Heroin auf Rezept. Ein Expertenstatement. Herbst 2009

Nennt mich einfach Rudi.
Ein Dankeswort aus Anlass der Einführung der Heroin-Therapie

Moin. Ich bin‘s. Nennt mich doch einfach Rudi. Ich steuere mächtig auf die 50 zu und dass das so ist, verdanke ich euch. Euch Politikern, Wissenschaftlern, Sozialarbeitern, Psychologen, Medizinern und natürlich euch Bürgern, ihr bezahlt das ja schließlich alles. Danke also!

Ich bin das, was man früher geringschätzend „Junkie“ nannte: Müll. Wenn ein Sozialarbeiter, Psychologe, Politiker oder so zuhört, bezeichnen wir uns selbst auch so. Den Begriff kennen die und da ist man dann gleich auf Augenhöhe und man hat eine emotionale Grundlage. Wenn wir unter uns sind, reden wir so klar miteinander, wie man eben sein kann, wenn man unter Stoff steht – und da sind wir Menschen, wie alle anderen auch.

Es gibt nichts, was ich an Drogen nicht schon probiert hätte im Leben. Deshalb müsste ich eigentlich schon längst tot sein. Nicht wegen den Drogen selbst, die machen ja nichts, sondern wegen des Drumherum: HIV, Hepatitis und so weiter, alles Sachen, die man sich mit versifften Spritzen holt. Aber da habt ihr ja Gott sei Dank aufgepasst: Spritzentauschprogramme haben damals dafür gesorgt, dass wir unser Besteck umsonst bekommen konnten. Und ihr habt noch viel mehr Gutes getan. Aber der Reihe nach…

Warum ich mit dem ganzen Zeug angefangen hab‘, hab‘ ich am Anfang gar nicht so genau gewusst. Irgendwann hat mir dann mal einer gesagt, das würde bestimmt an meiner Kindheit liegen und die sei sicher schwer gewesen. Ich hab‘ das mal so stehen lassen. Als ich das dann dem nächsten Sozialarbeiter sagte, hat der genickt und damit war für ihn alles klar: ich war akzeptiert. Später hab‘ ich dann gelernt, dass ich wohl ein oder mehrere traumatische Erlebnisse hatte und einen fehlgeschlagenen Selbstmedikationsversuch mit Heroin oder was gerade da war – jedenfalls was medizinisches, denn jetzt waren die Mediziner mit im Boot. Das hat dann einiges leichter gemacht.

Davor, so vor 30 Jahren, war‘s nämlich noch echt hart: der Stoff war teuer, dazu noch miese Ware und die Bullen waren auch anders drauf. Da sind einige von uns echt elendig krepiert. Das ging so nicht weiter und weil ein paar Jahre zuvor der Beruf des studierten Sozialpädagogen frisch erfunden worden war, haben wir uns die zum Ansprechpartner gewählt. Man muss nämlich immer sehen, dass man in den ersten Erfahrungsjahren mit zum Zuge kommt – dann kann man ganz gut prägend tätig sein. Wir haben für diese Berufsgruppe zum Beispiel das kollektive schlechte Gewissen geschaffen. Das war gar nicht so schwer: uns ging‘s schlecht und denen ging‘s gut. Also: wer hatte etwas gut zu machen?!

Das Prinzip funktioniert auch heute noch gut (übrigens nicht nur bei Sozialpädagogen), wir haben‘s natürlich aktualisiert. Heute geht‘s nicht mehr um kostenloses Wäschewaschen, um ein paar Moneten oder so – das ist alles längst zufrieden stellend geklärt. Heute muss man mit den Begriffen Stress und Trauma kommen, mit Arbeit und Integration, dann läuft da wieder was.

Damals reichte Mitleid für vieles aus. Davon hatten die SozPäds reichlich und so kann man es ruhig als Win-Win-Situation bezeichnen: wir sagten ihnen, was sie hören wollten und sie sorgten für uns. Dummerweise hatten wir übersehen, dass auch deren Reichweite in der Gesellschaft begrenzt war und dann kam noch dieser blöde Begriff des „Helfersyndroms“ auf – unsere Ausgangslage drohte sich zu verschlechtern. Außerdem wurde die Versorgungslage mit Stoff nicht wirklich besser und wir mussten nachdenken.

Schon längst hatten wir herausgefunden, dass Codein unsere Beschaffungskosten senken konnte. Ich glaube, Jürgen war der erste, der die Idee hatte, Mediziner mit ins Boot zu holen. Ist eigentlich auch egal, es war jedenfalls ein genialer Einfall: schnell hatten wir ein paar gefunden, die es sich ab da zur Lebensaufgabe gemacht hatten, uns arme Schweine mit dem Rezeptblock ins Leben zurück zu holen. Mann, das waren Zeiten: Remedacen bis zum Abwinken, ein paar Tausend davon gebunkert für Notfälle – uns ging‘s den Umständen entsprechend gut. Anfangs hatten sich ja die Kassen dagegen gesträubt, das zu bezahlen. Aber ich sage dir: hast du einmal die Mediziner auf deiner Seite, zieht die Pharma-Industrie hinterher und gelegentlich dann auch an den Ärzten vorbei – aber egal: gegen die Lobby kommt keiner an!!!

Nun ist so viele Pillen am Tag schlucken unpraktisch und deshalb sammelten wir Argumente für eine Alternative: Polamidon. Wir erklärten, dass die Beschaffungskriminalität (war zwar kein einheitlich definierter Begriff, aber das ist keinem aufgefallen) gesenkt werden könnte, der gefährliche Mischkonsum (Polytoxikomanie) aufhören würde, und vor allem keine Spritze mehr nötig sei (HIV! Hepatitis!), wenn man uns Polamidon gäbe (das Zeug wirkt nämlich auch, wenn man‘s trinkt, im Gegensatz zu Heroin).

Was soll ich sagen: nach anfänglichem Zaudern haben schließlich alle zugestimmt. Heute sind Substitutionsprogramme gang und gäbe.

An dieser Stelle möchte ich daher Dank sagen an alle, die das möglich gemacht haben. Und gleichzeitig mein Bedauern darüber ausdrücken, dass unsereiner es leider nicht geschafft hat, alles 100%ig umzusetzen, aber wo gibt‘s das schon. Wir sind ja schließlich auch nur Menschen.

Was ich damit meine? Nun, eigentlich haben Substitutionsprogramme mit Polamidon/Methadon das Ziel der Drogenfreiheit. So etwas in dieser Richtung ist wohl auch noch vorhanden, aber mal ehrlich: was soll das? Eine drogenfreie Gesellschaft – kein vernünftiger Mensch hat heute im Zeitalter des Realismus eine solche Illusion!!

Dieser vernünftige Realismus ermöglichte es uns auch in relativ kurzer Zeit, ein zweites Ziel der Substitutionsprogramme den Realitäten anzupassen: Beikonsumfreiheit. Also die Vorgabe, neben dem Substitut (das ja nur Heroin ersetzt, sonst nichts) eben auch sonst nichts zu konsumieren.

Ich weiß, wir hatten selbst gesagt, dass wir die Polytoxikomanie, das Alles-in-sich-Hineinstopfen mit der Einführung der Substitutionsprogramme aufgeben wollten und in allen Programmen steht so etwas drin, dass Beikonsum verboten sei oder so.
Aber, und jetzt kommt ein dickes ABER: Leute! Das kann doch nicht euer Ernst sein! Wir sind krank! Wir haben keine Steuerungsfähigkeit! Wie sollen wir da mit Kokain, Benzodiazepinen, Heroin, Ecstasy, Amphetaminen und Alkohol aufhören? Einfach so, weil‘s irgendwo steht und wir das gezwungenermaßen unterschrieben haben! Das geht doch nun wirklich nicht!

Aber ich weiß ja: ihr versteht das. Und daher an dieser Stelle erneut: DANKE! Und ich habe vollstes Verständnis dafür, dass ihr das Verbot des Beikonsums nach wie vor irgendwie unterbringen müsst. Ehrlich, ich nehm‘ euch das nicht übel. In der Praxis natürlich….aber Schwamm drüber, wir verstehen uns…

Dass wir uns gut verstehen sehe ich auch daran, dass ihr unsere Argumente angenommen und zu den euren gemacht habt. Ihr wisst eben, was richtig ist!

So seht ihr genau wie wir, dass man ja nun wirklich nicht jeden Tag in die Vergabestelle trotten kann, um sich die Ration – auch noch unter Aufsicht! – einzuverleiben. Wir sind doch keine Sträflinge! Stehen wir etwa unter Generalverdacht, nur weil wir krank sind? Wie sollen wir uns da integrieren? Gesellschaftsfähig werden? In dieser Argumentation kann ich euch nur nachdrücklich unterstützen. Und so habt ihr die Take-Home-Dosis erfunden: Stoff für zu Hause. Auf Vorrat. Besonders gerührt hat mich euer Argument, damit würdet ihr mir euer Vertrauen ausdrücken und meine Mitarbeit honorieren. Ihr seid richtig lieb. Und ich versichere euch, dass wir das Verkaufen solcher Take-Home-Dosen sehr genau beobachten und das wirklich gar nicht gut finden; schon ga
r nicht, dass es in Hamburg beispielsweise im Jahr 1998 mehr Methadon-Tote gegeben hat als durch alle anderen Drogen zusammen und dass darunter zwei Kleinkinder und ein Baby waren – schrecklich. Immerhin ist später über Ähnliches nicht mehr berichtet worden.

Wie viel ihr von unseren Nöten inzwischen versteht und mit welcher, ja, man möchte sagen: Zuvorkommenheit ihr euch um uns ehemals auch als „Abschaum“ titulierten Drogis kümmert, zeigt mir euer neuester Einfall: Heroin auf Kassenkosten. Und da kann ich nur sagen: Hut ab! Ihr habt wirklich gelernt.

War es bei der Methadon-Substitution noch manchmal schwierig, euch klar zu machen, dass wir den Kick des Heroin doch wirklich nur mit Heroin bekommen (Methadon macht keinen Kick) und wir ja auch mal etwas frischer sein müssen, also noch Kokain brauchen, habt ihr das bei der Heroin-Studie gleich mit berücksichtigt: eines der beiden Hauptzielkriterien für die Erbringung des Nachweises für eine größere Wirksamkeit der Heroinbehandlung gegenüber der Methadonsubstitution war die Verringerung des illegalen Drogenkonsums.
Und ihr seid wirklich klug vorgegangen:
Erstens.
Ihr benutzt nicht das unappetitliche Wort „Beikonsum“, wie in den Substitutionsprogrammen. Es geht also nicht um eine Verringerung des Beikonsums (da würden ja auch alle rezeptierten Substanzen wie Benzodiazepine und so drunter fallen, die darf man also weiter konsumieren), sondern ihr beschränkt euch auf illegale Drogen, also im Wesentlichen bei langjährigen Konsumenten wie mich auf Heroin und Kokain, das sind auch finanziell die relevanten Stoffe.
Wenn wir Heroin umsonst bekommen und spritzen können – wer würde da noch Straßenheroin kaufen und konsumieren. Gut, kommt vor, vielleicht ist der Stoff tatsächlich besser, aber da könnt ihr noch dran schrauben.
Zweitens.
Bei Kokain seid ihr aber richtig genial gewesen: damit unsereiner auch zum Erfolg der Studie beitragen konnte, wurde als Erfolgskriterium festgelegt: der Konsum von Kokain steigt nicht an. Also, ich muss sagen: das finde ich echt klasse! Und dass ihr euch dabei u.a. auch auf unsere eigenen Angaben dazu verlasst: toll, das zeigt das Vertrauen, das ihr in uns habt.

Auch die bessere soziale Integration durch Heroinvergabe ist wichtig für uns. Dass zu den Eingangsvoraussetzungen regelmäßiger Heroinkonsum trotz Methadon gehörte (Klartext: Teilnahme an einem Methadonprogramm) sowie ein fester Wohnsitz und keine schwerwiegende Erkrankung, hat darauf bestimmt nur einen untergeordneten Einfluss gehabt.

Sehr hilfreich war auch die Möglichkeit der abendlichen zusätzlichen Methadon-Dosis in der Heroin-Gruppe. Davon ist auch gut Gebrauch gemacht worden, wir wissen so etwas eben sehr zu schätzen.

Bei aller Freude und allem Dank an euch muss ich aber doch ein klein wenig Kritik loswerden – ich weiß, dass so etwas bei euch auf fruchtbaren Boden fällt und bin daher ganz optimistisch. Euch ist bestimmt auch schon aufgefallen, dass trotz der wunderbaren Bedingungen ein knappes Drittel der Heroin-Gruppe vorzeitig das Handtuch geworfen hat.

Da heißt es: Nachbessern.

Zum Beispiel das mit der Arbeit.
Überall steht, dass die Heroin-Behandlung zu einem normalen Leben, auch mit Arbeit führen würde. Eigentlich hab‘ ich ja wegen meiner Krankheit gar nichts richtiges gelernt, aber das lassen wir jetzt mal außen vor. Wichtiger ist das: mir hat mal jemand gesagt, einer, der unter Opiat-Einfluss steht (und wahrscheinlich auch Kokain und so), der dürfe werde Auto noch Fahrrad fahren, keine verantwortungsvollen Tätigkeiten ausüben, noch nicht mal eine Maschine bedienen. Ja, welche Arbeit soll ich denn dann tun? Welche, in der ich Steuern zahlen kann und so wenigstens ein wenig der gegenüber einer Methadon-Substitution fast drei mal so hohen Kosten (rund 18.000 Euro pro Patient und Jahr) zurück geben kann.
Ist es da nicht sinnvoller, Beschäftigungsprojekte für uns aufzulegen, die unsere kleinen Einschränkungen berücksichtigen? Da müsst ihr mal drüber nachdenken!

Zum Beispiel das mit der Gesundheit.
Die Studie hat doch in ihrem zweiten Hauptzielkriterium eindeutig belegt, dass es uns gesundheitlich besser geht als den in der Methadon-Gruppe. Bitte sorgt doch dafür, dass ich nicht mehr mit solchen Sprüchen wie: „Das dürfte doch wohl auch so sein, wenn man täglich beim Arzt ist und gut versorgt wird…“ behelligt werde. Das macht wirklich eine schlechte Stimmung bei mir und ich fühle mich ganz schuldig.

Und, ganz wichtig: Das mit dem Kokain ist noch nicht zu Ende gedacht!
Ihr habt zwar netterweise unsere eigenen Angaben bezüglich der Verwicklung in illegale Aktivitäten verwendet, aber mal ganz ehrlich: Kokain ist ja erlaubt gewesen, es sollte nur nicht ansteigen. Aber, Leute: Kokain ist illegal! So geht es doch nun wirklich nicht. Ihr könnt uns doch nicht auf der einen Seite aus der Illegalität heraus holen, nur um uns auf der anderen Seite umso härter wieder hineinzustoßen. Da stimmt doch was nicht. Darüber müsst ihr unbedingt noch mal nachdenken. Und bestimmt fällt euch etwas Gutes ein, da bin ich ganz sicher, ihr Lieben….

An dieser Stelle wird Rudis Dankesrede unterbrochen. Die Türglocke läutet. „Das wird Sabine Bätzing sein, die hatte sich für heute angemeldet. Seit vielen Jahren berate ich die jeweiligen Bundesdrogenbauftragen und eine Reihe von Wissenschaftlern – als Experte, natürlich.“

Rudi erhebt sich und während er sein Gesicht sorgsam in ernste Falten legt, schlurft er behäbig zur Tür und nimmt eine gebeugte Haltung ein: „Ich komme schon, Sabine. Geht heute mal wieder nicht so gut; Du weißt ja, dieser ewige Beschaffungsstress für‘s Koks, das macht fertig….“

Anmerkungen zum "Koma-Saufen" Jugendlicher

Die Jugend säuft ab. Und findet sich auf dem Boden der Tatsachen in dicht gedrängter Gesellschaft wieder: von Jung bis Alt, getrunken wird immer und überall, in den USA genau so wie in England und Schottland, in Finnland, Schweden und Norwegen ebenso wie in Russland, Dänemark, Österreich und Deutschland, die Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen.

Es ist schon ein Kreuz mit den Erwachsenen: da wird immer allgemein beklagt, die Jugend würde sich die Älteren nicht zum Vorbild nehmen, aber tut sie es, ist es auch wieder nicht recht. Die Techniker-Krankenkasse hatte im letzten April die aktuellen Zahlen hochgerechnet und sich erschrocken, weil demnach rund 20.000 Jugendliche jährlich allein in Deutschland wegen Alkoholfolgen im Krankenhaus landen. Der pro-Kopf-Konsum reinen Alkohols liegt bei rund 10 Liter/Jahr, Tendenz leicht sinkend. Die Gmünder Ersatzkasse kommt in ihrem "GEK-Report Krankenhaus 2009" zu sehr ähnlichen Ergebnissen.

Um die Zahlen etwas handhabbarer zu machen: sie bedeuten den Konsum von über 200 Litern Bier oder über 100 Litern Wein oder über 20 Litern Whisky im Jahr.

Wem das gar nicht mal so viel vorkommt – Recht hat er. Denn es gibt in der Bevölkerung auch Menschen, die keinen Alkohol trinken, Babys beispielsweise, Anti-Alkoholiker und viele andere. Deshalb werden die genannten rund 10 Liter reinen Alkohols gar nicht von der Gesamtbevölkerung verkonsumiert, sondern von noch nicht einmal der Hälfte. Man kann die Trinkmengen des Einzelnen also getrost verdoppeln.

Das sind dann doch unsympathisch große Zahlen und so etwas verleitet gerne zum Aktionismus. „Anständige junge Leute haben nach 20 Uhr nichts mehr in der Öffentlichkeit zu suchen, schon gar nicht in Gruppen mit dem einzigen Zweck: Vandalismus und Komabesäufnis.“ schreibt ein User als Online-Kommentar in der Konstanzer Internet- Ausgabe des Südkurier am 16. April 2009.

Auch Politiker und Fachleute reagieren reflexartig: Preise rauf, Steuern rauf, Kontrollen verschärfen, Gesetze verschärfen, höhere Strafen. Als ob wir das nicht alles schon gehabt hätten und zwar mehrfach.
Dann doch mal etwas Neues: Mitte 2009 schlägt Sabine Bätzing, Jahrgang 1975, gelernte Diplom-Verwaltungswirtin im gehobenen nichttechnischen Dienst, mithin hinreichend qualifiziert für die Tätigkeit der damaligen Bundesdrogenbeauftragten, vor, mit Hilfe eines flächendeckenden Schulunterrichtsfaches für gesundes Leben den Alkoholkonsum Jugendlicher einzudämmen. Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert daraufhin, zunächst den Lehrern den Umgang mit Drogen- und Alkoholmissbrauch bei Schülern beizubringen.

Es gibt den Begriff des "besonnenen Nachdenkens". Er ist momentan nicht so opportun, Reaktionsschnelligkeit wird heute favorisiert. Merkwürdigerweise wird im gleichen Atemzug stetig wachsende Zeitnot moniert.

Manche Probleme sind über Jahre und Jahrzehnte, manche sogar über Jahrhunderte gewachsen. Sie sind ein Standbein der Volkswirtschaften geworden.

Viele haben daran gut und sehr gut verdient, Andere haben dafür viel und sehr viel bezahlt, mitunter mit ihrem Leben.
Der sozial tolerierte und auch geförderte Alkoholkonsum in eigentlich allen modernen Gesellschaften gehört zu diesen Langzeitentwicklungen sicher dazu. Es ist schon eine ulkige Idee, diesen integrierten Kultur- und Wirtschaftsbestandteil hoppla-hopp entsorgen zu wollen.

Ich habe auch keine Lösung, schon gar nicht eine, die auf 10 Zeilen plausibel erklärbar wäre.
Ich habe aber die Vorstellung, es könnte nützlich sein, den Focus ein wenig zu verändern. Bleiben wir deshalb noch einmal kurz bei Wirtschaft und Volkswirtschaft, also bei den heute maßgeblichen Bereichen.
Es gibt fundierte und anerkannte Berechnungen, nach denen der Mensch aus volkswirtschaftlicher Sicht unrentabel ist: Ein Neugeborenes kostet den Staat im Laufe seines Lebens rund 58.000 Euro.

Ich glaube nicht, dass viele Menschen diese Berechnungen kennen. Ich glaube aber, dass viele Menschen ein sehr gutes Gespür dafür haben, dass sie viel zu oft einer simplen Kosten-Nutzen-Rechnung unterworfen werden.
Vielleicht wäre es jetzt eine gute Aktion, statt der Rendite den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu stellen.

Jahr. Neu. Wie jedes Jahr. Und Vorsätze. Neu. Auch wie jedes jahr…

Tipps zum Umgang mit Alkohol in der dunklen Jahreszeit / Weihnachten/ Silvester

Für den „normalen“ Konsumenten:
Genießen, und nur selten übertreiben.

Für den trockenen Alkoholkranken:
Kinderlachen wahrnehmen können; Berührungen spüren können; Gerüche erschnuppern können; Schönheiten sehen können; Betroffenheit erspüren können; Trauer fühlen können; Geschenke geben können; Aufmerksamkeit erfahren können; Auto fahren können ohne Angst; Hände nicht zittern zu sehen; nicht getrieben sein; ruhig schlafen können; ohne ein Scheiß-Gefühl aufwachen können; ausgeglichen sein; dieses Fremdheitsgefühl los sein; = Sich selbst und Andere unverschleiert wahrnehmen können – welch ein Genuss!

Für diejenigen, die mit ihrem Alkoholkonsum unzufrieden sind:

1. Der „Es könnte ruhig weniger und weniger oft sein…“ – Typ.
Sie haben da so ein unbestimmtes Gefühl. Kein wirkliches Wissen, aber so eine Ahnung… Das ist gut: Sie haben ein Gespür für sich. Das können Sie nutzen. In einem ersten Schritt beispielsweise können Sie sich täglich notieren, was und wie viel Sie davon konsumiert haben. Das machen Sie sechs Wochen lang so, ohne auch nur einen einzigen Versuch zu unternehmen, sich zu beschränken. Sie haben dann einen recht guten Überblick darüber, was Sie tatsächlich konsumieren. Damit können Sie dann zu einem Menschen Ihres Vertrauens gehen (wenn möglich einem Fachmann) und die Sachlage diskutieren…

2. Der „Wenn das so weiter geht: Au weia!“ – Typ.
Sie brauchen nichts mehr zu notieren, Sie wissen eigentlich Bescheid: Alkohol ist dabei, die Führungsrolle zu übernehmen. Sie wissen nur nicht, wie Sie aus diesem Mist wieder rauskommen sollen. Und was zum Teufel Sie darin festhält. 
Sie haben einen interessanten Weg vor sich: den zu sich selbst. Sie werden dabei den Unterschied zwischen gefahren werden und selber fahren erleben können. Das macht Spaß und ist manchmal richtig aufregend. Dazu brauchen Sie einen Begleiter, möglichst einen Fachmann…

3. Der „Morgen höre ich mit Trinken auf!“ – Typ.
Machen Sie das nicht! Sie kennen sich doch, das ist doch nicht das erste Mal, dass Sie so etwas vorhaben. Und es ist auch eigentlich gar nicht möglich: die Alkoholkrankheit ist eine Krankheit und die kann man nicht beliebig ad acta legen, wenn man sie nicht mehr haben will…
Was Sie tun können: nehmen Sie sich vor, etwas zu ändern. Das ist schon sehr viel und für den Augenblick absolut ausreichend. Sie setzen sich damit nicht unter Druck, etwas ganz Bestimmtes – zum jetzigen Zeitpunkt meist Unerreichbares – erreichen zu müssen. Dann nehmen Sie sich ein klein wenig Zeit und gehen zu einem Fachmann. Mit dem besprechen Sie, was für Sie in Ihrer momentanen Situation möglich und sinnvoll sein könnte…

4. Für alle genannten Typen:
Weshalb eigentlich immer der Rat, jemand Fachkundigen einzuspannen?
Ganz einfach: Wenn Sie in einem Boot mitten auf dem Meer schwimmen und Sie schauen unter sich, was sehen Sie da: festen Boden. Manchmal mag man aus tausenden Gründen nirgendwo anders hinschauen. Anderen, Fachleuten zum Beispiel, fällt das entschieden leichter; sie können helfen, wieder an Land zu kommen…