Interessenkonflikte bei deutschen ADHS-Leitlinien

In Australien hat eine Zeitung gestern enthüllt, dass sieben der zehn Autoren der dortigen ADHS/ADHD-Leitlinie finanzielle Beziehungen zur Pharmaindustrie unterhalten. Angesichts der nicht unumstrittenen Praxis der zunehmenden Verschreibung von Methylphenidat (in Deutschland u.a. von Novartis als Ritalin®, von UCB als Equasym®, von Medice als Medikinet®, von Janssen-Cilag als Concerta®) und Atomoxetin (von Lilly als Strattera®) an Kinder und Jugendliche ein bemerkenswerter Befund.

Anlass für mich, einen Blick auf die Autoren der entsprechenden Leitlinien in Deutschland zu werfen. Ich habe nicht erwartet, dass die Situation bei uns besser ist. Vorneweg: Das ist sie auch nicht, im Gegenteil.

Aktuell scheinen in Deutschland zwei Leitlinien zu ADHS bei Kindern und Jugendlichen eine Rolle zu spielen. Zum einen gibt es die pdf-DateiLeitlinie der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte e.V., die von einer Expertengruppe mit 15 namentlich genannten Personen entwickelt wurde und auch von anderen Fachgesellschaften mitgetragen wird. Zum anderen gibt es die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie mit vier Autoren.

Gemeinsam ist beiden Leitlinen, dass die Interessenkonflikte der Autoren nicht thematisiert oder gar offengelegt werden. Bleibt die eigene Recherche im Internet. Bei 19 Autoren überwiegend ohne nennenswerte Publikationen in angesehenen Zeitschriften ein durchaus mühseliges Unterfangen.

Bei 14 (ca. 74 Prozent) der insgesamt 19 Autoren habe ich dennoch konkrete Hinweise auf entsprechende Interessenkonflikte gefunden. Fast immer handelt es sich um (üblicherweise lukrative) Einsätze als Sprecher auf sogenannten Satellitensymposien. Für die verbleibenden Autoren muss das keinesfalls bedeuten, dass keine Interessenkonflikte vorliegen. Nur ein verschwindender Bruchteil der industriefinanzierten “Fortbildungen” hinterlässt Spuren im Internet. Beratungshonorare oder Reisekostenzuschüsse tun dies fast nie.

Folgende Autoren sind mir in Funktionen aufgefallen, die einen signifikanten Geldfluss von der Pharmaindustrie höchst wahrscheinlich erscheinen lassen. Angegeben und verlinkt ist nur eine Auswahl der Auftritte.

Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft ADHS der Kinder- und Jugendärzte
Prof. Dr. Harald Bode: Vorsitz bei Lilly- und Janssen-Cilag- Satellitensymposien
PD Dr. Dr. Klaus-Peter Grosse: Moderation und Sprecher auf Medice-Satellitensymposium
Dr. Klaus Skrodzki: Moderation und Sprecher auf Medice-Satellitensymposium, Sprecher auf Janssen-Cilag-Satellitensymposium
Dr. Jürgen Gromball: Sprecher auf Medice-Satellitensymposium
Dr. Ulrich Kohns: Sprecher auf Medice- und Lilly-Satellitensymposium
Dr. Hans-Jürgen Kühle: Sprecher auf Medice-Satellitensymposium
Dr. Kirsten Stollhoff: Sprecher auf Medice-Satellitensymposium
PD Dr. Bernd Wilken: Sprecher auf Allergan-Satellitensymposium
PD Dipl. Psych. Dr. Christian Wolff: Sprecher auf Medice- und Lilly-Satellitensymposium
Dr. Eckhard Ziegler-Kirbach: Sprecher auf Medice-Satellitensymposium

Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie
Prof. Dr. sc. hum. Manfred Döpfner: Vorsitz bei UCB-Satellitensymposium, Sprecher auf Medice-Veranstaltungen
Dr. Gerd Lehmkuhl: Sprecher auf Medice-Satellitensymposium
Prof. Dr. Renate Schepker gibt in einer Präsentation u.a. folgende Interessenkonflikte an: “Für Vorträge in den letzten 5 Jahren Unterstützung von: Astra Zeneca, Janssen-Cilag, sanofi pasteur, […] Für Tagungen: Astra Zeneca, Bristol-Myers-Squibb, Desitin, Janssen-Cilag, Lilly, Medice, Novartis, Pfizer, ratiopharm, TAD, UCB – Keine Studien, keine Pharma-Gremien, keine boards, keine Aktien” (das einzige Disclosure-Statement, auf das ich gestoßen bin)
Dr. Jan Frölich: Sprecher auf UCB-Satellitensymposium

Update: Ergänzend hier noch ein näherer Blick auf die Verbindungen der Arbeitsgemeinschaft ADHS

Cornelia Yzer erklärt das Image-Problem der Pharmaindustrie

Ich glaube, viele Menschen haben das Empfinden, dass niemand an Krankheiten verdienen sollte – und das tut man nun einmal, wenn man Medikamente verkauft.

Die VFA-Cheflobbyistin im Interview mit dem Internetportal “Vitafil” der PR- und Lobbyistenagentur WMP Eurocom auf die Frage, warum Pharmahersteller “trotz ihrer Erfolge” immer wieder angegriffen würden.
(Quelle: www.vitafil.de/?p=331).

Traumberuf Medizjournalist (VIII)

Eine chemische Substanz bewahrt Mäuse vor dem Dickwerden und erhöht gleichzeitig ihre körperliche Ausdauer. Das US-Pharmaunternehmen Sirtris in Cambridge hatte den Wirkstoff entwickelt. […]

Die Mäuse, die eine hohe Dosis dieses Wirkstoffs erhielten, nahmen im Gegensatz zur Kontrollgruppe nicht zu, gleichzeitig sanken ihre Blutzucker- und Cholesterinwerte im Blut. Wenn die Forscher die Versuchstiere regelmäßig im Laufrad trainieren ließen, liefen die SRT1720-Mäuse in anschließenden Ausdauertests doppelt so weit wie die unbehandelten.
Meldet die dpa. Und:
Nebenwirkungen beobachteten die Forscher bisher nicht.
Hätte mich auch überrascht.

Traumberuf Medizinjournalist (VIII)

Eine chemische Substanz bewahrt Mäuse vor dem Dickwerden und erhöht gleichzeitig ihre körperliche Ausdauer. Das US-Pharmaunternehmen Sirtris in Cambridge hatte den Wirkstoff entwickelt. […]

Die Mäuse, die eine hohe Dosis dieses Wirkstoffs erhielten, nahmen im Gegensatz zur Kontrollgruppe nicht zu, gleichzeitig sanken ihre Blutzucker- und Cholesterinwerte im Blut. Wenn die Forscher die Versuchstiere regelmäßig im Laufrad trainieren ließen, liefen die SRT1720-Mäuse in anschließenden Ausdauertests doppelt so weit wie die unbehandelten.

Meldet die dpa. Und:

Nebenwirkungen beobachteten die Forscher bisher nicht.

Hätte mich auch überrascht.

Deutsche Forscher überraschen mit neuartiger Alzheimer-Therapie

Etwa seit dem Jahr 2000 geistert die Hypothese durch die Medien, durch die Einnahme von cholesterinsenkenden Medikamenten ließe sich die Alzheimer-Krankheit behandeln oder verhindern. Wiederholt hatte sich in Fall-Kontroll-Studien gezeigt, dass Patienten, die an Alzheimer erkrankt waren, seltener Statine eingenommen hatten als solche, die nicht an Alzheimer erkrankt waren. Eine von vielen möglichen Erklärungen für diesen Effekt wäre eine protektive Wirkung von Cholesterinsenkern gegen Alzheimer. Die Medien sorgten Hand in Hand mit den Presseabteilungen der Pharmakonzerne für eine enorme öffentliche Verbreitung dieser Hypothese.

In klinischen Studien zeigte sich jedoch kein solcher Effekt. Der Medienhype ist nach seinem Höhepunkt im Jahr 2004 deutlich auf dem absteigenden Ast. Bereits im Januar 2008 wurde die Hypothese nach einer weiteren gescheiterten Studie für tot erklärt:

“There is good evidence that statins do not prevent Alzheimer’s,” says Dr. James Wright at the University of British Columbia.

Scientists speculate that the false promise came, in part, from a familiar pitfall called selection bias. The original study compared Alzheimer’s patients with healthy subjects. For reasons that aren’t entirely clear, there is a strong overlap of people who are less likely to develop Alzheimer’s and people who are concerned about their health, and therefore inclined to take statins.

Im April gab Pfizer schließlich die Ergebnisse der mit 640 Patienten bisher größten randomisierten und kontrollierten Studie zu dieser Fragestellung bekannt. Der Einsatz des Cholesterinsenkers Lipitor® (in Deutschland Sortis®) blieb gegen Alzheimer ohne jede Wirkung. Pfizer zeigte denn auch wenig Interesse, mit der Untersuchung dieser Hypothese weitere Gelder versenken zu wollen:

Pfizer said it was not planning any more studies with Lipitor in Alzheimer’s patients “at this time”, although it did remain committed to advancing research and treatment in Alzheimer’s disease.

Heute überrascht uns eine Pressemeldung des Universitätsklinikums Rostock mit einer vielversprechenden neuartigen Therapieoption gegen Alzheimer, die an 14 deutschen Universitäten in einem mit Steuermitteln geförderten Projekt untersucht werden soll:

Im Mittelpunkt der Studie steht ein Medikament, das als Fettsenker bereits im Handel ist. “Eine aktuelle Studie ergab, dass unter Alzheimer-Patienten diejenigen auffällig unterrepräsentiert sind, die in vorhergehenden Jahren ein den Cholesterinspiegel senkendes Mittel eingenommen haben”, sagt Professor Dr. Stefan Teipel von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Uniklinikum Rostock.

Diese Befunde legen nahe, dass sich das Medikament positiv bei der Vorbeugung von Alzheimer auswirken könne. Bestätige die Studie diese Annahme, könne die Behandlung mit dem Medikament zur Standardtherapie werden und das Auftreten der Alzheimer Krankheit verzögern, wenn nicht sogar aufhalten.

Na, dann drücken wir mal die Daumen.

Bankhofer und die Spin-Doktoren

Der WDR hat mittlerweile bekanntgegeben, dass er sich endgültig von Hademar Bankhofer trennt. Unterdessen versucht die aus der Gerster-Affäre bekannte PR-Agentur WMP Eurocom des ehemaligen Bild-Chefredakteurs und Kohl-Vertrauten Tiedje, das Image ihres Kolumnisten Bankhofer aufzupolieren und dessen Entlassung in einen “Freispruch erster Klasse” umzudefinieren.

Mehr bei der Boocompany.

(via Plazeboalarm)

Von Böcken und Gärtnern

Der österreichische Werberat (ÖWR) hat in einem dreistufigen Wahlverfahren die Mitglieder des “Werberats NEU” wählen lassen, die “gemeinsam in den kommenden drei Jahren die Selbstregulierung in Österreich prägen sollen”.

Das e-comm-Blog hat sich die Liste der 90 (!) weisen Damen und Herren angesehen, die “Fehlentwicklungen und Missbräuche korrigieren” und damit das “verantwortungsbewusste Handeln der Werbewirtschaft und ihr Ansehen in der Öffentlichkeit fördern” sollen. Darunter bekannte Gesichter:
Und dann sind da noch zwei weitere Vertreter “übergreifender Organisationen”(!) angeführt: einmal “Partner für Werbung” Walter Holiczki (bekannt auch als Produzent der “gesunden halben Stunde” auf TW1) sowie schließlich Prof. Hademar Bankhofer höchstselbst.

Verhaltensauffällig und ruhig gestellt

Report Mainz hat mit Dr. Gerhard Libal einen bemerkenswert offenen Kinder- und Jugendpsychiater vor die Kamera bekommen. Nach eigener Aussage verschreibt er zahlreichen Kindern Neuroleptika außerhalb der zugelassenen Indikation, darunter auch Kindern im Kindergartenalter. Kein Einzelfall.

In Deutschland werden immer mehr Kinder und Jugendliche mit Neuroleptika […]

Gedrängel auf dem Siegertreppchen II

Die industrienahe Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) vermeldete (bereits Anfang Oktober) im Focus einen dramatischen Anstieg der von ihren Mitgliedern behandelten Krankheitsbilder.

Zum internationalen Tag der seelischen Gesundheit am Freitag sagte Gaebel dem Nachrichtenmagazin FOCUS, schon jetzt gingen „zehn Prozent aller Arbeitsunfähigkeitstage in der Bundesrepublik auf psychische Störungen zurück“. Bis zum Jahr 2020 stünden seelische Erkrankungen wie Depressionen weltweit an zweiter Stelle der Krankheitslast. „Wir sehen hier dramatische Entwicklungen, über die wir uns Gedanken machen müssen“, so Gaebel zu FOCUS.

Platz zwei erscheint als Ziel durchaus ehrgeizig, nehmen doch zahlreiche andere Krankheitsbilder – glaubt man den zuständigen Fachverbänden – bis zu diesem Zeitpunkt ebenfalls epidemisch zu.