Wahnsinnswoche 2016:38

In dieser Woche 132 Patientenkontakte und 5 Terminausfälle. Regelleistungsvolumen ist voll: diese und nächste Woche arbeite ich nur noch ehrenamtlich.


Auslassversuch nach mehr als 10 Jahren Depotmedikation? Meinetwegen, aber Vorsicht: auch wenn es sich so anfühlt, als bräuchten Sie das Zeug nicht mehr – “Mir geht’s doch ganz gut und die Dämonen sind immer noch da!” – das kann ins Auge gehen. Vor allem, wenn Sie dann ein halbes Jahr später plötzlich anfangen, rituelle Feuer auf ihrem Wohnzimmertisch zu entfachen. Wäre besser gewesen, wenn Sie meinem Vorschlag, doch wieder mit dem Depot anzufangen, gefolgt wären. Dann hätte es wohl kein PsychKG gegeben…


Nein: außerhalb der offenen Sprechstunden können Sie NICHT ohne Termin in die Praxis kommen. Entweder bin ich unterwegs, oder ich habe bereits andere Verpflichtungen.


Captain Obvious: “Ihre Stressreaktion kann ihre Gesundheit langfristig beeinflussen.” (Zehn-Jahres-Studie aus Frankreich). Als Anfänger könnten Sie sich eine App besorgen, um sich wieder zu beruhigen. Oder einfach abschalten. SSRI wirken nämlich nicht so gut, wenn Sie dauernd im Stress sind, oder wenn Sie einen attraktiven Job mit hohem Ansehen haben (vielleicht mit viel Stress???). Oder wenn Sie arbeitslos sind. Mann. Das ist vielleicht kompliziert…


Ist die Behandlung von Depressionen einen Euro am Tag wert?


Einige Krankenkassen versuchen, ihre Mitglieder (auf dem Papier) kränker zu machen, als sie eigentlich sind, um dafür Millionen aus dem Risikostrukturausgleich zu kassieren. Heißt “upcoding” und soll knapp eine Milliarde kosten.


Depressiv? Machen Sie Sport. Gehen Sie aus. Besuchen Sie Ihre Familie. Duschen Sie regelmäßig. Erledigen Sie Ihren Haushalt. Wie, das können Sie nicht? Weil Sie ja depressiv sind? Erm… das nennt sich behavioural activation, kurz BA (nein, nicht dieser BA). Wird wohl zurzeit als billige Alternative zur kognitiven Verhaltenstherapie angepriesen, wirkt aber nicht besser als Homöopathie (nein, Homöopathie wirkt auch nicht).


Immer wieder lieb (und teuer): mit der Praxissoftware auf neue Hardware umziehen. Nächtlicher Spaß am Gerät, das im Auslieferungszustand eine alte Betriebssystemversion mitbringt. Die sich nicht updaten lässt. Nach längerem Grübeln: da war doch mal was, neues Updateverfahren oder so. Ging dann mit offline-update.

Next step: wo war nochmal die DVD mit den Office-Programmen? Gibt’s als Download. 80% der Einstellungen mit MOBackup übertragen, 20% in Handarbeit und Nachtschicht. Praxissoftware rüberkopieren – läuft. Bis auf die Druckereinstellungen… händisch eingetragen für jedes Formular. Archivsoftware installiert und rüberkopiert – Daten nicht gefunden. Nach längerem Grübeln: die Installationsroutine hat das Verzeichnis verbogen. Korrekt nachinstalliert.

Zuletzt: Faxhardware und -software einrichten. Die Fritzbox soll das können: FritzFax4Fritzbox installiert – läuft. Kommt bloß nix bei der Gegenstelle an… wieder runter damit, alte FritzUSB angehängt. Wird nicht erkannt. Nach längerem Grübeln: bei der Installation händisch AVM Fritz!X USB installieren, CAPI-Treiber installieren, FritzFax installieren (wo war nochmal die Original-CD?). Läuft jetzt.


Absacker zum Feierabend: üble Stimmungsmache gegen Ärzte. Kontext: [1] [2] [3] [4]

Meet the Sleaford Mods

Selten so viel Spaß an einer neuen Entdeckung gehabt.

Wenn Sie einen Hang zu LoFi-Postpunk haben, wird Ihnen das gefallen:

Es ist immer gut, eine scheinbar ausweglose Situation mit ein paar Witzen aufzulockern. Ich fühlte mich erschöpft und am Ende, wie ein totaler Versager. Umso wichtiger, dass ich mich über mich selbst lustig machen kann. [1]

Müssen Sie lange auf einen Termin beim Psychiater warten?

Müssen Sie eigentlich gar nicht. Dass wissenschaftliche Institut der AOK (ab Seite 96) stellt auf dem Papier eine gravierende Überversorgung mit Nervenärzten fest:

Es praktizieren somit gut ein Drittel mehr Nervenärzte in der vertragsärztlichen Versorgung als in der Bedarfsplanung vorgesehen.

Es sollte also keinen Mangel an freien Behandlungskapazitäten geben. Schon gar nicht im Bergischen Land:

Solingen ist mit 286%, Remscheid mit 241% Überversorgung regelrecht mit Nervenärzten gepflastert.

Bundesweit fehlen gerade mal 1,4 Ärzte; in den überversorgten Gebieten gibt es sogar 1.235 zuviel. Eine Unterversorgung besteht nirgendwo!

Die von Minister Gröhe verordneten Terminservicestellen sind also zumindest bei uns völlig überflüssig. Wenn Sie mal mit offenen Augen durch die Stadt gehen, werden Sie an jeder Ecke mindestens einen Nervenarzt oder Psychiater sehen, der verzweifelt seine freien Termine anbietet…

P.S.: Bei den Psychotherapeuten besteht bundesweit eine Überversorgung von 160%. Das mit den durchschnittlich genannten Wartezeiten von 6 Monaten auf einen freien Therapieplatz dürfte also ebenfalls nur ein Phantom sein.

So schön kann Planwirtschaft sein!

Synchronisation von Nachricht und Werbung

Wie das Anzeigenaufkommen von Unternehmen mit ihrer Darstellung im Spiegel und im Focus korreliert.

Der Spiegel berichtet von Zahlungen der Pharmaindustrie an Ärzte und zitiert einen Forscher, “dass Ärzte, die häufig Pharmareferenten empfangen, auch mehr Medikamente verschreiben. Dazu kommt, dass Ärzte, die auf pharmagesponserte Fortbildungen gehen, im Schnitt höherpreisige Präparate verordnen.” Zudem betonten industrienahe Ärzte die Vorteile von Medikamenten und neigten dazu, Risiken herunterzuspielen.

Ich zitiere ergänzend aus einer Studie des Instituts für Kommunikationswissenschaft der Technischen Universität Dresden:

Im Rahmen der vorliegenden Studie wird erstmals untersucht, wie die Darstellung von Unternehmen in den beiden führenden deutschen politischen Wochenzeitschriften Der Spiegel und Focus mit dem Umfang von Inseraten zusammenhängt, die Unternehmen in diesen beiden Medien schalten. (…) Als zentrales Ergebnis zeigt sich, dass über Unternehmen sowohl im Spiegel als auch im Focus erstens häufiger, zweitens freundlicher, drittens mit mehr Produktnennungen berichtet wird, je mehr Anzeigen diese Unternehmen schalten.

Kein weiterer Kommentar.

Disclaimer: Nachdem es bis 2015 Terminzettel und Kugelschreiber gegeben hat, erhalte ich seitdem keine Zuwendungen der Pharmaindustrie mehr.

"Jeder zweite Deutsche versteht seinen Arzt nicht" – so irreführend wird über eine Studie berichtet

Die Uni Bielefeld hat im Auftrag der AOK eine Studie zur „Gesundheitskompetenz vulnerabler Bevölkerungsgruppen“ gemacht. Die Berichte darüber sind irreführend, und die politischen Statements dazu mehr als fragwürdig.

1. Zu den Fakten: die Studie gibt es hier als Download (pdf).

Befragt wurden jeweils 500 Jugendliche ohne Hauptschulabschluss und Menschen ab 65, jeweils zur Hälfte mit Migrationshintergrund. Wenig überraschend ist das Ergebnis,

dass die Gesundheitskompetenz der befragten sozial benachteiligten Gruppen deutlich unter der durchschnittlichen Gesundheitskompetenz der Allgemeinbevölkerung liegt” (Seite 25) – Lese- und Rechenkenntnisse und damit die funktionale Gesundheitskompetenz seien also eher gering. Hinzu kommen sprachliche Hindernisse: je besser die Deutschkenntnisse, desto höher die Gesundheitskompetenz (Seite 55).

Für eine höhere Gesundheitskompetenz braucht man also zusammengefasst (Captain Obvious lässt grüßen):

  • ein höheres Bildungsniveau
  • bessere Sprachkenntnisse

2. Können Ärzte den vulnerablen Gruppen trotzdem verständlich erklären, was zu tun ist? Ja, können sie:

Der Hausarzt ist für alle Befragten die erste Anlaufstelle bei Gesundheitsfragen. Insgesamt verstehen rund 80% der Befragten die Anweisungen zur Einnahme von Medikamenten (Seite 14, Item 8), und 70% verstehen, was ihr Arzt ihnen sagt (Item 5), und welche Entscheidungen zu treffen sind (Item 13).

Nur jeder Vierte der Befragten aus den vulnerablen Gruppen versteht also seinen Arzt nicht.

3. Wie wird nun über die Studie berichtet?

Jeder zweite Deutsche versteht seinen Arzt nicht – Augsburger Allgemeine

Jeder Zweite versteht seinen Arzt nicht – Tagesspiegel

Viele Patienten in Deutschland verstehen ihre Ärzte nicht – WAZ

Mehr als die Hälfte der Deutschen hat Schwierigkeiten, die Erklärungen seines Arztes zu verstehen – Frankfurter Rundschau

Schreiben die voneinander ab? Professionelle Echolalie?

Nochmal zur Korrektur:

Ein Viertel (jeder Vierte, 25%) der Befragten aus den vulnerablen Gruppen hat Verständnisprobleme – und nicht „mehr als die Hälfte aller Deutschen“: im Durchschnitt ist deren Gesundheitskompetenz nämlich höher als bei den vulnerablen Gruppen, sodass die Verständnisprobleme insgesamt bei deutlich unter 25% liegen dürften.

4. Was sagt unser Gesundheitsminister denn dazu?

Auf seiner Homepage drückt er sich noch versöhnlich aus:

Wichtig ist vor allem auch das Arzt-Patienten-Gespräch, um Patienten die Diagnose und Behandlung verständlich zu erklären. Die sprechende Medizin muss deshalb in der Ausbildung und vor allem auch der Weiterbildung von Ärzten und Pflegenden eine stärkere Rolle spielen.

In der Laienpresse hört er sich dann so an:

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) forderte “ein Recht auf Verständlichkeit”. Es sei nicht nötig, komplizierte Zusammenhänge so auszudrücken, dass Menschen sie nicht verstehen.“ (Augsburger Allgemeine)

Es gebe ein “Recht auf Verständlichkeit“, betonte der Minister. Um komplexe Sachverhalte darzustellen, müsse man nicht in Fachchinesisch verfallen. Aber womöglich gehe es manchem Mediziner mit der Verwendung von schwer verständlichem Vokabular ja auch um eine “Demonstration von Herrschaftswissen“. (Tagesspiegel)

Ein verständlicher Satz eines Arztes muss nicht besser bezahlt werden als ein unverständlicher. Auch ein verständliches Gespräch muss nicht länger sein als ein unverständliches.“ (WAZ)

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) forderte „ein Recht auf Verständlichkeit“. (…) Gröhe lehnt es in diesem Zusammenhang ab, den Medizinern für das bessere Eingehen auf die Bedürfnisse der Patienten mehr Geld zu zahlen. „Ein verständlicher Satz muss nicht besser vergütet werden als ein unverständlicher“, so der CDU-Politiker. (Frankfurter Rundschau)

Professionelles Danebenreden. Krass.

5. Mein Fazit:

  • Deutschland braucht mehr Bildung.
  • Zeitungen sollten die vorliegenden, leicht zu recherchierenden Daten richtig darstellen.
  • Der Gesundheitsminister sollte seinen abwertenden Tonfall überdenken und bekennen, dass er für die ausreichende finanzielle Ausstattung der sprechenden Medizin verantwortlich ist.

16. Mai: MAD PRIDE 2016 IN KÖLN

Rollt, humpelt, tastet euch vor! FEIERT MIT UNS DIE MAD PRIDE 2016 IN KÖLN!

Zum Finale des Sommerblut-Festivals findet wieder die ganz besondere Kundgebung statt: Die Mad Pride wird vom Ehrenfelder Bahnhof nach Odonien ziehen.

Verrückt, behindert, asozial, unnormal, nicht dazugehörig – selten sind alle Menschen zusammen auf den Straßen Kölns zu sehen – bei der Mad Pride sind alle dabei. Es gibt bisher nur eine weitere Parade in Berlin.

Im Mittelpunkt der Mad Pride stehen Lebendigkeit, Vielfalt, Kreativität, Lebenslust und der Stolz von Menschen, die anders sind. Die Mad Pride lebt Inklusion mit einem fröhlich bunt verrückten Eigensinn. Mit der Mad Pride tritt Sommerblut für seine Vision der kulturellen Teilhabe für alle Menschen ein – unabhängig von Behinderung, ethnischer und soziler Herkunft, Alter, Geschlecht, sexueller Orientierung und Religion.

Irgendwie nicht normal? Alle sind eingeladen, sich uns solidarisch anzuschließen. Zusammen geht es mit der Musikgruppe Kwaggawerk, Transparenten, Farben und Kreativität nach Odonien zur Abschlusskundgebung. Die Parade ist initiiert vom Verein Inklusion und Kultur und einem breiten Bündnis aus der Behindertenselbsthilfe, zu dem auch der Landesverband Psychiatrie-Erfahrener NRW gehört.

Pfingstmontag, 16. Mai 2016, 15:00 Uhr
Start: vor dem Café Goldmund, Glasstraße 2, 50823 Köln (Ehrenfeld)
Ziel: Odonien, Hornstr. 85, 50823 Köln (Neuehrenfeld)

Über Suizide wird nicht berichtet

Sebastian Fellner schreibt im Standard über die Frage, ob bzw. wie man über Suizide berichten darf / soll / muss:

Wenn es darum geht, Suizide zu verhinden, müssen auch wir Journalisten unsere Verantwortung wahrnehmen – das bedeutet in diesem Fall, sich vom alten Stehsatz “Über Suizide schreibt man nicht” zu verabschieden.

Wenn man über Suizid schreibt, ist allerdings das Wie von weitaus größerer Bedeutung als das Ob.

derStandard.at zum diesjährigen Welttag der Suizidprävention am 10.9.2015

Terminservicestelle Varresbeck

Zum planwirtschaftlichen Unfug der mit dem ab 1.8.2015 geltenden VSG einzuführenden “Terminservicestellen” hatte ich im Januar 2014 schon mal etwas geschrieben. Auch andere haben ihre Meinung dazu gesagt:

Unsinn“, so KBV-Chef Gassen, „aber immerhin haben wir jetzt ein Mitspracherecht bei der Umsetzung“. Na toll…

“…ein wichtiger Schritt zum Abbau der Zwei-Klassen-Me­dizin”, befand Karl Lauterbach (SPD), und Jens Spahn (CDU) meinte, man müsse das Thema “endlich abräumen“.

Dr. med. Jens Schweizer verweist darauf, dass die “Terminservicestellen” einmalig Einrichtungskosten zwischen 13 und 20 Millionen Euro erfordern werden sowie jährlich zwischen 16,5 und 20 Millionen Euro.

In jedem Fall wird es Bereiche geben, “bei denen die von der Regierung vorgesehene Regelung ins Leere läuft” (Jürgen Wasem).

Dabei war doch die Zugänglichkeit medizinischer Leistungen grundsätzlich auf hohem Niveau auch schon vor der Gesetzesänderung gewährleistet, betonte seinerzeit die Bundesregierung.

Worauf ich hinaus will? Ich musste neulich über meinen Terminservice nachdenken…

In den letzten Jahren hatte ich Patienten, die neu in meine Praxis kommen wollten, immer Termine angeboten. Man braucht ja Zeit und Ruhe, um sich kennenzulernen und Ideen zu entwickeln. Wegen der anhaltend hohen Nachfrage hat es zwischen Terminvereinbarung und Termin meist vier bis acht Wochen gedauert.

Bedauerlicherweise wird rund ein Drittel dieser Termine von “no-shows” missbraucht. Ich kann in der Leerlaufzeit nichts anderes machen, und Zuverlässigere müssen dafür länger auf ihre Termine warten.

Weil die Terminausfälle in der letzten Zeit eher noch zugenommen haben, mache ich das jetzt anders:

Wer meinen Rat braucht, kann zur offenen Sprechstunde (aber nur zu dieser) kommen: Montag oder Freitag von 10 bis 11, Donnerstag von 15 bis 16 Uhr. Ich mache ein Screening von vielleicht 10 Minuten Dauer und entscheide danach, ob ich eine Behandlung anbieten kann.

Wenn Sie von diesem Angebot Gebrauch machen wollen, bringen Sie bitte Zeit mit. Im Durchschnitt beträgt die Wartezeit um die 30 Minuten, aber es können auch schonmal drei Stunden werden.

Ich versuche zwar, die offenen Sprechstunden nicht engmaschig zu belegen, aber es kommt regelmäßig vor, dass ich etliche Leute auch zu diesen Zeiten bestelle, um etwas zu besprechen. Daher wird es immer wieder vorkommen, dass ich vor Ihnen andere Patienten aufrufe, die erst nach Ihnen aufgetaucht sind.