Was ist Geschichte? Zur Einführung

Seit der Entstehung einer akademischen Geschichtswissenschaft (sofern die Geisteswissenschaft überhaupt als Wissenschaft verstanden werden) im 19. Jahrhundert hat der Geschichtsbegriff viele Änderungen durchgemacht. Im Allgemeinen lässt sich eine klare Tendenz nachzeichnen, die von dem (m. E. vermeintlich) objektiven Wahrheitsanspruch eines Leopold von Ranke über eine völlig teleologische und ideologisierte Eingrenzung im Sozialismus bis hin zu dem heute vorherrschenden, postmodernen Fokus auf die eigene Subjektivität, welcher auch für mich gilt. Während der frühere, romantische Anspruch auf eine objektive Wahrheitsfindung eine ziemlichweiter

Anmerkungen zu Frankreich und französischer Heuchelei

Nein, ich bin nicht Charlie. Darf man es noch? Dann bin ich es eben nicht. Wozu auch? Für mich wäre ein solches Bekenntnis kein Zeichen von Mut, weil auch kein weiteres Risiko als das, in dem ich ohnehin lebe. Denn ich bin als Jude ohnehin vom Feind dem Tode geweiht, ganz ohne Bezug zu irgendwelchen Karikaturen. Manche Kommentatoren versuchen seit den Geschehnissen zu erklären, dass die jüdischen Opfer ebenso wichtig sind wie die Journalisten. Das ist falsch. Der Mord anweiter

Das typisch Deutsche + der Holocaust (Gastbeitrag von Henning Schrader)

Mein Freund Henning Schrader, geboren ist West-Berlin, zählt zur Nachkriegsgeneration. Er lebt heute in den Niederlanden, an einem Ort, der früher ebenso zu “Deutschland” gehörte wie Weimar und Salzburg, aber im Laufe des für die deutschen Lande so entscheidenden 17. Jahrhunderts als Teil der “Republik der Sieben Vereinigten Provinzen” aus dem Alten Reich ausschied – ebenso wie übrigens die Schweiz. Seitdem verläuft in der Nähe eine politische Grenze, die sich bis heute noch in der schriftlichen, weniger jedoch in derweiter

25 Jahre später: Die deutsche “Wiedervereinigung” neu betrachtet

Die Reaktionen auf meinen letzten Text haben gezeigt, wie sehr mancher Leser die Vorstellung von einem deutschen Volk (nicht “Rasse”, nicht “Staatsvolk”) ablehnen will. Obwohl diese Vorstellung die jüngere deutsche Geschichte seit 1949 (Grundgesetz) bis 1990 (Einheit) maßgeblich gestaltet hat, ist ihre Ablehnung teilweise so vehement ausgefallen, dass man metaphorisch fast von einer allergischen Reaktion sprechen kann. Das veranlasst mich zu einer Frage, die ich hiermit an meine Leser richten möchte. Wie erklärt ihr euch, wie würdet ihr insbesondere historischweiter

Gedanken über Pegida

Bei der ganzen Diskussion für und gegen Pegida scheint merkwürdigerweise ein m. E. wichtiger Punkt zu fehlen – nämlich das Recht eines einheimischen Volkes auf Selbstbestimmung. Die heutige Politik versucht das Volk, in dessen Interesse sie arbeiten sollte, auf Einzelne zu reduzieren. Das kommt einer Entmündigung gleich. Denn man habe dementsprechend nur noch als Individuum Rechte und Pflichten, nicht mehr als Mitglied in einer Nation, die sich (meistens aufgrund gemeinsamer Abstammung, Kultur, Religion etc.) zusammenfindet, um sich politisch zu artikulierenweiter

Über Echtheit

Nachdem ich hier früher über die (etwa zeitliche oder soziale) Relativität von Wahrheit geschrieben habe, möchte ich hier den verwandten Aspekt der Echtheit beleuchten, die ebenso subjektiv sein kann. Zunächst stellt sich die Frage: Warum ist das für einen Historiker überhaupt wichtig? Hierfür möchte ich ein mehr oder weniger bekanntes Beispiel geben, nämlich die zurückblickende Einschätzung (etwa durch heutige Historiker) der Gefahr, die in der 1920er Jahre von der sozialistischen Revolution für die mitteleuropäischen Demokratien ausging. Mit dieser Einschätzung –weiter

Eine Antwort an Rolf Nemitz

Rolf Nemitz betreibt den Blog »Lacan entziffern« und ist in relevanten Kreisen kein unbekannter Name. Heute hat er in seinem Blog einen Text veröffentlicht zu meiner im vorigen Jahr bei Merve erschienenen Übersetzung von Itzhak Benyaminis »Narzisstischer Universalismus. Eine psychoanalytische Untersuchung der Paulusbriefe mit Freud und Lacan«. Es ist irgendwie schon interessant zu lesen, wie Nemitz eine Übersetzungsfrage analysiert, mit der wir uns bei der Arbeit beschäftigen mussten. Ausgehend von einer Anmerkung bzw. einer Fußnote, die ich seinerzeit aus nunmehrweiter

“Let’s go!” – Über authentische Juden und authentische Deutsche (Filmempfehlung)

Heute Abend waren meine Frau und ich bei einer Sonderaufführung eines großartigen Films namens “Let’s go!” (Regie: Michael Verhoeven), der demnächst (am 8. Oktober) von der ARD ausgestrahlt wird. Bei diesem “Entwicklungsroman” geht es um das Erwachsenwerden Lauras, eines jüdischen Mädchens in München der Nachkriegszeit. Über viele Umwege findet sie schließlich, quasi gegen ihren Willen, zu ihrer Identität als Jüdin. Da das Judentum im heutigen Deutschland sehr oft (und dabei nicht zufälligerweise eher von Nichtjuden) als Religion verstanden wird, tutweiter

Diasporische Existenzen

Hier gibt es einen aktuellen, sehr interessanten Artikel über den »letzten Deutschen in Odessa«. Freilich nicht ganz im Sinne des Grundgesetzes, doch wer würde es sich anmaßen, dem alten Herrn sein Deutschsein abzusprechen? Doch auch wenn die heutige Redewendung vom »Deutschen im Sinne des Grundgesetzes« nur für den BRD-Bürger steht, kann man nicht behaupten, dass das Grundgesetz 1949 das deutsche Volk als Ergebnis der neuen Staatsentstehung sieht, was ein kurzer Blick auf seine Präambel oder etwa die alten Art. 23 undweiter

Von Arabern und Juden in Berlin

Nach Wowereits Rücktritt rief mich diese Woche ein Journalist aus Wien an. Er wollte wissen, ob ich Raed Saleh wählen würde, einen aus Samaria gebürtigen Araber, der möglicherweise das höchste Amt im Bundeslande bekleiden wird. Da es wohl nicht zu einer Neuwahl kommt und da ich sowieso nicht stimmberechtigt bin, hatte sich mir die Frage noch nicht gestellt. Nach kurzem Nachdenken sagte ich: Natürlich würde ich ihn wählen. »Obwohl er Palästinenser ist?«, zeigte sich mein Gesprächspartner, soweit ich das amweiter