abc-mütter II

ganz akut noch gesehen:

die sportliche
sie tapert zwar ihrem bobele hinterher – aber nicht alleine, sondern hat eine freundin im schlepptau. das indieschulebringen ist nicht die eigentliche aufgabe, sondern dass startpunktschulewählen schon eher. denn beide frauen haben nordic walking klamotten und entsprechende stöcke dabei.

in anlehnung an die anderen abc-mütter: das gibt sich. 

ich liebe exantheme

exanthem = hautausschlag umgangssprachlich.

ich liebe exantheme. sie sind ein weites feld der differentialdiagnostik, der unruhe bei den eltern, der freude am juckreiz und einfach manchmal schön anzusehen. von simplen rötungen über erhabene so genannte effloreszenzen, bis hin zu pustulösen, schuppigen oder grindigen geschichten – wunderbar.

ganze bücher werden darüber geschrieben – seitenweise fotografien, wie klassische kinderkrankheiten auszusehen haben, masern, röteln, windpocken – einfach toll. das wort "lehrbuchmäßig" impliziert eigentlich bereits, dass diese kinderkrankheiten immer in realitate komplett anders aussehen als im lehrbuch.

schön auch die verwechslungen. die armen mückenstiche verkommen potzblitz zu gefährlichen windpocken, banale hitzepickel werden zu röteln und rote eismünder zu mundfäulen. herrlich.

ich denke, ein drittel der besuche in meiner praxis sind hautbedingt oder zumindest "was ich ihnen noch zeigen wollte, schauense mal die pickel hier…"
– aber das schöne ist: kaum ein gebiet, welches zwar soviele ängste lostritt (neurodermitis!!), aber auch kaum eines, welches man so schnell heilen kann ("kommense mal in zwei wochen wieder&quot.

und die industrie! da wird gecremt, geschmiert, geölt! die armen eltern bekommen pröbchen und sächerlichen nach hause geschickt, kaum dass der säugling geboren ist. jeder rötliche hauch wird dann eingespachtelt und behandelt. und bei mir vorgestellt.

an babys haut darf nur wasser und viel liebe! freiheit der haut!

abc-mütter

jetzt kann man sie wieder überall laufen sehen: die abc-mütter, also die, welche ihr erstgeborenes soeben eingeschult haben.

die klebende
sie bringt ihr kind von der eingangstüre bis vor die haupttüre der schule, verharrt, bis die lehrerin die kinder in die schule geleitet, winkt dem bobele nochmal durch die klassescheibe. dann steht sie noch fünf minuten auf dem schulhof wie verloren, ist ein wenig enttäuscht, dass sich´s bobele nicht noch einmal umgedreht hat, geschweige denn schreiend zurück in ihre arme stürzt. sie weint ein wenig. dies alles macht sie die nächsten zwei schuljahre.

die eskortierende 
sie verhält sich zunächst wie no.1, beendet die begleitung aber am eingang zum schulhof, dreht sich dann nach einem küsschen um und hastet zurück nach hause. ´s bobele steht noch fünf minuten auf dem schulhof wie verloren, ist ein wenig enttäuscht, dass sich die mutter nicht noch einmal umgedreht hat, rafft sich dann aber auf und spielt fangen. dies behält ´s bobele für zwei tage bei, die mutter verharrt jedoch in ihrem verhalten wie no.1 für zwei jahre.

später kürzen die klebende und die eskortierende ihr verhalten auf die hausecke vor der schule, die letzten hundert meter, die ersten hundert meter – aber schleichen dem bobele trotzdem leise hinterher. 

die tragende
sie trägt dem kind den ranzen, die schultasche, das vesperpäckchen, die warme jacke und die selbständigkeit bis in die schule. das tat sie auch schon im kindergarten so, nur jetzt wird es gerechtfertigt mit "dem schweren ranzen, den die kleinen schon tragen müssen." möchte sie ihr verhalten entwickeln, endet dies meist in zornanfällen des kindes, der schulranzen bleibt dann nebst mutter stehen und das kind geht auch mal ohne vesper in die schule. dies verhalten wird meist nach einem jahr aufgegeben, weil der ranzen dann für die mutter zu schwer wird.

die fahrende
ihr gelingt es gerade, das kind für die zwei meter zum carport zu motivieren. das kind wird gefahren, zur schule, von der schule, zur freundin, von der freundin, zum reitstall und zurück. in der regel regnet es bei dieser konstellation den ganzen tag – in jedem fall ist es grundsätzlich zu kalt zum laufen oder der weg zu steil. sehr haftendes verhalten. keine besserung. viele mischformen zu "die tragende". 

die unsichtbare
sie ist nicht existent. man sah sie nicht im kindergarten, nun auch nicht vor oder auf dem schulhof. das kind trägt stets einen schlüssel bei sich und hat bereits mit drei jahren den kindergartenweg beherrscht. nun hat es den zeitlich längsten rückweg von der schule aller, da niemand zu hause wartet. um diese mutter ranken die meisten gerüchte.

väter kommen in diesen konstellationen i.d.R. nicht vor, wenn, dann sind sie meist mischungen aller, mit bevorzugung der fahrenden komponente. 

immer ich

warum muss eigentlich immer ich – die druckerpatronen wechseln, die druckerköpfe säubern, die papierschnipsel neben der mülltonne aufheben, den dreckschluckerteppich entfalten, die bananenschale aus dem papiermüll fischen, den server neubooten bei systemabsturz, den eltern sagen, dass die kinder nix essen sollen in der praxis und nicht durch alle untersuchungszimmer wuseln, der schülerin verklickern, dass eltern, die eine halbe stunde zu früh kommen, genau so unpünktlich sind, wie die, die eine halbe stunde zu spät kommen, und deswegen auch erst drankommen, wenn sie an der reihe sind, die bilderahmen grade hängen, die uraltspinnwebe wegputzen, den einen computer doppelt booten, den man jeden morgen doppelt booten muss, die werbung aus der post in den papiermüll werfen, die wartezimmerzeitungen entsorgen, wenn sie einfach nicht mehr als solche erkennbar sind, die neonröhren austauschen, das telefon am abend auf rufumleitung oder anrufbeantworter umstellen, die umverpackung von den papierhandtüchern entfernen, nachdem sie bereits in den papierhandtuchspender gesteckt wurden (wtf?), die monate alten aushänge von irgendwelchen kinderkleidermärkten vom schwarzen brett abhängen, im winter die aufforderung in den raum stellen, den weg vor der praxis zu fegenschippenzustreuen und im sommer, wenn die sonne in die fenster knallt, die vorhänge zu schließen, ebenso wie im winter, wenn es draußen dunkel ist und drinnen licht an und alle leute dann hineinstieren können, und warum muss ich immer all diese dinge besprechen … (lufthol!) obwohl ich das schon hunderttausendzillionenmal bei den hunderttausendunzähligen besprechungen besprochen habe?

buchempfehlung

michael winterhoff: warum unsere kinder tyrannen werden 

dieses buch wird bereits sehr kontrovers diskutiert, sieht man auch bei den "rezensionen" in amazon, aber es hinterlässt zumindest ein paar wichtige gedanken:

– einen normale psyche entwickelt sind nicht alleine, sondern braucht führung und begleitung
–  viel fehlverhalten der kinder heutzutage lässt sich auf eine unentwickelte psyche zurückführen
– kinder verharren daher in einer frühen entwicklungsphase, z.B. dem narzissmus
– kinder werden zu partnern gemacht, sind aber kinder
– probleme der eltern werden auf die kinder projiziert, manchmal sogar mit diesen (partnerschaftlich) diskutiert
– kinder sollten wieder als solche behandelt werden, d.h. für winterhoff: kinder brauchen regeln, führung, klare ablaufstrukturen. insbesondere muss ihnen vermittelt werden, was sie tun dürfen und was nicht. kinder können dies zunächst nicht selbst beurteilen (dürfen).

das klingt zunächst mal sehr streng und konversativ, aber nach winterhoffs meinung hat das erbe der 60/70er jahre der antiautoritären erziehung dazu geführt, dass die psychischen entwicklungsphasen des kindes nicht mehr durchlaufen werden und damit kinder "produziert" wurden, die im lustalter verharren und nie lernen werden, was regeln sind.

in jedem fall sehr lesenswert – auch zügig geschrieben und entsprechend lesbar – und für ein paar gedanken in jedem fall gut. 

russisches kinderheim

ich betreue einen vierjährigen jungen, der vor einem halben jahr aus einem russischen kinderheim adoptiert wurde. soweit so gut. im begleitbrief steht wie immer das gleiche: sprachentwicklung sei verzögert, rachitis habe das kind, eisenmangel liege vor usw. letzteres muss eine ostblock-epidemie sein – kaum ein kind, dem dies nicht angedichtet wird. auch die rachitis bestätigte sich hier nicht. die sprachentwicklung ist sicher auffällig – im deutschen sowieso, aber auch das russische sei sehr rudimentär entwickelt.

wer schon einmal einen bericht über russische kinderheime gesehen hat, wundert sich allerdings über entwicklungsauffälligkeiten nicht. oft große verwahranstalten ohne individuelle förderung. eine adoption ist dann eigentlich der segen schlechthin.

das kind ist entsprechend distanzlos. es umarmt mich, es küsst mich, es rennt auf jeden zu (aber auch von allen wieder weg). er hat vermutlich nie eine fremdelphase durchlebt, eine trotzphase wurde ihm auch nie zugestanden. der junge ist in seiner distanzlosigkeit sicher psychisch hoch auffällig. also eher zu nett. 

dies sind schicksale, die es gibt und die man dank der adoption vielleicht auf den richtigen weg bringen kann. was mich allerdings ärgert: die adoptivmutter.

der junge hat in seiner freundlichkeit das halbe untersuchungszimmer begutachtet einschließlich steckdosen, instrumenten, computer, kabeln etc. er hat sich mein stethoskop gegriffen, hineingebissen, aus einem miniloch in der untersuchungsliege einen krater gepopelt und seine windel – ja – ausgezogen und fallen gelassen.
aber: die adoptivmutter hat nichts-null-garnichts-niente-rien dazu gesagt. sie wolle ihm "jetzt erstmal seine freiheiten lassen nach dem schicksal der ersten jahre."
er geht auch noch nicht in einen normalen kindergarten, weil er sich "noch in die familie eingewöhnen soll".

aber so wird die förderung leider auch nicht beginnen. auf diese dinge angesprochen, bemerkt die mutter, sie sei "ja nun einfach so zu einem fertigen kind gekommen" und müsse das alles erst einmal lernen.

falsch. sie hat einen körperlichen vierjährigen bekommen mit einer psychischen entwicklung eines allenfalls 10 monate alten, ausgelöst durch soziale deprivation in den ersten lebensjahren. und jetzt frage ich mich, ob das funktionieren kann, wenn die mutter null konzept in der erziehung hat. sie fixierte sich auf die sprachentwicklung, bestand auf logopädie zum deutschlernen und störte sich an den x-beinen des jungen.

ohje. andere eltern werden mit ihren kindern gross, lernen ihre eigenheiten zu erziehen, auch da wird viel falsch gemacht. aber hier bei diesem jungen muss die förderung eigentlich eine professionelle sein. imgrunde muss eine solche adoptivmutter zumindest ahnung von kindererziehung haben, sonst droht eine komplette vernachlässigung.
und später wird es immer heißen, es sei das kinderheim in russland gewesen.

grauer-haare-satz no. 1

"…wenn ich schon mal da bin …"

…kann ich gleich die fünf anderen geschwister unangemeldet mit untersuchen lassen …
… habe ich mal noch zwanzig fragen …
… können wir doch noch schnell die impfung machen …
… könnten wir doch gleich noch über das einnässen, die legasthenie und das ads meines sohnes reden … 

diät

vertretungskind. hüpft durchs behandlungszimmer. mutter.

ich: "na was gibts bei ihnen?"
mutter: "der hat ja sooo viel durchfall und er ist völlig kaputt und schlapp, nur noch haut und knochen."
kind zerlegt mittlerweile meine papierkorb.
ich: "wie oft hat er denn durchfall?"
mutter: "ach schon seit einer woche, zehnmal am tag und gaaanz dünne."
kind widmet sich dem windeleimer.
ich: (wtf – und warum kommen sie jetzt?): "ok. mal gespuckt in der zeit?"
mutter: "nein, nur am anfang zweimal erbrochen."
es folgt untersuchung nach bändigung des kleinkindes. keine auffälligkeiten.
ich: "wieviel trinkt er denn so?"
mutter: "ach herrje, so wenig nur noch."
ich:
"wieviel trinkt er denn so?"
mutter: "ach herr dokter, so wenig, nur zweihundert liter zwomal am tag. und nur kirschsaft mit apfelsaft."
ich: "aber das ist nicht gerade ein gute schonkost bei durchfall. milch auch dazu?"
mutter: "neinnein. nur milumil 3. auch nochmal zwomal zweihundert liter."
(wenns vermutlich milliliter sind, würde das wenigstens ausreichen.)
ich: "das ist schon auch milch. vielleicht lassen sie die auch noch weg. wenn er aber so fit ist wie hier – "
mutter fightet sich durchs anziehen.
" – hat er auf jeden fall genug flüssigkeit. gehen sie mal auf stilles wasser, tee und die milch würde ich gut reduzieren. der braucht mit seinen zwei jahren sowieso keine flaschen mit milumil mehr."
mutter: "aber sonst isst er ja gar nichts. so trinkt er morjnsmittagsamds wenigstens noch den schoppen."

wieder eine andere baustelle.