Evidenzbasierte Mediziner entdecken die Transparenz

Jüngst war aufgeflogen, dass der einflussreiche Schmerzforscher Scott Reuben eine Reihe von Studien frei erfunden hatte, die zu einem großen Teil von Pfizer und Purdue (in Deutschland Mundipharma) finanziert worden waren. Reubens Veröffentlichungen fielen stets positiv für die einschlägigen Produkte der Geldgeber aus und hatten auch Eingang in die deutschen Leitlinien zur Akutschmerztherapie gefunden.

In der deutschen Presse meldeten sich daraufhin eine ganze Reihe von Schmerzexperten zu Wort, die einen Einfluss der gefälschten Studien auf die deutsche Therapiepraxis zum Schaden von Patienten trotz des Eingangs in die Leitlinien unisono als eher unwahrscheinlich bezeichneten. Uns fiel auf, dass die zitierten Experten noch eine weitere Gemeinsamkeit haben: Sie verfügen über finanzielle Verbindungen zu Pfizer und/oder Mundipharma, die in den Presseartikeln nicht zur Sprache kamen.

Pikanter Aspekt am Rande: Bei Prof. Edmund Neugebauer, der u.a. in der Süddeutschen Zeitung zitiert worden war und dessen finanzielle Verbindungen zu Pfizer wir erst nach vergleichsweise intensiver Recherche zu Tage förderten – die entsprechende Seite war nicht im Google-Suchindex enthalten – handelt es sich um den 1. Stellvertretenden Vorsitzenden des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin (DNEbM), eines Vereins, der sich der streng wissenschaftlichen Bewertung von medizinischen Behandlungen verschrieben hat und deshalb von der Pharmaindustrie eher als Gegner denn als Freund betrachtet wird.

Offenbar wachgerüttelt durch unseren Artikel, ist das DNEbM nun in die Offensive gegangen. In einer Pressemitteilung des DNEbM heißt es:

Eine Besonderheit an Interessenkonflikten ist, dass ihre Bewertung dem Urteil der anderen unterliegt. Auf der einen Seite verschweigen Betroffene ernsthafte potenzielle Interessenkonflikte, weil sie sich selbst für unbeeinflusst halten. Auf der anderen Seite werden Hinweise auf potenzielle Interessenkonflikte auch immer wieder zur öffentlichen Diskreditierung von seriösen Experten benutzt.

Das Deutsche Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V. (DNEbM) will zur Auflösung dieses Dilemmas beitragen. Es hält dazu eine unvoreingenommene und sachliche Auseinandersetzung mit den Fragen und Problemen für nötig, welche Interessenkonflikte aufwerfen.

Ein transparenter Umgang mit potenziellen Interessenkonflikten ist schließlich auch nötig, um das Vertrauen in Wissenschaft und Forschung zu erhalten.

Aus dieser Überzeugung heraus, veröffentlichen die Mitglieder des Vorstands und die Beisitzer des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin e. V. am 6. Mai 2009 Erklärungen zu ihren potenziellen Interessenkonflikten auf der Netzwerk-Internetseite: http://www.ebm-netzwerk.de/wir_ueber_uns/interressenkonflikte.

Eine kurze Durchsicht der angegebenen Interessenkonflikte zeigt, dass im Kreis der DNEbM-Funktionäre nur Neugebauer recht intensive finanzielle Verbindungen zur Pharmaindustrie zu pflegen scheint. Eine Beratungstätigkeit für Pfizer im Zusammenhang mit der offenbar im Hintergrund von Pfizer initiierten und/oder getragenen Initiative Schmerzfreie Klinik, die er an anderer Stelle nennt, gibt Neugebauer in dieser Erklärung nicht an. Weiterhin vermeldet er eine Vortragstätigkeit u.a. für den Pfizer-Konzern und gibt nun auch Verbindungen zu anderen Pharmakonzernen an, darunter Mundipharma. Während die Erklärungen seiner Kollegen überwiegend stärker ins Detail gehen, verzichtet Neugebauer auf Aussagen über die Höhe der erhaltenen Honorare.

Report Mainz berichtet kritisch über FSME-Impfung

Kein TV-Politmagazin ohne ein Beitrag über die Pharmaindustrie. Am Montag berichtete das ARD-Magazin “Report Mainz” unter dem Titel “Panikmache bei Zeckenschutzimpfungen – Die verantwortungslosen Kampagnen der Pharmaindustrie” (Video).

Als Aufhänger für den Beitrag dient ein Kind, das vermutlich einen Impfschaden durch eine FSME-Impfung erlitten hat und nun ein Pflegefall ist. Das wird im Beitrag nicht weiter belegt, erscheint aber nach der aktuellen Einschätzung des Arzneitelegramms auch nicht unplausibel (a-t Juli 2007):

Bleibende neurologische Schäden sind bei Kindern eine “Rarität” (a-t 2002; 33: 27), Impfstoff-Unverträglichkeiten jedoch sehr häufig: 28% der Ein- bis Zweijährigen bzw. 7% der Drei- bis Fünfjährigen reagieren auf FSME-IMMUN JUNIOR mit Fieber von 38-39° Celsius, 3% bzw. 0,6% mit Temperaturen von 39,1-40° Celsius.6 Kopfschmerzen sind sehr häufig. Nervenentzündungen, Enzephalitis u.a. kommen vor.

Hauptthema des ARD-Berichts ist die Diskrepanz zwschen den tatsächlichen Risiken der FSME und den von den Impfstoffherstellern getragenen öffentlichen Kampagnen. Für Leser dieses Blogs nichts fundamental Neues.

Überraschend allerdings, dass sich ausgerechnet das Robert-Koch-Institut (RKI) im Beitrag von den Kampagnen der Industrie distanziert. Hatte doch gerade das RKI mit einer Neudefinition der “FSME-Risikogebiete” die entscheidende Munition für die Impfkampagnen der letzten Jahre geliefert. Dazu noch einmal das Arzneitelegramm 7/2007:

Die Idee könnte aus den Marketingabteilungen der Hersteller von FSME-Impfstoffen stammen: Seit einigen Wochen verzichtet das Robert Koch-Institut (RKI) auf die früher übliche Unterscheidung zwischen Hochrisiko- und Risikogebiet sowie Regionen mit geringer FSME-Endemizität.1 Jetzt gibt es nur noch “Risikogebiete”. Das sind nach neuer Definition Land- (LK) und Stadtkreise (SK), in denen die Inzidenz der gemeldeten FSME-Erkrankungen im Zeitraum 2002 bis 2006 höher als 1 pro 100.000 Einwohner war. Tatsächlich wird diese – bereits sehr niedrig angesetzte – Inzidenzgrenze aber lediglich in 80 (62%) der 129 jetzt als Risikogebiet bezeichneten Kreise erreicht.* Außerdem werden Kreise mit geringerer FSME-Inzidenz definitionsgemäß zum Risikogebiet, wenn alle angrenzenden Kreise signifikant erhöhte Erkrankungsraten aufweisen. 33 Stadt- und Landkreise erhalten allein durch diese Neudefinition den Status eines Risikogebietes.1 Dabei wurden in sieben dieser “Risikogebiete” bislang “niemals FSME-Erkrankungen erworben”: SK Ansbach, LK Germersheim, LK Hohenlohekreis, SK Mannheim, LK Rhein-Pfalz-Kreis, SK Speyer und SK Worms.1 In Artikeln der Tagespresse und auch der Ärztezeitung2 wird all dies nicht erläutert, sondern die größere Zahl der Risikogebiete mit zunehmender Ausbreitung des FSME-Risikos gleichgesetzt. Der Run auf die Impfung und die damit verbundenen Lieferengpässe sind somit hausgemacht.

Tarnen und täuschen

Die Abhängigkeit der renommierten Wissenschaftsverlage von der Pharmaindustrie ist ein bekanntes Ärgernis.

Platzhirsch Elsevier (u.a. “Lancet”) hat nun sein Geschäftsmodell zuende gedacht und das “Australasian Journal of Bone and Joint Medicine (AJBJM)” gleich vollständig vom Pharmakonzern Merck & Co. konzipieren und finanzieren lassen:

Tatsächlich ist bzw. war das AJBJM (die letzte Ausgabe erschien im Jahr 2003) offenbar eine gut getarnte Werbepostille, die nur einem Zweck diente: nämlich Medikamente aus dem Hause Merck [Anm.: gemeint ist Merck & Co., hierzulande bekannt als MSD] positiv darzustellen. Erreicht wurde das mit einem Mix aus konzernfreundlichen Versatzstücken der Fachliteratur – der Abdruck bereits anderswo publizierter Studien mit entsprechenden Resultaten, “Reviews”, also “Übersichtsartikel”, die lediglich zwei (passende) Quellen zitieren, und bislang unpubliziertes aber genehmes Forschungsmaterial, das keine Chance hätte, in einem Journal mit Qualitätskontrolle veröffentlicht zu werden.

Lesertäuschung im Dienste der Pharmaindustrie hatte auch der Burda-Verlag mit seiner Wartezimmerpostille “Bunte Gesundheit” für sich als Geschäftsmodell entdeckt, damit allerdings nicht wie Elsevier auf Ärzte und Wissenschaftler gezielt.

Von Wanderungen und Wanderlagern

Die BILD-Zeitung druckte in ihrer Münchner Ausgabe in den vergangenen Tagen folgende Annonce:

Diese Anzeige ist in mehreren Punkten bemerkenswert. (Und damit ist keineswegs nur die Tatsache gemeint, dass ein werblicher Inhalt mit dem Protagonisten Bankhofer als “Anzeige” gekennzeichnet ist.)

1. Die im Kleingedruckten genannte Firma “VKMK GmbH” konnte ich im Handelsregister nicht finden.

2. Der Ort, an dem die Wanderung stattfinden soll, wird nicht genannt.

3. Es wird kein Abfahrtstermin genannt.

4. Als Anschrift des Veranstalters wird eine Postfachadresse angegeben.

5. Die (je Richtung) einstündige Busfahrt ist für die Teilnehmer kostenlos.

Alle diese Merkmale sind typisch für unseriöse Kaffeefahrten. Bei diesen werden den teilnehmendem Senioren zunehmend überteuerte Medikamente und Medizinprodukte anstelle von Heizdecken angedreht, was ja thematisch zum Protagonisten passen würde. Juristisch handelt es sich bei einer Kaffeefahrt um ein “Wanderlager”. Den gesetzlichen Anforderungen an die Ankündigung eines solchen Wanderlagers würde die Anzeige bei weitem nicht genügen.

Eine Internetrecherche fördert schnell zu Tage, dass die in der Anzeige genannte Veranstaltung am 17.4. ab 15 Uhr im bayerischen Kneipp-Kurort Bad Wörishofen stattfindet. Eine Nachfrage beim dortigen Ordnungsamt ergibt, dass es sich bei der Wanderung mit Vortrag und Kurkonzert um eine gemeinsame Veranstaltung von Hademar Bankhofer und der dortigen Kurdirektion handelt.

Das Potential für den Veranstalter der Busreise aus München, seine Kosten zu refinanzieren, dürfte deshalb eher vor dem offiziellen Veranstaltungsbeginn liegen. Es ist möglich, dass Hademar Bankhofer selbst von dieser fragwürdigen Anreisemöglichkeit aus München keine Kenntnis hat.

Der Kurdirektor von Bad Wörishofen zeigt indes auch auf Nachfrage wenig Interesse daran, den Vorgang aufzuklären.

Wo auch immer eine von Ihnen geschilderte Veranstaltung stattfindet, bei uns nicht. Nach der Wanderung wird Herr Bankhofer im Kursaal einen Vortrag halten, anschließend gibt es ein Konzert.

"Destroy them where they live"

Über den Umgang der Pharmaindustrie mit kritischen Medizinern:

Staff at US company Merck &Co emailed each other about the list of doctors – mainly researchers and academics – who had been negative about the drug Vioxx or Merck and a recommended course of action.

The email, which came out in the Federal Court in Melbourne yesterday as part of a class action against the drug company, included the words “neutralise”, “neutralised” or “discredit” against some of the doctors’ names.

It is also alleged the company used intimidation tactics against critical researchers, including dropping hints it would stop funding to institutions and claims it interfered with academic appointments.

“We may need to seek them out and destroy them where they live,” a Merck employee wrote, according to an email excerpt read to the court by Julian Burnside QC, acting for the plaintiff.

(Quelle)

Traumberuf Medizinjournalist (XIV)

Heute ist wieder so ein Tag, an dem die Medizinjournalisten in aller Welt zur Hochform auflaufen. Nur die Kollegen aus Deutschland sind noch ein wenig in Verzug. Selbst “focus.de” ist bis jetzt noch nicht am Start.

Wunderpille gegen Herzerkrankungen (der Standard)
‘Superpill’ may cut heart disease: study (AFP)
Polypill cuts stroke risk by half (Livemint)
Five-in-one ‘polypill’ can halve risk of heart disease, says study (Guardian)
Polypill ‘significantly reduces the risk of heart disease and strokes’ (Telegraph)

Worin genau liegt die Sensation? Eine Studie eines kanadischen Wissenschaftlers mit umfangreichen Verbindungen zur Pharmaindustrie hat im Auftrag einer indischen Pharmafirma gezeigt, dass die gemeinsame Einnahme von fünf Wirkstoffen einige ausgewählte Laborparameter ähnlich stark beeinflusst, als würde man die Wirkstoffe einzeln schlucken.

Der in vielen Schlagzeilen behauptete klinische Nutzen, der bei der Primärprävention von Herzinfarkten und Schlaganfällen schon für die Einzelwirkstoffe fraglich ist, war noch nicht einmal Gegenstand der Untersuchung.

Traumberuf Medizinjournalist (XIV) (Update)

Heute ist wieder so ein Tag, an dem die Medizinjournalisten in aller Welt zur Hochform auflaufen. Nur die Kollegen aus Deutschland sind noch ein wenig in Verzug. Selbst “focus.de” ist bis jetzt noch nicht am Start.

Wunderpille gegen Herzerkrankungen (der Standard)
‘Superpill’ may cut heart disease: study (AFP)
Polypill cuts stroke risk by half (Livemint)
Five-in-one ‘polypill’ can halve risk of heart disease, says study (Guardian)
Polypill ‘significantly reduces the risk of heart disease and strokes’ (Telegraph)

Worin genau liegt die Sensation? Eine Studie eines kanadischen Wissenschaftlers mit umfangreichen Verbindungen zur Pharmaindustrie hat im Auftrag einer indischen Pharmafirma gezeigt, dass die gemeinsame Einnahme von fünf Wirkstoffen ausgewählte Laborparameter ähnlich stark beeinflusst, als würde man die Wirkstoffe einzeln schlucken.

Der in vielen Schlagzeilen behauptete klinische Nutzen, der bei der Primärprävention von Herzinfarkten und Schlaganfällen schon für die Einzelwirkstoffe fraglich ist, war noch nicht einmal Gegenstand der Untersuchung.

Update: Na also, geht doch. Focus Online gewinnt wie in erwartet den nationalen Geschwindigkeitspreis mit dem Titel “Kombi-Pille: Alleskönner für den Herzschutz”.