Wahrheit, Gefühl und Moral

Neulich saß ich mit einem Theologen und einem Gast unseres Clubs bei einem Mittagessen zusammen und wir sprachen über eine kürzlich aufgeführte Johannespassion.  “Was für einen Naturwissenschaftler nur Schwingungen der Luft sind, bedeutet für uns doch tiefstes Erlebnis”, hieß es da, und der Gast fügte hinzu: “eines der schönsten Gottesbeweise”. Der Theologe nickte zustimmend. Ich zuckte innerlich zusammen, beruhigte mich aber schnell wieder.  Ich kannte meinen theologischen Kollegen gut genug, um zu wissen, dass er Naturwissenschaftler nicht für so verbohrt hält, dass sie in der Regel  kein Sensorium für spirituelle Gefühle haben. Er wollte wohl nur den rein physikalischen Vorgang charakterisieren.  Mich ärgerte nur, dass er all sein Wissen über die Unmöglichkeit von Gottesbeweisen (siehe z.B. Wikipedia: Gottesbeweis) für eine so billige Anerkennung seines Glaubens verleugnete.  Aber das Verleugnen von Wissen kennen wir ja auch aus den biblischen Erzählungen.

Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden

William Shakespeare lässt seinen Hamlet  im 1. Akt, 5.Szene zu Horatio sagen: “There are more things in heaven and earth, Horatio, Than are dreamt of in your philosophy.”  Unzählige Male habe ich schon erlebt, wie dieser  Ausspruch zitiert wird. Auf Deutsch heißt es dann:  “Es gibt mehr im Himmel und Erden, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt”, und oft wird Schulweisheit durch “Wissenschaft” oder gar “Naturwissenschaft” ersetzt.  So hört man dieses Zitat vorwiegend in Situationen, in denen Grenzen der Naturwissenschaftweiter

Denkgebäude

Vor kurzem stieß ich im Internet auf einen Artikel mit der Überschrift: “Computer beweist die Existenz Gottes”.  Man muss kein Atheist sein, um bei dieser Aussage misstrauisch zu werden und zu seufzen:  “O, Gott, schon wieder so ein Unsinn – und natürlich darf heutzutage der Computer bei so etwas nicht fehlen.”   Ein Blick auf die Zusammenfassung belehrte mich aber schon eines besseren,  da hieß es: “Wissenschaftler aus Berlin und Wien haben Kurt Gödels  berühmten Gottesbeweis mit dem Computerprogramm bestätigt”. Es wurdeweiter

Natur und Geist

Will man den Gegenstandsbereich der Physik beschreiben, kann man zunächst viele Dinge dieser Welt aufzählen:  Elektronen,  Atome, Gase, Flüssigkeiten, feste Körper, Planeten, Galaxien oder das Universum als Ganzes.   Alles Unbelebte gehört offensichtlich dazu, wenn man noch die Chemie mit ins Boot holt.  Aber die Tatsache, dass für Studierende der Medizin auch eine Grundausbildung in Physik vorgeschrieben ist, weist darauf hin, dass physikalische Gesetze auch  für das Verständnis von Prozessen im menschlichen Körper eine Rolle spielen. Wenn man aber etwas anführenweiter

Naturwissenschaft und Religion

Über das Verhältnis von Religion und Naturwissenschaft wird oft diskutiert. Häufig wird von einem Gegensatz geredet, manchmal davon, sie hätten nichts mit einander zu tun. Was stimmt denn nun? Vielleicht sollte man sich zunächst einige charakteristische Merkmale von  Religion und Naturwissenschaft vor Augen führen, wenn man sich dieser Frage nähern will. Den  Begriff der Religion sollte man erst einmal von dem der Spiritualität abgrenzen. Diese ist ein allgemeineres Grundbedürfnis der Menschen. Sie zielt auf die Herstellung eines vom Alltag enthobenenweiter

Die Rolle der Mathematik in einer Wissenschaft

“Ich behaupte aber, daß in jeder besonderen Naturlehre nur so viel eigentliche Wissenschaft angetroffen werden könne, als darin Mathematik anzutreffen ist”,  schreibt im Jahre 1786 Immanuel Kant in seinen Werk  “Metaphysische Anfangsgründe der Naturwissenschaft, A VIII”.  Er stand damals unter dem Eindruck der Newtonschen Mechanik,  die beispiellose  Erfolge in der Erklärung und Vorhersage aller  möglichen Bewegungen am Himmel und auf der Erde gezeitigt hatte und damit zum Maßstab für eine Wissenschaft von der Natur geworden war. Und diese “Naturlehre” warweiter