OLG Braunschweig: Ärzte sind Beauftragte der Krankenkassen

Ein Beschluss des Oberlandesgerichts Braunschweig könnte die Spielregeln für die Beziehungen zwischen Ärzten und Pharmaindustrie ziemlich durcheinander bringen. Die Richter urteilten, dass Kassensärzte als Beauftragte der Krankenkassen handeln.

Bei Verordnung einer Sachleistung gibt der Vertragsarzt mit Wirkung für und gegen die Krankenkasse die Willenserklärung zum Abschluss eines Kaufvertrages über die verordneten Medikamente ab; man kann ihn durchaus als “Schlüsselfigur der Arzneimittelversorgung” bezeichnen.

Damit unterlägen die Ärzte dem § 299 des Strafgesetzbuchs – Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr. In dem vorliegenden Fall hatte ein Braunschweiger Apotheker einem Arzt mit 187000 DM den Umbau seiner Praxis finanziert und später monatlich an die 2000 Euro Mietkostenzuschuss überwiesen. Im Gegenzug habe der Arzt nach Auffassung der Staatsanwälte den Apotheker unter anderem bei den Verschreibungen von Zytostatika bevorzugt.

Nach dem Urteil, wenn es Bestand hat, könnten Ärzte zukünftig wegen Vorteilsnahme oder Vorteilsgewährung bestraft werden. Dementsprechend eindeutig fällt die Bewertung aus: Die Leiterin der Zentralstelle für Korruptionsbekämpfung bei der Staatsanwaltschaft Braunschweig sieht in dem Bechluss ein Erdbeben. Die Krankenkassen reagierten ausgesprochen zustimmend. Während die KV Niedersachsen und eine Ärztekammer die Freiheit des Arzt bedroht sehen und eine Kriminalsierung befürchten.

Die Ausweitung des § 299 StGB auf Kassenärzte bedeutet jedoch auch ein Strafbarkeitsrisiko aus steuerlicher Sicht für die Pharmaindustrie. Ausgaben, die ein Verstoss gegen § 299 sind, unterliegen dem Betriebskostenabzugsverbot, sprich: Jeder Buchhalter, der derzeit och einen Cent an einen Arzt für was auch immer zahlt (Essen, Kongressreise, Bürostuhl etc.), könnte im Nachhinein damit rechnen, wegen Steuerhinterziehung zur Verantwortung genommen zu werden. Das Urteil sollte im Controlling und bei den Finanzverantwortlichen der Pharmaindustrie bekannter werden. Denn eine Ordnungswirdrigkeit bezahlt das Unternehmen aus der Portokasse, bei einem Strafverfahren müssten sie für ihr Unternehmen und das Management den Kopf hinhalten.


Update 30.4.2010
Kommentar von zwei Anwälten im Ärzteblatt. Verdacht auf Bestechlichkeit: Strafrechtliches Risiko nimmt zu.

Business Consulting

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Aus den Erlebnissen eines Jungberater der Boston Consulting Group in Dubai: Opinion: The story BCG offered me $16,000 not to tell.

Iatrophobie als Umsatzhemmer

Wenn Big Pharma lustig sein will, dann sieht das nach College-Laientheater aus.

Johnson & Johnson versucht mit dem Video die Angst vor dem Arztbesuch abzubauen. Nachdem es die Pharmaunternehmen in den USA geschafft haben durch jahrelange penetrante und irreführende Werbung die Patienten zu verunsichern und das Gefühl zu vermitteln, hinter jedem Symptom könnte sich eine fürchterliche Krankheit verbergen. Ask your doctor. Zeit für Basismarketing. Ohne Arztbesuch keine Verschreibung, ohne Verschreibung kein Umsatz. Da kann der Pharmaaussendienst noch so motivierend sein. Der Patient muss in die Praxis.

Preiskontrolle im ethischen Konflikt

Arzneimittelpreise – an dem derzeit wichtigsten gesundheitspolitischem Thema kommt auch das ZDF-Magazin Friontal21 nicht vorbei und zeigte in der Sendung am Dienstag ein vermeintlich besonder schlimmen Fall für die Abzocke der Pharmakonzerne. Der alte Wirkstoff Thalidomid, bekannt als Contergan®, wird vom Pharmaunternehmen Celgene für einen horrenden Preis zur Therapie des multiplen Myeloms verkauft.

Ein Beispiel, dass unglücklich gewählt wurde und nur mit Gewohnheit zu erklären ist. Schon 2006 hatte Frontal21 Celgene und Thalidomid bzw. Revlimid® (Wirkstoff Lenalidomid) bei überhöhten Preisen ins Visier genommen.

Bei der Preistreiberei, die Gesundheitsminister Rösler eindämmen will, geht es um patentgeschützte Wirkstoffe. Das Patent für Thalidomid ist vor Jahrzehnten ausgelaufen. Wie kann Celegne damit ein Preismonopol begründen? Diese Erklärung bleibt der TV-Beitrag schuldig und wird hier nachgereicht, weil es die Komplexität des Themas zeigt.

Das Unternehmen Pharmion hatte bei der europäischen Arzneimittelbehörde EMEA eine Zulassung zur Behandlung des Multiplen Myeloms als Orphan Drug beantragt. Mit dem Status “Orphan Drug” zur Behandlung von seltenen Krankheiten, sind exklusive Vermarktungsrechte für das ausgewiesene therapeutische Anwendungsgebiet über einen Zeitraum von maximal zehn Jahren verbunden. Ausserdem wird das Unternehmen von Gebühren der EMEA, z.B. für die Beratung bei der Entwicklung und für die Bearbeitung von Zulassungs- und Änderungsanträgen, befreit

Der Pharmakonzern Celgene kaufte das Unternehmen Pharmion 2007 für 2,9 Milliarden Dollar und kam damit wieder in Besitz der Vermarktungsrechte, die vorher Celegne an Pharmunion weitergegeben hatte. Celgene vermarktet bereits Lenalidomid (Revlimid®), ein dem Thalidomid verwandten Wirkstoff, als Orphan Drug zur Behandlung des Multiplen Myeloms. Darüber hinaus hat Celgene mit Actimid™ ein weiteres Thalidomid-Analogpräparat in der Entwicklungs-Pipeline.

Bei Orphan drugs ist am Ende des fünften Jahres eine Überprüfung der Fördervoraussetzungen vorgesehen. Das Exklusivrecht erlischt, wenn ein anderer Anbieter innerhalb der 10-Jahres-Frist nachweisen kann, dass sein Präparat “sicherer, wirksamer oder unter anderen Aspekten klinisch überlegen ist”. Rechtzeitig vor Ablauf der 5-jährigen Überprüfungsfrist für Lenalidomid hatte sich Celgene durch die Übernahme von Pharmion einen neuen Umsatzbringer gesichert.

Wenn Frontal21 damit die Notwendigkeit von Preisverhandlungen zeigen wollte, ging das gründlich schief.

In diesem Fall kommen mehrere Dinge zusammen. Zum einen die Förderung der Entwicklung von Medikamenten für seltene Erkrankungen. Mit der Exklusivität soll Pharmauunternehmen ein wirtschaftlicher Anreiz gegeben werden, die auch für eine kleine Zahl von betroffenen Patienten neue Medikamente zu entwickeln. In Deutschland sind durch die bisher freie Preissetzung und generellen Erstattung mit dem Orphan Drug Status keine besonderen Vorteile verbunden. Andere Länder, in denen Kosten-Nutzen-Bewertungen, Verhandlungen oder Festsetzungen den Preis und die Erstattung bestimmen, sehen Ausnahmen für Oprhan Drug Medikamente vor. Falls die Pläne der Bundesregierung umgesetzt werden, müssten sich Politik und Krankenkassen in Deutschland Gedanken machen, wie sie mit Orphan Drugs umgehen. Es ist widersinnig, den Zulassungsprozess für Orphan drugs zu erleichtern, wenn in einem zweiten Schritt die Erstattung an dem zu hohen geforderten Preis scheitert.

Methodisch ist eine Bewertung von Orphan Drugs schwierig. Daher sind Arzneimittel, für die eine Kosten-Nutzen-Bewertung nur im Vergleich zur Nichtbehandlung erstellt werden kann, derzeit von einer Bewertung durch das IQWiG ausgenommen. Um es noch eine Schraube weiter zu drehen. Mit Revlimid® gab es vor der Zulassung von Thalidomid schon ein Medikament zur Therapie des multiplen Myeloms. Wenn Thalidomid bessere Ergebnisse bringt, würde eine Kosten-Nutzen-Bewertung sogar theoretisch einen höheren Preis rechtfertigen.

Zum anderen ist es ein Krebsmedikament. Hier wirft eine Nutzenbewertung generell Fragen auf. Von Experten wird eingewandt, dass sich die Bestimmung der Standardtherapie in der Onkologie häufig schwierig gestaltet. Die Therapie muss dem Krankheitsverlauf angepasst und individuell ausgerichtet werden. Bei der Therapie der letzten Wahl werden oft für die Indikation nicht zugelassene Medikamente off-label verwendet.

In der Krebstherapie treffen bei der Bewertung des Nutzens von Arzneimitteln ethische Aspekte auf finanzielle Grenzen. Ein Randthema? Bei der GEK hatten 2008 gentechnisch hergestellter Arzneien, die etwa bei Krebs eingesetzt werden, bereits einen Anteil von 13% der Arzneimittelausgaben – mit steigender Tendenz.

Ein kleiner Vorgeschmack auf die Diskussionen über die Vorschläge zur Reduzierung der Arzneimittelausgaben über Verhandlungen mit Krankenkassen, Nutzendossiers und Schiedskommissionen, wie es Gesundheitsminister Rösler vorgeschlagen hat. Die Gefahr ist gross, dass es bei der Frage endet, was ein Lebensmonat wert ist. Eine Diskussion, die Rösler auf jeden Fall vermeiden wollte.

USA: Ärzte bekommen Preisschilder

Die US-Gesundheitsreform könnte auch das Aus für die beliebten Pharmakugelschreiber dort markieren. Im verabschiedeten Gesetz findet sich eine Passage zur Offenlegung von Geschenken und Zuwendungen der Pharma- und Medizintechnikunternehmen an Ärzte.

Die Physician Payment Sunshine Provisions, Seiten 1542-1563 des Gesetzes, verpflichten die Unternehmen ab 2012 alle Abgaben, die den Wert von 10 Dollar überschreiten, zu dokumentieren und mit Namensangabe zu veröffentlichen. Wenn der Arzt mehr als 100 Dollar im Jahr von der Firma kassiert hat, müssen sogar jegliche Zuwendungen, bis hin zum Kugelschreiber für wenige Cents, öffentlich gemacht werden.

Angesichts dieses Dokumentationsaufwandes werden die Unternehmen wohl auf Kleinkram wie Kugelschreiber und Post-It-Blöcke verzichten sich auf grössere Dinge konzentrieren, um den Arzt zu motivieren. Ob sich die Ärzte äberhaupt weiterhin gerne beschenken lassen, wenn Patienten die finanziellen Beziehungen zu Pharmaunternehmen im Internet nachlesen können, ist zu bezweifeln. In jedem Fall werden die Ärzte bei der Art der Beziehungen zur Industrie sehr genau auswählen.

Ein weiterer Schritt zur Transparenz, die hierzulande fehlt.

Zitate und das Alzheimer des Internet

Derzeit macht im deutschen Internet ein “Zitat des Jahres 2010” die Runde:

In der heutigen Welt wird fünfmal mehr in Medikamente für die männliche Potenz und Silikon für Frauen investiert als für die Heilung von Alzheimer Patienten.
Daraus folgernd haben wir in ein paar Jahren alte Frauen mit grossen Titten und alte Männer mit hartem Penis, aber keiner von denen kann sich daran erinnern wozu das gut ist.

Als Urheber wird der “Nobelpreisträger für Medizin, Drauzio Varella” angegeben. Ob der brasilianische Arzt dies wirklich gesagt oder geschrieben hat, bleibt unklar. Eines ist sicher, Nobelpreisträger ist er nicht. Drauzio Varella ist eine schillernde und in seinem Heimatland medienpräsente Persönlichkeit. Sein Buch 1999 erschienenes Buch über seine Arbeit als Arzt in einem berüchtigten Gefängnis in Sao Paulo, das auch verfilmt worden ist, hat ihn zu einem gefragten Star und Moderator im brasilianischen Fernsehen gemacht.

Im Original lautet das Zitat:

No mundo actual está se investindo cinco vezes mais em remédios para virilidade masculina e silicone para mulheres do que na cura do mal de Alzheimer. Daqui a alguns anos teremos velhas de seios grandes e velhos de pila dura, mas que não se lembrarão para que servem.

Der frühesten Beleg, den ich finden konnte ist vom 29. September 2008. Also kein “Zitat des Jahres”, sondern ein Meme, das sich seit 1,5 Jahren seinen Weg im Internet bahnt. Das Zitat vereint Pharmakritik, Verschwörungstheorie und Witz, und hat daher das Zeug noch Jahrzehnte immer wieder neu aus dem Untiefen des Netzes wieder empor gespült zu werden.

Fotozubehör statt Pillen

Die Pharmaindustrie reduziert ihren Aussendienst. Sieht aus, als wenn dies die Personaldienstleister zu spüren bekommen, die lange davon profitiert haben, dass in den Unternehmen teure Pharmaberater durch preiswerte und flexible Leihkräfte ersetzt worden sind.

Ein auf Pharma spezialisierter Personaldienstleister beginnt sich zu diversifizieren und sucht statt Pharmaberater nun Aussendienstler für Markenartikel aus dem Bereich Laptop- und Fototaschen.

Verkaufsberater im Aussendienst für Markenartikel aus dem Bereich Laptop- und Fototaschen

AMS steht für moderne Sales Services. Wir suchen für unseren Kunden, einen weltweit führenden Hersteller für Laptop- und Kamerataschen, Stative und Zubehör der Marken […], einen erfahrenen Markenartikelverkäufer für die PLZ-Gebiete 6, sowie teilweise 5 und 3. Sie verfügen […] Sie nutzen Ihre Kundenorientierung, verkäuferisches Talent und eine hands-on-Mentalität, um Ihre Bestandskunden zu betreuen und Neukunden zu gewinnen. Neben dem professionellen Umgang mit den Entscheidern in den Fachmärkten, sind Sie auch ein zuverlässiger Ansprechpartner für die Inhaber von Fotofachgeschäften.

Noch wird keine Umschulung vom Pharmaberater zum Fotozubehörvertreter angeboten.

Der Trick mit der Evidenz

“Die in Deutschland offensichtlich sehr mächtige Pharmaindustrie hat es bislang stets erfolgreich geschafft, ein effektives Konkurrenzprodukt eines mittelständischen Unternehmens am Markt zu behindern oder zu verleumden”.

Die Pharmaindustrie ist in der Öffentlichkeit nicht gut gelitten und Verschwörungstheorien rund um die Macht der Pharmakonzerne finden ein dankbares Publikum. Bevor man die obige Aussage blind unterschreibt, sollte ein Blick auf den Urheber geworfen werden. In diesem Fall will ein Naturheilkundehersteller kritische Nachfragen zum Nutzen und Risiken seines Produktes abwehren.

Eigentlich wollte das arznei-telegramm (a-t) sich nur über die Evidenzlage zu dem Präparat Cystus informieren. Ein Kinderarzt hatte die Redaktion gefragt, ob es Studiendaten über Nutzen und Risiken dieses Mittels gäbe, das laut dem Anbieter Erkältungserreger physikalisch binden könne. Statt Belege zum Nutzen erhielt die Redaktion einen Brief der vom Hersteller “Dr. Pandalis Urheimische Medizin” beauftragten Anwaltskanzlei, der in der aktuellen Ausgabe des unabhängigen Arzneimittelinformationsdienstes dokumentiert wird.

In dem Ansinnen, die “CYSTUS-052-Medizinalprodukte mit Fragestellungen aus dem Arzneimittelmarkt zu konfrontieren” sieht der Anwalt den “Trick”, um die Produkte zu diskreditieren. “Anders als im arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahren sie ein Medizinalproduktehersteller im Übrigen nicht verpflichtet, seine Studienergebnisse zu veröffentlichen.

Nicht ganz überraschend kommt die Redaktion des a-t zu dem Fazit, dass die veröffentlichten randomisierten Studien aus ihrer Sicht weder Nutzen noch Sicherheit der CYSTUS-052-Produkte hinreichend belegen.

Die Reaktion des Herstellers hat auch einen Hintergrund. “Dr. Pandalis Urheimische Medizin” kämpft um die Zulassung seines Umsatzbringers. CYSTUS-052-Tabletten und -Gurgellösung werden als Medizinprodukte vertrieben. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) stuft sie hingegen aufgrund einer pharmakologischen Wirkungsweise als zulassungspflichtige Arzneimittel ein und untersagte den weiteren Vertrieb. Der Hersteller klagte dagegen und bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung waren die Produkte am Markt geblieben. Heute war es soweit: Im Streit um den Status der Cystus-Präparate unterlag der Dr. Pandalis Urheimische Medizin dem BfArM.

Das Unternehmen erwägt eigenen Angaben zufolge weitere rechtliche Schritte und schließt auch den Weg zum Europäischen Gerichtshof (EuGH) nicht aus. Viel Raum für neue Verschwörungstheorien.