Über diplomatische Auffassungen und historische Erkenntnisse

Der letzte Text über die jüdischen Siedlungen bzw. die Reaktionen darauf haben mir verdeutlicht, dass eine Auseinandersetzung mit der Frage Not tut, wie man etwa als Historiker mit unterschiedlichen, ja widersprüchlichen Auffassungen umgeht. Der Streit über die Rechtsstellung der (je nach Auffassung) »befreiten« oder »besetzten« Gebiete in Israel ist gemeinhin bekannt. Mir geht es jetzt gar nicht darum, wer Recht hat (meine persönliche Meinung dürfte ebenso gut bekannt sein). Vielmehr geht es nun um ein Grundprinzip solcher Streite, nämlich dieweiter

“Dann geh doch zu den Siedlungen!”

Es passiert oft. Ob bei Privatgesprächen oder auf einem Podium – wenn ich es wage, für die israelische Siedlungspolitik zu sprechen, findet sich irgendwann doch derjenige, der sich für ganz klug hält und mir mit triumphierender Stimme zuruft: “Warum bleibst du dann hier? Wenn du denen so sehr helfen willst, dann geh doch zu den Siedlungen!” Diese Art von Argumentation finde ich umso irriger, je häufiger sie vorkommt – Tendenz aufsteigend. Es sind vor allem zwei Aspekte, die mich schmunzelnweiter

Heute im ZDF: unsere Hochzeit (und dazu eine Stellungnahme)

Vor ca. zwei Monaten habe ich geheiratet und zwar Natalie, deren deutsche Familie aus Schlesien stammt (somit kommen wir quasi beide “aus Polen” ins heutige Deutschland). Im Rahmen der Reihe “37 Grad” hat sich das ZDF für unsere Hochzeit wie auch für zwei weitere interessiert. Die Sendung über alle drei Paare wird heute (Di.) um 22.15 Uhr ausgestrahlt. Unsere Hochzeitsfotos haben wir am Holocaust-Denkmal in Berlin aufnehmen lassen und zwar aus guten Gründen. Die Redaktion von 37 Grad hat soweiter

Terror und Realpolitik – einige weitere Überlegungen

Vor etlichen Jahren saß ich bei einem Charlottenburger Österreicher mit einem Freund. Wir hatten beide einen exzellenten Tafelspitz und diskutierten über die jüdische Scheu vor dem eigenen Terror. Gemeint ist damit zweierlei: sowohl die Zwanghaftigkeit, mit der mögliche, selten auch tatsächliche Terrorangriffe jüdischerseits abgelehnt werden; wie auch die Verdrängung der eigenen Geschichte von den eigenen Terroristen, von Samson bis Ben-Gurion. Der heutige Durchschnittsjude empfindet also den Terror als Unkultur, als etwas, was sich nicht gehört und dem weniger entwickelten Orient,weiter

Zum österreichischen Scheinwerfer auf »Deutschland«

Irgendwann habe ich das RSS-Feed von www.geschichtsforum.de abonniert, da tauchen ab und an interessante Diskussionen auf, so etwa heute mit dieser Diskussion um den ganzen deutschösterreichischen Komplex, der hier ja öfter thematisiert wurde. Der Initiator schreibt: Wenn ich nach Österreich komme, dann fühle ich mich nicht wirklich “im Ausland”. Dem kann ich mich anschließen: In Wien fühle ich mich erst recht in Deutschland, wesentlich mehr als etwa in Berlin. Nun sollte man mir aber erwidern: “Das ist ja deine subjektiveweiter

Terror und Normalität (einige Überlegungen)

Laut der israelischen Tageszeitung “haaretz” sind die meisten Israelis kaum erschrocken, dass einige Juden auf den dreifachen Mord jüdischer Jugendlicher mit einem Mord an einem arabischen Jugendlichen reagiert haben. Als Journalist frage ich mich, warum das eine “Nachricht” sei. Wären etwa in Italien angesichts immerwährender Mafia-Morde wesentlich andere Emotionen zu erwarten? Wir sind ja in den alltäglichen Terror hinein geboren, mit explodierenden Bussen und rumliegenden, zerfetzen Körperteilen aufgewachsen. Da fällt es einem schwer, sich immer wieder ganz aufs Neue aufzuregen.weiter

Gedächtnis und Wahrheit

Als Kind war ich kein guter Fußballspieler (daran hat sich übrigens bis heute nichts geändert). Auf dem Schulhof, wenn die guten Spieler ihre Mannschaften aussuchten, war ich immer der letzte. Einmal kam es zu so einem Elfmeter – ich nehme an, es waren in Wirklichkeit weniger als elf. Das kannst du machen, sagten mir die anderen und ehrten mich mit der wichtigen Aufgabe. Ich schoss den Ball so stark ich konnte. Direkt gegen die Latte. Davon habe ich diese Nacht,weiter

Und Gott in allem?

Seit langem – einige Jahre sind es inzwischen – habe ich mich hier kaum mit Gott beschäftigt. Diese Woche allerdings habe ich (endlich) Elie Wiesels “Prozess von Schamgorod” gelesen, ein kleines Buch über ein großes Thema (Vorsicht: der nachstehende Text enthält Spoiler). Als gläubiger Jude lässt Wiesel in diesem Stück seine Juden über Gott streiten – inwiefern ist dieser für das Leiden des jüdischen Volkes verantwortlich (zu machen)? Der dramaturgische Kniff besteht in der Versetzung der Handlung bzw. des Prozesses,weiter

Joachim Gauck, der Spinner?

Mit großem Erstaunen habe ich heute die Nachricht aus Karlsruhe gelesen, dass die dortigen Richter dem Bundespräsidenten erlauben, seine Mitbürger aus politischen Gründen als “Spinner” zu beschimpfen. Zu der Frage, ob Gauck einem so hohen Amt in einer Demokratie überhaupt gewachsen sei, habe ich schon früher Stellung genommen. Nun scheint aber der Bruch mit den demokratischen Grundprinzipien wesentlich bedrohlicher zu sein als damals befürchtet, da diese nun auch von den Richtern infrage gestellt werden. Dass auch Richter, wie jeder andereweiter

Weiteres zu Relativität und Subjektivität

Vor einer Weile habe ich hier einige Gedanken zum historischen Wahrheitsbegriff und zu dessen Relativität (“seinerzeitige Wahrheit”) erläutert. Diesen Gedankengang möchte ich nun mit einer grundsätzlichen Betrachtung fortsetzen. Anlass hierfür ist Peter Gays “Freud, Juden und andere Deutsche”, das ich kürzlich einem Kommentatoren empfohlen und darauf selber wieder in die Hand genommen habe, um meine alten Notizen erneut zu begutachten. Dabei ist mir eine Stelle in dem Kapitel aufgefallen, in dem Gay die Verwandlungen in der Rezeption von Brahms nachzeichnetweiter