"Positioning DETROL (Creating a Disease)"

Im Internet ist eine Präsentation aus dem Jahr 2002 aufgetaucht, in der Neil Wolf, zu dieser Zeit Group Vice President des Pharmakonzerns Pharmacia, auf der Konferenz der Pharmaceutical Marketing Research Group (PMRG) einen Einblick in die Methoden des “Diesease Mongering” gibt. Titel: “Positioning DETROL (Creating a Disease)”.

Es geht dabei um Detrol® (in Deutschland Detrusitol®), ein Medikament, das zur Behandlung der “überaktiven Harnblase” (OAB – Overactive Bladder) eingesetzt werden sollte. Nur gab es damals dieses Krankheitsbild “trockene Inkontinenz”, noch nicht. Ein Nischenprodukt sollte in den Massenmarkt gedrückt werden.

Increase the diagnosis and treatment of urge incontinence. Expand the appropriate patient population (beyond urge incontinence)

Zur Einordnung: Kurz zuvor war Pharmacia von Pfizer gekauft worden.

Zweiklassen-Fernsehen bei Maischberger

Zweiklassen-Medizin in Deutschland. Für den Journalisten Markus Grill etwas, was nicht zu ignorieren ist. Bei dem gestrigen Maischberger-Talk wähnte er sich daher “wie in einer Talkshow-Sendung aus dem vorigen Jahrhundert”, als Maischberger die Gäste über die Frage diskutieren liess, ob Kassenpatienten schlechter behandelt werden als Privatpatienten.

Am vehementesten bestritt die ehemalige Vorzeige-TV-Ärztin Marianne Koch die Ungleichbehandlung. Lediglich bei der Verschreibung von Generika sah Marianne Nachteile für Kassenpatienten.

Nun muss man wissen, dass Frau Koch sich nicht nur mit Ärzten, sondern auch mit den Herstellern von Originalpräparaten gut versteht. Sie selbst ist, was in der Sendung verschwiegen wurde, Präsidentin der “Deutschen Schmerzliga”. Hersteller der teuren Schmerzmittel Oxygesic und Palladon ist die Firma Mundipharm. Im Vorstand von Kochs Schmerzliga sitzt auch ein ehemaliger leitender Mitarbeiter von Mundipharm, und Mundipharm stiftet auch den “Deutschen Schmerzpreis” in Höhe von 10.000 Euro, den, potzblitz!, im Jahr 2006 ausgerechnet Marianne Koch bekommen hat.

Dem Fazit von Markus Grill kann man nur zustimmen:

In der Gefahr, die Realität nicht mehr wahrzunehmen, befinden sich aber nicht nur die Abgeordneten, sondern auch Frau Maischberger. Während sie noch wie in einer Talkshow-Sendung aus dem vorigen Jahrhundert diskutieren lässt, ob Kassenpatienten schlechter behandelt werden als Privatpatienten, gibt das Gesundheitsministerium seinen Experten vom IQWiG bereits den Auftrag, auszurechnen, wie viel ein zusätzliches Lebensjahr kosten darf oder welcher Preis für Medikamente noch in einem angemessenen Verhältnis zum Nutzen stehen. Zwei-Klassen-Medizin ist ein alter Hut. Jetzt geht es um Rationierungen für 70 Millionen Krankenversicherte – nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Aber ich fürchte es wird nicht die letzte Talkshow oder die letzte Dokumentation über diese Frage gewesen sein, während die Gesundheitsökonomen und Politikexperten unbehelligt von gesellschaftlichen Diskussionen die Pflöcke für die Rationierungsentscheidungen einschlagen.

Pharmalobby bestimmt Gesundheitspolitik in Österreich

Vor ein paar Tagen hat ein “Patientenbericht” in Österreich auf die Lage von Patienten mit Depressionen und Angststörungen aufmerksam gemacht. Danach leben die Patienten eher schlecht mit ihrem Krankheitszustand. Laut dem Bericht dauert es meist sehr lange, bis die Betroffenen einen Arzt/ eine Ärztin aufsuchen – nur ein Drittel wird im Laufe des ersten Erkrankungsjahres behandelt.

Der Patientenbericht ist einer aus einer Reihe weiterer Befragungen, für die sich eine eindrucksvolle Liste von Kooperationspartner zusammengefunden haben. Darunter das Bundesministerium für Gesundheit, das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, der Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger, die Österreichische Ärztekammer, Apothekerkammer, Wiener Gebietskrankenkasse, Fachgesellschaften und Patientenverbände. Bei soviel Sachverstand verwundert es nicht, wenn der aktuelle Patientenbericht nun Grundlage für die Gesundheitspolitik sein soll.

Die eindruckvollen Logos der Institutionen, die den Bericht “realisiert” haben – so die Wortwahl – verstellen den Blick auf den Auftraggeber der Studie: Das Pharmaunternehmen Lundbeck, das seine Aktivitäten auf Erkrankungen des Zentralen Nervensystems (ZNS) konzentriert hat. Der Auftraggeber wird in keinem Bericht der Medien in Österreich genannt.

Nachvollziehbar ist nun auch die Kritik des Österreichischen Bundesverbands für Psychotherapie, der es bedauert, dass die Psychotherapeuten bei der Erstellung der Studie nicht miteinbezogen waren und auf die “ausschliesslich ärztelastigen Fragestellungen” hinweist.

Eine von der Pharmaindustrie finanzierte Studie soll Grundlage der Gesundheitspolitik in Österreich werden. Da fällt einem das Sprichwort “nur die dümmsten Kälber wählen ihre Metzger selber” ein.

Die Methode, die dahintersteckt ist schon hier im Blog erwähnt worden. Für die anderen Patientenberichte fanden sich auch Auftraggeber aus der Pharmaindustrie: Ratiopharm und CSC Pharmaceuticals (Schmerz), Merck Sharp & Dohme (Diabetes), AstraZeneca (Asthma), Merck-Serono (Multiple Sklerose), Schwarz Pharma (Morbus Parkinson) und Pfizer (Altersbedingte Makuladegeneration). Laufende Projekte sind Morbus Crohn (Sponsor UCB Pharma) und Rheumatoide Arthritis (Sponsor Wyeth).

Die Ergebnisse gleichen sich. Immer geht es um Unzufriedenheit mit der Behandlung und den nicht erfüllten Informationsbedarf der Patienten.

Verantwortlich zeichnet sich das Beratungsunternehmen Peri Consulting, ein Ableger des Pharmamarketing-Konglomerats von Robert Riedl (“Welldone”). Da geht es um Lobbying. Wie aus dem Lehrbuch, wenn beispielsweise Persönlichkeiten aus der Gesundheits­branche, darunter Ärzte und Vertreter der Pharmaindustrie, zu einem Dinner in der Privatwohnung der Hauptverbands-Vizedirektorin eingeladen werden. Oder der Bundesgesundheitsminister in der “Welldone-Lounge” das österreichische Gesundheitssystem in den Himmel loben darf.

Das gibt es nur in Österreich. Sozialversicherung und Ministerium beteiligen sich an der PR-Munition, damit die Pharmaindustrie gegenüber ihnen die Notwendigkeit von Mehrausgaben begründen kann. Mit Erfolg. Während sich in Deutschland die Pharmaindustrie mit Nutzenbewertungen und Kosten-Nutzen-Analysen herumschlägt, mit Aut idem, Rabattverträgen, Festbeträgen und Budgets, verkündet der österreichische Gesundheitsminister:

Sie [die Ärzte] müssen aber auch die Möglichkeit haben, selbst wenn das Medikament teuer ist, dieses verschreiben zu dürfen. Das geeignete Medikament ist immer das günstigste – auch wirtschaftlich gesehen.

Pharmakugelschreiber-Ersatz


Nur noch Pharmaunternehmen setzen auf den traditionellen Kugelschreiber als Give-Away, den in Zeiten, in denen der Computer selbst in Praxen und Kliniken Einzug gehalten hat, immer weniger Ärzte wirklich brauchen. Kliniken, Apotheken und Medizintechnik-Unternehmen haben, der obigen Ausbeute zu urteilen, Schokolade als Medium zu Kundenbindung entdeckt. Schokolade ist allen gesundheitsbedenklichen Inhalten wie Zucker und Fett zum Trotz immer noch emotional positiv besetzt. Die Sozialisation aus der Kindheit wirkt bis ins Erwachsenenalter.

Kerners meinungsfreies Burda-Stiftung Engagement

Nach dem Spiegel-Titel beschäftigte sich gestern Johannes B. Kerner in seiner ZDF-Sendung mit dem Nutzen von Früherkennungsuntersuchungen

In der Sendung bezeichnete sich Kerner als “weitgehend meinungsfrei” als ein Experte in der Runde den Nutzen der Darmkrebsfrüherkennung erklärte und Kerners Zustimmung einforderte. Meinungsfrei genug, um für die Felix Burda Stiftung als Prominenter seinen Kopf hinzuhalten und für die Früherkennungs-Koloskopie zu werben.


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Kerner Meinungsfreiheit bestätigt eindrucksvoll eine Aussage von Prof. Ingrid Mühlhauser, die die Früherkennungs-Kritikerin und Gast bei Kerners Talk am Nachmittag vor der Sendung in einem Interview mit SPON gemacht hat:

SPIEGEL ONLINE: Wie bewerten Sie dann die Werbekampagne der Felix-Burda-Stiftung mit den ganzen Prominenten, die nun zur Darmkrebs-Vorsorge aufgerufen haben?

Mühlhauser: Diese Art von Kampagnen ist einer aufgeklärten Gesellschaft unwürdig. Ich bin fest davon überzeugt, dass diese Promis nicht über den Nutzen und auch nicht über den Schaden der Untersuchung Bescheid wissen. Die wissen nicht, was hinter dieser ganzen Vorsorge-Propaganda steht und lassen sich einfach missbrauchen. Wenn diese Leute besser informiert wären über die wissenschaftliche Basis und die Informationen wirklich verstehen könnten, würden sie sich wohl nicht für solche Kampagnen hergeben.

In der von dem doch nicht so meinungsfreien Kerner geleiteten Sendung kam Ingrid Mühlhauser nicht so oft zu Wort und verglichen mit dem Spiegel-Interview fehlte die pointierte Kritik. Der Hintergrund: In der 5 Stunden zuvor aufgezeichneten Sendung wurde der Vorsorgeteil nach meinen Informationen um 10 Minuten gekürzt. Unter anderem sehr detaillierte Ausführungen der Professorin zu den möglichen Risiken der grossen Darmspiegelung und die Bedeutung von falsch positiven Befunden der Mammographie für die Betroffenen wurden rausgeschnitten. Stattdessen durfte der Inhaber eines Hitech-Früherkennungs-Centers für Privatpatienten – und Anti-Aging-Papst – anhand eines Patienten mit rechtzeitig erkannten Nierenkarzinom, der voll des Lobes war, für seine 2750 Euro teure Dienstleistung werben.

Soviel wieder einmal zum Journalismus in Deutschland beim Umgang mit Medizin-Themen.

HPV-Impfung auf dem Prüfstand

Die HPV-Impfung muss auf den Prüfstand. Nach Informationen des Spiegels will der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) nochmals den Nutzen der Impfung untersuchen.

Das Robert-Koch-Institut, die zentrale Forschungs- und Referenzeinrichtung des Bundesministeriums für Gesundheit auf dem Gebiet Infektionskrankheiten, wurde zu einer Neubewertung der Studien zur Impfung gegen HPV aufgefordert.

Der G-BA bestimmt in Form von Richtlinien den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) und legt damit fest, welche Leistungen der medizinischen Versorgung von der GKV erstattet werden. Kriterien sind der diagnostische oder therapeutische Nutzen, die medizinische Notwendigkeit und die Wirtschaftlichkeit.

Vor und während der Markteinführung wollte besonders der Gardasil®-Hersteller Merck & Co. (in Deutschland Sanofi Pasteur MSD) mit einem unvergleichlichen PR-Aufwand die Öffentlichkeit und Entscheidungsträger von der Notwendigkeit der Impfung überzeugen. Das hat auch beim G-BA Spuren hinterlassen.

G-BA-Chef Rainer Hess räumt gegenüber dem SPIEGEL ein, 2007 “unter enormem Druck” gestanden zu haben, die Impfung einzuführen.

Patientenfreundlichkeit oder Industriefrendlichkeit?

Deutschland hat eins der patientenfreundlichsten Gesundheitssysteme in Europa. Mal abgesehen davon, dass Ärzte und Patienten hierzulande sicher ihre Zweifel anmelden würden.

Angesichts der Ziele des Auftraggebers der “Studie”, würde ich die Aussage als Warnzeichen interpretieren.


Aus meinem Blogposting im August 2008:

Am Ende wird ein Befund vorliegen, der sich nicht von denen des Jahres 2006 und 2007 unterscheidet. Patienten in Deutschland brauchen mehr Informationen über Behandlungen und Arzneimittel. Ganz im Sinn der Pharmaindustrie, die an allen Fronten gegen die Werbebeschränkungen für Medikamente kämpft.

Aus dem aktuellen Artikel im Ärzteblatt:

Als Manko des deutschen Systems wertete das Unternehmen, dass Patienten als Informationsquelle für Arzneimittel vornehmlich Ärzte und Apotheker zur Verfügung stünden. Eine Ausweitung des Informationsangebots sei ein erster Schritt hin zu mehr Patientenmacht, so HCP.

Verheugen geht – Suche nach Informationen bleibt

Kein TV-Magazin ohne Pharmathema. Gestern nahm sich Frontal21 der Lockerung des Werbeverbots für rezeptpflichtige Arzneimittel an. Die EU-Kommission unter Federführung des EU-Industriekommissars Günter Verheugen plant die Informationseinschränkungen aufzuheben. Arzneimittelhersteller dürften dann direkt den Patienten über ihre Produkte informieren. Das Deutschlandradio hatte sich vor einer Woche mit den Plänen beschäftigt.

Erst einmal halte ich beide Beiträge für ein trauriges Stück Journalismus und für Irreführung der Zuschauer bzw. Zuhörer. Verheugens Pläne sind alles andere als neu. Anfang 2008 hatte er ein Konzept vorgelegt und zu Stellungnahmen aufgerufen. Die kamen zahlreich und zum überwiegenden Teil ablehnend. Im Oktober 2008 war er dann mit seinem Pharmapaket innerhalb der EU-Kommission gescheitert. Auch weil er strategisch unklug (oder zum Glück) die Lockerung mit einem faktischen Verbot des Parallelhandels verschnürt hat. Im Juni 2009 wird ein neues EU-Parlament gewählt und eine neue EU-Kommission gebildet. Um es mal deutlich zu sagen: Das Ding ist tot. Dagegen wird den Zuschauern suggeriert, dass es eine aktuelle Diskussion ist und die Entscheidung Spitz auf Knopf stünde. Dabei rechnen Insider und Experten aus Politik und Pharmaindustrie nicht vor 2011 mit einer Wiedervorlage.

Bei der Sache bin ich nicht so entschieden, wie die Autoren der Medienstücke. In beiden Beiträgen wird ein eine Tatsache bewusst ausgeklammert, an der in der Diskussion niemand vorbei kommt. Patienten wollen sich zunehmend informieren und machen dies schon. Nicht nur im Internet sind Medizin und Gesundheit Top-Themen. Auch für die Print-Verlage sind es Highlights im düsteren Überlebenskampf. Nicht zuletzt hat es seinen Grund, warum kein TV-Magazin ohne Medizinbeitrag auskommt.

Die Pharmaunternehmen argumentieren immer wieder mit den Zwei-Klasse-Patienten. Die einen könnten sich die englischsprachigen Infos im Internet zusammen suchen – die anderen wären auf die kargen deutschsprachigen Quellen angewiesen. Oder mit den Zwei-Klasse-Produkten. Hersteller von dubiosen Nahrungsergänzungs- und Naturheilmittel dürften ungeprüfte Informationen über das Internet, in Zeitschriften und über Experten wie Bankhofer verbreiten. Über zugelassene und in klinischen Studien geprüfte Arzneimittel sollte der Patient dagegen nichts erfahren.

Das ist so falsch nicht, wenngleich man die Absichten der Pharmaunternehmen kritisch hinterfragen muss.

An einer Novellierung der Bestimmungen, wie Information über Arzneimittel an den Patienten gebracht werden, führt kein Weg vorbei. Auch eine Folge der Medienrevolution und des Internets. Ob man es mag oder nicht, es geht nur zusammen mit den Pharmaunternehmen. Sonst wird die intransparente Grauzone mit gekauften Journalisten, Disease Awareness-Kampagnen und bezahlten Experten, die es heute schon gibt, weiter wachsen. Verheugens Pläne waren zu pharmafreundlich und haben gerechtfertigte Bedenken nicht berücksichtigt. Mit Verheugen und dem Richtlinienentwurf verschwindet jedoch nicht das Problem.