Teil II

Ich öffne die Augen und befinde mich wieder im Bett im Zimmer. Sekundenschlaf? Nein, die Uhr meint, es ist drei Stunden später. Keine PONV. Kein Schwindel. Keine Schmerzen. Der Versuch mich einen Millimeter zu bewegen treibt mir die Tränen in die Augen – vor Schmerzen. Mo. Noch einmal Mo. Noch einmal Mo. Das geht so alle 30 Minuten weiter. Bis irgendwann die Blase drückt. Alleine Aufstehen? Fehlanzeige. Wie steht man auf nach einer Bauchoperation? Da war doch was mit auf die Seite drehen und mit den Armen hochstemmen. Ich bin >30, groß, stark, gesund und von der schmerzunempfindlichen Seite – wie schwer kann es sein vom Bett 5 Meter zur Toilette zu gehen? Ein Pfleger, geschätzte 25 und schmächtiger als ich hilft mir die Beine aus dem Bett zu heben, Arm in Arm schlurfen wir Richtung WC. Romantik pur. Fehlanzeige, zurück in’s Bett. Eine halbe Stunde später der nächste Versuch. Wieder Fehlanzeige. Ich drücke suprasymphysär rum und ertaste eine brettharte Blase. Fuck. Einerseits könnte ich heulen vor Scham und Schmerz, andererseits war ich nur froh darüber die 1.5 Liter loszuwerden. Scheiß drauf mit gespreizten Beinen im Bett zu liegen, während mir der Pfleger einen Katheter in die Urethra schiebt. Nach knapp 30mg Mo und dem zweiten Einmalkatheter bricht die Nacht an. Im Sechserzimmer. Womit ich eigentlich kein Problem habe – wenn es nicht wie in einem Taubenschlag abgehen würde.

Nach vielen Schmerzmitteln kann ich am ersten postoperativen Tag endlich alleine aufstehen. Die Entlassung folgt am zweiten postop. Tag und ich habe SO viel Respekt vor allen PatientInnen, die größere Operationen und längere Krankenhausaufenthalte durchstehen müssen. Hut ab!

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Zu Tisch bitte! (Teil I)

Vor zwei Jahren habe ich schon einmal darüber geschrieben wie es sich anfühlt als Chirurgin selbst auf dem Tisch zu liegen. Von der Operierenden zur Operierten. Nicht dass ich meinen Kolleginnen und Kollegen Schmerzen wünsche, aber es trägt schon zu mehr Empathie bei, wenn man die andere Seite auch kennenlernt.

Nach Sprechstundentermin, Ultraschalluntersuchung und Anästhesiesprechstunde ist es endlich soweit: man tritt hungrig und etwas aufgeregt in das Krankenhaus ein. Entblättert sich komplett und hüpft in ein sexy Nachthemd und noch sexiere Stützstrümpfe. Rawr! Dann wartet man. Bis der ersehnte Anruf kommt und man im Bett liegend in den Vorbereitungsraum geschoben wird. Sind alle Krankenhauswanddecken so hässlich? Die Farbe blättert ab. Die Anästhesiepflegerin ist jung, unerfahren und nett. Die Anästhesistin kommt und stellt sich vor. Ein peripherer Zugang wird gelegt. Leider an dem Arm, der angelagert wird. Ein zweier Stich erfolgt. Das Präoxygenieren beginnt und eine Sauerstoffmaske wird mir ins Gesicht geklebt. Die Anästhesistin plaudert mit mir weiter und ich frage mich (wie beim Zahnarzt), wie ich mit dem Ding in meinem Gesicht reden soll? Ich beschränke mich auf`s Kopfnicken/schütteln und meine größte Angst in dem Moment ist folgende: Was wenn mir im Rahmen der Intubation ein Zahn ausbricht? Es folgt das Fentanyl und ich kann so gut verstehen, wie man abhängig von dem Zeug werden kann. Mir wird warm, ein wenig schwindelig und ich fühle mich wie der glücklichste Mensch auf Erden. Ich möchte noch nicht einschlafen, sondern diesen unendlich angenehmen Rausch noch weiter genießen!

Hellsehen

Eingehender Anruf an das Diensttelefon. Freitag Abend.

“Hallo, mein Name ist XYZ, ich habe Bauchweh und weiß nicht was ich machen soll.”

“Seit wann haben Sie Bauchschmerzen?”

“Seit gestern.”

“Und wie schlimm ist es? Müssen Sie auch erbrechen, haben Sie Durchfall oder Fieber?”

“Nein, aber es tut weh.”

“Haben Sie schon ein Schmerzmittel genommen?”

“Ja, vor einer Stunde, aber es tut immer noch weh.”

“Es kann sein, dass es nur eine Magen-Darm-Grippe ist, es kann sich aber auch um ein anderes Krankheitsbild handeln. Zur Sicherheit schlage ich vor, dass Sie vorbeikommen, dann kann ich es besser beurteilen.”

“Waaas? Muss ich jetzt echt ins Spital fahren?!”

Nein. Geben Sie mir Ihr Geburtsdatum, die exakte Uhrzeit Ihrer Geburt, den Namen Ihres ersten Haustieres und die Blutgruppe Ihrer Urgroßmutter. Somit kann ich Ihnen über das Telefon punktgenau sagen, worum es sich bei Ihrem aktuellen Problem handelt!

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Revisionsoperation

“Ich muss Sie, auch wenn es ein risikoarmer Eingriff ist, vor der Operation auch auf mögliche Komplikationen hinweisen, die da wären: Konversion auf eine Laparotomie, sprich Erweiterung auf einen größeren Bauchschnitt, zudem Blutung, Wundinfektion, Drainageeinlage, Pneumonie, Thrombose,…”

So ungefähr lief unser Gespräch vor der Operation ab. Kurz darauf lag Frau B. auf dem Tisch, Bauch auf, Blinddarm raus, Bauch zu, fertig. Ein schlichter 30-Minuten-Blinddarm. So weit so schlecht. 24 Stunden postoperativ wird die Patientin hypoton und tachykard, naja, kann ja mal vorkommen. Nachdem sich auf i.v. Hydratation die Situation nicht bessert, bestimme ich das Hb. Das tief ist. Die Patientin bekommt Erythrozytenkonzentrate, das Abdomen ist weich, die Vitalzeichen bessern sich, das Hb steigt adäquat an und bleibt stabil. Frau B. geht nachhause. Knapp eine Woche kommt sie wieder: Bauchschmerzen. Das Hb ist zwar stabil geblieben, jedoch zeigt sich in der Bildgebung im Unterbauch ein großes Hämatom, das sich mittlerweile infiziert hat. Keine Überraschung. Ich sehe mir das Video der Laparoskopie noch einmal an, ich bin im Nachhinein nicht wirklich gescheiter. Gut, ein Minigefäß, das so Mini ist, dass man nicht einmal einen Gefäßstumpf sieht, hätte ich noch mit einem Adrenalintupfer stillen können. Wenn ich bei jeder Operation jedes Minigefäß zum absoluten Stillstand bringen möchte, würde ich bei jeder Operation einen Adrenalintupfer benötigen. Frau B. bekommt also Antibiotika, eine Drainage in ein organisiertes Hämatom einlegen macht wenig Sinn. Die Situation verschlimmert sich nicht, jedoch tritt auch keine Besserung ein, sodass Frau B. knapp zwei Wochen postoperativ wieder auf dem Tisch landet. Eine eindeutige Blutungsquelle findet sich nicht. Habe ich etwas falsch gemacht, würde ich es anders machen? Nein. Habe ich trotzdem ein schlechtes Gewissen? Oh ja.

Erst nach der ersten revisionspflichtigen Operation fällt man den endgültigen Entscheid, ob man für die Chirurgie geeignet ist. Denn dann muss man sich fragen, ob man es ertragen kann, wenn man einen Mensch für eine Revision erneut in den Saal schieben muss.

Überforderung

Und ich dachte ich – alter Hase 😉 – wäre schon abgebrüht, hätte vieles erlebt, im Arbeitsleben und generell… aber dann kommt ein Patient in die proktologische Sprechstunde und erzählt, dass er seit drei Jahren Würmer im Stuhl habe und noch nie zum Arzt gegangen sei. Weil ihn das überfordere. Er esse gerne rohe Lebensmittel.

Guten Appetit!

Schwer kranke PatientInnen sind oft schlecht ernährt und weisen einen Haufen von Mangelernährungen vor – zu wenig Kalorien, zu wenig Proteine, zu wenig Vitamine. Das braucht der Körper um zu funktionieren und gesund zu werden. Ein Proteinmangel wirkt sich unter anderem schlecht auf die Wundheilung aus. Deswegen gibt es in Spitälerin auch ErnährungsmedizinerInnen, welche die PatientInnen beraten und Zusatznahrung – wie zum Beispiel irgendwelche Proteindrinks oder hochkalorische Getränke in allerlei Geschmacksvariationen – empfehlen. Diese Drinks schmecken jetzt nicht umwerfend, aber auch nicht total eklig, habe schon einige Produkte kosten dürfen. Es gibt besseres, aber tja, das Leben bzw. ein Krankenhausaufenthalt ist halt leider auch kein Ponyhof.

Vor kurzem habe ich die von der Ernährungsmedizinerin geschriebenen Verläufe gelesen, nachdem sie ein Gespräch mit einer gemeinsamen Patientin geführt hat. Da geht es zu Beginn mal generell um die Essgewohnheiten; so hielt die Kollegin fest:

“Unkomplizierte Patientin. Isst alles, außer Fische mit Augen!”

Teebeutelsprüche

“Geduld ist das Vertrauen, dass alles kommt wenn die Zeit dafür reif ist.”

Die verfassende Person hat wohl noch nie >12h am Stück auf der Notaufnahme verbracht.

“Ich kann nur Knäckebrot essen, keinen Zwieback – der bringt meinen Metabolismus sonst durcheinander!”

“Heute tut gar nichts mehr weh, gestern Abend hatte ich Bauchweh!”

“Ich bin ja gegen Medikamente und Impfungen, die vergiften den Körper.”

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Danke.

Es gibt Tage, an denen fragt man sich kurz warum man sich einen Job antut, der teilweise ziemlich anstrengend ist. Ständiges Entscheiden, lange Arbeitszeiten, Nachtdienste, Feiertagsdienste, Verantwortung. Man verpasst Hochzeiten, Geburtstage und sitzt an Weihnachten in der Klinik anstatt bei der Familie. Man kommt hundemüde und hungrig nach 16 Stunden nachhause und weiß – der Wecker klingelt in 5 Stunden wieder.

Aber dann gibt es PatientInnen, die einer/m fest die Hand drücken und sich von Herzen bedanken, dass man sich um sie kümmert und ihnen den Schmerz genommen hat. Genau solche Momente machen alles wett.

Streng geheim.

Weil das oft schon mal ein Vorwurf war in den Kommentaren: Der Grund warum ich herzlose Messerschwingerin von Frau Bauchweh oder Herr Inguinalhernie spreche ist nicht der, weil ich keine Menschen, sondern ausschliesslich Krankheitsbilder sehe, sondern weil ich meinen Job mag. Sehr gern sogar. Und ich ihn nicht verlieren möchte, indem ich von Frau Barbara Müller, geboren am 01.01.1985, wohnhaft in Soundsohausen spreche.