Internet verändert Apotheken-Patient -Beziehung
Berlin – Gesundheit boomt – auch in Internet. Für über 80 Prozent der deutschen Internetnutzer ist das Web die Informationsquelle Nr.1 zu Gesundheitsthemen. Rund 30 Prozent holen vor dem Arztbesuch Informationen im Internet ein, über 40 Prozent danach. Das Thema Gesundheit hat im Internet Erotikseiten von Platz Eins verdrängt: 37 Millionen Suchergebnisse findet Google für das Wort „Gesundheit“.
Nach Ansicht von Dr. Oliver Hermes von der Münchner Beratungsagentur Berger Baader Hermes GmbH hat dies gravierende Konsequenzen für die Arzt-Apotheker-Patienten-Beziehung: „Der souveräne Patient von morgen ist ein „Pro-tient“. Seine Fähigkeit, über eigene soziale Netzwerke Meinungen zu bilden und auszutauschen, kann Apotheker-Patienten-Beziehungen pushen, aber auch schwer beschädigen. Beratungshoheit geht verloren, Autonomie geht verloren. Das Prinzip „Anordnung und Kontrolle“ geht verloren. Glaubwürdigkeit kann verloren gehen, Relevanz kann verloren gehen“, sagte Hermes bei einem Vortrag auf dem Trendreport Gesundheitsmarkt 2020 in Berlin zum Thema: „Web 2.0 und der Patient derZukunft“, veranstaltet von der Hypovereinsbank.
Soziale Netzwerke im Internet veränderten die Verteilung von Macht. Man könne den Hype gut oder schlecht finden, feststehe jedenfalls, dass die Welt unaufhaltsam ins digitale Zeitalter steuere. Hermes: „Mittlerweile gibt es 49 Mio. Internetnutzer in Deutschland, wobei die größten Wachstumsraten bei den über 50-Jährigen erzielt werden. Von diesen 49 Millionen Usern nutzen 63 Prozent Social Media. Das sind fast 31 Mio. Deutsche.“
Unter dem Begriff Social Media verstehe man Interessengemeinschaften, die zweierlei eine: Vernetzung und Leidenschaft für bestimmt Themen. Social Media sei kein neuer Kanal oder ein neues Medium, sondern eine selbstverständliche Komponente der Kommunikation im digitalen Zeitalter, die auf einem Paradigmenwechsel im Konsumentenverhalten beruht: „Der Souverän mischt mit. Er publiziert, er kommentiert, er reichert an, er organisiert sich in riesigen Gruppen, er macht Meinung.“
90 Prozent der Nutzer vertrauen den Empfehlungen anderer Nutzer. „Ob im Bereich von Dienstleistung, Medizin oder Politik, der Stern des Experten verliert in der Einschätzung der Kunden, Patienten oder Wähler an Glanz“, beschreibt Hermes die weitreichenden Folgen. Die Macht verlagere sich irreversibel von den Anbietern auf die Nachfrager.
Das sei auch im Gesundheitswesen nicht anders – der Patient 2.0 sei bestens informiert. In Communities wie Patientenfragen.net oder Gesundheitsinformation.de oder auch Melanom.de oder Osteoporose.de könne er sich über Gesundheit, Krankheitsymptome, Therapien, Medikamente vollumfänglich informieren, teils mit Stiftung Warentest-Siegel. Und die Reichweite steige: in den USA verzeichnen Plattformen wie MedHelp monatliche User-Zahlen von bereits 10 Millionen und medizinische Beiträge von 4,5 Millionen. Es seien aber nicht nur die Gesundheits-Portale, auf denen sich das abspiele. Das Thema sei mittlerweile vertreten in allen Service- und Zielgruppen-Communities, wie z.B. hilferuf.de oder gofeminin.de oder Deutschlands größter Familien-Community urbia.de mit millionenfacher Reichweite.
Auf Netdoktor.de oder Med1.de diskutiere der Patient ganz gezielt mit anderen Patienten oder wahlweise auch mit Ärzten oder Apothekern. Es sei kein Problem, auf fast jede Frage eine Antwort zu finden: auf Onmeda.de seien zu Augenheilkunde 5.500 oder zu Arzneimitteln fast 4.000 Themen verfügbar, neue Beiträge kämen im Minutentakt rein.
In den USA sei die Relevanz und das Vertrauen in solche „Austausch“-Communities schon so groß, dass komplette Krankheitsprofile namentlich veröffentlicht und diskutiert werden, von Intimsphäre keine Spur mehr. Beispiel: patientslikeme.com. Auf docinsider.de oder jameda.de nenne der Patient Ross und Reiter samt Adresse, vergebe Schulnoten und Begründungen dafür. Er diskutiert Diagnosen und die Beratung und Preiswürdigkeit von Apotheken.
Längst seien Pharmaunternehmen auf diesen Zug aufgesprungen und „befreunden“ sich auf Facebook (Pfizer) oder Twitter (Boehringer) mit Patienten an oder kommunizierten via YouTube. Hermes: „Der Gatekeeper „Heilberuf“ wird dadurch in Zukunft umschifft. Möglicherweise weiß der Patient über innovative Präparate nicht nur Bescheid, sondern kennt neue Medikamente sogar besser als sein Arzt oder Apotheker.“ Im nächsten Schritt würden Pharmafirmen Patienten direkt zu Ideen und Verbesserungen aufrufen.
Mehr noch: Der Patient 2.0 könne sich überall selbst diagnostizieren. Dies geschehe über kleine Programme (Apps) auf seinem iPhone, mit denen er Blutdruck messen oder Diabetis managen könne. Von VitaDock seien solche Programme gerade auf der IFA vorgestellt worden. Hermes: „Er diagnostiziert sich in Zukunft aber auch über große Webseiten, auf denen er Symptome checkt, Behandlung und Medikation wählt, seinen Fortschritt trackt und sich vor allem mit Leidensgenossen vernetzt.“ Auch der „Experten-Stern“ des Apothekers sei in Gefahr: In der Apotheke werde er den Strichcode des Medikamentes fotografieren und sofort Alternativ-Präparate angezeigt bekommen sowie eine günstigere Apotheke im Umkreis von ein oder zwei Kilometern.
Wie sollen die Heilberufe darauf reagieren? „Das Mindeste“, rät Hermes, „ist dabei zu sein. Wer mitschwimmt, gewinnt immer noch den besten Eindruck von den Strömungsverhältnissen.“
Auch Apothekern rät der Internet-Experte: „Klinken Sie sich ein. Geben Sie Expertenrat in relevanten Foren, schreiben Sie einen eigenen Blog zu Ihrem Spezialgebiet oder Therapieerfahrungen. Vernetzen Sie sich dabei mit Kollegen, um Arbeit zu teilen und Kompetenzen zu addieren. Initiieren Sie einen virtuellen Qualitätszirkel. Ihre Fans werden für Multiplikation sorgen und neue Patienten zuführen. Liefern Sie Mehrwerte. Aber machen Sie keine vordergründige Werbung.“
Das Web sei ein guter Ort, seine Patienten besser kennen zu lernen. Nirgendwo erhalte der Heilberuf umfassendere, direktere, authentischere und preiswertere Einsichten als im Internet. Das Web wisse, welche Informationen sich Patienten zu welchen Indikationen wünschen. Daher sein Rat: „Gehen Sie dort hin, wo Ihre Patienten sich organisieren. In Social Networks treffen Sie ihre Kunden. Social Media wird immer lokaler – und mobil genutzt. In fünf Jahren wird das Internet mehr mobil genutzt werden als stationär von Zuhause aus. Zukünftig lässt sich der Patient über sein Handy Empfehlungen geben, so wie er Restaurants im lokalen Umfeld sucht. Wer als Apotheker nicht mit Beiträgen oder positiven Ratings in der Community existent ist, wird nicht aufgerufen.“
Quelle: DAZ.online
Autor: Lothar Klein