Wahrheit, Gefühl und Moral
Neulich saß ich mit einem Theologen und einem Gast unseres Clubs bei einem Mittagessen zusammen und wir sprachen über eine kürzlich aufgeführte Johannespassion. “Was für einen Naturwissenschaftler nur Schwingungen der Luft sind, bedeutet für uns doch tiefstes Erlebnis”, hieß es da, und der Gast fügte hinzu: “eines der schönsten Gottesbeweise”. Der Theologe nickte zustimmend. Ich zuckte innerlich zusammen, beruhigte mich aber schnell wieder. Ich kannte meinen theologischen Kollegen gut genug, um zu wissen, dass er Naturwissenschaftler nicht für so verbohrt hält, dass sie in der Regel kein Sensorium für spirituelle Gefühle haben. Er wollte wohl nur den rein physikalischen Vorgang charakterisieren. Mich ärgerte nur, dass er all sein Wissen über die Unmöglichkeit von Gottesbeweisen (siehe z.B. Wikipedia: Gottesbeweis) für eine so billige Anerkennung seines Glaubens verleugnete. Aber das Verleugnen von Wissen kennen wir ja auch aus den biblischen Erzählungen.