Grippeviren zunehmend resistent gegen Tamiflu®…

Ausgerechnet die am Sitz des Tamiflu®-Herstellers Roche erscheinende Basler Zeitung meldet heute in ihrer Online-Ausgabe, dass das einst als Wundermittel gefeierte Grippemedikament kaum noch helfen soll. Sie bezieht sich dabei auf namentlich nicht genannte Wissenschaftler:

Virologen der Universität Genf warnen, dass Oseltamivir diesen Winter gegen bis zu 80 Prozent der Influenza-A-Viren nichts mehr ausrichten könnte. In der vorletzten Saison lag die Resistenz bei rund 18 Prozent, wie das nationale Influenza-Zentrum feststellte.

Völlig überraschend käme diese Entwicklung nicht. Sollte die genannte Zahl tatsächlich stimmen, dürfte eine der spektakulärsten und erfolgreichsten Pharma-Marketingkampagnen der vergangenen Jahre dem Ende entgegengehen. Damit könnte sich auch die Diskussion schneller als erwartet erledigt haben, ob nach dem bevorstehenden Ablauf des Haltbarkeitsdatums der öffentlich bevorrateten Tamiflu®-Bestände ein Austausch der Packungen (oder Fässer) sinnvoll ist.

Update 4.12.:

Begleitet war der Artikel noch von einem Interview mit einem Mitarbeiter des Schweizer Bundesamtes für Gesundheit, der mit etwas anderen Zahlen hantiert. Er spricht von “zufälligen Mutationen'”, die dazu geführt hätten, dass in der vergangenen Saison in Norwegen bereits 60% der untersuchten Viren resistent gewesen seien, und nennt für die Schweiz die Zahl “knapp 20 Prozent” für die “vergangene Saison”. Möglicherweise sind das aber auch die im Artikel genannten “18 Prozent aus der vorletzten Saison”.

Neben dem Interview noch ein Dementi des Herstellers:

Das Grippe-Medikament Tamiflu könnte gegen bis zu 80 Prozent der Viren nicht mehr wirken, warnen Forscher. Hersteller Roche weist diese Schätzung zurück. Richtig angewendet, wirke Tamiflu sehr gut gegen Grippe.

Die Cochrane Collaboration als Gehilfe der Pharmaindustrie

Die Cochrane Collaboration ist eine Organisation, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, Ärzte mittels systematischer Übersichtsarbeiten zu medizinischen Fragestellungen den Weg durch den Dschungel der medizinischen Fachliteratur zu ersparen. Gerne sieht sie sich dabei in einer unabhängigen und kritischen Rolle, wachsam und gefeit gegen die Manipulationen der Pharmaindustrie:

Sie sind die Rebellen der Medizin. Ihre Waffe ist die Evidenz, sie glauben also nur, was sich beweisen lässt. Es sind junge Enthusiasten und arrivierte Professoren der Cochrane Collaboration, die nur ein Ziel haben. “Wir wollen, dass es weniger wahrscheinlich wird, dass Ärzte ihre Patienten töten”, sagt Iain Chalmers, der die Organisation vor 16 Jahren gegründet hat.

Bei den Veröffentlichungen der Cochrane Collaboration handelt es sich üblicherweise um systematische Reviews, in denen der Versuch unternommen wird, den aktuellen Wissensstand zu einer bestimmten Fragestellung zusammenzutragen und zu interpretieren, häufig kombiniert mit einer Meta-Analyse, einer Zusammenfassung der Einzelstudien mit statistischen Methoden.

Eine positive Bewertung eines Medikaments durch ein Cochrane-Review führt zu Jubelstürmen in den Marketingabteilungen der Pharmaindustrie. Selbst die BILD-Zeitung kommt dann nicht umhin, Cochrane-Bewertungen zu zitieren:

„Champix“ – die Super-Pille gegen Rauchen

[…]
Nach ersten Studien kamen Forscher der Cochrane Library für Medizin zu dem Ergebnis, dass Raucher ihre Erfolgsaussichten bei einem Entzug mit Vareniclin verdreifachen. Als Nebenwirkung sind bisher nur Übelkeit und Kopfschmerzen bekannt.

Nun gibt es jedoch eine Reihe von Gründen, die Ergebnisse solcher Metaanalysen skeptisch zu betrachten. Das bekannteste Problem ist der Publication Bias: Unveröffentlichte (negative) Resultate klinischer Studien zu einem Medikament können keinen Eingang in eine von unabhängiger Seite durchgeführte Metaanalyse finden. Das Ergebnis von Metaanalysen ist deshalb häufig zugunsten des Medikaments und im Sinne der Hersteller verzerrt.

Hier im Blog habe ich im Zusammenhang mit dem von der BILD-Zeitung angeführten Cochrane-Review auf ein weiteres Problem hingewiesen: Sind die Ergebnisse der meist herstellerfinanzierten Studien systematisch verzerrt – im Fall Champix® (in den USA Chantix®) u.a. durch die unvollständige Verblindung der klinischen Studien – dann findet sich das Ergebnis dieser Verzerrung auch im Ergebnis der Metaanalyse. Garbage in, garbage out.

Der Mehrwert für das Marketing durch die Zusammenfassung von methodisch fragwürdigen Studien zu einem “Paket” mit einem unabhängigen Bewertungssiegel liegt auf der Hand. Fast erinnert das Verfahren an ein in jüngster Zeit ins Gerede gekommenes aber höchst erfolgreiches Geschäftsmodell: Aus eine Reihe von windigen Hypothekenkrediten ließ sich durch Zusammenfassung zu einem “Zertifikat”, welches durch eine namhafte Ratingagentur wohlwollend bewertet wurde, ein erfolgreiches Finanzprodukt zusammenzimmern.

Dieses Potential hat die Pharmaindustrie natürlich erkannt und tut ihr bestes, auf das Erscheinen möglichst positiv ausfallender Cochrane-Reviews hinzuwirken. Ein Beispiel hierfür findet sich in der Dezember-Ausgabe des arznei-telegramms: Auch hier geht es um ein Pfizer-Medikament, und zwar das Präparat Neurontin®:

Auffällig ist, wie Pfizer mit verschiedenen Arbeitsgruppen der Cochrane Collaboration umgeht. Eine Autorengruppe, die sich mit Gabapentin bei bipolarer Störung befasst, fragt mehrfach vergeblich beim Hersteller nach nicht publizierten Studiendaten und gibt schließlich das Projekt auf. Mit einer anderen Arbeitsgruppe zu Gabapentin bei neuropathischem Schmerz entwickelt sich dagegen eine gedeihliche Zusammenarbeit. Dies wird unter anderem in einer internen Mail 2001 offensichtlich: “Das ist eine potenziell große Gelegenheit für Pfizer, da wir den Bereich formulieren und gestalten können… Die Metaanalyse, von der wir beabsichtigen, sie durch die Oxford Schmerz Arbeitsgruppe (H.J. McQUAY) erstellen zu lassen…”

Die Bemühungen von Pfizer haben sich offenbar gelohnt:

Das gefällige Cochrane-Review, dessen Autoren keinen Interessenkonflikt deklarieren, ist seit 2005 ohne Daten aus der großen Negativstudie 945-224 veröffentlicht. Dabei sind Angaben zu dieser Studie auch firmenunabhängig seit 2002 im Beurteilungsbericht der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA einsehbar, die die Zulassung von Gabapentin in dieser Indikation aufgrund der negativen Datenlage abgelehnt und nur Schmerz bei postherpetischer Neuralgie anerkannt hat. Die von der Cochrane-Arbeitsgruppe ausgewerteten vier kleinen plazebokontrollierten Studien zu Gabapentin bei diabetischer Neuropathie umfassen insgesamt nur 281 Patienten gegenüber 325 Studienteilnehmern der erfolgreich zurückgehaltenen Negativstudie. Das Ergebnis dieser Metaanalyse, die für Gabapentin eine Number needed to Treat (NNT) von 4 für die Verringerung des Schmerzes bei diabetischer Neuropathie angibt, ist daher wertlos und sollte zurückgezogen werden.

Evidence-biased medicine.

Marketing ist die beste Medizin

Die Boulevardzeitung “Berliner Kurier” vermeldet in ihrer morgigen Ausgabe endlich einen Durchbruch im Kampf gegen den Krebs.

Forschung ist die beste Medizin. Tatsächlich! Jetzt haben Mediziner der Charité ein Medikament entwickelt, das Krebspatienten neue Hoffnung gibt. Helmtrud Weber (71) aus Charlottenburg ist eine der Ersten, die mit dem Wirkstoff behandelt wird. Erfolgreich!

Auch den Namen des Wundermedikaments verschweigt der Artikel nicht:

Der Wirkstoff Sunitinib gilt als Tyrosinkinasehemmer. Das heißt, er blockt gezielt die Signalwege, über die Krebszellen zum Wachsen angeregt werden. „Bei manchen Patienten konnte sogar eine Rückbildung des Karzinoms beobachtet werden“, erklärt Prof. Miller. Helmtrud Webers Nierentumor hat sich schon halbiert.

Was Ärzte und Patienten auch sehr zufrieden macht: das Mittel hat kaum Nebenwirkungen

Dazu zeigt der Berliner Kurier ein Bild von Helmtrud Weber und ihrem Lebensretter: Prof. Kurt Miller von der Charité.

Was für eine Geschichte. Wenn sie auch in den Details nicht so ganz den Tatsachen entspricht.

Denn direkt entwickelt hat Miller das Medikament genau genommen nicht. Auch nicht die Charité. Sunitinib ist nämlich eigentlich vom weltgrößten Pharmakonzern Pfizer und unter dem Handelsnamen Sutent® käuflich zu erwerben.

Und ein echtes Wundermedikament ist Sutent® auch nicht. Zuletzt wurden auf der ASCO 2008 Ergebnisse einer Pfizer-finanzierten Studie vorgestellt, die bei metastasierendem Nierenzellkarzinom lediglich einen statistisch nicht signifikanten Trend (p=0.051) zu einer Verlängerung des medianen Gesamtüberlebens zeigten (26 Monate gegenüber 22 Monaten unter Interferon-alfa).

Richtig ist aber, dass Miller am 22.2.2008 auf einer von der Pfizer GmbH veranstalteten Pressekonferenz zum Thema “Sunitinib: Überzeugend in der Anwendung, vielversprechend für die Zukunft” als Experte pdf-Dateiaufgetreten ist.

Traumberuf Medizinjournalist (X)

Business as usual bei “DerWesten.de”, dem Internetportal der WAZ-Mediengruppe. Als Onlinejournalist muss man sich nicht durch aktuelle Entwicklungen irritieren lassen, die andere einen halben Tag vorher gebracht haben.

Man nehme also wie gewohnt ein PR-Foto des HPV-Impfstoffherstellers GlaxoSmithKline, das einen strahlenden Impfling zeigt. Dazu ein paar Sätze eines Professors, der nicht nur in dieser Angelegenheit für GlaxoSmithKline unterwegs ist. Abrunden lässt sich das ganze noch mit Zahlen aus einer gut abgelegenen Pressemeldung und einer Falschinformation aus der Wikipedia (“Es sind derzeit drei HPV-Impfstoffe zugelassen”).

Fertig ist die Laube.

DGPPN informiert über Umgang mit Interessenkonflikten

Am Mittwoch findet auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) eine Pressekonferenz statt. Ein Programmpunkt:

Interessenkonflikte: “Wie halten wir es mit der Pharmaindustrie?”

Könnte interessant werden. Den Protagonisten auf dem Podium ist eine Vertrautheit mit der Thematik nicht abzusprechen.


Update [strappato]
So ganz freiwillig nimmt sich die DGPPN des Themas nicht an. Sie hat Anfang Oktober den hochkarätigen Referenten aus den USA, der den Eröffnungsvorträge beim Treffen der Psychiater in Berlin halten sollte, Charles B. Nemeroff, wegen zu enger Verbindungen zur Pharmaindustrie verloren. Ein Ausschuss des amerikanischen Senats wirft ihm vor, dass er in den vergangenen sieben Jahren mindestens 1,2 Millionen Dollar an privaten Honoraren von der pharmazeutischen Industrie für Vorträge und Beratungen verschwiegen hat – obwohl er sie gegenüber seiner Universität hätte offenlegen müssen.

"This just wasn’t like him"

Der Fall Carter Albrecht war der Auslöser des Champix®/Chantix®-Mediendesasters. Hier ein aktueller Vorfall, der mich an seinen aufsehenerregenden Tod erinnert:

A man who deputies said was being pulled over by authorities on suspicion of drunken driving rammed a Surry County sheriff’s deputy before being shot, Surry County sheriff Graham Atkinson said.

Bowman was allegedly shot by deputies with the Surry County Sheriff’s Office following an early morning chase that initiated with Pilot Mountain Police Officer Mike Palmer, who observed Bowman’s car “driving erratically” on U.S. 52 north near the N.C. 268 interchange, Atkinson said late Tuesday morning.
[…]
“This just wasn’t like him (Bowman). He is a diabetic and the doctor had been changing his medications. He had recently put him on Chantix, to help him quit smoking. He also has emphysema. He doesn’t drink and this is totally out of character for him.”

Seine Schwester vermutet eine vorangehende Entführung als Erklärung für das ungewöhnliche Verhalten ihres Bruders. Ich werde den Fall im Auge behalten.

Bewährungsstrafe für Cornelia E.

Man tritt keinen Menschen, der am Boden liegt: Diese Verhaltensmaxime beherzigte am heutigen Mittwoch die Kammer des Hamburger Amtsgerichts, vor der sich eine 34 Jahre alte Frau wegen Urkundenfälschung, Betruges und Missbrauchs von Berufsbezeichnungen von 2002 bis 2007 zu verantworten hatte.

SPIEGEL-Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen über den glimpflichen Ausgang des Prozesses gegen die “falsche Kinderärztin”.

Die großzügigen Freunde der Arbeitsgemeinschaft…

Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse vor, nach denen pharmazeutische Unternehmer in direkter Weise mit Facharztverbänden bzw. Elternverbänden zusammenarbeiten, die Beratungen zur medikamentösen Behandlung von ADHS anbieten
[…]
Wenn diese Verbände und Gruppen eine finanzielle Unterstützung durch pharmazeutische Unternehmen erhalten sollten, sollten diese aus Sicht der Bundesregierung im Sinne einer verbesserten Transparenz offengelegt werden.

(aus der pdf-DateiAntwort der Bundesregierung vom 13.11.2006 auf eine Kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen)

Die Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte e.V. (AG ADHS) rund um den Forchheimer Kinderarzt und “Ritalin-Pionier” (DER SPIEGEL) Klaus Skrodzki ist die vielleicht einflussreichste Gruppierung von ADHS-Experten in Deutschland und setzt sich offensiv für die Behandlung von jungen ADHS-Patienten mit Medikamenten ein.

Auf dem Internetauftritt der AG ADHS (ag-adhs.de) konnte ich keinen Hinweis auf Finanzierungsquellen für die vielfältigen Aktivitäten des Vereins finden. Einiges spricht jedoch für die Vermutung, dass die Hersteller der gängigen ADHS-Medikamente hierbei eine tragende Rolle spielen.

Der neunköpfige Vorstand der AG AGHS stellt einen großen Teil der Autorenschaft einer der beiden ADHS-Leitlinien, deren persönliche finanzielle Verbindungen mit der Pharmaindustrie ich kürzlich betrachtet habe. Aufgefallen ist mir dabei, dass der Vorstand der AG ADHS auf dem Kinder- und Jugendärztetag im Juni 2008 in Berlin nahezu geschlossen ein Vorsymposium zum Thema “AD(H)S – Aspekte der verschiedenen Altersgruppen” präsentiert hat, mit freundlicher Unterstützung der Firma Medice Arzneimittel Püttner. Nur der Schatzmeister war offenbar verhindert. Medice stellt mit Medikinet® ein Methylphenidat-Präparat her, das in Deutschland neben dem bekannteren Ritalin® von Novartis zu den verbreitetsten ADHS-Medikamenten gehört.

Hat man sich erst einmal weiter durch die Unterlagen der AG ADHS gewühlt, überrascht einen der firmengesponsorte Vorstandsausflug nicht mehr.

So pdf-Dateibietet die AG ADHS etwa die Förderung von Forschungsvorhaben zum Thema ADHS an:

So weit für diese Projekte eine finanzielle Unterstützung
notwendig ist, kann diese in begrenztem Umfang über die
AG ADHS aus einem Fond der Fa. Medice zur For-
schungsförderung bei ADHS erfolgen, der ab 2005 zur
Verfügung steht. Über die Verteilung der Fördermittel ent-
scheidet der Vorstand der AG ADHS zusammen mit dem
Leiter der Arbeitsgruppe Forschung selbstständig und un-
abhängig, firmen- und produktneutral.

Die “Mitteilungen der Arbeitsgemeinschaft Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung der Kinder- und Jugendärzte e.V.” als pdf-DateiBeilage der Zeitschrift KINDER- UND JUGENDARZT werden dagegen von der Firma UCB finanziell “unterstützt”. UCB ist Hersteller des Ritalin®- und Medikinet®-Konkurrenzpräparats Equasym®.

Und wenn die AG ADHS zum “Treffen der regionalen Netzwerke ADHS in der Arbeitsgemeinschaft ADHS (AG ADHS) der Kinder- und Jugendärzte e. V.” einlädt, dann heißt es in dem Einladungschreiben gar:

Hotel und Tagungsräume sind fest gebucht, die ersten Anmeldungen bei mir bereits eingegangen. Die Finanzierung (Unterkunft, Verpflegung, Reisekosten) wird wie immer großzügig von Fa. Medice aus Iserlohn übernommen.