeteilt wird. So äußert sich Wissenschaftsautor Christian Weymar zynisch mit den Worten, dass der ARD nun der Darmkrebs, dem ZDF der Prostatakrebs und Sat 1 der Brustkrebs “gehöre”. Daneben muten auch die Kampagnen als solche zweifelhaft an, bei welchen der Männerkörper mit einem Auto verglichen werde, welches ebenso zu warten sei.
Um die Vorsorgeuntersuchung als solche in Frage zu stellen, genügt aber auch schon ein Blick auf die Übersicht der verschiedenen Krebsarten. So macht eine solche Maßnahme im Falle des Typ 1 durchaus Sinn. Bei diesem handelt es sich um einen Krebs, der sich im Frühstadium befindet und noch keine Metastasen gebildet hat. Dieser kann daraufhin operativ entfernt oder mittels spezieller Therapiemaßnahmen bekämpft und oftmals erfolgreich beseitigt werden – zumindest nach Maßstäben unserer Schulmedizin.
Bei den Typen 2 bis 4 ist eine Vorsorgeuntersuchung aber schlicht als sinnlos zu bezeichnen. In diesen Fällen ist es bereits zu einer Metastasenbildung gekommen oder es handelt sich um ungefährliche Krebsvarianten, die dem Menschen ein Leben lang keine gesundheitlichen Probleme bereiten. Letztere werden dann nichts desto trotz therapiert, was eine mitunter eine leidvolle, langwierige und unnötige Prozedur für den Betroffenen bedeuten kann.
Ingrid Mühlhäuser von der Universität Hamburg bringt diesen Missstand auf den Punkt. So würden sich Ärzte rühmen, einen Krebs erfolgreich behandelt zu haben. Schade sei es dabei jedoch nur, dass dieser Krebs jedoch ein Leben lang nicht aufgefallen wäre. So leiden heutzutage viele Patienten unter den Phänomenen der “Überdiagnose” und der “Übertherapie”. Es scheint, dass in diesem Zusammenhang Ärzte eine Nachfrage zu stimulieren, ohne dass ein tatsächlicher Bedarf dieses künstlichen Überangebotes bestehen würde.
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