Let it go

oder auch: Let it be. Je nach Altersgruppe könnt ihr euch jetzt zwischen zwei Einleitungen entscheiden. Bzw. wenn ihr gleichzeitig Disney- und Beatlesfans seid, auch für beide.

Einleitung Nummer 1: Nachdem ich großer Beatlesfan bin, so ziemlich viele alle Liedtexte auswendig kann, vor kurzem glückselig über die Pennylane spaziert bin und auch an meiner Hochzeit ein Song der Fab Four gespielt wurde, musste ich mir natürlich auch die Carpool-Karaoke-Folge mit Paul McCartney ansehen. In der er den Ursprung des Liedes “Let it be” erklärt. Seine Mutter starb als er noch ein Teenie war, und eines Tages erschien sie ihm im Traum und versicherte ihrem Sohn, dass alles gut werden würde. Sie sprach also zu ihm “Let it be”, und daraufhin schrieb er das Lied. (Ich hatte Tränen in den Augen, als er das vor der Kamera erzählte.)

Einleitung Nummer 2: Ja, ich bin erwachsen. Ja, ich bin mit Disneyfilmen aufgewachsen. Ja, sie vermitteln oft ein komisches Frauen- und Männerbild. Frozen ist zwar nicht mehr ein klassischer, alter Disneyfilm wie zum Beispiel Bambi, Dumbo oder Pocahontas, aber trotzdem ertappte ich mich dabei, dass ich letztens um 3 in der Früh schlaflos im Bett lag und mir dachte, hm, ich könnte mir doch Frozen ansehen. Die Eiskönigin singt in der zweiten Hälfte des Filmes “Let it go”. Turn away and slam the door…

Nun denn, was haben also nun die Beatles und Königin Elsa mit einem Medizinblog zu tun?

Bei uns lag vor ein paar Monaten eine alte Dame. Mit alt meine ich, sie war über 80. Ihre Diagnoseliste war länger als die Number-1-Hits-Liste der Beatles. Die war also wirklich ewig lange. Zusätzlich zu arterieller Hypertonie, Diabetes, Status post CVI, Kardiomyopathie, Dyslipidämie, Vorhofflimmern, Osteoporose, und so weiter und so fort gesellten sich noch sage und schreibe 4 verschiedene Krebsdiagnosen. Alle im Abstand von einigen Jahren diagnostiziert. Nun dachten sich einige Herrschaften, dass die Frau trotz des Alters und der mehr oder minder großen Nebenbaustellen ja doch noch ganz fit sei und man den neuen Tumor doch rausoperieren könne. Die Dame war überzeugt, ihre Angehörigen auch und so ging die Operation gut über die Bühne – oder den Tisch -, aber wie so oft scheitert es bei heiklen Operationen nicht an der Operation selbst, sondern an der Zeit danach. Hält der vorbelastete Körper die Narkose und den stundenlangen Eingriff aus? So wanderte die Patientin vom Aufwachraum auf die Intensivstation, auf die Normalstation, auf die Intensivstation und so ging das Spiel über mehrere Tage bis Wochen. Irgendwann musste sie aufgrund einer respiratorischen Dekompensation erneut intubiert werden, und so standen irgendwann viele Menschen um das Bett. Die Pflege war frustriert, manche ÄrztInnen auch, aber manche davon dachten immer noch an… ähm… ein Wunder? Oder an die Genesung… Und dann waren da noch die sehr, sehr fordernden Angehörigen. Aber vorher sei es ihr doch so gut gegangen… sie musste zwar gefühlte 100 Tabletten am Tag schlucken und war dauernd in der Hausarztpraxis, aber so wie es die Kinder schilderten lebte sie vor dem einen bösen Eingriff das Leben einer 20-Jährigen. Ich verstehe den Schmerz. Das Nicht-Loslassen wollen und können. Die Trauer, die Angst. Die Verzweiflung. Und irgendwann stand ich neben den Angehörigen und dachte mir einfach nur: Let it go. Let it be.

Antifa…ch


There is not enough caffeine in this world to make nephrology interesting.”

Musste sehr lachen über diesen Satz. Wobei mein totales Antifach nicht Nephro ist… Einmal habe ich darüber nachgedacht, was ich für ein alternatives Fach wählen würde, wenn ich mich dafür entscheiden müsste. Wahrscheinlich Urologie. Aber es gibt Fächer, wo ich mir ernsthaft überlegen würde, ob ich dann nicht komplett aus dem Beruf aussteigen müsste. Rheuma zum Beispiel. Oder Endokrinologie. Alleine bei dem Gedanken daran schläft mir schon alles ein… Was sind eure Antifächer?

Neiddebatte

Bei Diskussionen oder Artikeln über die Arbeitszeit oder die Entlohnung von ÄrztInnen lese und höre ich oft eine Mischung aus Neid und Gehässigkeit heraus. Ja, ich habe mir das Studium selbst ausgesucht und mir geht es sehr gut. Ich wohne in einer trockenen, warmen Wohnung, habe genug zu essen und fahre ein- oder zweimal auf Urlaub pro Jahr. Vor kurzem habe ich mir spontan ein neues Rad gekauft, einfach weil es mir gefiel. Ich bin sehr dankbar für das, was ich habe. Trotzdem denke ich, dass es nicht verpönt sein soll, wenn man sich für gute Arbeitsbedingungen und das Einhalten von Arbeitszeitgesetzen einsetzt. Oder sich schlicht und einfach ab und zu über den Stress in der Arbeit beschwert. Und ja, auch die Pflege hat es oft hart und stressig, wie viele andere Berufsgruppen auch.

Ich bin der Meinung, dass solche Debatten oft am grundsätzlichen Verständnis für den ärztlichen Beruf scheitern. Mein Mann arbeitet zwar in einem nicht medizinisch-klinischem Bereich, aber trotz seiner Tätigkeit in einem Spital habe ich oft das Gefühl, dass ich nicht einmal ihm wirklich erklären kann, was es bedeutet täglich emotionalem und handwerklich-technischem Stress in Verbindung mit stundenlanger Büroarbeit “ausgesetzt” zu sein (in Wochen mit maximaler Auslast teilweise >80 Stunden pro Woche). Der ärztliche Beruf in einem öffentlichen Spital liegt jenseits von Golfspielen mit güldenen Bällen, Privatjet oder lustigem Scrubsalltag. Tagtäglich wechselt man zwischen sofort, gleich oder später sterbenden Menschen, schockierenden Blutungen, eingebildeten Krankheiten, traurigen Hinterbliebenen und einfachen Appendektomien im Minutentakt hin und her. Das schlägt trotz Routine und starkem Charakter gelegentlich auf die eigene Laune, respektive Psyche. Man versucht die nahezu täglich vorkommenden Traumen (tote 14-Jährige auf dem Tisch aufgrund Leberruptur nach Skiunfall, 30-Jährige mit Hirnblutung nach Frontalkollision im Rahmen eines Suizidversuches, metastasiertes Rektumkarzinom bei einer jungen Mutter mit einem einjährigen Sohn, Ruptur eines vorher nicht bekannten Aortenaneurysmas eines 40-Jährigen, und so weiter und so fort) zu verarbeiten ohne durchzudrehen, während in den Kommentarspalten unter einem Artikel über den Stress im Arztberuf über die reichen, hochnäsigen, schnöseligen ÄrztInnen ohne Empathie gemobbt wird.

Hallo, ich bin auf Seite 18 Deines Blogs angelangt und damit bei Halbzeit. Mich würde interessieren, ob es OPs gibt, die Du nicht gerne machst oder vor denen Du Dich am liebsten drücken würdest? Liebe Grüße vom Ethnomädchen

Grundsätzlich nicht. Es gibt Eingriffe, die ich selten mache und darum nicht so gut beherrsche wie z. B. eine laparoskopische Appendektomie in 15 Minuten, aber grundsätzlich operiere ich gerne alles. Proktologie wird vielleicht nicht mein Spezialgebiet. Was wirklich sehr mühsam ist, sind Verwachsungen, die können alles versauen. Bei voroperierten PatientInnen/Bäuchen entstehen durch den Eingriff in der Bauchhöhle Verwachsungen, das kann man sich ein bisschen wie eine Vernarbung vorstellen. Und nach ausgedehnten oder mehrfachen Operationen kann das echt mühsam werden. Normalerweise liegen die Darmschlingen mehr oder weniger lose drinnen, aber bei einem Verwachsungsbauch klebt alles an der Bauchdecke, der Darm besteht nicht mehr aus einzelnen Schlingen, sondern präsentiert sich als ein Paket… Horror! Teilweise muss man diese Adhäsionen erst mühsamst stundenlang lösen, bevor man den eigentlichen Eingriff durchführen kann.

4 Uhr morgens

Nachtdienste find ich so oder so immer etwas mühsam. Man muss den Tag-Nacht-Rhythmus umstellen, wechselt anschließend direkt von dem Nacht- in den Tagdienst, und die Notfälle sind nachts etwas “spezieller” als die untertags. Kommt mir zumindest so vor. So kommt es also, dass ich um 4 Uhr morgens auf die Notaufnahme schlurfe. Verdachtsdiagnose: Appendicitis, also Blinddarmentzündung. Es ist ein junger, ansonsten gesunder Herr, ich untersuche ihn, erkläre ihm die Blutwerte und führe einen Ultraschall durch. Die Diagnose ist einfach und klar. Die Therapie, also Lösung des Problemes auch. Schritt für Schritt erkläre ich dem Patienten die laparoskopische Appendektomie (= Blinddarmentfernung). Für mich ist der Fall klar, aber nachdem ich ihm die Operation erklärt habe, fragt er mich nach einer medikamentösen Therapie mittels Antibiotika. Innerlich seufze ich kurz. Aber es ist ja eigentlich eine sehr berechtigte Frage, weswegen ich ihm die Vor- und Nachteile beider Optionen erläutere. Bzw., warum ich ihm zur Operation rate, und dass ich das nicht tu, nur weil ich Chirurgin bin und sonst zu wenig zu tun wäre. Plötzlich hält er mir sein Handy hin. Ich blicke fragend in sein Gesicht.

“Können Sie sich bitte kurz Zeit nehmen und sich den Artikel durchlesen?”

Ich seufze nun glaube nicht nur mehr innerlich. “Ich habe mich schon genug in das Thema eingelesen,…” 

Doch er hält mir noch mal sein Telefon hin. Es ist 4 Uhr morgens. Ich bin hundemüde. Auf der Station müssen noch einige Patientinnen begutachtet werden. Herr H. ist hypoton, Frau P. blutet aus dem Stoma, ich habe seit Stunden nichts gegessen,… Aber um die ganze Geschichte abzukürzen, nehme ich sein Telefon in die Hand. Irgendein gegoogelter Artikel über die antibiotische Therapie einer Blinddarmentzündung. Ich überfliege ihm zu liebe den Text, lege sein Telefon zurück auf das Notfallbett, und fasse noch einmal kurz zusammen, warum ich ihm zur Operation rate. Und dass ich ihn natürlich zu nichts zwinge. Letztendlich frage ich, warum er meinen Vorschlag ablehne.

“Ich halte nichts von Operationen.”

Zeit

Warum müssen PatientInnen im Wartezimmer in der Praxis oder Poliklinik oft Stunden warten? Warum vergeben wir fixe Termine, obwohl wir die Personen dann ewig warten lassen?

Ich verstehe es, dass das kein Spaß ist. Es ist langweilig, man hat anderes zu tun, die Kinder müssen rechtzeitig abgeholt werden, oder es wartet ein beruflicher Termin.

Liebe PatientInnen: Wir tun es nicht, weil wir faul oder langsam sind. Motzt bitte nicht das Empfangspersonal, die Pflege oder die Ärzteschaft an, sondern die Gesundheitspolitik.

Wenn wir pro Tag oder Termin weniger PatientInnen einplanen würden, müsstet ihr länger auf einen Termin warten. Tage oder sogar Wochen. An einem stressigen Sprechstundentag ist keine Pause für uns drinnen, sogar während man schnell pinkeln geht hat man ein schlechtes Gewissen, weil manche Personen schon seit einer Stunde im Aufenthaltsraum sitzen. Manchmal kommt dann noch ein Notfall dazwischen, oder ein Patient braucht länger als geplant. Und dafür nehmen wir uns Zeit. Und pfeifen dafür auf das Mittagessen. Danke für euer Verständnis!

Gewohnheit

Darum ging’s schon etwas im letzten Beitrag. Um Routine. Im Laufe der Zeit (ja, ich weiß, meine Zeit als Chirurgin dauert noch keine Jahrzehnte) gewöhnt man sich an vieles. Vor wenigen Wochen habe ich mit der Pflege während dem Mittagessen darüber geplaudert. Woran haben wir uns in der Viszeralchirurgie gewöhnt? An Stuhlgang und Erbrochenes haben wir uns gewöhnt. Urin? Pah, das ist doch nur Wasser. Man gewöhnt sich an den Anblick von Stuhlgang, an den Geruch, der einem schon um 7 Uhr morgens um die Nase weht. Stuhlgang im Bett, aus dem Anus, aus dem Stoma, Stuhlgang aus dem Mund. Ja, das passiert wenn aus irgendeinem Grund die Passage von Mund Richtung Rektum nicht mehr funktioniert, dann erbrechen die besagten PatientInnen Stuhlgang. Alles irgendwann ein alter Hut, zwar ein Grund zur Sorge, aber nicht zur Aufregung. Frau R. erbricht frisches Blut und der Blutdruck sinkt? Als Frischling ein Grund für einen Puls von 150, heute die Routine: Kopf tief, mehrere großlumige Zugänge, Volumen in Form von z. B. Ringer, im Labor Konserven bestellen, Testblut abnehmen, gastroskopieren. Ein cooler Hund ohne jeglichen Emotionen bin ich dabei zwar auch nicht, aber die Tachykardie hält sich in Grenzen.

Woran ich mich nicht, oder noch nicht gewöhnen kann, ist der Moment wenn einem ein Mensch unter den Händen “wegstirbt”. Bevor jetzt lustig gemeinte Sprüche kommen: Ja, ich operiere gerne und imho auch ganz gut. Es gibt jedoch TraumapatientInnen, die schlicht und einfach beschissene Karten haben. Traumachirurgie bedeutet nicht nur Unfälle, bei denen Knochen brechen, sondern es gibt auch viszeralchirurgische Traumata. Sprich spitze/stumpfe Bauchverletzungen, Pfählungsverletzungen, Schussverletzungen (selten bei uns), Überrolltraumata, und so weiter. Ein geplatzter Darm ist dabei das kleinste Problem. Einen Darm kann man resezieren, nähen, ein Stoma ausleiten oder wenn es sich um eine echte “damage control” Operation handelt, stapelt man den Darm einfach ab und nach der Stabilisation auf der Intensivstation erfolgt nach 1-2 Tagen der second look.

Genug gelabert: es kommt der berühmt-berüchtigte “In 10 Minuten landet der Heli!”-Anruf. Frau lässt alles liegen und stehen, geht in den Schockraum, lässt sich die oft nur spärlichen Infos geben (X-jährige Frau, Autounfall, Hochgeschwindigkeitstrauma, intubiert, semistabil). Man wird ruhig, der Ablauf ist klar und geordnet, die Hierarchien im Schockraum sind klar, jedeR hat ihre/seine Aufgabe. Wenn der verunfallte Mensch Glück (oder was auch immer) hat, ist er so stabil, dass er es in die Röhre schafft. Manchmal läuft es so ab, dass der Hubschrauber landet, die Person intubiert vom Landeplatz Richtung Schockraum geschoben wird, man aber schon auf dem Weg hin den Ernst der Lage erkennt: es gibt keine Zeit für den Schockraum, und schon gar nicht für eine Traumaspirale. Trotz den zahlreichen Infusionsbeuteln, die vom Notarztteam in den Kreislauf gedrückt werden hört man den Blutdruck sinken. Ein Blick auf den Monitor ist eigentlich gar nicht mehr notwendig, denn der Alarm trötet unüberhörbar die tiefe Systole in den Raum. Der Bauch der Patientin weist Prellmarken auf, ist gebläht, hart, und die Hautfarbe der Frau wechselt von blass zu fucking-scheisse-blass. Vergiss den Schockraum, ab in den Lift und in den Operationssaal. Während wir im Lift stehen und sich die Notärztin um die brenzlige Situation kümmert, habe ich einige Sekunden Zeit, um die OP-Schwester zu informieren. Die Arme hat eine Minute, um die Instrumente vorzubereiten. Sprich das Bauchsieb in den Saal zu holen. Der Springer läuft um einen Sauger. Die ansonsten so penibel eingehaltene Sterilität ist unwichtig, die Patientin muss schnellstens in den Saal, mein Oberarzt und ich schlüpfen in die Mäntel, streifen uns nicht wie üblich 2, sondern nur 1 Paar Handschuhe über, Skalpell, Bauch auf. Kein Waschen, kein Abdecken. Ich muss aufpassen, nicht zu verletzt werden, denn während man mit einem scharfen Messer durch die Schichten gleitet, drückt die Anästhesie hektisch auf dem Herz herum. Es fühlt sich wie Sekunden an, während man sich in einem See aus Blut und Stuhlgang zur Problemquelle vorarbeitet: ein zerfetzer Truncus coeliacus und ein Leberhilus, der aussieht als ob man einen Böller darin hochgehen hat lassen. Naja, lange Rede, kurzer Sinn: nach 10 Minuten ist allen Beteiligten klar, dass es vorbei ist. Der Monitor wird ausgeschalten, der Alarm erlischt und es kehrt diese Ruhe ein, an die ich mich noch immer nicht gewöhnt habe. Mit den Händen im oder auf dem Bauch steht man fassungslos vor dieser jungen Frau und hofft dass die Türe aufgeht, ein Clown hereinkommt und “Verstehen Sie Spaß?” oder “Versteckte Kamera!” schreit.

Große Momente

In Gesprächen mit Eltern, Verwandten oder anderen Nicht-MedizinerInnen wird man manchmal mit lieb-begeisterten Bermerkungen wie “Boah also ich könnte das nie!” überrascht. Das finde ich süß, irgendwie. Nicht abwertend-süß, sondern einfach lieb und begeistert. Irgendwie freut es mich, diese Beifallsäußerung, andererseits denke ich mir auch, boah, ich könnte nie einen ganzen Tag mit Kindern verbringen, oder rein vorm Bildschirm, oder eine andauernde, kreative Textermaschine sein. Wirklich interessant finde ich die Frage nach “dem ersten Mal”. Das stimmt mich dann wirklich etwas nachdenklich und versetzt mich Jahre zurück. Die Zeit schwindet so schnell, ich kann mich noch an den ersten Medizinunitag erinnern. Wie der Hörsaal aussah, was die ersten Worte des Vortragenden waren. Welchen Blödsinn ich notierte, weil in dem Moment war alles wichtig, ich wusste noch nicht wie und was filtern. Also, wie war es das erste Mal, als ich ein Messer nahm und die Haut eröffnete, das Fleisch aufschnitt? Was war das für ein Gefühl? Die Frage klingt aufregender als die Antwort. Weil: das Studium und der darauffolgende Beruf ist weder ER, noch Scrubs oder Grey’s Anatomy. Es gibt keine ZuschauerInnen und keinen musikalischen Hintergrund. Sprich: es gibt kurze, aufregende Momente; die aber nur einen selbst ergreifen. Die nur wenige Millisekunden andauern. Es ist alles viel weniger aufregend. Also, wie war der erste Schnitt? Ich nahm das Messer und schnitt. Es war eine Leiche, im Seziersaal, ein Massenbetrieb und für die TutorInnen und ProfessorInnen Routine. Kein Geschwafel, keine dramatischen Reden aus dem Off, keine tränenrührende Musik von Jill Andrews. Man konzentriert sich auf das Fach und die Anatomie, die nächste Prüfung im Kopf, die studentischen Geldsorgen, das darauffolgende Fach, für das es zu lernen gilt. Jahre später, das Studium abgeschlossen, folgt der erste Schnitt in das lebendige Menschenfleisch. Grundsätzlich aufregend, aber dann doch der erste Schnitt in Richtung Routine.

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Organspende

Ein kontroverses Thema, über das ich immer wieder und gerne spreche. Nachdem “wir” TransplantchirurgInnen einmal von einer mir nahestehenden Person als “Leichenfledderer” bezeichnet wurde, und jetzt mit dem Frühling die “Donorcycle”-Zeit wieder beginnt, möchte ich mich mit diesem Beitrag für Organspende aussprechen. Donorcycle kommt von Motorcycle – MotorradfahrerInnen sind die perfekten Organspender! Jung und gesund. Frische Leber, Nieren, Herz und Lunge – unverbraucht und voll funktionstüchtig. Mir wurde die Frage gestellt, wie man sich in dem Moment so fühle, wenn man einen jungen Menschen, der unerwartet seine Familie verlässt, “ausräumt”. Transplantationschirurgie ist wie normale Chirurgie. Oder noch “bedachter”, zumindest was die Organentnahmen angeht. Es findet alles im Operationssaal statt, wie immer. Es wird desinfiziert, abgedeckt, das Team Time-out durchgeführt und man konzentriert sich auf das Operationsgebiet. Es ist eine Operation wie (fast) jede andere. Der Mensch stirbt so oder so. Hier mit dem Unterschied, dass zeitgleich mehrere andere Personen einen Anruf bekommen und erfahren, dass sie weiterleben können. Dass es ein wahrscheinlich passendes Organ gibt. Das ist ein schönes und großes Geschenk für nicht nur den Menschen mit dem Organversagen, sondern auch für dessen Familie. Dein Herz kann verbrennt werden und in der Erde verrotten, oder einer anderen Person das Leben retten. An die Religiösen und Esoterischen unter uns: Souls go to heaven, organs don’t. Oder: Don’t take your organs to heaven, god knows we need them here. Amen!