Supermond.

Wäre ich esoterisch, würde ich sagen, der Supermond sei daran schuld. Bin ich aber nicht. Vielleicht liegt es nur an der besonderen Nachtstimmung, vielleicht aber auch nicht. Mir kommt es aufjedenfall vor, als wären Nachtdienste entweder easy und chillig, oder verrückt. Während manchen Nächten blicke ich mehrmals auf das Telefon, um den Akku zu checken, weil es nie klingelt. Verdächtige Ruhe. So war es auch letzte Woche. Der Spätdienst hatte absolut nichts zu übergeben. Die Station sei ruhig, keine Katastrophen. Auf der Notaufnahme läge auch kein chirurgischer Patient, der noch angeschaut werden muss. Nein, und angemeldet sei auch nichts. Hm, na gut. Ich schlürfe meinen Energydrink gemütlich im Büro, löffle ein Joghurt, drehe Paul Anka leise auf und widme mich den chirurgischen Zeitschriften, die andauernd in die Wohnung flattern. Mein Oberarzt meldet sich ab, er gehe nachhause, ich solle mich melden bei Problemen. Mhmmm. Ich geniesse die Stille. Fünf Minuten später läutet es. Das Telefon. Ich, noch die Ruhe in Person, nehme gelassen ab. Die Gelassenheit verflüchtigt sich in der Sekunde, in der mir der Oberarzt der Notaufnahme in mein Ohr brüllt. IN EIN PAAR MINUTEN LANDET DER HELIKOPTER, INTRAABDOMINELLE BLUTUNG, STURZ, UNTER OAK, INR MINDESTENS TAUSEND. Mein Puls liegt nun nicht mehr bei 60, sondern wahrscheinlich eher bei 90. Wobei, was stresse ich mich jetzt, der Heli lande in ein paar Minuten, so lange brauche ich nicht in den Schockraum. Den Oberarzt zurück in das Haus holend spaziere ich telefonierend Richtung Schockraum. Ein CT gäbe es schon vom zuweisenden Krankenhaus. Wird freigeschalten, dauere leider ein paar Minuten, heisst es von der Radiologin. Hmpf. Das CT ist dann schon zu sehen, noch bevor der Patient landet. Viel freie Flüssigkeit. Mesenteriale Blutung. Hmpf. Unter OAK bei St. n. Pulmonalembolie und DES. Mein Oberarzt hastet in den Schockraum, wenige Sekunden später trudeln die Männer in Rot mit dem bleich aussehenden Patienten ein. Der Druck sinkt, der Patient kotzt, der Bauch ist zum platzen gespannt. Praktischerweise hat sich jemand bei der Konstruktion des Hauses etwas gedacht und den Operationssaal in die Nähe des Schockraumes platziert. Anstatt den Patienten im Schockraum also umzukabeln, werden auf dem Weg direkt in den OP viele Infusionen in den Menschen reingedrückt. Ab in den Saal, intubiert, Messer, Bauch offen. Und das innerhalb wenigster Minuten. Es kann so schnell und einfach gehen!

Alles hat einen Haken.

Manchen OberärztInnen kann man es nie recht machen. Man bemüht sich, und wird trotzdem in regelmäßigen Abständen angechnauzt. Ist man unerfahren, jung oder aus sonstigen Gründen nicht so gefestigt, verunsichert einen das. Man zweifelt, nimmt es persönlich. Chirurgie war und ist eine Männerdomäne. Im Operationssaal herrscht oft ein rauher Ton, das ist kein alter Hut, sondern eine andauernde Kopfbedeckung. Das macht auch Sinn. In wenigen Fällen geht es wie in Grey’s Anatomy um Leben und Tod direkt auf dem Tisch, der Tod kommt meistens schleichend. Aber wenn es um eine in der Sekunde lebensentscheidende Wahl geht, gibt es für ein Bitte und Danke keine Zeit. Nichtsdestotrotz, als AssistentIn mancher Obrigkeiten muss man sich viel gefallen lassen. Man bereitet sich vor, weiß alle Laborwerte und Details der Krankengeschichte auswendig, aber dann wagt man es eine Sekunde zu lange zu saugen. Oder zu kurz. Oder man hält den Haken um ein Grad zu steil. Gerade bei solchen Chefitäten verfalle ich beim Haken halten in eine Katatonie, man könnte meine Person in solchen Situationen perfekt für das Malen eines Stilllebens verwenden.Damit er oder sie nichts auszusetzen hat. Genau so verharren, wie man platziert wurde. Der Chef packt meine Hand, stellt den Haken um, in dem er ihn einige Zentimeter aus dem Situs zieht. Ich verharre in der neu eingestellten Situation. Einige Sekunden später brüllt es mir in mein Ohr: “Diese Assistenten von heute halten nichts mehr aus, muss ich den Haken jetzt selbst halten? Sie sind mit dem Haken rausgerutscht!!!!”

Der ebenfalls am Tisch stehende Oberarzt erklärt mir nach der Operation, dass man hier erst ab der Stufe Oberarzt nicht mehr angemotzt wird und er die Masche mit dem Haken rausziehen und dann die/den AssistentIn anschnauzen nicht erst einmal gebracht hat.

Rückblick

Und wieder ein Jahr Chirurgie vergangen. Ein Jahr mit vielen netten, liebenswürdigen PatientInnen, mitreißenden Krankheitsverläufen, lustigen KollegInnen und interessanten Operationen.

Danke an euch LeserInnen fürs Mitlesen und Kommentieren!

Wünsche, Vorschläge oder Fragen für 2018?

Bis dass der Tod uns scheidet.

Heute war es soweit. Herr G. ist unerwartet verstorben. Im Spital. Er war noch nicht alt, alt bezeichne ich PatientInnen mittlerweile frühestens ab dem 75. Lebensjahr. Viele Monate seines Lebens hat er im Spital verbracht. Auf der Kardiologie, auf der Nephrologie, auf der Internen… und letztendlich hat ihn eine Darmerkrankung zu uns auf die Chirurgie geführt. Geplant war, mit dem Wissen ob seiner Grunderkrankungen, ein viel kürzerer Spitalaufenthalt. Die – im Vergleich zu anderen Eingriffen – kurze Operation verlief nach Plan, ohne gröbere Schwierigkeiten. Kurz darauf der Platzbauch. Die Anastomoseninsuffizienz. Die Wundheilungsstörung. Nierenfunktionsverschlechterung, kardiale Dekompensation, obere GI-Blutung, untere GI-Blutung,… eine unglaubliche Wundertüte, dieser Mensch. Reoperationen, Endoskopien, ZVK rein, ZVK raus, Intensivstation, Normalstation, Kostaufbau, dann Gastroparase, Magensondeneinlage, und das Spiel ging wieder von vorne los. Oft fanden Gespräche mit ihm und seiner Frau statt, in denen wir unter anderem den Reanimationsstatus besprachen. Die Nerven lagen zeitweise blank – beim Patienten, seiner Frau, und auch bei uns. Doch immer wieder haben sich alle aufgerafft, nach vorne geblickt, die Situation aufs Neue angegangen. Mut zugesprochen, unterstützt, psychologische Hilfe angeboten. Einmal war sein Gesundheitszustand so gut und stabil, dass er einige Tage in eine Rehabilitationsklinik konnte. Und wurde uns kurz darauf wieder zurückgeschickt. Zu krank, zu kompliziert. Tja, und heute ging alles Schlag auf Schlag. Um 9 Uhr auf der Morgenvisite noch wach, fit (soweit man das in dem Zustand so nennen kann), und erstaunlich guter Dinge. Ich hätte nach so einem ewigen Spitalaufenthalt die Nerven schon 100x weggeschmissen. Dann rapide Allgemeinzustandsverschlechterung, Blutdruck im Keller, aus, basta. Sofort kam schlechtes Gewissen in mir auf; nicht, weil wir ihn nicht “retten” oder “heilen” konnten. Sondern weil ich erleichtert war, dass es vorüber ist.

Pille Palle

Beim Aufnahmegespräch. Die meisten PatientInnen sind eh halbwegs gut bis sehr gut informiert. Aber dann gibt es auch folgende Spezies, welche auf die Medikamentenfrage mit “Das weiß ich doch nicht, da müssen Sie meinen Hausarzt fragen!” (am besten nach 18 Uhr) oder “So weiße Pillen, aus einer gelben Schachtel!” antworten. Oder PatientInnen, deren Diagnoseliste so aussieht:

1. Unklare Abdominalbeschwerden (aktuelles Problem)
2. Irgendwelche Herzprobleme
3. Zucker
4. St. n. unklarer, aber großer und wahrscheinlich nicht unwichtiger Bauchoperation
5. Irgendwann einmal Chemo, weil irgendwo Gewächs
6. Unser Haustier, das wir vor 20 Jahren hatten, hatte diese-eine-spezielle-Krankheit und dann wurde diese und diese Therapie durchgeführt! (wtf? DAS merkt man sich dann?)

Ob ich auch mal so werde? Wahrscheinlich schon. Als Ärztin vielleicht aber auch nicht. Aber es gibt ja gottseidank tausende nützliche und unnütze Apps, die einer/einem so etwas abnehmen. Oder digitale Krankengeschichten, auf die man Zugang hat. Aber das ist ein anderes Thema…

In den Wald lachen gehen

Es gibt ja dieses Sprichtwort, von wegen in den Keller lachen gehen. Vor einigen Wochen musste ich auch im Dunkeln lachen, und zwar abends im stockdunklen Wald. Mittlerweile habe ich ja mein Studium abgeschlossen und bin erwachsen geworden. Versicherungen werden abgeschlossen, Steuererklärungen ausgefüllt und über eine Putzhilfe für zuhause nachgedacht. Der Körper wird älter und irgendwann merkt man, hoppala, man kann nicht mehr unbemerkt essen, feiern und faul sein. Also tausche ich gelegentlich das Feiern ein, und zwar gegen Sport. Lange Zeit nicht daran gedacht, dann zu faul (”Ich laufe doch eh täglich mehrere Kilometer in der Arbeit!”), hie und da ein Stück Kuchen zum Kaffee, ein Stück Schokolade im Schwesternzimmer und schwupps, ist man jenseits der 30 und der gutmütige, jugendliche Körper hat sich verabschiedet und die sich zart, aber doch ansetzenden Speckröllchen lachen einen im Spiegel an.

So kam es also, dass ich, die Menschenhandwerkerin, abends nach der Arbeit noch aufs Rad gestiegen bin. Es dämmerte, war aber noch genug hell, abgesehen davon habe ich Lichter montiert. So radelte ich mit einem Gefühl von Freiheit (der frische Fahrtwind zwischte mir ums Gesicht) und ein bisschen Stolz (endlich was für die Gesundheit tun) zwischen Feldern und Wäldern Kilometer um Kilometer weg von zuhause. Bis ich mich irgendwann zur Umkehr entschied, über den Weg durch den Wald. Mittlerweie war es stockdunkel geworden, das Radlicht zeigte mir nur jeweils einen Meter weit den Weg. Links und rechts von mir dichte Büsche und Bäume. Flattern und knacksen und rauschen im Dickicht. Aufeinmal trat sie hervor: die Urangst vorm Dunkeln. Ich erinnere mich, als ich als kleines Mädchen Angst vor der dunklen Kellerstiege hatte – Angst vor dunklen Gestalten, die dort unten lauern könnten. Ich schlage mir diese dummen Gedanken aus dem Kopf, bin ja erwachsen. Angst vor Dunkelheit, so ein Blödsinn. Aufgrund der Sichtverhältnisse musste ich langsam fahren, und merkte wie Sekunden später die Angst wieder hervorkroch. Ich atme unruhig, meine Hände werden schwitzig und zittrig vor Angst. Bis ich lachen musste. Ja, richtig laut auflachen. Eine erwachsene Frau, Chirurgin, Oberärztin hat Schiss im Wald. Man stelle sich das mal vor. Im Kopf sage ich zu mir selbst, Hey, du! Du bist erwachsen. Du bist groß und kräftig. Es gibt keine Monster. Und vor allem: Du hast täglich ein Messer in der Hand und schneidest andere auf! Wenn, dann sollen sich die Monster gefälligst vor dir fürchten!

Und weg war sie, die Angst. So radelte die Chirurgin nachhause, ohne von einem Monster überfallen worden zu sein.

Schlauchangelegenheiten

Herr L. ist Dauergast bei uns. Manchmal war ich mir kurz nicht sicher, ob er noch immer, oder schon wieder Patient bei uns ist. Er ist so mittelalt und krank. Angefangen hat es mir einer Transplantation. Dann Transplantversagen, Sepsis, Teilresektion des Organes, Galleleckage, wieder Fieber,… Ein absoluter Albtraum. Doch er ist tapfer. Erholt sich von allen Rückschlägen, langsam, aber doch. Bis ich am Wochenende bei ihm am Bett stehe, zur Visite.

Herr L.: “Ich möchte, dass sie einmal in der Position sind, in der ich mich jetzt befinde.”

Ähm… nein danke?

Er blickt auf all die Schläuche, die an ihm hängen.

Zuhause habe ich noch einmal Zeit über das Gesagte nachzudenken. Es ist ja nicht so, dass wir PatientInnen absichtlich so verkabeln. Weils so lustig ist. Oder uns langweilig. Aber bei der alleinigen Vorstellung wochen- oder monatelang im Krankenhaus zu liegen, gruselt es mir. Zweier- oder Viererzimmer, dauernd das Husten, Schnarchen und Stöhnen der ZimmerkollegInnen. Piepsende Perfusoren, mehrmals tägliches Blutdruckmessen, 20 Tabletten den Tag über schlucken müssen. Dazu kommt ein zentraler Venenkatheter, der aus dem Hals ragt. Eine PDA, dazu der obligatorische Blasenkatheter. Überlappend zur parenteralen Ernährung eine Nasojejunalsonde mit Sondenkost. Ein VAC-Verband. Zwei Abdominaldrainagen. Eine Thoraxdrainage. 8 Schläuche, an denen man hängt. Ja, krank sein ist nicht lustig und ein Spital kein Wellnesshotel. Die Notwendigkeit eines Katheters/einer Drainage, sowie eines Medikamentes werd ich von nun an noch genauer evaluieren…

Scheinheilig

Als Ärztin bin ich eigentlich ziemlich scheinheilig und unglaubwürdig – wenn meine PatientInnen ob der Diskrepanz Bescheid wüssten!

“Ernähren Sie sich gesund, Ballaststoffe bliblablubb…” “Sport ist wichtig, am besten eine halbe Stunde pro Tag, auch wenn es nur ein Spaziergang ist!” “Essen Sie langsam und kauen Sie genügend…” “Schlafen Sie ausreichend…” “Hören Sie auf Ihren Körper…”

Und selbst? Schnell ein Sandwich vorm PC runterwürgen und fast täglich die obligatorische und auch von der Arbeitszeit abgezogene Mittagspause ignorieren. Auf Sport aber sowas von pfeiffen, weil man nach einem 16-Stunden-Arbeitstag kaputt ins Bett fällt, nachdem man noch ein Feierabendbier getrunken hat. Am besten noch eine Zigarette dazu, zwecks der Entspannung und so. Auf den Körper hören? Quatsch, brauch ich doch nicht, bin ja jung und gesund und fit!

Mein Hausarzt, der Superman

Herr A. ist Patient bei uns, stationär, Diabetiker, hat eine große Bauch-OP hinter sich und isst aufgrund diesem Umstand nur extrem wenig, sodass wir eine parenterale Ernährung (=über die Vene) gestartet haben. Normalerweise spritzt er zuhause ein lang wirksames Insulin, allerdings ist aufgrund seiner aktuellen Ernährungssituation sein Blutzucker mal bei 1, dann wieder bei einer Million (mindestens!). So haben wir das lang wirksame Insulin pausiert und spritzen ein kurz wirksames Präparat je nach Blutzuckerwert nach, bis sich die ganze Situation wieder normalisiert. Eines Tages beginnt Herr A. zu reklamieren. Vom kurz wirksamen Insulin werde ihm schlecht, deswegen besteht er auf sein Levemir, und wenn wir ihm das nicht spritzen, würde er sofort das Spital verlassen.

Menschenhandwerkerin: “Herr A., sobald sie wieder mehr essen, können wir die Ernährung über die Vene stoppen und wieder mit ihrem gewohnten Levemir-Schema beginnen.”

Herr A: “Aber von ihrem Insulin wird mir übel! Ich brauche mein Levemir, ich kenne mich besser als Sie mich!”

M: “Ich kenne Sie persönlich nicht gut, aber ich kenne ihre Blutzuckerwerte und dass diese bereits nach nur zwei Einheiten Levemir in den Keller gerasselt sind. Deswegen spritzen wir ein schnell wirksames Insulin nach, und bei stabiler Situation beginnen wir wieder mit dem Levemir.”

Herr A: “Mein Hausarzt, der mich seit Jahren kennt, hat mir dieses Schema erstellt, und sie werfen alles über den Haufen!”

M: “Ich zweifle nicht an ihrem Hausarzt. Die aktuelle Ernährungssituation ist allerdings eine Ausnahme, weswegen eine kurzzeitige Änderung der Insulintherapie erforderlich ist.”

Herr a: “Aber mein Hausarzt… Der ist ein Superman!!!”