Dunkelkammer-Lachnummer #Stöckligate

Was hat sich der Ständerat geleistet? Ist die Bezeichnung «Dunkelkammer» oder «Chambre de reflexion» gerechtfertiger?

Der Ständerat hat letzte Woche die Einführung der elektronischen Abstimmung abgelehnt, also die Abstimmung per Knopfdruck. Der Nationalrat wählt seit fast 20 Jahren per Knopfdruck. Die Abstimmungen sind einfacher und zuverlässiger. Zugleich wird nicht nur das Abstimmungsresultat erhoben, sondern auch die einzelnen Stimmen erfasst.

Aber nein, der Ständerat hat die elektronische Abstimmung abgelehnt. Transparenz wurde verhindert.

Nicht ohne Grund ist der Ständerat als Dunkelkammer verschrieen. Mittelalterliches Gebahren.

Die Politikplattform politnetz.ch will Licht ins Dunkel bringen. Sie installierten kurzerhand eine Kamera auf der Zuschauertribüne und filmen den Ständerat. Die Auswertungen werden daraufhin ausgewertet und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.

Die Kamera läuft noch nicht eine Woche und schon wurde zufällig eine falsche Auszählung entdeckt. Die Abstimmung wurde wiederholt. Und hoppla. Wieder entdeckte der NZZ Bundeshausjournalist Markus Häfliger auf dem Video einen Fehler. Die Abstimmung dürfte also noch ein weiteres Mal wiederholt werden. Vielleicht das nächste Mal elektronisch?

Wer hat zur parl. Initiative «Transparentes Abstimmungsverhalten» wie gestimmt?

Ja

SVP: This Jenny (GL), Peter Föhn (SZ)

CVP: –

FDP: Felix Gutzwiller (ZH), Hans Hess (OW), Georges Theiler (LU), Fabio Abate (TI), Raphaël Comte (NE)

SP: Anita Fetz (BS), Pascale Bruderer (AG), Roberto Zanetti (SO), Claude Janiak (BL), Liliane Maury Pasquier (GE), Hans Stöckli (BE), Didier Berberat (NE), Paul Rechsteiner (SG), Christian Levrat (FR), Claude Hêche (JU)

Grüne: –

GLP: Verena Diener (ZH), Markus Stadler (UR)

BDP: –

Parteilos: Thomas Minder (SH)

Nein

SVP: Roland Eberle (TG), Alex Kuprecht (SZ), Hannes Germann (SH)

CVP: Pirmin Bischof (SO), Isidor Baumann (UR), Stefan Engler (GR), Peter Bieri (ZG), Konrad Graber (LU), Ivo Bischofberger (AI), Brigitte Häberli-Koller (TG), Paul Niederberger (NW), Urs Schwaller (FR), René Imoberdorf (VS), Jean-René Fournier (VS), Anne Seydoux (JU)

FDP: Karin Keller-Sutter (SG), Martin Schmid (GR), Pankraz Freitag (GL), Hans Altherr (AR), Christine Egerszegi (AG), Joachim Eder (ZG)

SP: Géraldine Savary (VD)

Grüne: Luc Recordon (VD), Robert Cramer (GE)

GLP: –

BDP: Werner Luginbühl (BE)

Quelle: investigativ.ch

Résumé

Da kann ich nur sagen Schande über die CVP, FDP, SVP, BDP und die Grünen. Die Mehrheit ihrer Ständeräte haben dagegen gestimmt.

Presse


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Transparenzinitiative nicht zustande gekommen

Was wurde erreicht? Wie geht es weiter? Was hat die Transparenzinitiative bewirkt? Warum wurde die nötige Anzahl Unterschriften nicht erreicht?

Vor Ablauf der der Sammelfrist sind knapp 60’000 gesammelt worden. Nötig wären 100’000 Unterschriften gewesen.

Es ist schade, dass die Transparenzinitiative nicht zustande gekommen ist. Der Einfluss des Geldes auf die Parlamentarier bleibt also weiterhin geheim. Die Bürger sehen nicht, ob ihre Volksvertreter von einer Organisation «entführt» wurden.

Die Transparenzinitiative hat auf jeden Fall die Wahrnehmung des Transparenzbedürfnisses erhöht und die Diskussion angeregt.

Hinter der Initiative standen eine Reihe von jungen Einzelkämpfern. Der junge Nationalrat Lukas Reimann hat als erster die Initiative ergriffen. Es ist beachtlich, dass diese kleine und gemischte Gruppe so weit gekommen ist.

Die Initiative wird als Petition übergeben werden.

Der erste Anlauf hat nicht geklappt. Das Problem besteht weiterhin.

Transparenz-Initiative ist definitiv gescheitert, NZZ, 5.12.2012

Die Personen an der Macht haben selten ein Interesse an Transparenz, denn sie sitzen ja selbst an den Schalthebeln und bekommen die nötigen Informationen. Die Aussenstehenden, z.B. die vertretenen Bürger oder Journalisten, haben jedoch keinen Zugang zu den Informationen. Transparenz gleicht die Kräfteverhältnisse aus.


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Tamiflu Saga

Oder: Wo sind die Daten?

Warum geht es bei der Tamiflu® Saga? Wofür steht dieser Konflikt? Was lehrt uns dieses Beispiel über die Medizin und die Wissenschaft?

Tamiflu®Tamiflu® | via Wikimedia

Hinter der Tamiflu® Saga steht die Geschichte über Tamiflu® und dessen kometenhafter Aufstieg während der Schweinegrippe und den Fragen danach.

Das Grippemittel Tamiflu® (Oseltamivir) wird vom Schweizer Pharmaunternehmen Roche hergestellt. Es soll die Grippe verkürzen und Komplikationen wie schwere Lungenentzündungen vermeiden. Während der bedrohlichen Schweinegrippe kauften die Staaten Tamiflu® für Milliarden von Franken zum Schutze der Bevölkerung. Tamiflu® wurde zum Vermeiden grippebedingter Komplikationen und Grippetoten gekauft. Tamiflu® Reserven wurden von der Weltgesundheitsorganisation WHO empfohlen.1

Roche hat zur Wirksamkeit des Medikaments, wie von den Zulassungsbehörden gefordert, Studien erstellen lassen.

Jedoch wurde nur ein kleiner Teil wissenschaftlich veröffentlicht.2 Und Rohdaten sind gar keine zugänglich.3

Im Jahre 2009 wollte eine unabhängige Forschungsgruppe von Cochrane die Studien von Roche nachrechnen. Die Rohdaten sind die Voraussetzung, um die Studien unabhängig nachrechnen zu können. Die Forscher fragten Roche um die fehlenden Daten an. Roche versprach (2009) die vollständigen Daten zur Verfügung zu stellen.

Doch Roche hat die Daten bis heute nicht geliefert!

Seit dem Jahr 2009 gehen Mails hin und her. Ohne Ergebnis.

Resultat: Die Welt weiss bis heute nicht, wie nützlich Tamiflu® eigentlich gegen Grippe ist. Die Rohdaten fehlen. Unabhängige Studien fehlen. Den Ärzten und der Bevölkerung werden die Daten verheimlicht.

Forscher schalten sich ein. Der Fall zieht immer weitere Kreise.

Die angesehene medizinische Fachzeitschrift BMJ begann sich für diesen Fall zu interessieren. Sie haben Roche kontaktiert. Ohne Ergebnis. Um die Absurdität dieses Falles zu veranschaulichen haben sie den ganzen Mailverkehr auf ihrer Webseite www.bmj.com/tamiflu veröffentlicht.

Ist Roche ein Einzelfall mit seinem Verhalten?

Leider nein. Das ist unverständlicherweise gängige Praxis in der Medikamentenforschung. Rohdaten stehen unabhängigen Forschern praktisch nie zur Verfügung. Als Argument werden Geschäftsgeheimnisse angegeben. Doch was ist an einer standardisierten Studie geheim? Der Datenschutz ist es jedenfalls nicht. Es geht um anonyme Daten.

Warum steht gerade Tamiflu® von Roche im Scheinwerferlicht?

Jeder kennt es. Die Grippe geht alle an. Tamiflu® ist deshalb ein gutes Beispiel. Doch Roche ist nicht schlechter als andere Pharmaunternehmen. Das Problem betrifft die ganze Industrie. Die Rohdaten der Tamiflu®-Studien sind einfach zum sichtbaren Testfall geworden.

Die Europäische Zulassungsbehörde EMA würde ebenfalls über die Rohdaten verfügen. Die EMA gibt die Daten den unabhängigen Forschern nicht heraus.

Dass Rohdaten anderen Forschern nicht zur Verfügung stehen ist ein unhaltbarer Zustand. Das hat nichts mit Forschung und Wissenschaft zu tun. Wissenschaft ist unter solchen Bedingungen nicht möglich. Der Öffentlichkeit ist mit solchem Verhalten in keiner Art und Weise gedient.

Warum versteckt Roche seine Daten so sehr? Bei einem wirksamen Medikament kann Roche nur gewinnen. Die Ergebnisse werden von unabhängiger Seite bestätigt.

Der Tamiflu® Fall ist zusätzlich brisant, denn das staatlich gelagerte Tamiflu® hat das Verfalldatum erreicht. Sollen die Staaten ihre Tamiflu® Lager wieder auffüllen4?

Hintergrundinformationen

Wichtige

Weitere

Nebenbemerkung: Gegen Roche läuft eine Untersuchung in der EU. Roche steht im Verdacht, Nebenwirkungen von zahlreichen Medikamenten verheimlicht zu haben. (Radio DRS1)

[Aktualisierung 20.01.2013: Die Initiative alltrials (All Trials Registered | All Results Reported) wurde von Ben Goldacre, BMJ Group, James Lind Initiative und weiteren zur Veröffentlichung aller klinischen Studiendaten gegründet.]

[Aktualisierung 26.01.2013: Die Tamiflu Saga hat es jetzt auch in die etablierten Medien geschafft. Der Tagesanzeiger hat einen lesenwerten Artikel geschrieben: Zweifel an Tamiflu – Der Druck auf Roche nimmt zu, Tages-Anzeiger, 26. Jan. 2013. Hoffentlich passiert jetzt etwas.]

[Aktualisierung 26.01.2013: Lesenswerter Blogartikel über Tamiflu von Alexander Riegler aus Österreich: Tamiflu, ein Medikament das wir kauften – aber nie brauchten …, 8.11.2012]

[Aktualisierung 27.04.2013: Bericht Süddeutsche Zeitung: Das Fieber der Gutgläubigkeit ]

[Aktualisierung 27.04.2013: Roche will Studienrohdaten für Analysen zugänglich machen. BBC, 04.04.2013. Taten zählen, Versprechen gab es schon viele.]

[Aktualisierung 22.06.2013: Forum Gesundheitspolitik schrieb einen Artikel über Tamiflu]

[Aktualisierung 13.04.2014: Die Cochrane Collaboration hat ihren Bericht zu Tamiflu® veröffentlicht. Der einst erhoffte grosse Nutzen von Tamiflu® scheint sich nicht zu bestätigen. Mehr Versprechen als Fakten zu Tamiflu: Forscher werten Studiendaten zu Grippemittel aus, Neue Zürcher Zeitung. 10. Apr. 2014
Tamiflu gerät zum Spielball der Wissenschaft, Bernerzeitung
Jefferson T, Jones M, Doshi P, Spencer EA, Onakpoya I, Heneghan CJ. Oseltamivir for influenza in adults and children: systematic review of clinical study reports and summary of regulatory comments BMJ. 9. Apr. 2014;348(apr09 2):g2545–g2545.
]

[Aktualisierung 13.04.2014: Beitrag im Schweizer Radio: Medikamente halten nicht immer, was sie versprechen. Wie kann man das verhindern? SRF, 11.04.2014; [Harsche Kritik am Grippemittel «Tamiflu»](http://www.srf.ch/gesundheit/gesundheitswesen/harsche-kritik…, SRF, 10.04.2014; Kritiker sehen sich bestätigt, SRF, 10.04.2014]

[Aktualisierung 14.04.2014: Was kann man lernen aus der Causa Tamiflu?, SRF, Wissenschaftsmagazin, 12.04.2014]


  1. Der WHO Pandemiekommission wurden Interessenskonflikte mit den Herstellern vorgeworfen. Das ist ein eigenes Kapitel für sich, siehe Neue Kritik an der WHO, Neue Zürcher Zeitung, 5. Juni 2010. 

  2. Das wird als Publikationsverzerrung (publication bias) bezeichnet. In der wissenschaftlichen Literatur werden nur die „positiven“ Fälle veröffentlicht. Die wissenschaftliche Literatur zeigt deshalb ein verzerrtes Bild der Realität. Medikamente erscheinen als wirksam, obwohl sie es insgesamt sind nicht, Beispiel Reboxetin (Edronax®) von Pfizer. 

  3. Ein wesentlicher Pfeiler der Wissenschaft ist die Wiederholbarkeit. Rohdaten sind ein wichtiges Element. Keine Rohdaten zur Verfügung zu stellen ist unwissenschaftliches Verhalten. 

  4. Mit Steuergeldern versteht sich. 

IV-Revision 6b: Sparübung bei schwer Behinderten [akt. 6]

Worum geht es beim zweiten Teil 6 der IVG-Revision («6b»)? Wer ist von den Sparmassnahmen betroffen? Warum sind die Behindertenverbände dagegen? Wird es ein Referendum geben?

Anti-BehindertenlogoEigene Bearbeitung, Quelle Public Domain, via Wikimedia

Die Invalidenversicherung (IV) hat in früheren Jahren mehr ausbezahlt als sie eingenommen hat. Leute aus der Arbeitslosenversicherung wurden in die IV abgedrängt. Ein Schuldenberg hat sich angehäuft. Die IV muss deshalb saniert werden. Die Einnahmen müssen grösser sein als die Ausgaben und die Schulden müssen abgetragen werden.

Mit der 5. und die 6. IV Gesetzesrevision soll die IV saniert werden. Die 5. und die 6a. sind bereits vom Parlament beschlossen und in Kraft. Der zweite Teil der 6. IV-Revision (6b) wird derzeit im Parlament beraten.

Der Nationalrat wird sich am 12. und am 13. Dezember in der Wintersession mit dem Dossier zur Revision 6b der IV beschäftigen. Die Sozialkommission des Nationalrates schlägt den Parlamentariern umfangreiche und zeitlich unbegrenzte Sparmassnahmen in der Höhe von 360 Millionen Franken pro Jahr vor. Schwerbehinderte Menschen werden davon besonders schwer getroffen, ebenso behinderte Eltern und ihre Kinder.

Sollte das Sparmassnahmenpaket wie von der Sozialkommission des Nationalrats vorgeschlagen, angenommen werden, wird sich die Situation schwerbehinderter Menschen mit einem IV-Grad zwischen 60 und 80% massiv verschlechtern. Mit einer 60%-Invalidität wird die Rente anstelle von 75% nur noch 60% betragen. Es wird erwartet, dass sich Personen mit schwerer Behinderung eine Teilzeitarbeit suchen.

Der Verein «Nein zum Abbau der IV» wurde gegründet, um nötigenfalls das Referendum zu ergreifen. Der Verein ist im wesentlichen ein Zusammenschluss der Schweizer Betroffenenorganisationen, wie z.B. der MS-Gesellschaft.

E-Mail- und Briefaktion

Um die Volksvertreter vor der Abstimmung zu sensibilisieren, können und sollen Betroffene, den folgenden Text an die Nationalrätinnen und Nationalräte in Ihrem Kanton per E-Mail oder Brief zu senden:

Sehr geehrte Frau Nationalrätin / Sehr geehrter Herr Nationalrat

Sie entscheiden am 12. und 13. Dezember 2012 über meine Zukunft. Ihr Rat berät über weitere und unbefristete Sparmassnahmen bei der Invalidenversicherung («6b»). Diese Sparmassnahmen treffen mich persönlich und generell Menschen mit schwerer Behinderung sowie Kinder von Eltern mit Behinderung. Ich bitte Sie deshalb, auf diesen Leistungsabbau zu verzichten.

Die «6b» ist nicht nötig. Aktuelle Zahlen zur IV sprechen eine deutliche Sprache: Die IV erzielt 2012 einen Gewinn von rund 430 Mio. Franken. Bei weitem mehr, als prognostiziert. Dies ist nicht nur auf Grund der Mehrwertsteuer-Erhöhung möglich, die auch ich mittrage. Dies ist insbesondere wegen des bisherigen Leistungsabbaus einseitig auf Kosten von uns Menschen mit Behinderung möglich geworden. Die IV wird auch ohne «6b» bis 2029 saniert.

Ich bitte Sie, Menschen wie mir und der aktuellen Entwicklung bei der IV Rechnung zu tragen und sich gegen weiteren Leistungsabbau bei der IV und für ein menschenwürdiges Leben einzusetzen.

Ich danke Ihnen für Ihre Kenntnisnahme.

Mit freundlichen Grüssen

Der Text kann nach eigenen Bedürfnissen abgeändert werden. Die Erfahrung zeigt, dass kürzere Texte besser wirken. Ein Photo verstärkt den Effekt.

Die Post- und E-Mailadressen der Volksvertreter sind auf der Parlamentswebseite abrufbar, unter dem Link Biographie.

Schwerbehinderte mit noch weniger zum Leben

Die SGK-NR hält am Rentensystem des Bundesrats fest. Die Renten der Schwer- und Schwerstbehinderten sinken damit bis zu 30 Prozent. Der Sparhammer trifft insbesondere Personen, die
zwischen 60 und 80 Prozent erwerbsunfähig sind. Beispielsweise sinkt bei einer Person mit 70%
Invalidität das Ersatzeinkommen von durchschnittlich 1‘560 Franken auf 1‘136 Franken pro Monat,
das heisst um 27%. Welche Unternehmen aber stellen jemanden mit fortschreitender Multipler
Sklerose oder eine blinde Person mit einem kleinen Teilpensum an
, sodass die Renteneinbusse
kompensiert wird? Was die Bundesverfassung vorsieht – eine menschenwürdige Existenz – bleibt
damit für viele Betroffene utopisch.

Liebe Mitbetroffene, eure Mitarbeit ist gefragt!

Die Seite IV-Revision 6b: Pro behindertenverträgliche Lösung enthält nur den Mailtext und kann mit Twitter genutzt werden.

Wer sich jetzt nicht einsetzt, muss später nicht jammern!

Referendum

Sollten die in der IV-Revision 6b vorgesehenen Kürzungen für Personen mit starker Behinderung und für Kinder beibehalten werden, ergreifen die im Verein «Nein zum Abbau der IV» zusammengeschlossenen Organisationen das Referendum. 50‘000 Unterschriften müssen dann innerhalb von 100 Tagen gesammelt werden.

Gesetzesprozess

Um diese IV Revision 6b besser zu verstehen habe ich mich eingelesen. Für mich ist es das erste Mal, dass ich den Ablauf der Parlaments- und Bundesarbeit genauer anschaue. Diese Prozesse sind zeitaufwändig und komplex, aber interessant. Es wurden nur schon 135 Organisationen (26 Kantone, 13 Parteien, 10 Wirtschaftsorganisationen, 10 Versichertenorganisationen, 36 Behindertenorganisationen und 40 übrige) für das Vernehmlassungsverfahren im Jahr 2010 angeschrieben.

Weiterführende Informationen

Betroffene

Parlament (Legislative)

Bundesamt für Sozialversicherungen BSV, EDI (Exekutive)

Medien

Deklaration

Ich habe Multiple Sklerose. Ich bin (noch) nicht behindert.

P.S.

Die Abstimmungen im Nationalrat sind mit Namen im Internet abrufbar. Ich werde eine Auswertung der Abstimmung vornehmen.

Entscheide des Nationalrates

Siehe Blogartikel IV-Revision 6b: Entscheide es Nationalrates vom 12.12.12

Kommissionsarbeit

In ihrer ersten Sitzung vom 22. Jan. 2013 beschloss die ständerätliche Gesundheitskommission, dem Nationalrat in einigen Punkten zu folgen. So soll die Vorlage aufgeteilt werden, und die Kinderrenten und die Reisekosten sollen nicht gesenkt werden. Weitere Informationen, siehe MS-Gesellschaft und Pressemitteilung der DOK vom 22. Januar 2013.

Meldung der MS-Gesellschaft und der DOK.

Entscheid des Ständerates Neu!

Der Ständerat hat entschieden: Von Behinderten mit einem Invaliditätsgrad von 79% wird ein 21% Lohnverdienst erwartet, jedenfalls gibt es nur eine 79% Invaliditätsrente. Erst ab 80% gibt es eine volle Rente. Die Kürzung der Kinderrenten und die Reisezulagen werden separat gehandelt (gesplitted). Das Stufenlosesystem ist in beiden Räten nicht umstritten. Die Vorlage geht zurück an den Nationalrat. Ständerat will Sparschraube bei der IV nicht lockern, tagesanzeiger.ch, 12. März 2013
Aufs Sparen wird verzichtet: IV-Revision, Neue Zürcher Zeitung, 12. März 2013

Die Nationalratskommission des Nationalrates folgt dem Ständerat und will volle Invalidenrenten erst ab 80% Invaliditätsgrad sprechen.NZZ, 27.04.2013

IV-Revision 6b: Sparübung bei schwer Behinderten [akt. 10] – Revision gescheitert

Worum geht es beim zweiten Teil 6 der IVG-Revision («6b»)? Wer ist von den Sparmassnahmen betroffen? Warum sind die Behindertenverbände dagegen? Wird es ein Referendum geben?

Anti-BehindertenlogoEigene Bearbeitung, Quelle Public Domain, via Wikimedia

Die Invalidenversicherung (IV) hat in früheren Jahren mehr ausbezahlt als sie eingenommen hat. Leute aus der Arbeitslosenversicherung wurden in die IV abgedrängt. Ein Schuldenberg hat sich angehäuft. Die IV muss deshalb saniert werden. Die Einnahmen müssen grösser sein als die Ausgaben und die Schulden müssen abgetragen werden.

Mit der 5. und die 6. IV Gesetzesrevision soll die IV saniert werden. Die 5. und die 6a. sind bereits vom Parlament beschlossen und in Kraft. Der zweite Teil der 6. IV-Revision (6b) wird derzeit im Parlament beraten.

Der Nationalrat wird sich am 12. und am 13. Dezember in der Wintersession mit dem Dossier zur Revision 6b der IV beschäftigen. Die Sozialkommission des Nationalrates schlägt den Parlamentariern umfangreiche und zeitlich unbegrenzte Sparmassnahmen in der Höhe von 360 Millionen Franken pro Jahr vor. Schwerbehinderte Menschen werden davon besonders schwer getroffen, ebenso behinderte Eltern und ihre Kinder.

Sollte das Sparmassnahmenpaket wie von der Sozialkommission des Nationalrats vorgeschlagen, angenommen werden, wird sich die Situation schwerbehinderter Menschen mit einem IV-Grad zwischen 60 und 80% massiv verschlechtern. Mit einer 60%-Invalidität wird die Rente anstelle von 75% nur noch 60% betragen. Es wird erwartet, dass sich Personen mit schwerer Behinderung eine Teilzeitarbeit suchen.

Der Verein «Nein zum Abbau der IV» wurde gegründet, um nötigenfalls das Referendum zu ergreifen. Der Verein ist im wesentlichen ein Zusammenschluss der Schweizer Betroffenenorganisationen, wie z.B. der MS-Gesellschaft.

E-Mail- und Briefaktion

Um die Volksvertreter vor der Abstimmung zu sensibilisieren, können und sollen Betroffene, den folgenden Text an die Nationalrätinnen und Nationalräte in Ihrem Kanton per E-Mail oder Brief zu senden:

Sehr geehrte Frau Nationalrätin / Sehr geehrter Herr Nationalrat

Sie entscheiden am 12. und 13. Dezember 2012 über meine Zukunft. Ihr Rat berät über weitere und unbefristete Sparmassnahmen bei der Invalidenversicherung («6b»). Diese Sparmassnahmen treffen mich persönlich und generell Menschen mit schwerer Behinderung sowie Kinder von Eltern mit Behinderung. Ich bitte Sie deshalb, auf diesen Leistungsabbau zu verzichten.

Die «6b» ist nicht nötig. Aktuelle Zahlen zur IV sprechen eine deutliche Sprache: Die IV erzielt 2012 einen Gewinn von rund 430 Mio. Franken. Bei weitem mehr, als prognostiziert. Dies ist nicht nur auf Grund der Mehrwertsteuer-Erhöhung möglich, die auch ich mittrage. Dies ist insbesondere wegen des bisherigen Leistungsabbaus einseitig auf Kosten von uns Menschen mit Behinderung möglich geworden. Die IV wird auch ohne «6b» bis 2029 saniert.

Ich bitte Sie, Menschen wie mir und der aktuellen Entwicklung bei der IV Rechnung zu tragen und sich gegen weiteren Leistungsabbau bei der IV und für ein menschenwürdiges Leben einzusetzen.

Ich danke Ihnen für Ihre Kenntnisnahme.

Mit freundlichen Grüssen

Der Text kann nach eigenen Bedürfnissen abgeändert werden. Die Erfahrung zeigt, dass kürzere Texte besser wirken. Ein Photo verstärkt den Effekt.

Die Post- und E-Mailadressen der Volksvertreter sind auf der Parlamentswebseite abrufbar, unter dem Link Biographie.

Schwerbehinderte mit noch weniger zum Leben

Die SGK-NR hält am Rentensystem des Bundesrats fest. Die Renten der Schwer- und Schwerstbehinderten sinken damit bis zu 30 Prozent. Der Sparhammer trifft insbesondere Personen, die
zwischen 60 und 80 Prozent erwerbsunfähig sind. Beispielsweise sinkt bei einer Person mit 70%
Invalidität das Ersatzeinkommen von durchschnittlich 1‘560 Franken auf 1‘136 Franken pro Monat,
das heisst um 27%. Welche Unternehmen aber stellen jemanden mit fortschreitender Multipler
Sklerose oder eine blinde Person mit einem kleinen Teilpensum an
, sodass die Renteneinbusse
kompensiert wird? Was die Bundesverfassung vorsieht – eine menschenwürdige Existenz – bleibt
damit für viele Betroffene utopisch.

Liebe Mitbetroffene, eure Mitarbeit ist gefragt!

Die Seite IV-Revision 6b: Pro behindertenverträgliche Lösung enthält nur den Mailtext und kann mit Twitter genutzt werden.

Wer sich jetzt nicht einsetzt, muss später nicht jammern!

Referendum

Sollten die in der IV-Revision 6b vorgesehenen Kürzungen für Personen mit starker Behinderung und für Kinder beibehalten werden, ergreifen die im Verein «Nein zum Abbau der IV» zusammengeschlossenen Organisationen das Referendum. 50‘000 Unterschriften müssen dann innerhalb von 100 Tagen gesammelt werden.

Gesetzesprozess

Um diese IV Revision 6b besser zu verstehen habe ich mich eingelesen. Für mich ist es das erste Mal, dass ich den Ablauf der Parlaments- und Bundesarbeit genauer anschaue. Diese Prozesse sind zeitaufwändig und komplex, aber interessant. Es wurden nur schon 135 Organisationen (26 Kantone, 13 Parteien, 10 Wirtschaftsorganisationen, 10 Versichertenorganisationen, 36 Behindertenorganisationen und 40 übrige) für das Vernehmlassungsverfahren im Jahr 2010 angeschrieben.

Weiterführende Informationen

Betroffene

Parlament (Legislative)

Bundesamt für Sozialversicherungen BSV, EDI (Exekutive)

Medien

Deklaration

Ich habe Multiple Sklerose. Ich bin (noch) nicht behindert.

P.S.

Die Abstimmungen im Nationalrat sind mit Namen im Internet abrufbar. Ich werde eine Auswertung der Abstimmung vornehmen.

Entscheide des Nationalrates

Siehe Blogartikel IV-Revision 6b: Entscheide es Nationalrates vom 12.12.12

Kommissionsarbeit

In ihrer ersten Sitzung vom 22. Jan. 2013 beschloss die ständerätliche Gesundheitskommission, dem Nationalrat in einigen Punkten zu folgen. So soll die Vorlage aufgeteilt werden, und die Kinderrenten und die Reisekosten sollen nicht gesenkt werden. Weitere Informationen, siehe MS-Gesellschaft und Pressemitteilung der DOK vom 22. Januar 2013.

Meldung der MS-Gesellschaft und der DOK.

Entscheid des Ständerates Neu!

Der Ständerat hat entschieden: Von Behinderten mit einem Invaliditätsgrad von 79% wird ein 21% Lohnverdienst erwartet, jedenfalls gibt es nur eine 79% Invaliditätsrente. Erst ab 80% gibt es eine volle Rente. Die Kürzung der Kinderrenten und die Reisezulagen werden separat gehandelt (gesplitted). Das Stufenlosesystem ist in beiden Räten nicht umstritten. Die Vorlage geht zurück an den Nationalrat. Ständerat will Sparschraube bei der IV nicht lockern, tagesanzeiger.ch, 12. März 2013
Aufs Sparen wird verzichtet: IV-Revision, Neue Zürcher Zeitung, 12. März 2013

Die Nationalratskommission des Nationalrates folgt dem Ständerat und will volle Invalidenrenten erst ab 80% Invaliditätsgrad sprechen. NZZ, 27.04.2013

Meldung der MS-Gesellschaft: Die SGK-N schliesst sich dem Ständerat an

Der Nationalrat stimmt am 4. Juni und der Ständerat, wenn es Differenzen zwischen den Räten gibt, am 11. Juni ab. Am 21. Juni, dem letzten Sessionstag, ist die finale Entscheidung über die Revision geplant. Aktuell laufen die Vorbereitungen der Behindertenorganisation für ein Referendum. Wenn es erst ab 80% Invaliditätsgrad, anstatt wie bisher 70%, eine volle IV-Rente gibt, wird das Referendum ergriffen. Damit es zur Volksabstimmung über die IV Revision 6b kommt, müssen innert 100 Tagen 50‘000 Unterschriften gesammelt werden. Dann müssen sich alle engagieren.

Stand Mitte Sommersession: Der Ständerat beharrt auf der unhaltbaren 80%-Grenze für eine volle IV-Rente – im Gegensatz zum Nationalrat. Die Differenzen sollen in einer Einigungskonferenz beider Räte ausgeräumt werden. Bei 80%, wird das Referendum ergriffen. Quelle: MSG, MSG, NZZ

Eine unheilige Allianz aus linken und rechten Kräften hat die IV Revision 6b versenkt. Den linken wurde zu viel gespart und den rechten zu wenig. Beide Kräfte waren nicht einverstanden und haben die Revision endgültig abgelehnt. Eine zweijährige Arbeit geht ohne Ergebnis zu Ende. Der Status Quo bleibt. Das jetzige IV-Rentensystem wird nicht verändert. NZZ, Tagesanzeiger, MS-Gesellschaft

Die Behindertenorganisationen sind mit dem Scheitern der IV-Revision 6b zufrieden. MSG

Symposium "Ein nachhaltiges Gesundheitssystem für die Schweiz", 4. Dez. 2012 [akt.]

Was ist das Thema des Symposiums?

Am Dienstag 4. Dezember 2012 führen die Akademien der Wissenschaften Schweiz das Symposium «Ein nachhaltiges Gesundheitssystem für die Schweiz» im Inselspital Bern durch.

Das Gesundheitswesen der Schweiz gibt Anlass zu Sorgen:

Die Sicherstellung des notwendigen Personals in den Gesundheitsberufen ist schwierig. Die Verteilung der Berufsabschlüsse entspricht nicht den Bedürfnissen, die Grundversorgung ist akut bedroht. Die Kosten steigen, gleichzeitig wachsen die Ansprüche an die Leistungen. Vor diesem Hintergrund haben die Akademien der Wissenschaften Schweiz das Projekt «Nachhaltiges Gesundheitssystem» lanciert, das Bevölkerung und Ärzteschaft sensibilisieren und mögliche Lösungsansätze aufzeigen soll.

An der Tagung vom 4. Dezember 2012 in Bern werden Resultate des Projektes vorgestellt. Gleichzeitig veröffentlichen die Akademien der Wissenschaften Schweiz eine Roadmap, die darlegt, welche Massnahmen von welchen Akteuren mit welcher Dringlichkeit zu ergreifen sind.

Programm
Anmeldung (Noch bis Ende November möglich)

Die Verteilung der Berufsabschlüsse entspricht nicht den Bedürfnissen, die Grundversorgung ist akut bedroht. Die Kosten steigen und belasten durchschnittliche Schweizer Bürger über die Massen. Gleichzeitig wachsen die Ansprüche an die Leistungen des Gesundheitswesens ständig.

Das Thema geht früher oder später alle an, spätestens bei den kommen Krankenkassenprämien.

Ich finde das Thema relevant und habe mich angemeldet. Ich werde über den Anlass berichten.

[Aktualisierung 20.11.2012: Die SAMW haben ein Positionspapier dazu veröffentlicht: Nachhaltige Medizin und in Nachhaltige Medizin, Schweizerische Ärztezeitung, 17.11.2012, 1645–53]

[Aktualisierung 14.12.2012: Ich habe den Bericht zur Tagung «Ein nachhaltiges Gesundheitssystem für die Schweiz» geschrieben.]

Medizinische Fachzeitschriften (Journals) am Beispiel MS

Wo werden medizinische Erkenntnisse veröffentlicht? Warum wird etwas in einer bestimmten Fachzeitschrift publiziert? Welche medizinischen Fachzeitschriften gibt es? Worin unterscheiden sich die Fachzeitschriften? Wie viele medizinische Fachzeitschriften gibt es?

Wissenschaftliche Erkenntnisse, zu denen die medizinischen gehören, werden an Konferenzen präsentiert und in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht. Ein Forscher schreibt einen Artikel über seine Erkenntnisse. Er informiert damit seine Fachkollegen, die Ärzte und die Öffentlichkeit. Dabei werden nicht einfach nur die Erkenntnisse aufgeschrieben, sondern ganz wichtig auch wie der Forscher zu diesen Erkenntnissen gelangt ist. Welche Methoden angewandt und welche Annahmen getroffen wurden. Auch was die Grenzen (limitations) oder Verzerrungen (bias) der Forschungsarbeit sein könnten. Wichtig ist auch wie sich diese neue Arbeit zu den bisherigen Erkenntnissen einreiht. Ein wissenschaftlicher Artikel muss deshalb verschiedene formale Kriterien erfüllen.

BMJ Cover 11.08.2012BMJ Titelbild 11.08.2012 | © BMJ Group 2012

Wissenschaftliche Fachzeitschriften stellen diese formalen Kriterien sicher. Weiter wird der wissenschaftliche Artikel an mindestens zwei andere Forscher aus dem gleichen Forschungsgebiet (peers) zur inhaltlichen Überprüfung (review) übergeben. Das ergibt das bekannte Peer-Review-System. Der Begutachter kann Korrekturen einfordern oder die Arbeit als nicht relevant zurückweisen und nicht akzeptieren (acceptance). Die Begutachter sind meistens etablierte Forscher, häufig Professoren aus dem Fachgebiet und machen die Arbeit unentgeltlich. Begutachtete Artikel (peer reviewed articles) werden als wissenschaftliche Artikel angeschaut, die anderen gelten als nicht „richtig“ wissenschaftlich. Ausnahmen sind Leitartikel (Editorials). Diese werden von der Fachzeitschrift in Auftrag gegeben oder von den Fachzeitschriftenherausgebern (editors) selbst geschrieben und stellen Meinungen dar. Leitartikel besprechen wissenschaftliche Artikel oder allgemeine Themen. Leitartikel sind meist sehr einflussreich. Sie können wissenschaftliche Artikel abqualifizieren oder herausstreichen. Siehe auch Was ist gute Wissenschaft?.

Wer bestimmt wo etwas publiziert wird?

Der Forscher ist erst einmal frei, wo er etwas veröffentlichen will. Er kann also den besten Ort für seine Arbeit aussuchen.

Was ist der beste Veröffentlichungsort für eine Forschungsarbeit?

Das hängt von der Arbeit und den Resultaten ab. Grundsätzlich möchte der Forscher, dass seine Resultate von möglichst vielen „richtigen“ und wichtigen Leuten gelesen und weiterverarbeitet wird. Er möchte also den Einfluss (impact) seiner Arbeit und somit auch von sich selbst vergrössern.

Der Forscher muss also eine geeignete Fachzeitschrift (journal) für seinen Forschungsartikel suchen. Fachzeitschriften können sich erheblich unterscheiden. Sie können ein weites Themenspektrum haben, auf ein Thema spezialisiert sein, ein Mitteilungsorgan einer Fachgesellschaft sein und somit von vielen Leuten gelesen werden, eine lange Tradition haben, strenge Richtlinien haben, ein gutes Renommee haben, …

Der Forscher möchte eine möglichst angesehene und gute Fachzeitschrift für seine Arbeit. Nur möchten das alle anderen Forscher auch. Bei guten Fachzeitschriften werden deshalb mehr Forschungsartikel eingereicht als publiziert werden können. Sie können deshalb die guten und interessanten Artikel auswählen. Die wichtigen Fachzeitschriften können mit den guten Artikeln den guten Ruf erhalten oder gar steigern – eine positive Spirale.

Akzeptanzrate und Prestige {#akzeptanzrate}

Bei angesehenen Fachzeitschriften werden so viele Artikel eingereicht, dass sie 9 von 10 Artikel wieder zurückweisen (acceptance rate). Wenn es nun einem Forscher gelingt in so einer Fachzeitschrift zu veröffentlichen, ist das für ihn wie ein Preis, den er gewinnt. Sein Ansehen (Prestige) bei seinen Kollegen steigt. Diese Steigerung seines Ansehens, ist also nicht direkt abhängig vom wissenschaftlichen Wert seiner eigenen Arbeit, sondern „färbt“ von der Fachzeitschrift ab. Bei Berufungen auf Professorenstellen zählt in der Regel, wie viele Artikel in angesehenen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. Wissenschaftliche Karrieren werden durch Veröffentlichungen in angesehenen Fachzeitschriften gemacht.

Im aktuellen wissenschaftlichen System zeigt der Veröffentlichungsort von wissenschaftlichen Resultaten wie wichtig der Forscher die Resultate findet und wie wichtig seine Kollegen diese Resultate finden. Wie gültig (valide) sie die Resultate halten.

Bei wissenschaftlichen Fachzeitschriften gibt es so etwas wie eine Hierarchie.

Im Jahr 2011 gab es über 11‘000 anerkannte Zeitschriften für die Naturwissenschaften (Physik, Chemie, Biologie, Medizin, Psychologie, …), davon 3718 medizinische Zeitschriften.1 Also eine riesige Menge. Wohlgemerkt dies umfasst nur die naturwissenschaftlichen Fachzeitschriften. Daneben gibt es noch die geisteswissenschaftlichen Fachzeitschriften, z.B. für Geschichte oder Philosophie.

Wenn eine wissenschaftliche Zeitschrift bei einer Fachzeitschrift abgelehnt wurde, wird sie der Wissenschaftler bei einer anderen Zeitschrift einzureichen versuchen. Er wird dann eine Zeitschrift auf der gleichen Hierarchiestufe oder einer Hierarchiestufe tiefer wählen. Eigentlich müssen durchgeführten Studien veröffentlicht werden um zu verhindern, dass nur „positive“ Funde publiziert werden (publication bias).

Journal Citation Reports® {#jcr}

Zur Übersicht über die verschiedenen Fachzeitschriften gibt es eine Datenbank, den Journal Citation Reports® Science von Thomson Reuters.

Diese Datenbank enthält die verschiedenen Fachzeitschriften mit verschiedenen Angaben:

* Namen
* Erscheinungshäufigkeit
* Wie viele Artikel veröffentlicht werden.
* Welche Fachgebiete abgedeckt werden.
* Wie viele Male, die Artikel aus dieser Fachzeitschrift von anderen Artikel zitiert wurden (Impact Factor). Ein Impact Factor von 1 bedeutet, dass jeder Artikel einer Fachzeitschrift im Durchschnitt einmal in einer anderen Zeitschrift zitiert wurde. Wichtig zu beachten ist, dass diese Angabe eine Durchschnittswert ist. Wenige häufig zitierte Artikel können deshalb den Impact Factor „hochziehen“.
* Und ähnliche Kennwerte wie der EigenFactor®.

Welche Fachzeitschriften gibt es für eine Multiple Sklerose Publikation? {#fachzeitschriften}

Ich habe einmal die gebräuchlichen Fachzeitschriften bei Multiple Sklerose herausgesucht und diese hierarchisch geordnet. Die wichtigsten zuerst. Je höher Impact Factor oder Eigenfactor. Dabei enthalten sind auch generelle naturwissenschaftliche oder medizinische Zeitschriften. Diese haben ein sehr breites Themenfeld, werden von sehr vielen Leuten gelesen und haben deshalb ein sehr hohes Ansehen.

Generelle naturwissenschaftliche Zeitschriften {#nature-science}

Es gibt zwei hochangesehene naturwissenschaftliche Zeitschriften: Nature und Science. Sie stellen den Olymp der wissenschaftlichen Fachzeitschriften dar. Diese veröffentlichen alles – von Astronomie über Medizin bis zur Zoologie. Die Messlatte für Veröffentlichungen in diesen Zeitschriften ist sehr hoch. Fundamentale, gar bahnbrechende Arbeiten werden gefordert. Meist stecken jahrelange Arbeit und zahlreiche Veröffentlichungen in kleineren Fachzeitschriften dahinter.

Nature und Science haben eine eigene Redaktion und einen redaktionellen Teil, sie veröffentlichen also auch wissenschaftliche Nachrichten und nicht nur wissenschaftliche Forschungsartikel.

Medizinische Top 4 Journals {#top-med}

Im Bereiche der Medizin gibt es 4 hoch angesehene generelle Fachzeitschriften. Diese liegen mit grossem Abstand vor anderen Fachzeitschriften.

* New England Journal of Medicine (NEJM)
* The Lancet
* JAMA (The Journal of the American Medical Association)
* BMJ (Britisch Medical Journal)

BMJ hat eine eigene Redaktion und einen redaktionellen Teil, sie veröffentlichen also auch wissenschaftliche Nachrichten und nicht nur wissenschaftliche Artikel. (Bei den anderen weiss ich es nicht.)

PLoS ONE {#plos-one}

Die Zeitschrift PLoS ONE ist ein Sonderfall. Diese generelle medizinische Open Access Fachzeit ist Peer-Reviewed (begutachtet). Sie akzeptiert aber alle Artikel, die die wissenschaftlichen Qualitätsstandards (z.B. methodisch korrekt) einhalten. Es werden 7 von 10 eingereichten Artikel publiziert. Viele andere Fachzeitschriften erscheinen auch in gedruckter Ausgabe, PLoS ONE hingegen erscheint nur im Internet und hat somit keine Platzproblem und muss und will nicht auswählen. Alle können hier veröffentlichen, solange es den wissenschaftlichen Standards entspricht. Diese Fachzeitschrift ist somit so etwas wie ein Sammelbecken für Publikationen.

Warum ist diese Fachzeitschrift PLoS ONE dennoch einflussreich?

Grossen Forschungsförderen kann das Prestige einer Zeitschrift egal sein. Sie wollen, dass ihre Resultate schnell veröffentlicht und ohne Einschränkung lesbar (Open Access) sind. Der Begutachtungsprozess ist in der Regel zeitaufwändig und kann Monate, wenn nicht Jahre dauern. Wenn ein Artikel in einer Fachzeitschrift abgelehnt wird, startet der Begutachtungsprozess von neuem. Diese Zeitschrift wird auch von allen gewählt, denen eine rasche und einfache Veröffentlichung wichtiger als das Prestige der Zeitschrift ist. Der oft mühselige Weg von Einreichen, Ablehnung, Wiedereinreichung, … entfällt bei PLoS ONE.

Forschung von grossen Forschungsföderern wie z.B. Wellcome Trust wurde durch die Fördergremiem bereits ausgewählt (selektiert) und können auch grössere Projekte umfassen. Solche Forschungsarbeiten liefern häufig wichtige wissenschaftliche Forschungsergebnisse.

Fachspezifische Zeitschriften

In den Fachgebieten gibt es in der Regel ein oder mehrere führende Fachzeitschriften. In der Neurologie ist dies z.B. die Fachzeitschrift Neurology®.

Multiple Sclerosis Journal (MSJ) {#msj}

Das Multiple Sclerosis Journal (MSJ) ist die einzige Zeitschrift, die sich nur auf Multiple Sklerose spezialisiert hat.

Wissenschaftliche Fachzeitschriften aus dem deutschsprachigen Raum {#de-journals}

* Swiss Medical Weekly (SMW): Wissenschaftliche Fachzeit der Schweizer Ärztegesellschaft FMH zu allgemeinen Themen der Medizin. Häufig mit einem Bezug zur Schweiz.
* Wiener Klinische Wochenschrift: Österreichische Fachzeitschrift mit generellem Themenspektrum. Deutschsprachig.
* Nervenarzt: Die Zeitschrift richtet sich an niedergelassene und in der Klinik tätige Ärzte für Neurologie, Psychiatrie und Nervenheilkunde. Eine der wenigen deutschsprachigen Fachzeitschriften. Organgesellschaften: Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (DGN), Deutsche Schlaganfall-Gesellschaft (DSG), Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)

Die Schweizerische Ärztezeitung druckt keine wissenschaftlichen Publikationen ab. Die Beiträge sind nicht Peer-Reviewed, was auch nicht nötig ist. Denn es geht um Informationsbeiträge und Meinungen.

Übersicht der Fachzeitschriften am Beispiel von MS {#journal-liste}

Name | Gebiet | IF | EF | Art. 2011 | L | GJ | OA
– | – | – | – | – | – | – | –
Nature | Nat | 36 | 1.66 | 841 | UK | 1869 | N
Science | Nat | 31 | 1.41 | 871 | US | 1880 | N
New England Journal of Medicine (NEJM) | Med | 53 | 0.66 | 349 | US | 1811 | 6M
PLoS ONE | Nat | 4 | 0.5 | 13781 | US | 2006 | J
Journal of Neuroscience | N | 7 | 0.45 | 1790 | US | 1981 | H
The Lancet | Med | 38 | 0.36 | 276 | UK | 1823 | N
JAMA | Med | 30 | 0.29 | 220 | US | 1883 | 6M
Neuron | N | 15 | 0.23 | 327 | US | 1988 | N
Nature Medicine | Med | 22 | 0.17 | 187 | UK | 1995 | N
Nature Neuroscience | N | 16 | 0.16 | 226 | US | 1998 | N
Neuroimage | N | 6 | 0.15 | 1024 | US | 1993 | N
BMJ | Med | 14 | 0.14 | 261 | UK | 1840 | 6M
Neurology® | N | 8 | 0.14 | 497 | US | | N
Cochrane Database of Systematic Reviews | Med | 6 | 0.12 | 620 | UK | 1993 | G
Nature Reviews Neuroscience | N | 30 | 0.11 | 47 | UK | 2000 | N
Brain | N | 9 | 0.1 | 269 | UK | 1878 | H
Brain Research | N | 3 | 0.09 | 937 | NL | 1966 | N
Neuroscience | N | 3 | 0.09 | 852 | UK | 1976 | N
PLoS Medicine | Med | 16 | 0.08 | 126 | US | 2004 | J
European Journal of Neuroscience | N | 4 | 0.07 | 402 | UK | 1989 | N
The Lancet Neurology | N | 23 | 0.07 | 86 | UK | 2002 | N
Annals of Neurology | N | 11 | 0.07 | 192 | UK | 1977 | H
Neuropsycho­phar­ma­co­logy | N | 8 | 0.05 | 232 | UK | 1994 | H
Trends in Neuro­sciences (TINS) | N | 14 | 0.05 | 60 | NL | 1978 | N
Journal of Neurology, Neuro­surgery & Psychiatry (JNNP) | N | 5 | 0.04 | 244 | UK | 1920 | H
Annual Review of Neuroscience | N | 26 | 0.03 | 24 | US | 1978 | N
Canadian Medical Association Journal | Med | 8 | 0.03 | 133 | CA | 1911 | 1J
Journal of Neurology | N | 3 | 0.02 | 248 | DE | 1891 | H
Brain Research Reviews | N | 10 | 0.02 | 43 | NL | 1966 | H
Journal of Neuro­immuno­logy | N | 3 | 0.02 | 219 | | | N
Multiple Sclerosis Journal | MS | 4 | 0.02 | 182 | UK | 1995 | H
BMC Neuroscience | N | 3 | 0.01 | 128 | UK | | J
Current Opinion in Neurology | N | 5 | 0.01 | 84 | UK | | N
Nature Reviews Neurology | N | 12 | 0.01 | 55 | US | 2005 | N
Neurothera­peu­tics | N | 6 | 0.01 | 65 | US | | H
BMC Neurology | N | 2 | 0.01 | 154 | US | | J
Swiss Medical Weekly | Med | 2 | 0.01 | 169 | CH | 1871 | J
Wiener Klinische Wochenschrift | Med | 1 | 0 | 121 | AT | 1888 | H
Deutsches Arzte­blatt Inter­na­tio­nal | Med | 3 | 0 | 102 | DE | 1949 | J
Reviews in the Neurosciences | N | 2 | 0 | 49 | UK | | H
Neuro­immuno­mo­du­la­tion | N | 2 | 0 | 42 | CH | 1994 | N
Nervenarzt | N | 1 | 0 | 143 | DE | 1928 | N

Auswahl von Fachzeitschriften geordnet nach Eigenfactor® („Prestige“) für Neurologiepublikationen.
Erklärung:
Fett = Medizinzeitschrift mit hohen Prestige; Fettkursiv = Zeitschrift mit dem höchsten Prestige in den Naturwissenschaften
Legende:
Gebiet = Fachgebiet der Zeitschrift; Nat = Für alle Naturwissenschaften; Med = Für alle medizinischen Themen; N = Aus dem Fachgebiet Neurologie
IF = ImpactFactor, je höher desto angesehener
EF = Eifenfactor®, je höher desto angesehener
Art. 2011 = Anzahl veröffentlichte Artikel im Jahre 2011
L = Herkunftsland der Zeitschrift
GJ = Gründungsjahr der Zeitschrift oder deren Vorgängerin
OA = Open Access; J = Ja; N = Nein; H = Hybrides Modell, Autoren können Artikel durch eine Gebühr freischalten; G = Geographisch, für gewisse Länder besteht freier Zugang; 6M = automatisch nach 6 Monaten Open Access; 1J = automatisch nach 1 Jahr Open Access
Datenquelle: 2011 Journal Citation Reports® Science Edition (Thomson Reuters, 2012)

Daneben gibt es noch zahlreiche weitere Fachzeitschriften, die für eine Veröffentlichung zu Multiple Sklerose in Frage kämen.

Herausgeber und Editoren {#editoren}

Herausgeber und Editoren sind verantwortlich für den Inhalt der Fachzeitschriften. Diese sind meist etablierte und renommierte Professoren. Herausgeber und Editoren von Fachzeitschriften können durch das Akzeptieren oder Zurückweisen von Forschungsartikel Einfluss auf den wissenschftlichen Fortgang nehmen. Publikationen in angesehenen Fachzeitschriften können verhindert werden. Alternative, konkurrierende Ideen und Hypothesen können unterdrückt, oder zumindest verzögert werden. Durch ihren Einfluss sind Editoren respektierte bzw. geführchtete Personen. (Interessant ist dazu der Blogartikel des Ex-BMJ Editors An ex-editor on the receiving end, BMJ, 31. Juli 2012.)

Prestige und Open Access {#oa}

Das hohe Prestige der Top-Fachzeitschriften führt zu einer monopolartigen Situation. Es gibt ihnen sehr viel Macht. Diese kann auch und wird auch wirtschaftlich ausgenutzt und kann den eigentlichen wissenschaftlichen Prozess sogar behindern. Die Open Access Bewegung versucht diesen Prozess wieder in eine für die Allgemeinheit gute Bahn zu lenken.

Zurückgezogene oder fehlerhafte Artikel (retractions) in der wissenschaftlichen Literatur {#retraction}

Wissenschaftliche Artikel, deren Resultate nicht mehr als vertrauenswürdig angeschaut werden aufgrund von wissenschtlichem Fehlverhalten oder Fehlern, von Plagiaten oder Missachtung von ethischen Regeln werden aus der wissenschaftlichen Literatur zurückgezogen (retracted). Interessanter weise scheint die Anzahl der Retractions mit dem Ansehen (Impact Factor) der Fachzeitschrift zusammen zu hängen (zu korrelieren).2 Je höher das Ansehen, desto mehr zurückgezogene Artikel. Das könnte damit zusammenhängen, dass spektakuläre Resultate interessanter sind – aber auch häufiger falsch oder erschwindelt. Ein Grund könnte sein, dass an Schein interessierte Persönlichkeiten das Rampenlicht von angesehenen Fachzeitschriften mit allen (erlaubten und unerlaubten) Mitteln suchen. Zurückgezogene Artikel sind ein eigenes interessantes Thema. Der Blog Retraction Watch thematisiert ausschliesslich zurückgezogene Artikel. Er informiert über Retractions und analysiert die Rückzugsgründe der Artikel. Einfache Ausfühungsfehler oder ausgewachsener wissenschaftlicher Betrug.


  1. Gemäss 2011 Journal Citation Reports® Science Edition (Thomson Reuters, 2012) 

  2. Fang FC, Casadevall A. Retracted Science and the Retraction Index, Infection and Immunity, Aug. 2011

    Welche Fachzeitschriften lesen die Schweizer Ärzte regelmässig? {#ch-medics-journal}

    Die Schweizerische Ärztezeitung hat Umfrageresultate dazu veröffentlicht3.

    1. Schweizerische Ärztezeitung
    1. Swiss Medical Forum
    1. Medical Tribune
    1. The New England Journal of Medicine
    1. VSAO / ASMAC Journal
    1. PrimaryCare
    1. Swiss Medical Weekly
    1. Ars Medici
    1. Cardiovascular Medicine
    1. Revue Médicale Suisse
    1. und weitere

     

  3. Übersicht ist am Schluss des Artikels Maya Grünig, Claudia Weiss, Peter Meier-Abt. Swissmedic durchleuchtet Clinical Trial Units, Schweizerische Ärztezeitung, Jan. 2012, 93(3):54–5 zu sehen.

    Kommentar {#kommentar}

    Die Zeitschriftenhierarchie basierend auf dem Impact Factor ist ein einfaches und schnelles Mittel um eine wissenschafltiche Erkenntnis in ihrer Bedeutung einzuordnen. Eine zu unkritische und zu rasche Verwendung führt aber zu Problemen und Verzerrungen.

    Wie bei allen Messgrössen, können die Leute bestrebt sein, die Messgrösse gezielt zu „optimieren“. Die Messgrössen verlieren dabei jedoch ihre Aussagekraft. Der Impact Factor wurde bereits mehrfach manipuliert um eine Fachzeitschrift einflussreicher darzustellen als sie wirklich ist. So werden eigentlich leere Artikel veröffentlicht, die nichts anderes als Zitationen auf eigene Artikel enthielten.

    Wie wichtig der Impact Factor ist, zeigt, dass die meisten wissenschaftlichen Fachzeitschriften den Impact Factor gut sichtbar auf ihrer Homepage anzeigen.

    Mit diesem Blogartikel versuchte ich das aktuelle wissenschaftliche Publikationssystem für „Nicht-Forscher“ zu beschreiben. Ich hoffe dieser Artikel hilft den Forschungsprozess besser zu verstehen.

     

Volksvertreter oder Firmenvertreter?

Was für Interessenbindungen haben unsere Volksvertreter (Parlamentarier)? Welche Interessenverflechtungen gibt es? Welche Lobbys nehmen Einfluss auf die gesundheitspolitischen Entscheide? Wer ist mit wem verbandelt? Wer vertritt welche Interessen?

Diesen Fragen bin ich in meiner Analyse Dauerhaft zutrittsberechtigte Lobbyisten aus dem Gesundheitssektor im Schweizer Parlament Anfang Jahr und im Blogartikel Geht wählen! Achtet auf die Interessenbindungen der Kandidaten! bereits nachgegangen. Das Besucherregister wurde um den Jahreswechsel erstmals transparent ins Internet gestellt.

StänderatssaalStänderatssaal | © Das Schweizer Parlament

Genau diesen Fragen ist auch der Beobachter nachgegangen. Die Journalisten Otto Hoststettler und Thomas Angeli haben nicht nur das Besucherregister ausgewertet, sondern auch das Interessenbindungs- und das Handelsregister. Selbstdeklarierte und «vergessene» Interessenbindungen sind in einer sehr anschaulichen und kompakten Grafik für die jeweilige Gesundheitskommission dargestellt.

Dieser Beobachterartikel und die Grafiken zeigen, was herauskommt, wenn Profis am Werk sind.

Bundesbern: Wie Lobbyisten im Bundeshaus die Strippen ziehen, Beobachter, 12. Okt. 2012, Ausgabe: 21/12

Es lohnt sich die Grafiken, die im Artikel als PDF verlinkt sind, genau anzuschauen. Beispielsweise sind die Lobbys, je nach Einflussstärke, grün, gelb oder rot markiert.

Zurzeit haben rund 1400 «Gäste», sprich Lobbyisten, Zugang in den Arbeitsbereich des Bundeshauses. Auf einen Parlamentarier kommen also fünf «Gäste».

Nachdenklich stimmt zudem, dass die Parlamentarier «Hobbypolitiker» sind, die Lobbyisten jedoch Profis. Ein Parlamentsmandat ist offiziell ein Teilzeitpensum. Die Lobbyisten können sich voll auf ihre Tätigkeit besinnen und haben, falls nötig, Zugriff auf Verbandsstrukturen im Hintergrund. Interpharma hat beispielsweise 20 Beschäftige. Und die finanzkräftigen Pharmamultis Roche und Novartis sind im Rücken.

Die Teilzeitparlamentarier haben kaum Zeit für eigene, grundlegende Analysen und Recherchen. Studien und Ratschläge von «Lobbyisten», sind ohne Aufwand erhältlich und sind sicher willkommene «Hilfen». Nur, die Lobbyisten werden natürlich nur die Informationen präsentieren, die die eigenen Anliegen stützen. Die Wahrnehmung der Parlamentarier wird so verzerrt und beeinflusst.

Bei all diesen Lobbyvertretern, stellt sich die Frage, ob das Volk nicht selbst auch Lobbyisten engagieren soll. Die Volksvertreter könnten sonst leicht vergessen das Volk zu vertreten.

Anschliessend an den Artikel wurde ein Interview mit Thomas Cueni, dem «Oberlobbyisten» der Nation, abgedruckt. Die Antworten von Thomas Cueni sind aufschlussreich und interessant. Thomas Cueni lobbyiert bereits seit 20 Jahren für die Pharmaindustrie. Ein erfahrener Profi.

Schlussbemerkung

Der Beobachterartikel ist gut recherchiert. Er zeigt die Interessenverflechtungen unserer «Volksvertreter» auf eindrückliche Weise. Dieser Artikel ist ein wichtiger für die Zivilgesellschaft.

Die Transparenzinitiative ist ein Löschungsschritt. Bis Dezember kann die Initiative noch unterschrieben werden. Jetzt unterschreiben, solange es noch möglich ist.

Eingangs-, wie Schlussfrage: Volksvertreter oder Firmenvertreter?

Thomas Angeli schrieb für den Beobachter einen Standpunkt: Fünf Regeln gegen Einflüsterer


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Neues Buch «Bad Pharma» von Ben Goldacre – Empfehlenswert [akt. 2]

Was steht im Buch „Bad Pharma“? Warum ist es wichtig das Buch zu lesen? Wer ist der Autor Ben Goldacre? Wer soll das Buch lesen?

Ein neues, massstabsetzendes Buch über die Pharmaindustrie – und deren Machenschaften ist erschienen: Bad Pharma: How Drug Companies Mislead Doctors and Harm Patients, Harpercollins UK, 2012 books.ch, amazon.de (Nur Englisch.) Geschrieben hat es der Arzt und Kolumnist Ben Goldacre.

Dieses Buch ist derzeit das beste über die Machenschaften der Pharmaindustrie.

Ben Goldacre kommt aus England. Er ist Arzt, Forscher und Blogger. Er engagiert sich für gute Wissenschaft und gute Medizin. Bekannt wurde Ben Goldacre durch seine Kolumne „Bad Science“ in The Guardian, die er vor 10 Jahren begann. Er hat eine lockere Art zu schreiben, was zu unterhaltsamen Texten führt. Auch bei komplizierten Themen. In seiner Kolumne erklärte er wie Wissenschaft funktioniert, anhand von schlechten Beispiel, so wie man es nicht machen darf. Quacksalberei und Pseudowissenschaft werden durchleuchtet und aufs Korn genommen.

Im Jahre 2008 veröffentlichte er sein erstes Buch mit dem Titel Bad Science, gleichnamig wie seine Kolumne und sein Blog.
Das Buch wurde ein grosser Erfolg.

Bad Pharma

Bad Pharma Buch, Ben GoldacreBad Pharma Buch, Ben Goldacre

“Medicine is broken” ist der erste Satz des Buch, und weiter “the people you should have been able to trust to fix [its] problems have failed you.”

Das Buch beschreibt die Machenschaften der Pharmaunternehmen. Wie die Wissenschaft zu ihren Zwecken sabotiert wird – zum Schaden der Patienten und der Allgemeinheit.

Das Buch beleuchtet die verschiedenen Arten die Wissenschaft zu manipulieren: „Negative“ Studien nicht veröffentlichen, „negative“ Daten weglassen, „negative“ Daten uminterpretieren, die Rohdaten den Universitätsforschern vorenthalten und damite ein unabhängige und kritische Analyse verunmöglichen, gesetzliche Rahmenbedingungen zu ihren Zwecken verändern, Mediziner mit Marketing manipulieren, wissenschaftliche Artikel durch Ghostwriter verfassen lassen, …

Die einzelnen Elemente sind schon lange bekannt. Alles in einem Buch vorzufinden ist erschreckend. Während dem Lesen ist man einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt, Wut über die Missstände, traurig, dass es so weit kommen konnte und inspiriert und voller Tatendrang etwas zu verändern.

Das Buch listet nicht nur die Missstände auf, sondern es enthält auch konkrete Vorschläge, was getan werden kann – was getan werden muss. Für die verschiedenen Gruppen – Ärzte, Forscher, Regulierungsbehörden, Patienten, Patientenorganisationen, Forschungsförderungsinstitutionen, Politiker – sind Korrekturempfehlungen aufgelistet.

Eines der Hauptprobleme ist, dass die Pharmaunternehmen Daten zurückhalten und verstecken. Ein Kernpunkt der evidenzbasierte Medizin ist, dass alle zu einer Therapie ausgewertet werden, und nicht nur die Daten, die einem passen und gefallen (Rosinenpickerei, cherry-picking). Wenn jedoch schon von Anfang an Daten verheimlicht werden, ist die evidenzbasierte Medizin auf Sand gebaut.

> Positive findings are around twice as likely to be published as negative findings. This is a cancer at the core of evidence-based medicine. – Ben Goldacre
> Positive Resultate werden zweimal häufiger publiziert als negative Resultate. Das ist ein Krebs im Herzen der evidenzbasierten Medizin.

Beispielsweise hat Pfizer, das grösste Pharmaunternehmen der Welt, Hersteller von Viagra®, drei Viertel seiner Patientendaten seines Antidepressivums Reboxetin (Edronax®) nicht veröffentlicht. Nur die „positiven Daten“ wurden veröffentlicht. Gemäss aller vorhandenen wissenschaftlich publizierten Daten, ist das Medikament als wirksam. Wenn jedoch alle Daten herangezogen werden, verschwindet die Wirkung. Ist das Wissenschaft? Das traurige ist, dass Pfizer ganz legal gehandelt hat.

Noch trauriger ist, dass der Öffentlichkeit suggeriert wird, dass das Problem bereits gelöst wurde und nicht mehr auftreten kann. Im Buch bezeichnet er diese Korrekturen als „Fake Fixes“ (Scheinkorrekturen). Die Pharmaunternehmen behaupten nun, dass dies in der Vergangenheit gemacht wurde, dass sie sich aber gebessert hätten, und die nicht mehr vorkäme. Das macht das Problem gleich doppelt so schlimm: Nichts korrigiert und eine Korrektur ist nicht zu erwarten.

Regeln wurden aufgestellt, dass alle Studien vor Beginn registriert werden müssen und nur registrierte Studien in renommierten Fachzeitschriften veröffentlicht werden. Denn alle wollen ihre guten Resultate in renommierten Fachzeitschriften veröffentlichen – ein starker Anreiz. Nur das ist Theorie. Die Regeln wurden leider missachtet. Auch nicht-registrierte Studien wurden veröffentlicht. Der ganze Anreiz zerfällt. Ein „Fake Fix“.

Die besten Eindrücke vom Buch erhält mensch durch die frei verfügbare Indroduction.

Es ist wichtig, dass möglichst viele Leute den Inhalt des Buches „Bad Pharma“ kennen. [Aktualisierung 09.09.2013: Zur Zeit leider nur auf englisch erhältlich.] [Aktualisierung 09.09.2013: Mitte August ist die deutsche Übersetzung erschienen: Die Pharma-Lüge.]

Das Buch ist hochgradig relevant und geht uns alle an. Kauft es! Lest es! Sprecht darüber.

Buchkritiken

* The drug industry: Pick your pill out of a hat, The Economist, Sep. 2012
* The drugs don’t work: a modern medical scandal, The Guardian, 21. Sep. 2012
* Trisha Greenhalgh No such thing as a free lunch, British Journal of General Practice, 1. Nov. 2012, 62(604):594–594

> Ben Goldacre’s Bad Pharma: How Drug Companies Mislead Doctors and Harm Patients, a decimating critique of the pharmaceutical industry and the system-level problems that support ineffective and unsafe prescribing, is the new Harry Potter. Open it on the bus or tube and people will approach you to ask what chapter you’re up to. Scandalous, they say. Scandalous, you agree. Those overhearing your conversation will peek at the title and scribble it discreetly on the back of their ticket. As I write this, Goldacre is narrowly behind JK Rowling on the climb up Amazon’s top 20 chart.
Bad Pharma ist der neue Harry Potter. Wildfremde Menschen sprechen in der U-Bahn über das Buch. Skandalös, sagen sie. Skandalös, bestätigst du. Stille Zuhörer notieren den Titel auf der Rückseite ihres Tickets.

[Aktualisierung 14.02.2013: Peter Kleist, medizinischer Direktor des Pharmaunternehmens GlaxoSmithKline (GSK), nun in der Schweizerischen Ärztezeitung erfreulicherweise das Buch Bad Pharma in der Schweiz mit dem Artikel Nur hundertprozentige Transparenz schafft Vertrauen (2013;94: 7 [267]) vorgestellt und besprochen. (Die britische Pharmaindustrie reagierte wie in der Buchbesprechung angetönt etwas anders.) Hinweis: GSK musste in den USA 2012 3 Mrd. Dollar Busse bezahlen.]

TED-Talk

Ben Goldacre hat einen 14-minütigen Vortrag What doctors don’t know about the drugs they prescribe in der TED-Talk-Reihe zu den verheimlichten Studiendaten gemacht. Der Vortrag ist englisch [Aktualisierung 25.11.2012: mit deutschen Untertiteln], unterhaltsam und bietet einen guten Einstieg. Sehr empfehlenswert.

AllTrials.net

Um das Problem des Publication Bias ernsthaft anzugehen, haben Ben Goldacre, Iain Chalmers (James Lind Alliance, Cochrane Collaboration), Fiona Godlee (BMJ) und weitere die AllTrials.net Initiative Mitte-Januar gestartet. Alle sind aufgerufen die Petition zu unterschreiben. (Das Pharmaunternehmen GSK hat unterschrieben.)

[Aktualisierung 06.03.2013: Ein 60 minütiger (lustiger) Vortrag Book Discussion on Bad Pharma (engl.) von Ben Goldacre aus Seattle vom 18.02.2013. Sehenswert.]

[Aktualisierung 09.09.2013: Die lang ersehnte deutsche Übersetzung des Buches ist Mitte August erschienen: Die Pharma-Lüge. Prof. Peter T. Sawicki, Gründer des IQWiG, schreibt im Vorwort: «Das Buch behandelt die richtigen Themen pointiert und wissenschaftlich korrekt; und dies mit guten Beispielen und so allgemeinverständlich, dass sich jeder, der sich mit dem Thema auseinandersetzen will, einen profunden und breiten Einblick erhält und damit selbst zum Experten werden kann.»]