Aufhören damit!

Pünktlich zum bevorstehenden Ärztetag der Basis forderte AOK-Vorstand Deh gestern auf der KBV-Versorgungsmesse eine stärkere Ausrichtung der ambulanten Versorgung auf Ergebnisqualität. Dieses Ansinnen (und auch der unkritische Vorschlag, im Gesundheitswesen – in einem
Bereich ohne Markt – einen
künstlichen Wettbewerb zu inszenieren), wird am 20.4.2013 von mindestens einem der Referenten aufgegriffen und kritisiert werden.

Prof. Binswanger hat zu diesem Themenkomplex verschiedene Arbeiten veröffentlicht. Seinen Aussagen zufolge sollten sich Ärzte diesem staatlich inszenierten Unsinn nicht anpassen, da sie ansonsten ihre intrinsische Motivation verlieren.

Hoffnung für Borderliner

Verlauf und Prognose der emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (ICD10 F60.3) sind günstiger, als oft angenommen:

Offensichtlich verschwindet die Störung bei vielen im Lauf des Lebens, weil die Betroffenen Selbstheilungskräfte entwickeln, die es ihnen ermöglichen, die Krankheitssymptome zu kompensieren (RAHN).

Der Langzeitverlauf der Borderline-Persönlichkeitsstörung ist besser als der Kurzzeitverlauf: über 40% der jemals-remittierten Borderline-Patienten erhielten zum Zeitpunkt eines Sechs-Jahres-Follow-up einen GAF-Wert im guten Bereich, und über 65 % hatten ein gutes allgemeines psychosoziales Funktionsniveau erreicht oder beibehalten. Das psychosoziale Funktionsniveau von remittierten Patienten verbesserte sich im Lauf der Zeit. Insgesamt ergibt sich ein positiveres Bild zur Entwicklung der Borderline-Persönlichkeitsstörung als in früheren Studien (ZANARINI).

Fast die Hälfte stationärer Borderline-Patientinnen wünscht sich Arbeit in einem helfenden Beruf, 18% arbeiten in einem solchen. Es gibt keine Studien, in denen Zusammenhänge zwischen Borderline-Struktur und dem Ergreifen eines helfenden Berufs untersucht wurden. Daher ist keine Aussage darüber möglich, wie groß die Chance beruflichen Erfolgs oder wie hoch das Risiko des Scheiterns ist. Bei entsprechender Fähigkeit zur Selbstfürsorge und Distanzwahrung (die man durchaus erlernen kann) stellt die Diagnose allein kein absolutes Ausschlusskriterium dar (DULZ).

Das schulische und berufliche Ausbildungsniveau der Diagnosegruppe F60.3 entsprach 2004 in etwa dem der deutschen Durchschnittsbevölkerung. Die BPS findet sich fast nie als Begründung für einen Rentenantrag. 40% der an BPS erkrankten Bevölkerung leben hoch funktionsfähig. Eine Heilung der BPS erscheint möglich und setzt die psychosoziale Integration voraus. Die Nachhaltigkeit einer einmal erreichten Remission stützt sich wiederum essenziell auf eine umfassende soziale und individuell adäquate berufliche Integration. Eine dem individuellen Niveau der Patienten angemessene soziale wie berufliche Integration hilft, negative Prägungen zu bewältigen. Eine zufriedenstellende, erfolgreiche berufliche Funktion ist für Patienten mit BPS sogar ausschlaggebendes Merkmal für einen guten psychosozialen Status. Eine intensive psychosoziale Begleitung und Analyse beruflicher Schwierigkeiten ist aber unverzichtbar, um krankheitsbedingte Ursachen aufzudecken und zu verarbeiten (GESCHER).

Quellenangaben auf der Folgeseite

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Neue Formen der Korruptionsbekämpfung

Schon wieder werden niedergelassene Ärzte allgemein unter Korruptionverdacht gestellt. Eine AOK fordert mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften, und eine CDU-Justizministerin will das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient stärken, indem sie das Strafrecht verschärfen will. Sie begründet das damit, dass das Vertrauensverhältnis nur gewahrt bleiben könne, wenn sich der Patient hundertprozentig sicher sein könne, dass der Arzt ausschließlich im Interesse der Gesundheit des Patienten handele.

Damit spricht sie sich eigentlich gegen die seit langem bestehenden Einschränkungen der Therapiefreiheit durch Arznei- und Heilmittelregresse und durch vorgegebene “Regelleistungsvolumina” aus.

Ich finde, dass diese Vorschläge viel zu kurz greifen.

Jeder Arzt sollte aktiv nachweisen müssen, dass er nicht korrupt ist und sich beispielsweise nicht von Arznei- und Heilmittelbudgets oder von den RLV korrumpieren lässt.

Dieser Nachweis kann über mindestens drei erfolgreich gegen den Arzt verhängte Regresse in mindestens fünfstelliger Höhe, sowie durch mindestens einhundertfünfzigprozentige Sollübererfüllung in mindestens vier aufeinander folgenden Quartalen über das RLV hinaus erbracht werden.

Zusätzlich müssen Vertreterbesuche sorgfältig im Wortprotokoll dokumentiert werden; auch pivate Restaurantbesuche oder Reisen müssen mit entsprechenden Belegen und notariell beglaubigten Zeugenaussagen unbeteiligter Dritter legitimiert werden.

Erst dann kann man nur noch von einem dringenden Korruptionsverdacht, aber nicht mehr von erwiesener Korruption ausgehen.

Der MEDI-Verbund hat zu diesem Thema eine lesenswerte Stellungnahme veröffentlicht.

Ach ja: die Sache mit dem Glashaus und den Steinen… die CDU-Kollegin sollte sich primär mit den Aktivitäten ihrer Regierungsparteien befassen, die aktuell ganz neue Formen der Korruption entwickeln.

260 Euro für einen Hausbesuch

Die Jobcenter sollen jetzt verstärkt “Blaumacher enttarnen“, denn “trotz einer vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung könnten im Einzelfall Zweifel an der Erkrankung bestehen”. Verdächtige werden zum medizinischen Dienst der Krankenkassen vorgeladen, und der soll entscheiden, ob jemand wirklich krank ist oder nur so tut.

Unabhängig davon, dass eine solche Misstrauenskultur speziell bei psychisch Kranken zu einer unnötigen Verschlimmerung der Symptomatik führen kann, und dass dieser planwirtschaftliche Kontrollzwang schon fast wahnhafte Züge annimmt, entstehen dadurch auch noch zusätzliche Kosten, die in einem unbekannten Verhältnis zu dem nicht näher bezifferten, finanziellen Schaden durch “Blaumachen” stehen. Nach meiner Einschätzung werden die Kosten des Verfahrens um ein Vielfaches höher sein, als der zu erwartende Nutzen (nicht nur wegen der zu erwartenden Sozialgerichtsverfahren, die sich mit der Rechtmäßigkeit dieses Vorgehens werden befassen müssen).

Nein, auch die Verfahrenskosten selbst sind erwartungsgemäß hoch. Da der MDK keine Unterorganisation der Arbeitsagentur, sondern der Krankenkassen ist, müssen den Kassen natürlich ihre Auslagen erstattet werden: für eine Entscheidung nach Aktenlage werden 130 €, mit Untersuchung 210 €, und für einen Hausbesuch sogar 260 € fällig.

Wenn man dem gegenüber stellt, dass die umfassende Behandlung eines psychisch kranken Menschen für volle drei Monate mit knapp 50 € abgehakt wird, und dass ein Hausbesuch mit 28 € schon mehr als die Hälfte davon verbraucht, dann bekommt man ein klares Gefühl für die Perversion dieses Systems Fehlallokation der Mittel: die Kontrollbürokratie macht sich selbst fett, während die richtige Arbeit mit richtigen Menschen misstrauisch abgewertet wird.

Krankenkassenrekorde

Die Krankenkassen haben aus den Beiträgen ihrer Mitglieder eine “Rekordreserve” in Höhe von mittlerweile 28 Milliarden (!) Euro zusammengetragen.

Sie kommen nun aber nicht auf die Idee, damit für eine angemessene Bezahlung der ambulanten medizinischen Versorgung zu sorgen. Nein, die Behandlung eines psychisch kranken Menschen beispielsweise ist ihnen (in Nordrhein) gerade mal 13,50 € im Monat wert.

Die Bonuszahlungen an ihre Vorstände scheinen ihnen wichtiger zu sein…

Aber: sie wollen Prämien an die Beitragszahler ausschütten. 700 Millionen € statt, wie 2012, nur 53 Millionen (dann bleiben immer noch über 27 Milliarden übrig).

Haben Sie denn wenigstens Ihre Prämie schon erhalten? Was haben Sie denn bekommen?

Broschüre: Medikamente bei psychischen Erkrankungen

Der Bundesverband der Angehörigen psychisch Kranker e.V. (BApK) hat eine Broschüre zum Thema „Medikamente bei psychischen Erkrankungen“ herausgegeben. Es werden unterschiedliche Stoffgruppen wie Neuroleptika, Antidepressiva, Phasenprophylaktika, Beruhigungs- und Schlafmittel sowie Medikamente gegen Aufmerksamkeitsdefizitstörungen behandelt.

Insbesondere widmet sich die Broschüre Antworten auf Fragen, die Familien psychisch Kranker zu Psychopharmaka stellen. Dazu gehören: Wie wirken die Medikamente auf das Gehirn? Bei welchen Symptomen werden sie eingesetzt? Welche Nebenwirkungen können auftreten? Wie wirken sie sich in Schwangerschaft und Stillzeit aus? Welche Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten gibt es? Wie lässt sich eine optimale Dosis finden? Was ist bei einer langfristigen Behandlung zu beachten? Wann und wie kann man sie absetzen? Die Angaben sind ausgewogen und allgemeinverständlich.

Die Broschüre ist im „familien selbsthilfe psychiatrie“-Verlag erschienen. Bestellt werden kann sie gegen eine geringe Gebühr unter www.psychiatrie.de/bapk/publikationen/medikamente.