D. Vasella und J. Gimenez von Novartis spenden ihren Lohn 2011 für die MS-Grundlagenforschung

Dr. Daniel VasellaDr. Daniel Vasella. CC BY-SA via Wikimedia.

Verwaltungsratspräsident Dr. med. Daniel Vasella und CEO Joe Gimenez von Novartis haben überraschend angekündigt, dass sie ihren Lohn von 2011, 13,07 Mio. Fr. respektive 15,93 Mio. Fr., der Schweizerischen MS-Gesellschaft für die Grundlagenforschung der Multiple Sklerose (MS) zur Verfügung stellen.

Sie finden es, als Vertreiber des kommerziell erfolgreichen MS-Medikamentes Gilenya®, persönlich wichtig, dass die MS nicht nur verzögert (behandelt) sondern effektiv auch verstanden und besiegt wird.

Mit dieser einmaligen Geste kann die MS-Forschungsförderung von 1.2 Mio der Schweizerischen MS-Gesellschaft Fr. die nächsten 24 Jahre verdoppelt werden.

Um ihr Engagement zu unterstreichen haben sie angekündigt ihre Villen zu verkaufen und in bescheidene 5-Zimmer Wohnungen zu ziehen.

Da kann ich nur meinen aufrichtigen Dank an diese beiden Herren richtigen. Herzlichen Dank!

April, April! Zu schön wärs.

Meldungen (6): Beobachter über Ärzte und Pharma in der Schweiz [akt.]

Der Beobachter hat in seiner neusten Ausgabe das Titelthema „Gekaufte Ärzte: Wie die Pharma Mediziner an sich bindet“.

Es gibt einen Rechercheartikel und ein Interview mit dem 68-jährigen profilierten Gesundheitsökonomen Heinz Locher. Erfreulicherweise sind die Artikel frei zugänglich.

Gesundheitswesen: Wie sich Ärzte von der Pharma kaufen lassen, Beobachter, 28. März 2012, Ausgabe: 7/12

> Wer sich kritisch äussert, 
wird von Berufskollegen geschnitten.

> Mit einem sogenannten Vorteilsverbot im Heilmittelgesetz wollte man vor zehn Jahren verhindern, dass die Industrie die Ärzte weiterhin «anfüttert»; sprich: sie beim Verschreiben von Medikamenten ­beeinflusst.


> Bezeichnend für die geringe Sensibilität von Ärzten ist ein Erlebnis der Lausanner Medizinstudentin Alexandra Miles, die das Thema in ihrer Masterarbeit aufgreifen wollte. Dazu kontaktierte sie sämtliche ­medizinischen Direktoren der öffentlichen Spitäler der Schweiz. Mit null Reaktion: Sie erhielt keinen einzigen Fragebogen zurück.

> Nach zehn Jahren sind die Mängel des «Anti-Korruptions»-Gesetzes aber so offensichtlich geworden, dass unmittelbarer Handlungsbedarf besteht. Für die geplante Revision des Heilmittelgesetzes schlug das Bundesamt für Gesundheit deshalb vor zwei Jahren eine «Offenlegungspflicht» vor.

Interview mit Heinz Locher:

Ärzte und Pharma: «Es herrscht überhaupt kein Unrechtsbewusstsein», Beobachter, 28. März 2012, Ausgabe: 7/12

Heinz Locher hat zusammen mit dem ehemaligen FMH-Präsidenten (Ärzteverband) Hans-Heinrich Brunner das Buch Die Schweiz hat das beste Gesundheitssystem – hat sie das wirklich? geschrieben. Hans-Heinrich Brunner hat das Buch in Eile vor seinem Tod geschrieben und war bei der Veröffentlichung bereits verstorben.

> Die Richtlinien der Ärzteschaft sind viel zu zahm, und der Kodex der Pharma sieht nicht einmal Sanktionen vor. Auch in der wissenschaftlichen Gemeinschaft müsste geächtet werden, wer gegen Standesregeln oder Branchenrichtlinien verstösst.

> Ich bin grundsätzlich gegen Sponsoring in der ärztlichen Fortbildung. Auch wenn ein Geldgeber nicht aktiv auf das Programm einer Veranstaltung einwirkt, entstehen trotzdem psychologische Abhängigkeiten.

Der frühere Artikel Interessenkonflikte, psychologische Mechanismen und deren Ausnutzung analysiert und beschreibt einige der wichtigsten psychologischen Mechanismen. Er enthält grundlegendes Wissen.

> Ärzte werden zu dieser Haltung «sozialisiert», sie wurden schon in ihrer Assistentenzeit so «erzogen».

> Wer Karriere machen will, darf sich nicht mit dem Establishment anlegen. Interessenkonflikte sind noch immer ein Tabuthema.

Endlich wird das Thema Ärzte und Pharma auch in der Schweiz öffentlich thematisiert. Nur weil nicht darüber geredet wird,heisst dies noch lange nicht, dass auch kein Problem existiert.

Ich empfehle diese beiden Beobachterartikel allen zur Lektüre.

Gemäss neuster Wemf-Studie ist der Beobachter vom Springer Verlag mit 987‘000 Leser und Leserinnen die meistgelesene Publikumszeitschrift der Schweiz. Die Artikel haben deshalb eine rechte Streuung und bringen hoffentlich Bewegung in die Sache.

Situation in Deutschland?

Seelsorge für die Industrie, Der Spiegel, 16. Mai 2011

> Sobald die Hochschulmediziner auf den Lohnlisten pharmazeutischer Firmen erfasst sind, ist deren Unabhängigkeit gefährdet. Ober- und Chefärzte fungieren nunmehr als „Meinungsbildner“ – spöttische Ärzte halten die Bezeichnung „Mietmäuler“ für treffender: Sie sollen den Interessen ihrer Auftraggeber dienen, sprich: den Firmen Glaubwürdigkeit verleihen und für hohe Verschreibungszahlen sorgen.

Top Verdiener in der Pharma Neu!

Die 10 Topverdiener der Schweiz, tagesanzeiger.ch: (Tagesanzeiger.ch/Newsnet), 30. März 2012

> Unter den Top Ten, die in der Bildstrecke abgebildet sind, rangieren gleich vier Chefs von Pharmaunternehmen

> Die Topmanager Joe Jimenez (Novartis), Ernst Tanner (Lindt & Sprüngli) und Joe Hogan (ABB) gehörten bereits 2010 zu den Spitzenverdienern der Managerriege und konnten 2011 darüber hinaus noch zulegen. Jimenez verdiente im Vorjahr um 3 Millionen Franken mehr als im Jahr 2010.

Rohdaten von Moneyhouse: http://www.moneyhouse.ch/wirtschaft/vips/die_spitzenverdiene…

Die Pharmamanager haben auch ganze Arbeit geleistet, wie obige Artikel zeigen. Sie sind ihr Geld wert!

Gehirnstruktur Neu!

Gehirn ist überraschend einfach gestrickt, Spiegel Online, 29. März 2012

> Eine US-Studie zeigt nun, dass Nervenbahnen aber in ordentlich gewebten Strukturen verlaufen.

> Wedeen und sein Team gehen von einer einfachen Erklärung für den Aufbau der Netze aus. Während der Embryonalentwicklung orchestrieren Moleküle die Formgebung des Körpers entlang der drei Körperachsen: der Längsachse (von Kopf bis Fuß), der Sagittalachse (vom Rücken zum Bauch) und der Transversalachse (von links nach rechts).

> Zu Krankheiten, bei denen eine Störung der Faserbahngeometrie beteiligt ist oder sein könnte, gehören etwa Schizophrenie, Multiple Sklerose, Schlaganfall, Demenz und Aufmerksamkeitsstörungen.

Originalartikel publiziert in der Zeitschrift Science:

Wedeen VJ, Rosene DL, Wang R, Dai G, Mortazavi F, Hagmann P, u. a. The Geometric Structure of the Brain Fiber Pathways, Science, 30. März 2012, 335(6076):1628–34

Patric Hagmann ist ein Schweizer Forscher vom Universitätsspital Lausanne (CHUV). Der Artikel ist leider nicht frei zugänglich.

Beitrag im Schweizer Radio DRS im Magazin Wissenschaft:

Die Wege des Hirns sind ergründlich, Wissenschaft DRS 2, 31. März 2012 5:25

Erfolge in der Forschung? Neu!

Mehrzahl der Erfolge in Krebsforschung täuscht, Spiegel Online, 29. März 2012

> Selbst Forscher zeigen sich schockiert: Die wenigsten der als Durchbruch vermeldeten neuen Ansätze in der Krebstherapie werden nach Jahren tatsächlich weiter verfolgt. Schuld seien zu frühe und unkritische Publikationen. Auch negative Ergebnisse müssten veröffentlicht werden, fordern Experten.

Medizin rationieren?

Medizin rationieren?, Echo der Zeit, 29. März 2012

> Neue Studien fordern eine Einschränkung der Leistungen im Gesundheitswesen. Der leitende Anästhesist am Unispital Basel fordert dies schon lange.

Schwenkglenk M, Gutzwiller F. Nutzen und Wert medizinischer Leistungen, Akademien der Wissenschaften Schweiz, 29. März 2012 (PDF)

> Diese Studie haben im Auftrag der Akademien der Wissenschaften PD Dr. Matthias Schwenkglenk und Dr. Florian Gutzwiller vom Institut für pharmazeutische Medizin der Universität Basel erstellt. Der Bericht beschreibt die Methoden zur Bewertung medizinischer Leistungen sowie deren Anwendung in verschiedenen Ländern mit Vor- und Nachteilen. Es erfolgt eine zusammenfassende Beurteilung der möglichen Bedeutung dieser Methoden für die Schweiz.

Auswertung der unterstützten Forschungsprojekte der MS-Gesellschaft (2008 – 1. Hälfte 2012)

Jetzt war es wieder so weit. Die MS-Gesellschaft hat die unterstützten Forschungsprojekte der zweiten Hälfte 2011 und der ersten Hälfte 2012 auf der Homepage veröffentlicht. Besten Dank an die MS-Gesellschaft für die Veröffentlichung dieser Informationen.

Mit diesen neuen Daten habe ich die Auswertung vom letzten August um die neu unterstützten Projekten erweitert.

Auswertung Forschungsförderung

Ich habe die unterstützten Forschungsprojekte (Zeitraum von 2008 bis zur ersten Hälfte 2012) angeschaut und ausgewertet:

Anzahl Forschungsprojekte nach Universitäten, 2008 - 1. Hälfte 2012Anzahl Forschungsprojekte nach Universitäten, 2008 – 1. Hälfte 2012

Unterstützte Forschungsprojekte nach Fachgebiet, 2008 - 1. Hälfte 2012Unterstützte Forschungsprojekte nach Fachgebiet, 2008 – 1. Hälfte 2012

Auswertung

  • Es wurden 119 Projekte unterstützt.
  • Ca. 5.4 Mio. Franken wurden im Zeitraum 2008 bis 1. Hälfte 2012 für die Forschungsförderung ausgegeben. Die MS-Gesellschaft vergibt jährlich etwa 1.2 Mio. Franken.
  • Ein unterstütztes Projekt erhält somit im Durchschnitt 45‘000 Franken.
  • Die unterstützten Projekte wurden mehrheitlich an die Schweizer Universitäten vergeben. Etwa die Hälfte der Projekte wurde an die Universitäten Basel und Zürich vergeben. Die Aufteilung ist in der ersten Grafik dargestellt.
  • Die MS-Gesellschaft hat zu über zwei Dritteln immunologische Forschung unterstützt, wovon 11 Projekte zur Mausforschung (EAE) gehören. Die zweite Grafik zeigt die Aufteilung nach Fachgebieten. Die Zuordnung zu den Fachgebieten habe ich aufgrund des Projekttitels vorgenommen.
  • Die 119 unterstützten Projekte wurden auf 63 verschiedene Personen verteilt.
  • 21 dieser Personen sind selbst im wissenschaftlichen Beirat 2011 (27 Mitglieder) vertreten, der diese Forschungsförderung vergibt.
  • 46 unterstützte Projekte wurden von Professoren eingereicht.

Die folgende Tabelle zeigt die Forscher mit drei und mehr Projekten:

Forscher Anzahl Projekte
Danielle Burger, Uni GE 5
Britta Engelhardt, Uni BE, Wissenschaftlicher Beirat 5
Walter Reith, Uni GE 5
Renaud Du Pasquier, Uni LS, Wissenschaftlicher Beirat 4
Adriano Fontana, Uni ZH 4
Paul Grossman, Uni BS 4
Norbert Goebels, Uni ZH 4
Lalive Patrice, Uni GE, Wissenschaftlicher Beirat 4
Raija Lindberg, Uni BS 4
Tobias Suter, Uni ZH 4
Burkhard Becher, Uni ZH, Wissenschaftlicher Beirat 4
Ruth Lyck, Uni BE 4
Cornel Fraefel, Uni ZH 3
Jan Lünemann, Uni ZH 3
Nicole Schaeren-Wiemers, Uni BS 3

Forscher, die seit 2008 drei und mehr geförderte Projekte haben. Die Veränderungen seit der letzten Auswertung sind gelb markiert und schräg geschrieben. Datenquelle: MS-Gesellschaft, eigene Auswertung.

Projekte der 2. Hälfte 2011 und der ersten Hälfte 2012

Die folgenden Grafiken zeigen die neu hinzugekommen Projekte der 2. Hälfte 2011 und der ersten Hälfte 2012.

Anzahl Forschungsprojekte nach Universitäten, 2. Hälfte 2011 und 1. Hälfte 2012Anzahl Forschungsprojekte nach Universitäten, 2. Hälfte 2011 und 1. Hälfte 2012

Neu unterstützte Forschungsprojekte nach Fachgebiet, 2. Hälfte 2011 und 1. Hälfte 2012Neu unterstützte Forschungsprojekte nach Fachgebiet, 2. Hälfte 2011 und 1. Hälfte 2012

Fazit

Die Verteilung der Projekte auf die verschiedenen Universitäten und die einzelnen Personen ist ok. Inhaltlich ist die immunologische Forschung mit zwei Drittel der Projekte klar dominant. Die Immunologie ist ganz klar der Schwerpunkt der geförderten Forschung der MS-Gesellschaft.

Aus Patientensicht würde ich mir wünschen, wenn die von der Betroffenenorganisation MS-Gesellschaft unterstützten Projekte mehr diversifiziert würden. Andere Ansätze, welche im normalen Forschungsbetrieb zu kurz kommen, aber für uns Patienten trotzdem relevant sind, z.B. der Einfluss der Ernährung.

Transparenzinitiative

Wovon Leben Parlamentarier in der Schweiz? Weiss jemand, wie viel Geld unsere Volksvertreter von Organisationen und Firmen nebenbei erhalten? Wer bezahlt die Parlamentarier? Sind Parlamentarier bezahlte Lobbyisten? Haben Parlamentarier Interessenkonflikte? Sind die Parlamentarier finanziell abhängig?

Die National- und Ständeräte sind vom Volk gewählt. Sie sind Volksvertreter. Sie machen Gesetze im Namen des Volkes. Sie sind keine Berufspolitiker. Gesetze machen ist im Schweizer System ein Nebenamt. Die Parlamentarier müssen einem Beruf nachgehen. Sie könnten auch von dubiose Nebeneinkünften leben.

Die 200 National- und 46 Ständeräte haben eine beträchtliche Macht. Sie entscheiden über Rahmenbedingungen, Budgets und Subventionen.

Es ist naheliegend, dass die Betroffenen aufs Parlament und die Parlamentarier Einfluss nehmen. Die Parlamentarier können für Lobbyorganisationen arbeiten und von diesen bezahlt werden.

Ein Beispiel: In einer parlamentarischen Kommission wird über eine Änderung des Krankenkassengesetzes (KVG) beraten. Darunter sind einige Mitglieder Verwaltungsräte oder Berater von Krankenkassen.

1. Wissen dies die anderen Kommissionsmitglieder?
2. Wieviel Geld bekommen die Krankenkassenberater für ihre Arbeit?
3. Haben die Parlamentarier Geschenke und Nebeneinkünfte im Zusammenhang mit ihrem Mandat erhalten?

Wir wissen es nicht. Diese Frage kann niemand beantworten. Es herrscht keine Transparenz.

Immer häufiger entstehen Gesetze aufgrund direkter Interventionen durch Lobbyisten. Politiker werden so zum verlängerten Arm ihrer Geldgeber. Statt unbestechlich für das Gemeinwohl einzutreten, lassen sie sich von Fremdinteressen leiten.

Um diesem Missstand abzuhelfen haben junge, politisch engagierte Bürger unter der Führung von Nationalrat Lukas Reimann (SVP) die Transparenzinitiative (Facebookseite) gestartet.

Die Transparenzinitiative will

* eine Offenlegung zu Beginn des Jahr über
* die beruflichen Tätigkeiten,
* die Nebeneinkünfte und erhaltenen Geschenke im Zusammenhang mit dem parlamentarischen Mandant,
* eine Hinweispflicht in Kommissionssitzungen und Rat, wenn Parlamentarier persönliche Interessenbindungen bei einer Beratung haben,
* ein öffentliches Register mit den Auskünften,
* eine Offenlegung der Abstimmungen in den Räten der einzelnen Mitglieder.

Die Parlamentsdienste sollen die Angaben überprüfen. Eine Regelung ohne Strafe hat keine Wirkung. Falls die Parlamentarier die Offenlegungspflichten verletzen wird es bis zum Ende der Amtsdauer aus sämtlichen Kommissionen ausgeschlossen. Der Einfluss dieses Mitgliedes und dadurch auch seiner Partei werden verkleinert.

Die Unabhängigkeit der Parlamentarier muss verstärkt werden. Die Parlamentarier müssen Volksvertreter sein.

Die Transparenzinitiative macht die persönlichen Interessenbindungen der Parlamentarier transparent. Die Transparenzinitiative ist ein notwendiges Instrument. Nur eine transparente Politik ist eine glaubwürdige Politik. Das Volk hat ein Recht zu wissen, von wem sich Politiker bezahlen und somit beeinflussen lassen.

Die Initiative verbietet niemandem das Lobbying. Aber sie verlangt die Offenlegung, damit wir in Zukunft wissen, welche Beschlüsse aufgrund welcher Beratungen und Bezahlungen zu Stande kommen.

Interessenvertretung ist in einer Demokratie legitim. Nicht mit einer Demokratie zu vereinbaren ist indessen die heute herrschende Intransparenz. Wer vertritt wessen Interessen? Welche Mittel werden eingesetzt und wer sind die Adressaten? Diese Fragen liegen weitgehend im Dunkeln.

Die Transparenzinitiative wurde von Jungpolitikern gestartet und wird durch diese getragen. Die Initiative geniesst die Unterstützung aus sämtlichen Parteien, von links bis rechts, von der SP über die GLP bis zur SVP. Es steht keine grosse, finanzkräftige Lobbyorganisation dahinter.

Die Transparenzinitiative wird vom Blog „Patientensicht“ unterstützt und empfohlen.

Die Unterschriftensammlung läuft noch bis zum 8. Dezember 2012 (Unterschriftenbogen PDF).

Jetzt die Transparenzinitiative unterschreiben, wer die Initiative noch nicht unterschrieben hat! Weitersagen. Jede Unterschrift zählt!

MS Informationstag "Aus der Forschung für die Praxis" – Offenlegung von Interessenbindungen

Am Samstag 4. Februar 2012 fand im grossen Hörsaal an der Universität Basel der MS-Informationstag «Aus der Forschung für die Praxis» statt. Dieser immer gut besuchte Anlass wird vom Universitätsspital Basel und der Schweizerischen MS-Gesellschaft organisiert und von den Pharmaunternehmen Bayer Schering, Biogen-Idec, Merck Serono, Novartis und Teva Pharma unterstützt. Die diesjährigen Themen waren:

  • Begrüssung (Prof. Dr. Ludwig Kappos)
  • Was hat der Magen-Darm-Trakt mit der MS und ihrer Therapie zu tun? (Prof. Dr. Tobias Derfuss)
  • Die Schweizer MS-Kohorten-Studie, ein zentrales Projekt im Kampf gegen MS (Dr. Jens Kuhle)
  • Physiotherapie bei MS: Möglichkeiten und Grenzen (Regula Steinlin Egli, Physiotherapeutin)
  • Neues von der MS-Gesellschaft (Dr. Christoph Lotter)
  • Neues zur Bildgebung bei MS (Prof. Dr. Till Sprenger)
  • Tabletten statt Spritzen für alle? (Prof. Dr. Ludwig Kappos)
  • Diskussion (Beantwortung von schriftlich gestellten Fragen)

Prof. Dr. Kappos moderierte den Anlass.

Der Immunologe Prof. Dr. Tobias Derfuss stellte in seinem Vortrag Magen-Darm-Trakt und MS die aktuelle Forschung über das wechselseitige Aufeinanderwirken von Darmbakterien und Immunzellen vor. Er stellte Tierstudien vor, die die gegenseitige Beeinflussung von Darmbakterien und dem Immunsystem zeigen. Das Immunsystem spielt bei der Multiplen Sklerose ebenfalls eine Rolle. Da liegt die Idee nahe, dass die Verdauung ebenfalls Einfluss auf die Multiple Sklerose haben könnte. So könnte je nach dem, was wir essen, das Immunsystem angeregt oder unterdrückt werden – es gibt leichter oder schwerer Entzündungen.

Bifidus Joghurts wird eine positive Beeinflussung auf die Verdauung zugeschrieben. Bifidus Joghurts enthalten lebende «gute» Darmbakterien. Interessant zu beobachten war, was die Äusserung, dass Bifidus Joghurts einen positiven Einfluss auf die Verdauung haben könnten, bei den Betroffenen auslöste. Ich dachte mir, ja stimmt eigentlich, ich sollte wieder vermehrt Bifidus Joghurt kaufen. Schaden werden sie ja kaum. Und meine Platznachbarin notierte sofort «Bifidus» auf ihrem Merkzettel. Da wurde wohl nach der Veranstaltung das eine oder andere Bifidus Joghurt gekauft.

Die Forschung über die Wechselwirkung von Darmbakterien und dem Immunsystem wird von der amerikanischen Forschungsförderung für Gesundheit (National Instituts for Health, NIH) und wie Prof. Kappos bemerkte, ebenfalls von Nestlé, gefördert.

Dr. Jens Kuhle stellte die Schweizer MS-Kohorten-Studie vor. Diese Studie will eine systematische, regelmässige und einheitliche Erfassung der Krankheitsverläufe in der Schweiz, unabhängig von der aktuellen Behandlung. Die Universitätsspitäler machen dies schon jetzt, aber noch auf unterschiedliche Arten. Eine solche systematische und einheitliche Datensammlung ermöglicht weitergehende statistische Auswertungen. Neue Erkenntnisse könnten so gewonnen werden. Die Universität Basel leitet die Studie. Dieses Projekt wird von der MS-Gesellschaft gefördert. Ebenso erhält es Unterstützung von der Pharmaindustrie.

Prof. Dr. Ludwig Kappos fasste die neusten Entwicklungen und Studien der Multiple Sklerose Medikamentenforschung zusammen. Das neu zugelassene Medikament Fingolimod/FTY-720 (Gilenya®) und die kommenden Medikamente BG-12/Fumarsäure, Teriflunomid, Laquinimod, Alemtuzumab, Ocrelizumab, Daclizumab und wie sie alle heissen wurden vorgestellt.

Diese Orientierung über die neusten Entwicklungen der Multiple Sklerose Medikamentenforschung ist im Interesse der Betroffenen, wie auch der Pharmaunternehmen. Nur was bekannt ist, kann auch nachgefragt werden. Direkte Werbung für verschreibungspflichtige Medikamente ist in der Schweiz verboten.

Erfreulich zu berichten ist, dass Prof. Dr. Ludwig Kappos zu Beginn seines Vortrages auf seine Interessenkonflikte hinwies und diese dem Publikum offenlegte. Er erläuterte dem Publikum, dass alle erhaltenen Gelder der Pharmafirmen für die Forschung eingesetzt werden.

Eine solche Offenlegung wird durch die Richtlinie «Zusammenarbeit Ärzteschaft – Industrie» II. 7 der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW), welche für alle Mitglieder des FMH-Ärzteverbandes gültig ist, gefordert:

«Referenten legen ihre Interessenbindungen dem Veranstalter, der Fachgesellschaft sowie vor Beginn ihrer Präsentation den Teilnehmern auf geeignete Weise offen.»

Prof. Dr. Kappos ging als Präsident des Wissenschaftlichen Beirates der MS-Gesellschaft mit der Deklaration seiner Interessenbindungen also mit guten Beispiel voran. Ich hoffe nun, dass die anderen Referenten an MS-Informationsveranstaltungen diesem Beispiel folgen werden.

Denn wie wir wissen, können psychologische Effekte Urteile und Entscheidungen beeinflussen oder gar verzerren (Bias). Eine Offenlegung gibt dem Publikum die Möglichkeit, selbst eine Einschätzung des Gehörten vorzunehmen.

[Aktualisierung 16.02.2012: Newsmeldung der MS-Gesellschaft]

SAMW Richtlinien: Zusammenarbeit Ärzteschaft-Industrie

Wie viel Marketing erträgt die Medizin und die medizinische Forschung? Welche Veranstaltungen dienen der sachlichen Information und welche sind Marketingveranstaltungen? Wann fängt Korruption an? Welches Verhalten ist nutzbringend? (Für wen?) Welches Verhalten ist tolerierbar? Was gibt es für Richtlinien in der Schweiz? Sind diese verbindlich?

Alle müssen zusammenarbeiten um Fortschritte in der Medizin zu machen. In bei gewissen Formen müssen aber Regeln zur Zusammenarbeit aufgestellt werden, damit es keine negativen Auswirkungen für die Patienten und die Forschung gibt. Besonders beachtenswert ist die Zusammenarbeit zwischen Pharmaunternehmen und klinischen Forschern und Ärzten.

Die Pharmaunternehmen sind gewinnorientierte, den Aktionären verpflichtete und häufig riesige finanzstarke Unternehmen. Die Forscher sind der Wahrheit verpflichtet, die Mediziner den Patienten. Forscher und Mediziner sind jedoch auch Menschen. Sie reagieren wie jedermann auf Anreize – bewusste und unbewusste. Die Forscher brauchen Geld für ihre Forschung. Die Pharmaunternehmen wollen ihre Produkte verkaufen.

Um die Zusammenarbeit zwischen der Pharma- und Medizinaltechnikherstellern und den Ärzten in der Schweiz zu regeln, haben die Schweizerische Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW) die Richtlinien Zusammenarbeit Ärzteschaft-Industrie erlassen. Diese Regeln wurden von 2001 bis 2005 erarbeitet und wurden 2006 publiziert:

Schweizerische Ärztezeitung 2006;87:5: Richtlinien «Zusammenarbeit Ärzteschaft-Industrie» (PDF)

Diese Richtlinien sind für die Mitgliedsärzte der FMH (Schweizer Ärzteorganisation) durch Art. 18 der Standesordnung FMH (PDF) verbindlich.

Auszug aus den Richtlinien «Zusammenarbeit Ärzteschaft – Industrie» der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (kursive Hervorhebung von mir):

8. Bei der Publikation und Präsentation von Ergebnissen eines Versuchs ist dessen Finanzierung offenzulegen
In den Publikationen von Versuchsergebnissen ist in einer Anmerkung oder Fussnote für die Leserschaft deutlich erkennbar zu machen, wer den Versuch als Sponsor finanziert hat. Bei der Vorstellung von Versuchsergebnissen an Vorträgen, Kongressen und dergleichen ist deutlich auf diese Tatsache hinzuweisen; ebenso sind allfällige Interessenbindungen der Autoren offenzulegen.

9. Die Interpretation der Ergebnisse eines Versuchs muss von den Interessen des Sponsors unabhängig sein
Bei der Interpretation von Versuchsergebnissen in Publikationen und bei Präsentationen ist auf die Vermeidung von Interessenkonflikten zu achten. Der verantwortliche Prüfer muss deshalb besondere Sorgfalt darauf verwenden,
– die im Versuch festgestellten erwünschten und unerwünschten Wirkungen eines Produktes oder Verfahrens tatsachengetreu und kritisch zu diskutieren;
– das Kosten-Nutzen-Verhältnis des geprüften Produktes oder Verfahrens möglichst objektiv darzustellen.

10. Forscher wirken nicht mit beim Marketing von Produkten, an deren Prüfung sie beteiligt waren
Für einen Versuch verantwortliche oder daran beteiligte Prüfer dürfen ihre Glaubwürdigkeit nicht in Frage stellen, indem sie sich an Marketingaktionen für das geprüfte Produkt oder Verfahren beteiligen

7. Referenten und Organisatoren legen allfällige persönliche oder institutionelle kommerzielle Interessen, finanzielle Verbindungen zum Sponsor, Beratertätigkeit im Auftrag des Sponsors oder Forschungsunterstützung durch den Sponsor offen
Referentenhonorare sollen angemessen sein. Im Programm und in den Unterlagen einer Veranstaltung werden alle Sponsoren aufgeführt. Referenten legen ihre Interessenbindungen dem Veranstalter, der Fachgesellschaft sowie vor Beginn ihrer Präsentation den Teilnehmern auf geeignete Weise offen.

Diese Richtlinien sind auch als Broschüre des SAMW erhältlich: Richtlinien «Zusammenarbeit Ärzteschaft-Industrie» (PDF)

Konkret heisst dies, falls Interessenbindungen bestehen, dass bei allen Publikationen und Vorträgen auf diese Interessenbindungen hingewiesen werden muss.

Achtet euch bei den nächsten Vorträgen, ob Forscher und Ärzte auf ihre Interessenbindungen hinweisen.

Die SAMW haben eine neue Fassung 2013 der Richtlinien veröffentlicht. Diese treten am 1. Februar 2013 in Kraft.


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Interessenkonflikte, psychologische Mechanismen und deren Ausnutzung

Interessenkonflikte entstehen bei bezahlten (nützlichen) Tätigkeiten und durch Gefälligkeiten. Diese finanziellen Beziehungen liegen im Bereich des Erlaubten und die ausgeführten Tätigkeiten können für die Allgemeinheit von Nutzen sein (z.B. Forschungsstudien), im Gegensatz zur Korruption.

Warum können Interessenkonflikte aus angemessen bezahlten Tätigkeiten (z.B. Forschungsstudien) und aus kleinen Geschenke zu verzerrten Urteilen oder Entscheidungen führen?

Interessenkonflikte spielen sich auf der psychologischen Ebene ab. Die Betroffenen sind sich der Auswirkungen nicht bewusst. Sie sehen keine Beeinflussung ihrer Handlungsweise. Sie sehen sich als objektiv handelnde Personen.

Es gibt im Menschen tief verankerte psychologische Mechanismen und Automatismen. Sie gelten über Kulturen hinweg.

Automatische Denk- und Entscheidungsprozesse tragen wesentlich dazu bei, den Alltag zu bewältigen. Diese verkürzten Entscheidungswege, auch Heuristiken genannt, sind häufig effizient und zielführend. Diese Mechanismen wurden in der psychologischen Forschung untersucht. Beispiele sind der Bestätigungs-Bias, die motivierte Auswertung, das Gegenseitigkeitsprinzip (Reziproziät) und die soziale Bewährtheit.

Es können zwei Gruppen von psychologischen Mechanismen unterschieden werden: Kognitive Einflüsse und soziale Einflüsse.

Kognitive Einflüsse

Framing („Rahmung“)

Wie etwas dargestellt oder ausgedrückt wird, beeinflusst Bewertungen und Entscheidungen. Der Mensch ist keine logische Maschine. Eine 50%-ige Überlebensrate ist für das Gehirn nicht dasselbe wie eine 50%-ige Sterbensrate. Je nach Präsentation wird der Mensch handeln oder nicht. Er wird sich beispielsweise für oder gegen eine Therapie entscheiden.

Ein durch ein Hersteller vorgefertigtes Manuskript für eine Forschungspublikation kann die Fakten zu seinen Gunsten darstellen. Die Angaben sind nicht falsch. Die Leser werden jedoch aufs Glatteis geführt. Ein Forscher kann durch die Annahme der Gefälligkeit eines vorgefertigten Manuskriptentwurfes spätere Urteile verzerren.

Motivierte Auswertung (motivierte Evaluation, wish bias, self-serving bias)

Menschen kommen generell mit höherer Wahrscheinlichkeit zu Resultaten, die ihnen angenehm sind.

Wenn meinem Porträt noch 10% „George Clooney“ beigemischt wird, erkenne ich mich darin schneller wieder, als wenn ich mein Original-Porträt sehen würde.

Eine uns materiell, sozial oder psychologisch vorteilhaft erscheinende Entscheidung oder Schlussfolgerung prüfen wir weniger streng, akzeptieren sie schneller, nehmen sie stärker wahr und geben ihnen mehr Gewicht.

Das Gegenteil ist der Fall bei uns unvorteilhaften Entscheidungen oder Schlussfolgerungen. Diese prüfen wir strenger, akzeptieren wir weniger leicht oder nehmen sie weniger stark wahr und geben ihnen weniger Gewicht.

Ein Forscher könnte zum Beispiel wichtige, aber (dem Sponsor oder ihm selbst) missliebige Informationen vernachlässigen oder falsch gewichten.

Diese verzerrte Informationsverarbeitung wird nicht wahrgenommen. Man spricht von einem blinden Fleck (bias blind spot).

Das Gefühl der Objektivität auf Seiten des Betroffenen (bias blind spot) ist ein wesentliches Merkmal der motivierten Evaluation.

Während motivierte Informationsverarbeitung im Alltag sinnvolle Funktionen haben kann, wie z. B. Erhalt oder Förderung des Selbstwertgefühls, stellt sie in der Wissenschaft ein Hindernis für die Generierung und Verbreitung valider Erkenntnisse dar.

Bestätigungs-Bias (confirmation bias)

Der Mensch tendiert die Daten zu seinen Gunsten zu interpretieren. Er versucht seine Erwartungen zu bestätigen. Je grösser die Erwartungen, desto resistenter werden wir gegenüber widersprechenden Erfahrungen.

Dieser Effekt wurde anhand eines schönen psychologischen Experimentes untersucht: Leute werden in verschiedene Gruppen eingeteilt und ihnen werden Zahlenreihen gezeigt. Den einen wird gesagt, es handle sich Kalorienaufnahme und Körpergewicht. Also je mehr man isst, desto schwerer wird man. Ein positiver Zusammenhang. Den anderen wird gesagt, es handle sich um Wetterdaten von unterschiedlichen Gegenden: die Regenmenge und die Anzahl Sonnentage. Ein negativer Zusammenhang. Den Probanden wurden nun verschieden präparierte Zahlenreihen gezeigt, unabhängig vom Gesagten: mit positiven Zusammenhang, mit negativen Zusammenhang und unzusammenhängend (unkorreliert). Die Leute wurden nun nach dem Zusammenhang gefragt. Die Leute tendierten einen Zusammenhang der Zahlenreihen zu erkennen, die mit der vorangegangen Schilderung zusammenpassten. Selbst dann wenn keiner Bestand. Ein tatsächlicher negativer Zusammenhang wurde komplett übersehen.

Verfügbarkeits-Heuristik

Der Mensch ist faul. Leichter verfügbare Informationen werden bevorzugt, auch wenn der Grund für die Verfügbarkeit sachlich irrelevant ist. Eine Strategie der Beeinflussung kann darin bestehen seine Informationen zu präsentieren oder gar die Person „einzudecken“. Stichwort „Werbung“.

Anker-Heuristik

Numerische Urteile und Schätzungen orientieren sich an Vergleichswerten. Diese Anfangsvergleichswerte müssen keinen Zusammenhang mit der Schätzung oder dem Urteil haben. Beispielsweise hat eine vorgängig von einem Juristen gewürfelte Zahl einen Einfluss auf das zu verhängende Strafmass. Je höher die gewürfelte Zahl, desto höher das Strafmass. Dieser Effekt ist unabhängig, ob jemand auf einem Fachgebiet Laie oder Experte ist.

Unsere Urteile orientieren sich an Referenzwerten und je nach Verfügbarkeit können dies auch völlig unsinnige Werte sein.

Ein Fehler besteht darin, an die Unbeeinflussbarkeit des eigenen Urteils zu glauben.

Unterschiedliche Anfangsinformationen („Anker“) können zu unterschiedlichen Urteilen führen.

Weitere kognitive Einflüsse sind die Repräsentativitäts-Heuristik und der Rückschau-Fehler.

Soziale Einflüsse

Gegenseitigkeitsprinzip (Reziprozität)

Geschenke werden durch Menschen erwidert. Auch wenn man die Geschenke gar nicht wollte. Durch die Annahme von Geschenken wird die automatische „Geschenkrückzahlung“ in Gang gesetzt. Der Mensch probiert dem Schenker entgegen zu kommen. Er ist bestrebt ein Geschenk durch ein grösseres Geschenk zu erwidern. Kleine Aufmerksamkeiten können so gezielt eingesetzt werden.

Ein Arzt könnte so zum Beispiel als Entgegenkommen unbewusst ein teures Originalpräparat anstatt eines preiswerten Generikas verschreiben, obwohl beide Produkte medizinisch gleichwertig sind und eigentlich das preiswertere Generika zu bevorzugen wäre.

Soziale Bewährtheit (social proof)

Die Menschen orientieren sich bei Entscheidungen am Verhalten anderer Menschen. Welches Restaurant wählst Du, das fast volle oder das halb Leere? Mit welchen Argumenten wurden Leute in einem Experiment zum Stromsparen gebracht? Mit rationalen Argumenten, mit Geldanreizen oder mit dem Hinweis, dass der Nachbar auch Strom spart? Ihr könnt dreimal raten.

Das Prinzip der sozialen Bewährtheit ist vermutlich eines der am meisten unterschätzten Einflussfaktoren unseres Handelns.

Das Prinzip der sozialen Bewährtheit lässt eigenes Fehlverhalten mit dem Fehlverhalten Anderer rechtfertigen. „Die anderen machen es ja auch.“

Konsistenz und Commitment („Verpflichtung“)

Der Mensch ist bestrebt auf seinem Weg fortzufahren. Das Weiterfahren bestätigt und rechtfertigt die bereits getroffene Entscheidung. Eine Abkehr würde als Eingeständnis gewertet, dass eine frühere Entscheidung falsch war. Dies kann dazu führen, dass auf einem eigentlich falschen Weg weitergefahren oder geforscht wird.

Eine hohe Verpflichtung (Commitment) empfinden wir, wenn

  • das Verhalten freiwillig war,
  • das Verhalten mit Aufwand, Anstrengungen, Hindernissen oder Nachteilen verbunden war,
  • wir uns schriftlich oder
  • öffentlich engagiert haben oder
  • wenn eigener Besitz mit betroffen ist.

Dieser Effekt ist auch als Fuss-in-der-Tür-Technik bekannt: nacheinander werden sich steigernde Bitten gestellt. Die erste ist so gewählt, dass man kaum widersprechen kann.

„Wir sind doch Freunde, oder?“ – „Ja.“ – „Und Freunde sollten einander helfen.“ – „Richtig.“ – „Und Geld sollte dabei keine Rolle spielen, nicht wahr?“ – „Nein, sollte es nicht …“ – „Kannst Du mir 100 Franken leihen?“

Das Prinzip wird zum Problem, wenn es dazu beiträgt falsche Entscheidungen oder Standpunkte beizubehalten.

Sympathie/Attraktivitäts-Bias

Anliegen von Freunden und attraktiven Personen werden bevorzugt. Dies kann dazu führen, dass Entscheidungen weniger auf objektiven Kriterien als vielmehr aufgrund von Freundschaft und Sympathie gefällt werden. Warum sind Pharmavertreter und Pharmavertreterinnen jung und hübsch?

During training, I was told, when you’re out to dinner with a doctor, „The physician is eating with a friend. You are eating with a client.“

Was macht einen Menschen sympathisch?

  • Ähnlichkeit,
  • Nähe und Verfügbarkeit,
  • Gegenseitigkeitsprinzip (Reziprozität),
  • Assoziation mit positiven Dingen,
  • Sympathie uns gegenüber und
  • physische Attraktivität.

Diese Merkmale lassen sich auch gezielt erzeugen und pflegen.

Fundamentaler Attributionsfehler

Es macht einen Unterschied, ob sie eine Frage am Familientisch oder vor laufender Kamera beantworten müssen.

Bei Beurteilungen werden situative Faktoren vernachlässigt. Es wird übersehen in welchen Situationen die Personen gehandelt haben. Die Handlungsfreiheit der Personen wird überschätzt. Es wird übersehen, dass Situationen oft einen starken Druck ausüben können.

Ausnutzung der psychologischen Mechanismen

Diese psychologischen Effekte sind kein Geheimnis. Sie werden seit langer Zeit in der Forschung untersucht und sind in zahlreichen Experimenten empirisch überprüft worden.

Die meisten Leute denken, dass Sie nicht oder zumindest weniger beeinflussbar sind als die anderen Menschen. (Auch Du? Dies wird als „Dritte-Person-Effekt“ bezeichnet.) Dieser Umstand kommt der Ausnutzung solcher Mechanismen stark entgegen.

Eines der grössten Probleme der verzerrten Urteilsbildung (Bias) ist die Zuversicht des Urteilenden, von der Verzerrung (Bias) nicht betroffen zu sein.

Diese psychologischen Effekte lassen sich gezielt ausnutzen. Die Pharmaindustrie hat grosse Marketingabteilungen. Diese verfügen über das notwendige Wissen, die notwendigen Leute und die notwendigen Ressourcen. Novartis hat beispielsweise 13 Mrd. USD im Jahre 2010 für das Marketing ausgegeben. (Das waren übrigens 45% mehr als für die Medikamentenforschung!)

Dr. Daniel Vasella und Joe Gimenz wären schlechte Chefs von Novartis, wenn sie so hohe Marketingausgaben hätten, die sich nicht rentieren würden. Die Aktionäre wären unzufrieden, wenn Geschenke ohne Wirkung verteilt würden.

Zusammenfassung

Interessenkonflikte spielen sich auf der psychologischen Ebene ab. Die Betroffenen sind sich der Auswirkungen nicht bewusst und erkennen keine Beeinflussung an ihren Handlungen und Urteilen. Diese psychologischen Mechanismen wie das Gegenseitigkeitsprinzip (Reziprozität) und soziale Bewährtheit können gezielt ausgenutzt werden. Die Zuversicht in die Unbeeinflussbarkeit des eigenes Urteilens und Verhaltens ist der grösste und gefährlichste Fehler. Sie verstärkt und ermöglicht zum Teil erst das Wirksamwerden der anderen Verzerrungen (Bias) und blinden Flecke.

Weiterführende Literatur

Der Artikel basiert auf dem Fachbuch Interessenkonflikte in der Medizin: Hintergründe und Lösungsmöglichkeiten, Klaus Lieb, David Klemperer, Wolf-Dieter Ludwig, Springer, 2011. books.ch, amazon.de* Kapitel 3.

[Aktualisierung 17.03.2013: Ein illustratives Video (engl.), welches sechs Prinzipien der Überzeugung zeigen: Science Of Persuasion (11:50). Das Video basiert auf der Forschung von Professor Dr. Robert Cialdini (USA) und lohnt sich zu sehen. (NB. Die Angabe des Professors ist eine Anwendung, denn es entspricht Überzeugung durch Autorität.)]