So, heute gibts mal was Nachdenkliches.

Es ist fast 13 Uhr, ich liege im Bett, hab nach 10 Tagen Dienst den ersten freien Tag und kann mich nicht aufraffen. Wozu aufstehen, und was macht überhaupt Sinn?

Ein junger Mensch, wenige Jahre älter als ich, mit nekrotisierender Fasziitis, wir haben sein komplettes linkes Bein quasi seziert, die Haut abgezogen, das Fett darunter weggeschnitten, am Schluss hatte ich Knochen mit Muskeln dran in der Hand – und wozu? Er stirbt ja so und so, liegt auf der Intensivstation und kommt ins Multiorganversagen. Mehr oder weniger verdrossen fahre ich anschliessend nach der OP nachhause mit dem Rad und werde Zeugin eines Motorradunfalles. Das Motorrad bleibt irgendwo liegen, den jungen Mann finde ich 20 Meter weiter bewusstlos auf dem Boden liegen. Zwei Tage später in der Zeitung die Meldung dass er gestorben ist.

Draußen erstrahlt endlich der Sommer, aber ich kann mich daran nicht erfreuen. Wozu den freien Tag genießen, rausgehen und Eis essen, wenn junge Menschen sterben?

A*loch

Sprechstunde, ein Patient zur Nachkontrolle den ich noch nicht kenne. Mittelalt, männlich. Ich betrete die Ambulanz, Herr A* wartet schon im Zimmer, ich grüsse wie immer freundlich und strecke ihm meine rechte Hand entgegen.

Ich: “Guten Tag Herr A*, mein Name ist Menschenhandwerkerin, ich bin die Ärztin und werde mich heute um Sie kümmern!” – mit einem freundlichen Lächeln.

A*: “Hat Ihnen schon jemals wer gesagt, dass er nicht von Frauen behandelt werden möchte?”

Ich: “Nein, hiermit wären Sie der erste Volltrottel!” – in Gedanken, und in Wirklichkeit: “Nein?”

A* (lachend): “War nur ein Scherz!”

Liebe KollegInnen,

wie geht ihr damit um, wenn PatientInnen länger stationär bleiben möchten, obwohl es aus medizinischer Sicht absolut nicht mehr notwendig ist?

Noch dazu fällt es mir schwer wenn zusätzlich nicht einmal absoluter Bettenmangel herrscht. Und es geht nicht um einen einzelnen Tag, sondern um 2-3 oder auch mehr Tage…

Einfach auf die Geldfrage scheissen und die Leute bleiben lassen?

Schüsslersalze

Eine Patientin bekommt nach einer unspektakulären Operation die ganz normale Standarddosis Paracetamol und Metamizol gegen die Schmerzen. Und stellt mir bei der Visite anschliessend folgende Frage:

“Jetzt bin ich ja vollgepumpt mit Schmerzmitteln… Sollte man danach nicht entgiften? Mit Schüsslersalzen zum Beispiel? Was halten Sie davon?”

Ääääähmmmmm…. Nichts?

(Allein schon das Wort “vollgepumpt”… Da kringeln sich meine Zehennägel auf! Das sind stinknormale Schmerzmedikamente die der Körper bei halbwegs gesunden Menschen problemlosest verarbeitet und abbaut.)

El dolor

Auf unserer Bettenstation liegt zur Zeit Herr S., wie Schmerz. Er ist gross, kräftig, erwachsen, und ihm wurde vor kurzem der Blinddarm entfernt. Herr S. klagt stündlich über stärkste Schmerzen, trotz fixen Schmerzmedikamenten. Man kann seinen Bauch kaum anfassen, weil er fast durchdreht. Warum uns das keine, oder sagen wir mal wenig Sorgen macht? Er hat kein Fieber und die Entzündungswerte im Blut gehen runter. Aufjedenfall gehen wir wie jede Woche mit der Chefarztvisitenpolonaise durch. Der Chefarzt will halt auch mal auf alle Bäuche grapschen und tastet den Bauch von Herrn S. ab, welcher sich daraufhin im Bett windet wie eine Schlange und nicht mehr aufhört mit Ach und Uh und Aua. Weil sich der Chef halt dann nicht einfach davonschleichen will, bleibt er noch am Patientenbett, bis sich die Sache beruhigt… Bis Herr S.plötzlich losbrüllt:

“Was machen Sie jetzt? Stehen Sie jetzt da und sehen Sie mir zu wie es mir weh tut? Ich hoffe Sie kommen morgen nicht wieder!!!!”

Keine Stars

Vor kurzem habe ich einen Artikel gelesen, worauf man als junge Ärztin/junger Arzt achten soll, wenn man frisch von der Uni kommt und ab auf die Station. Nett zur Pflege sein (das muss man extra erwähnen?), interessiert sein (ebenfalls), etc… dann könne man “die Station rocken”.

Bei Grey`s Anatomy und anderen ÄrztInnensendungen werden “wir” ja auch oft so als HeldInnen dargestellt. LebensretterInnen.

ÄrztInnen bzw. ChirurgInnen sind keine Stars. Es geht nicht um Ruhm oder Ansehen, oder darum “die Station zu rocken”. Im Vordergrund steht der kranke Mensch. Wir sind Angestellte, die für ihre Arbeit bezahlt werden. Nicht mehr und nicht weniger.

Scheißkrankheiten

Ich wünsche niemandem eine Krankheit. Es gibt allerdings Krankheitsbilder bei denen ich mir immer wieder denke: “Das wünsche ich ECHT niemandem!”

Spontan fallen mir da chronisch entzündliche Darmkrankheiten und Acne inversa ein. Ersteres erklärt sich etwas von selbst, beim zweiten Krankheitsbild haben die betroffenen Personen teilweise im Wochentakt (ja!) irgendwo neue Abszesse unter der Haut, die so groß und schmerzhaft sind, dass man sie rausschneiden muss und keine Antibiotika mehr was bringen. Seht man nach bei der Google Bildersuche unter “Acne inversa”. Horrorvorstellung.

Fortschritt

Es tut echt gut wenn man wirklichen Fortschritt bemerkt. In der Arbeit als Chirurgin zum Beispiel. Klar, ich hatte schon vor einem Jahr Momente in denen ich mir dachte, wow, das kannst du besser als vor so und so vielen Monaten. Oder hey, diese Woche lief echt gut. Oder im schlimmsten Fall: Ich hab nichts falsch gemacht!

Heute habe ich mir allerdings zum ersten Mal nach einer Operation, die ich durchführte, gedacht – hey, das hättest du auch ganz alleine, also ohne OA als Assistent, geschafft. Nicht nur geschafft, sondern gut gemacht. Und wenn man nachher dann noch positive Rückmeldung von dem gesagten OA bekommt, der dann auch noch meint dass ich die OP bald wirklich alleine, also mit einer Assistenz, welche unter meinem Ausbildungsstandt sich befindet, durchführen kann/darf… Das tut echt gut. Nicht weil ich so supertoll bin. Ich mein, vielleicht schon ein bisschen. Sondern einfach weil es mir zeigt dass ich meinen Beruf, der mir viel bedeutet, gut mach. Horror wenn man einen Traumberuf hat, und einer/m gesagt wird, dass man den nicht gut macht.

PS. Es war eine Leistenbruch- OP.

Selbstversuch II

12:30: Der erste Liter ist angerichtet. Zwei Beutel mit
weißem Pulver wurden in einem Liter Wasser angerührt. Zusammengemixt sieht es
aus wie… Wasser. Der erste Schluck: Schmeckt wie abgestandenes Fanta, sprich
ohne Kohlensäure, allerdings viel weniger süß, stattdessen leicht salzig. So
stell ich mir diese WHO-Trinklösung bei Dehydratation vor. Wird nicht mein
Lieblingsgetränk, schmeckt aber nicht eklig oder brechreizerregend. Wobei – das
war erst der erste Schluck…

13:00: Bäh. Salzig. Ein halber Liter ist geschafft. Wer
trinkt schon freiwillig salziges Fanta ohne Kohlensäure. Im Bauch verspüre ich
ein leichtes Grummeln.

13:30: Der erste Liter ist geschafft. Toilettenmäßig läuft
noch gar nichts.

14:30: Ein Glas Wasser nachgetrunken und den zweiten Liter angerührt.
Auf die Toilette musste ich bis jetzt noch immer nicht. Angefangen habe ich die
zweite Kanne noch nicht, da mir dass „salzige Gatorade“ schon etwas raushängt.
Aber ganz so schlimm ist es noch nicht.

15:00: 500ml stehen mir noch bevor. Den ersten Toilettengang
habe ich hinter mir. Man fühlt sich etwas aufgebläht vor von dem ganzen
Trinken, aber kein Bauchweh oder so.

15:30: Geschafft. Zwei Liter getrunken, den letzten halben
Liter musste ich runterwürgen, ansonsten war es halb so wild. Man kann sich die
Trinkportionen ja etwas aufteilen und zwischendurch mal Tee oder Wasser
trinken. Auf der Toilette war ich allerdings bis jetzt nur einmal, bin gespannt
was da noch folgt…

15:30 – 17:00: Der Einfachheit halber bin ich gleich auf der
Toilette sitzen geblieben und hab endlich Zeitschriften gelesen, die schon
lange auf der „zu lesen“ Liste standen. 😉

20:00: Zwischenzeitlich noch 3-4 mal auf der Toilette
gewesen. Fühle mich müde und ausgetrocknet. Zeit noch einmal viel Wasser
nachzufüllen und im Bett gemütlich lesen…

Der Tag danach: Blähungen ohne Ende.

Fazit: Alles halb so wild, man muss sich halt Zeit nehmen
und zuhause bleiben – in der Nähe der Toilette mit Zeitschriften oder einem
guten Buch. 😉 Die zwei Liter Moviprep werden nicht mein Lieblingsgetränk. Die
ersten 1500ml habe ich gut geschafft, danach musste ich es runterwürgen. Bin
froh, dass mir die ganze Prozedur hoffentlich erst in rund zwei Jahrzehnten
wieder bevorsteht: Vorsorgedarmspiegelung ab 50a.

Selbstversuch

Ich bin ja der Meinung, dass es gut für die ÄrztInnen/PatientInnen-Kommunikation ist, wenn man empathisch ist. Sich hineinversetzen kann. Vielleicht selbst mal krank im Spital gelegen ist. Um den Budenkoller nachvollziehen zu können.

Vor einem Jahr bin ich selbst operiert worden und klar, im Grunde wünsche ich niemandem eine OP, aber als Chirurgin selbst mal auf dem Tisch liegen zu müssen war eine aufregende und interessante, wenn auch hoffentlich einmalige Erfahrung. Man darf also ab Mitternacht nichts essen und trinken, muss nüchtern im Spital frühmorgens erscheinen. Aufgestanden bin ich natürlich trotzdem direkt zum Kühlschrank gegangen um ein Joghurt rauszuholen – STOPP! Gewohnheit. Nüchtern bleiben. So kommt man also nüchtern im Krankenhaus an, zieht sich dort komplett aus und schlüpft ein Baumwollnachthemd, welches hinten offen ist. Man kann es zwar mit einer einzigen Masche verschliessen, auf die Toilette schleiche ich trotzdem wie ein Krebs seitwärts mit dem Po Richtung Wand, damit nicht jedeR einen Blick auf meinen Allerwertesten werfen kann. Da es sich um eine Bauchoperation handelt, muss auch die Intimregion rasiert werden. Grund: die zu operierende “Fläche” wird im OP grossflächig desinfiziert, und dazu gehört auch dass man die Haare (potentielle Keimfänger) entfernt. Gut, Frau Menschenhandwerkerin, also ich, sitze rasiert, hungrig und etwas aufgeregt im Oma-Nachthemd im Bett und warte und warte und warte… Bis ich nach 2-3 Stunden in den Vorbereitungsraum der Anästhesie geschoben werde. Fühlt sich alles so normal an, in diesen Räumlichkeiten halte ich mich ja täglich auf. Bis mir der Anästhesist in die Vene sticht und mir einfällt – Hallo, ICH bin da heute ja die Patientin! Uarrrrgh! Der Anästhesist scherzt und labert rum, um mich abzulenken, dass ich an etwas Schönes denken soll wovon ich träumen möchte… Und weg war ich.

Heute geht es allerdings nicht um einen operativen Eingriff, sondern um ein in der Bauchchirurgie täglich vorkommendes Thema: das Abführen. Entweder im Rahmen der Vorbereitung für eine Darmspiegelung, oder weil man immens verstopft ist (z. B. aufgrund von Opiateinnahme). Manche PatientInnen haben leider die Arschkarte gezogen und müssen aufgrund von bestimmten Umständen öfter als normal zur Darmspiegelung bei uns antanzen und da wird, je nach Charakter, mal mehr oder weniger über das eklige Abführmittel geklagt. Davon müssen nämlich 24 Stunden vor der Untersuchung mindestens zwei Liter getrunken werden.

Die heutige Challenge lautet also…. MOVIPREP! (Nein, mir steht keine Kolonoskopie bevor, sondern diese Aktion dient ausschließlich der Empathie. Damit ich in Zukunft sagen kann: “Ich weiß, es ist echt eklig, ich habe das auch schon mal getrunken.” – oder: “Es schmeckt zwar nicht so gut wie Limonade, ist aber halb so wild.”.

Wie schreibt man so schön am Ende von Arztbriefen?

Ich werde weiter berichten.