Von Dr. Klaus Günterberg, Frauenarzt, Berlin
Erst waren es hunderttausende streng geheime Dokumente und brisante Videos der US-Armee über die Kriege im Irak und in Afghanistan, zweifellos auf höchstem technischem Niveau und mit militärischen Verschlüsselungstechniken gesichert. Nun hat WikiLeaks wieder vertrauliche Daten veröffentlicht; diesmal sind es diplomatische Protokolle aus dem US-Außenministerium.
Natürlich sind militärische Berichte und diplomatische Protokolle heutzutage digitalisiert. Natürlich ist der Zugang zu solchen Daten nur Menschen erlaubt, die besonders überprüft, zuverlässig und verschwiegen sind. Und natürlich ist der Zugriff zu solchen Daten bestmöglichst geschützt. Und dennoch sind diese Daten in die Öffentlichkeit gelangt; wie wir inzwischen wissen, von Zugriffsberechtigten kopiert und gestohlen.
Was haben die von WikiLeaks veröffentlichten diplomatischen Protokolle mit der elektronischen Gesundheitskarte zu tun? Diplomatie braucht Vertraulichkeit – wie Medizin auch. Was im Vertrauen auf Verschwiegenheit gesagt wurde, muss auch vertraulich bleiben. Bei dem, was dem Arzt anvertraut wird, geht es schließlich um die intimsten Angelegenheiten der Menschen.
Denkt man an WikiLeaks, drängt sich der Vergleich mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) auf. Ziel dieses Projektes eGK ist – das sollte man nie vergessen – der Aufbau einer deutschen vernetzten Datenbank, die alle Krankheiten, Untersuchungsergebnisse und Behandlungen aller 82 Millionen Bürger unseres Landes erfasst und mit der alle medizinischen Einrichtungen und Kostenträger (Tabelle 1, Zeilen 1-6) verbunden, „vernetzt“ sein sollen.
Auch bei der eGK wird Geheimhaltung versprochen. Allerdings würde bei der eGK nicht nur ein kleiner und überprüfter Kreis Zugang haben, vielmehr sollen (und müssten ggf.) die Mitarbeiter des deutschen Gesundheitswesens und ihrer Softwarefirmen Zugang haben (Tabelle 1), vorsichtig geschätzt ca. 1,35 Millionen Menschen.
Tabelle 1: geplanter Zugang zur eGK-Datenbank
123.000 niedergelassene Ärzte und ihre Mitarbeiter
65.000 Zahnärzte und ihre Mitarbeiter
21.000 Apotheken und ihre Mitarbeiter
2.200 Krankenhäuser und ihre Mitarbeiter
169 gesetzliche Krankenkasse und ihre Mitarbeiter
50 private Krankenversicherungen und ihre Mitarbeiter
2.000 und mehr ? Software-Firmen und ihre Mitarbeiter
WikiLeaks bestätigt: Die größte Gefahr für die Daten scheinbar gesicherter Netze geht nicht von außen, von Hackern, sondern von innen, von den Innentätern aus. Der Skandal um WikiLeaks zeigt auch, dass vertrauliche Daten, wenn sie erst einmal vernetzt und damit vielen Menschen zugängig sind, nicht mehr zu schützen sind. Ganze Archive lassen sich heute bereits auf einen USB-Stick von Fingernagelgröße kopieren und unbemerkt aus jeder Einrichtung heraustragen. Je größer das Netz, umso mehr Menschen haben Zugriff und desto größer ist die Gefahr des missbräuchlichen Zugriffs Zugriffsberechtigter und des Datendiebstahls. Letztlich ist in einem sehr großen Netz keine Sicherheit vertraulicher Daten mehr gegeben. Das ist die wichtigste Lehre aus den Veröffentlichungen von WikiLeaks.
“WIKILEAKS: WAS LEHREN UNS DIE GEHEIMEN DATEN DER US-DIPLOMATEN?” vollständig lesen