Notarzteinsatz!

Und dann hatte ich plötzlich so einen Notarztschein. Man drückte mir einen klotzförmigen Piepser in die Hand und ich dachte: Vielleich wird das nett ab und an dem Klinikalltag zu entkommen. Anderseits erleben Notärzte bekanntermaßen viele superaufregende Dinge. Wer weiß ob ich dem gewachsen bin!
Nun denn, dass mit dem superaufregend ist so eine Sache und hier ein beispielhafter Einsatzbericht.
Es war morgens. So 08.30 Uhr. Ich war schon in der Internisten-Morgenbesprechung gewesen und nun lief ich langsam auf meine Station, denn es war zu früh am Tag. Als Super NICHT Morgenmensch, fühlte ich mich superunmorgendlich und insgesamt schlecht.
Der Morgenplan: Erst mal irgendwo hinsitzen und zum Beispiel die Akten der neu angekommenen Patienten studieren. Oder übrig gebliebene Befunde vom Vortag. Vielleicht würde ich mir ein paar Notizen machen.
In diesem Augenblick PIEPSTE es wild (zumindest war ich nicht auf dem Klo) und ich sah mich gezwungen meine Schrittgeschwindigkeit dramatisch zu erhöhen, denn das war der Notarztpiepser.
Kurz darauf stand ich in einer roten Jacke im Kalten vor der Klinik am Abholplatz für Notärzte herum. Also prinzipiell am Eingang. Schon schwenkten Fritzi und Klaus in einem riesigen Rettungswagen in die Einfahrt um mich abzuholen.
Fritzi und Klaus waren beides Rettungsassistenten oder auch Notfallsanitäter und auf jeden Fall, einer von beiden war ungefähr 19 Jahre alt und hatte erst gerade den Führerschein erworben. Der durfte fahren. Klaus öffnete mir erfreute grinsend die Rettungswagentür.
Dann drückte Fritzi glücklich auf’s Gaspedal und zwang das auf 3,5 Tonnen optimierte Auto mit ca. 80 Stundenkilometer durch die nicht hierfür ausgelegten Straßen der Stadt.
Erfreut schaute ich auf meinen Piepser, der mir anzeigte, dass wir nur ins nächste Stadtviertel mussten. Die Chancen standen gut, so schnell anzukommen, dass ich mich vorher nicht erbrechen würde.
Fritzi erreicht in Rekordzeit den nahegelegenen Supermarkt, wo uns laut Einsatzmeldung eine Frau mit möglichem Herzinfarkt erwartete.
In der Notarztschule hatte man mir beigebracht schon auf der Fahrt über den potentiellen Einsatz und mögliche Therapiestrategien nachzudenken. Leider hatte ich auf der Fahrt eher Dinge gedacht wie: „Wenn wir jetzt gegen diese Laterne fahren, wer rettet uns dann?“ oder auch „Erstaunlich, dass die Sauerstoffflasche nicht von der Wand fällt.“ und auch „Ich sollte so eine Spucktüte in meiner Notarztjacke haben!“
Also ich stieg jetzt aus dem Rettungswagen und freute mich, dass mir bestimmt gleich weniger übel werden würde und ich auf dem Weg in den Supermarkt hinein, über die Einsatzstrategie nachdenken konnte.
In diesem Augenblick spazierte eine Frau über den Parkplatz auf uns zu.
„Haha, hier ist ja schon die Patientin!“ rief Klaus, der als energiereicher Morgenmensch, in Lichtgeschwindigkeit aus dem Auto gebeamt war und wir nahmen die Frau und stiegen sofort wieder ein. Jetzt stieg Fritzi auch hinten zu uns zu, um in dem von mir geleitenten Notarztpatientenassessment zu assistieren.
„Hmhm“, sagte ich. Dann bat ich Fritzi und Klaus um die Feststellung der Vitalparameter und die Frau mit dem vielleicht Herzinfarkt um einen Ereignisbericht.
Dies ermöglichte es mir erst mal möglichst wenig zu tun und außerdem nicht zu erbrechen.
Superplan.
„Ah“, sagte ich dann, „Frau Hommel, ihr Blutdruck ist 220/120 mmHg. Möglicherweise ein Grund für ihr Problem.“
„Oh“, sagte Frau Hommel und dann einiges mehr, aber daran kann ich mich wirklich nicht mehr erinnern, weil mir immer noch wirklich schlecht war.
„Also“, erklärte ich, „ich höre sie jetzt noch kurz mit diesem Stethoskop ab, das ich glücklicherweise in der Klinik beim Anziehen dieser Notarztjacke nicht verloren habe. Dann legen wir so einen Venenzugang für die Blutdrucktherapie und ein ausführlicheres 12 Kanal EKG machen wir.“
Fritzi zog erfreut 10 verschieden EKG Kabel aus der EKG Kiste und Klaus, vermutlich ein uneheliches Kind von Flash, knallte mir instant Zubehör für die Kanüle hin.
Ich baute die Kanüle ein und gab Frau Hommel das Lieblings-Blutdruck-Senkende Medikament aller Internisten. Hierfür musste ich nicht mal aufstehen. Dies war gut für meinen Kopf und weil ich große Sehnsucht nach meiner Station hatte, wo meine Schwestern gleich Frühstückspause machen würden und ich in Ruhe grumpelige Arztdinge tun konnte, gab ich Fritzi nach ca. 5 min Aufenthalt auf diesem Parkplatz das Signal zum Aufbruch.
Wir erreichten die Klinik superschnell, Frau Hommel fühlte sich mit niedrigerem Blutdruck schon viel besser ging und mein Notaufnahme Kollege nahm die Patientin unbeeindruckt von meinen glorreichen Notarztleistungen an sich. Ich fühlte mich jetzt diffus zittrig. Mittags wird alles besser.
Fritzi und Klaus verabschiedeten sich fröhlich und ich bin mir nicht sicher ob das jetzt ein realistischer Bericht über das ist, was Notärzte so tun.
Urgh, ich hasse Morgenstunden.

PartyProg ins RöntgiX

Halb 12 am Mittag. Es folgt die Oberarztvisite. Herr Blorghmaier hat eine kardiale Dekompensation und außerdem einen hässlichen Ausschlag. „Joargh“, sagt der Oberarzt, „Weiß ich auch nicht was das ist. Schicken sie unsere Fotodokumentation an die Hautklinik der Uniklinik rechts von Beteigeuze und besprechen sie das mit den dortigen Hautärzten.“

And thus the drama unfolds:
Sämtliche Fotos befanden sich nun in unserem tollen Patientenprogramm, dem äh nennen wir es PartyProg.
Plan: alles Fotos vom PartyProg ins RöntgiX (Super-Röntgen-Programm) verschieben, um dann mithilfe der verschlüsselten Superröntgenstandleitung zur Uniklinik zu übertragen.
Röntgen MTA: „Hä was wollen sie? Bilder vom PartyProg ins RöntgiX? Geht nicht!“

EDV: „Äh, also sie müssen, die Bilder vom PartyProg auf einen USB Stick ziehen und dann ins RöntgiX hochladen.“
USB Stick für Klinik-PCs von EDV geholt.
Röntgen-MTA Plan erklärt.
Röntgen MTA versucht eine Stunde lang EDV Plan umzusetzen.
Resultat: Bilder sind jetzt auf USB Stick und Desktop der Röntgen-PCs. Nicht in RöntgiX. 
EDV kontaktiert. EDV ist eine Stunde nicht erreichbar. EDV im Büro gesucht. EDV ist nicht im Büro. EDV endlich erreicht: Das wäre wohl ein Problem.
EDV mehr bedrängt. EDV wird sich um das Problem kümmern.
Zwei Stunden später nachgefragt. EDV kann das Problem nicht lösen.
Bilder sollen per Mail an die Uniklinik verschickt werden.
Uniklinik angerufen. Drei Mal Weiterleitung: Man nehme keine Mail mit sensiblen Daten an. Verständlich.
Im Sekretariat gefragt, ob es noch andere Möglichkeiten gäbe ein hautärztliches Konsil zu veranstalten. Sekretariat lacht laut und sagt eher stirbt der Patient, bevor so ein hautärztliches Konsil möglich wäre – Facharztmangel in der Region.
Problem auf nächsten Tag verschoben.
Notaufnahme gefragt, die auch öfters mit Fotos herumhantiert.
Notaufnahme sagt man könne auch keine Bilder vom PartyProg ins RöntgiX übertragen. Man könne aber neue Bilder machen und direkt vom der Kamera ins RöntgiX übertragen. Notaufnahmeschwester verlässt die Notaufnahme, macht neue Bilder des Ausschlages und stellt diese ins RöntgiX.
Nebenstehender Arztkollege sagt, ich solle nicht so oft Danke ins Telefon sagen.
Röntgen-MTA verschiebt Bilder glorreich zur Uniklinik.
Hautklinik angerufen. Nach fünf Versuchen durchgekommen. Hautarzt ist erst in drei Stunden verfügbar.
3h später angerufen. Hautarzt sagt, da wären keine Bilder.
Teleradiologie der Uniklinik angerufen.
Teleradiologie sagt: Doch, doch alle Fotos wären da. Der Hautarzt könne sie ganz einfach im klinikeigenen Programm dem Super-Serenity öffnen.
Hautklinik erneut angerufen. Hautarzt erklärt. Er fände keine Fotos. Nein auch nicht im Super-Serenity.
Hautarzt gefragt, ob ich die Bilder auf CD brennen könne und dann schicken?
Nein, das ginge auch nicht, weil man könne das dann ja auch nicht öffnen. Da fuck?
Problem auf nächsten Tag verschoben.
ERNEUT die Teleradiologie der Uniklinik kontaktiert.
Teleradiologe erklärt sich nun bereit die Hautärzte PERSÖNLICH anzurufen und sie durch den Öffnungsprozess eines solchen Fotos zu geleiten.
5h später. Hautklinik ruft an. Man scheint meine Nummer dort inzwischen auswendig zu wissen. Man habe die Bilder nun mit Unterstützung der Teleradiologie öffnen können. Das sähe ja gar nicht gut aus. Der Patient solle vorbeikommen.
Resultat: Der schwerkranke Patient wird mit Sauerstoff und rettungsdienstlicher Begleitung zur Hautkliniksambulanz der 100 km entfernten Uniklinik gefahren.
(Garghhh!)

Staken-Moore

Es war so mitten in der Nacht, 3 Uhr oder so. Ich saß in der Notaufnahme herum und arbeite mich durch den stetigen Strom an Menschen, die Nachts um 3 Uhr Probleme hatten.
Im Augenblick waren das:
1.)   Herr Banabas, von dem man eigentlich gedacht hatte, er habe einen Schlaganfall, aber dann hatte der Neurologe festgestellt, der Patient habe ja Fieber und Husten, und ergo ein internistisches Infektproblem. (Danach war der Neurologe erfreut ins Bett gegangen.)
2.)   Frau Glombotz mit Diarrhö und in der Folge ausgetrocknetem Allgemeinzustand aus dem Altersheim.
3.)   Herr Blimbo, 20 Jahre alt mit vermutlich Erkältungsinfekt, aber das wusste ich noch nicht so genau, weil ich Herrn Blimbo noch nicht „Hallo“ gesagt hatte.
4.)   Die Polizei mit einem Herrn, den sie in Haft nehmen wollten. Dieser habe aber Alkohol konsumiert. Jetzt müsse eine Gewahsamkeitsfähigkeitsdingsprüfung her. Von einem Arzt.
5.)   Frau Glimbo, welche Blut spuckte.
Ich hatte gerade Herrn Banabas zum Röntgen geschickt und Frau Glombotz eine befeuchtende Infusion anhängen lassen, da spuckt Frau Glimbo erneut Blut. Gleichzeitig rief das Labor an und erklärte Frau Glimbo habe einen Hb-Wert von 8 g/dl. Ob das für uns von Interesse wäre? „Öh mittelmäßig“, sagte ich.
Aktuell war Frau Glimbo zwar noch wach und kreislaufstabil, aber mein super Arztinstinkt, sah dies in recht naher Zukunft ins Gegenteil umschlagen.
Meine restlichen Patienten verlassend rief ich also den Endoskopie-Arzt an.
„Meh“, sagte der Endoskopie-Arzt, „was wollen sie? Die Patientin ist doch stabil. Transfundieren sie Blut und klären sie die Dame für eine Magenspiegelung morgenfrüh auf!“.
„Öh hm ok“, sagte ich unzufrieden. Dann bestellte ich zur Sicherheit mehr Blutkonserven, legte Frau Glimbo einen weiteren großen Venenzugang und hängte zwei Infusionen an.
„Blargh!“ sagte Frau Glimbo und erbrach mehr Blut. Danach fiel ihr Blutdruck auf die Hälfte des Ausgangwertes ab und ich rief den Endoskopiearzt erneut an, welcher nun grumpelig feststellte, dass morgenfrüh möglicherweise doch zu spät für die Magenspiegelung war. Man müsse wohl doch gleich nach der Blutungsquelle suchen.
Kurze Zeit später landeten wir also im Endoskopieraum: Frau Glimbo, jetzt mit drei Venenzugängen, zwei Blutkonserven und zwei Infusionen laufend, der Endoskopiearzt, die passende Schwester und ich.
Frau Glimbo blutete unterdessen weiter recht wild aus dem Magen oder auch aus der Speiseröhre. So genau konnte man das nicht sehen vor lauter Blut und während ich gerade mit der Blutbank um weiteres Blut und mit einer Intensivstationsschwester um Gerinnungsfaktoren verhandelte, rief der Endoskopiearzt: „Garrhl! Zu viel Blut! So kann ich nicht nach der Blutungsquelle suchen. Das läuft uns alles in die Lunge! Wir müssen die Frau intubieren und beatmen! Frau Zorgcooerations besorgen sie uns den Anästhesisten!“
„Jawoll“, rief ich.
„Nee, nee!“ rief der Anästhesist, „Zorgcooperations ich sitze hier gerade in einer Notfall – OP! Da kann ich nicht raus!“
„Intubieren!“ rief der Endoskopiearzt. Dies wollten aber weder er noch ich tun, da inzwischen alles voller Blut war und Frau Glimbo denkbar schlechte Intubationsbedingungen bot.
Glorreich rief ich also die Pforte an, ich bräuchte eine Verbindung zum Anästhesie-Hintergrund-Oberarzt, welcher völlig verwirrt war, da hier der falsche Assistenzarzt anrief (kein Anästhesist, sondern ein komischer Internist.).
Nun denn der Anästhesie-Oberarzt wohnte direkt neben der Klinik und fiel nach Ende der Verwirrung vom Bett in den Endoskopieraum.
Yay ho, nach einer schwierigen Intubation war die Patientin intubiert und beatmet. Der Endoskopiearzt lokalisierte die Blutungsquelle und alles war wieder gut… äh moment: „Gaaarghhl!“ rief der Endoskopiearzt erneut nach längerer Suche. Ich kann die Blutungsquelle nicht finden! Überall ist Blut, Blut, Blut. Besorgen sie mir so eine Sengstaken-Blakemore-Sonde Frau Zorgcooperations!“
Eine solche Sonde hatte ich noch nie benutzt, sondern nur theoretisch an der Universität für Ärzte gelernt. Man führt sie in die Speiseröhre ein, pumpt dann Luft in die Sonde, woraufhin sich ein äh stakenförmiger Ballon öffnet und für einige Stunden durch Druck mögliche Blutungen abdichtet.
„Äh zu Befehl“, rief ich und weil ich keine Ahnung hatte OB wir überhaupt so eine Sonde hatten (die Endoskopieschwester zuckte hilflos die Schultern) rief ich meine Freunde die Intensivfachkräfte an, welche erklärte, „Öh ja, von dieser Sonde haben wir mal in der Intensivfachkraftschule gelernt, aber benutzt haben wir das noch nie. Moment, wir glauben in einer unserer 1000 gleichaussehenden Schubladen liegt noch ein 10 Jahre altes Exemplar. Willst du das haben?“ „Ja bitte!“
Prompt brachte man mir nun die Sonde und leider gab es keine Anleitung dazu, aber nach einer kurzen Experimentierphase, konnten wir d
ie ergatterte Sonde einlegen und dann transfundierte ich noch mehr Blut und organisierte mein Gerinnungsmanagement und verlegt die Patientin auf die Intensivstation und zack zack schon war ich fertig. Haha. 3h oder so.
Ich wanderte also zurück in die Notaufnahme. Herr Banabas war vom Röntgen zurück und schlief friedlich. Frau Glombotz hatte die Infusion erhalten und schlief auch friedlich.
„Huä?“ sagte ich. „Wo sind meine anderen beiden Patienten?“
„Jaja“, sagte Schwester Margarita, „die Polizei hat ihren äh Mandanten wieder mitgenommen, weil jetzt sowieso gleich Tag ist (??) und dein Erkältungspatient hat gemeint: Wenn das alles so lange dauert, könne er ja gleich heimgehen und morgens früh zum Hausarzt gehen. Dann ist er gegangen.“

Verlaufsschwankungen

„Also sie kommen zu uns weil der Blutdruck immer so hoch ist und sie dann Kopfschmerzen bekommen?“
„Ja heute morgen war er bei 190/110! Aber wissen sie, das Problem ist: Er schwankt auch immer so der Blutdruck und ist manchmal plötzlich ganz niedrig!“
„Hmhm,“ sagte ich und dachte mir schon im Kopf einen ausgeklügelten Plan aus, was wir jetzt mit Herrn Glomzopfs Blutdruck veranstalten könnten. Erstmal noch keine Umstellung der Medikamente, am besten eine Langzeitblutdruckmessung zur Übersicht der Schwankungsdarstellung, dann einen Ultraschall zu allgemeinen Herzdarstellung und dann gaaanz vorsichtig Medikamentenumstellung. Aber erst noch ein paar Details klären.
„Wenn der Blutdruck so hoch ist und sie die Kopfschmerzen bekommen, haben sie da ein Bedarfspräparat das sie einnehmen?“
„Naja, da nehme ich einfach alle meine Morgen-Blutdrucktabletten nochmal ein.“
„…“
„…“
„Also sie nehmen alle ihr hochdosierten Blutdruck-Medikamente einfach nochmal ein? Das Ramipril 10 mg, das Lercanidipin 20 mg und das Bisprolol 5 mg?“
„Ja genau!“
„Hmhm. Und was passiert dann?“
„Naja nichts. … Aber nach einer halben Stunde ist der Blutdruck dann plötzlich ganz niedrig. So um die 80/50. Dann fühle ich mich nicht gut.”
Schnell stellte sich heraus, dass wir hier das Problem der mysteriösen Blutdruckschwankungen gefunden hatten. Mein ausgeklügelter Plan konnte glorreich vereinfacht werden und Herr Glomzopf viel schneller heim als erwartet, mit einfacherem Medikamentenplan und einem vernünftigen, milden Bedarfsmedikament für überraschende Blutdruckspitzen.

Diagnostik extreme


Nachdem ich glorreich gleichzeitig fünf Patienten meiner Station entlassen hatte, bekam ich sofort sechs Neue.  

Ich klaute also in einem unbeobachteten Moment dem Krankenpflegepersonal die neuen Akten, um herauszufinden WER da so bei mir gelandet war und WAS ich überhaupt tun sollte.
Herr Blomzopf war zu Beispiel mit dem Verdacht auf eine Lungenembolie gekommen. Seit drei Tagen bekäme er keine Luft mehr und habe ein unangenehmes Gefühl im Brustkorb. Weil Herr Blomzopf schon mal eine Lungenembolie gehabt hatte, war er sofort vom Aufnahmearzt voller Energie durch einen Computertomographen geschoben worden, mit dem Resultat: Nope, keine Lungenembolie.
Nun verdächtigte man eine Verengung der Herzkranzgefäße, da Herrn Blomzopfs Vater das auch schon gehabt hatte. Ich veranlasste diverse Blutuntersuchungen und Ultraschalluntersuchungen und Visite machte ich auch. Das war alles nicht so ergiebig. Herr Blomzopf berichtete weiter über die Luftnot und Schmerzen und am Ende meldeten wir eine tolle Herzkatheteruntersuchung an zur Darstellung der Herzkranzgefäße. Ein erfreuter Kardiologe popelte daraufhin mehrere Herzkatheterdrähte und ähnliches in Richtung Herrn Blomzopf Herzens. Danach schrieb er mir auf einen Schmierzettel einen vorläufigen Befund: „Normale Herzkranzgefäße, alles normal, supernormal“, stand da drauf.
Ich ging also zu meinem Patienten hin und erklärte, dass unsere Untersuchungen bis jetzt unauffällig gewesen wären. Das CT, die Blutwerte, der Ultraschall, die Herzkatheteruntersuchung. „Aber ich habe immer noch das Gefühl nicht so gut atmen zu können und manchmal sticht es im Brustkorb!“ wandte Herr Blomzopf ein und hustete und ich fragte, ob er denn viel huste.
Ja, ja. Husten habe er seit einigen Tagen. Und jedes Mal beim Husten schmerze es in der Brust.
„Habe sie vielleicht eine Erkältung? Läuft denn auch die Nase etwas?“
„Öh ja, die ist gerade immer zu.“
„Wäre es möglich, dass sie deswegen schlechter Luft bekommen?“
„Ja, tatsächlich.“
‚Viraler Erkältungsinfekt‘ haben wir später auf die Entlasspapiere geschrieben. Schmerzen durch das viele Husten und Luftnot durch die verstopfte Nase. 
Hmhm. 

Nachts allein im Keller

„Wo ist denn meine verstorbene Patientin?“, fragte ich die Schwester.
„Na in Zimmer 6“, sagte die Schwester.
„Hm“; sagte ich hieraufhin, denn in Zimmer 6 war ich eigentlich gerade gewesen, zumindest in meiner Vorstellung. Zur Sicherheit ging ich ein weiteres Mal ins Zimmer sechs, wo mir ein großer Mann freundlich zunickte, während er Dinge in den Schrank räumte.
„Äh Entschuldigung, ich suche gerade eine andere Patientin“, sagte ich und ging wieder zur Schwester um meine Frage zu wiederholen: „Wo ist meine verstorbene Patientin, die Frau Meseli? Ich muss doch noch die zweite Leichenschau machen.“
„Na, wenn sie nicht in Zimmer 6 ist, dann weiß ich das auch nicht“, erklärte die Schwester wenig hilfreich.
Ich beschloss in der Prosektur nachzufragen, denn schon einmal hatte man mir vor der zweiten Leichenschau einen Patienten vorzeitig dorthin entführt. Nur, dass es damals mitten in der Nacht gewesen war und ich um 3 Uhr morgens von der Pforte den Generalschlüssel leihen musste, um im Anschluss alleine durch den Keller des Krankenhauses zu irren, durch mehrere verschlossene Türen hindurch, bis in einen gekachelten Raum der Prosektur, wo genau in der Mitte ein einsames Bett stand, welches mit einem großen Laken verhüllt war (worunter sich der verstorbene Patient befand). Dies war prinzipiell etwas gruslig gewesen, aber immerhin wusste ich seitdem den Weg zur Prosektur.
„Ah hallo“, sagte die Prosekturdame freundlich. Sie habe sich schon gewundert, meine Patientin Frau Meseli wäre tatsächlich hier angekommen und man habe den Totenschein vermisst. Naja, kein Wunder, denn diesen hielt ich ja noch fest umklammert, es fehlte doch noch die zweite Leichenschau. Bezüglich solcher Dinge bin ich immer sehr paranoid.
Meine Patientin war auch schon in eines dieser Pathologenschubladen eingeordnet worden und die Prosekturdame musste sie nun erst mal wieder für mich auf eine Trage herausfahren. 
Vorsichtig entfernte ich das weiße Tuch mit dem Frau Meseli bedeckt worden war. Friedlich und blass lag sie vor mir, die grauen Haare waren zu einem ordentlichen Zopf geflochten worden, die krumpelige Krankenhaushemdbekleidung war schon entfernt.
Doch dann fiel mein Blick auf das Ende der Trage: Zwei geringelten Wollsocken prangten noch fröhlich an den Füßen von Frau Meseli und zerstörten das trist-grau-blasse Gesamtbild.
Und das machte meinen Tag gleich viel besser 😊. 

Sie sind doch ein Krankenhaus!

Herr Moomzl kam mit schwerer Lungenentzündung. Glücklich schrammten wir an einem Intensivstationsaufenthalt mit Beatmung vorbei, aber nur ganz knapp. Wir zogen unsere schönsten Antibiotika aus dem Schrank, ließen Herrn Moomzl inhalieren und viel im Bett rumliegen. Nach zwei Wochen ging es endlich bergauf und nach einer weiteren Woche sagte ich erfreut: „So Herrn Moomzl, die Lungenentzündung ist gut zurückgegangen, da können wir sie morgen entlassen.“

„Wie entlassen?“ rief Herr Moomzl, „was ist mit meinen Rückenschmerzen?“

Nun war es aber so, dass Herr Moomzl, vom vielen Liegen leichte Rückenschmerzen bekommen hatte. Wir hatten das auch extra untersucht und ich erklärte dem Patienten nochmals, dass die Rückenschmerzen am besten durch Bewegung wieder weggingen. Dafür müsse er nicht hierbleiben. Überhaupt in so einem Krankenhaus liegt man ja meistens dauernd im Bett. Das wäre nun kontraproduktiv.

„Aber“, sagte Herr Moomzl, „sie sind doch ein Krankenhaus und sie müssen mich behandeln, wenn es mir schlecht geht.“

„Ja durchaus und wir haben die Lungenentzündung behandelt. Da geht es ihnen doch auch schon viel besser. Sie haben kein Fieber, keinen Husten und keine Luftnot mehr!“
„Hm, das stimmt schon, aber jetzt habe ich Rückenschmerzen.“

„Sie haben da Muskelverspannungen vom vielen Liegen. Sie müssen sich jetzt viel bewegen. Und weil es ihnen insgesamt viel besser geht und sie sich auch zuhause bewegen können, möchten wir sie bald entlassen.“
„Jaja, mir geht es schon besser ABER ich habe trotzdem Rückenschmerzen und ich erwarte, dass ich vollkommen gesund und beschwerdefrei bin, wenn ich aus dem Krankenhaus entlassen werde!“

„Hm“, sagte ich, „das ist leider so nicht praktikabel.“ Herr Moomzl fand sich grumpelig mit seiner Entlassung ab und verließ uns am nächsten Tag.

Vorsicht ist die Kiste der Großmutter.


Es war Abend und ich stand in unserer Notaufnahme herum, unschlüssig, wo ich denn nun anfangen sollte zu arbeiten.
„Am besten du gehst erst mal zu Herrn Mimpfzl“; sagte Schwester Margarita und schob mich energisch in Richtung Kabine 3, „Magenschmerzen hat er.“
Herr Mimpfzl hatte seine Frau dabei: Frau Mimpfzl, die auch den Großteil des Redens übernahm. Ihr Mann hätte seit einigen Tagen schlimme Magenschmerzen, vor allem beim Essen. Jetzt halte er es nicht mehr aus. Sie habe ihm auch schon ein altes Medikament von ihrer Großmutter gegeben, aber das hätte nicht geholfen.
Ich fragte nun auch einige Dinge unter anderem, was genau für Tabletten das gewesen wären.
„Na gegen Magenschmerzen! Da weiß ich nicht mehr wie die heißen.“
Ich zählte die Namen sämtlicher, gängiger Magenmedikamente auf.
Nein, das wäre es alles nicht gewesen,
„War es denn so ein pflanzliches, freiverkäufliches Medikament?“
Nein, nein, das bekäme man nur auf Rezept und die Großmutter habe das immer genommen. Aber ihrem Mann habe es nicht geholfen. Herr Mimpfzl nickte zustimmend und voller Inbrunst.
„Hm gut“, sagte ich, „und außer dem rezeptpflichtigen, aber unbekannten Präparat ihrer Großmutter, habe sie noch andere Medikamente aufgrund der Beschwerden genommen? Ein Schmerzmittel vielleicht?“
„Nein, nein“, rief Frau Mimpfzl entsetzt, „da können ja alle möglichen gefährlichen Nebenwirkungen auftreten bei so einem Schmerzmittel! Da hat er keins genommen.“
Herr Mimpfzl nickte nochmals energisch.
„Hmhm“, sagte ich.

Privatarzt


Herr Binzel hatte eine billige Privatversicherung oder so etwas ähnliches. In der Notaufnahme hatte man ihm nun essentielle Fragen gestellt, wie: „Seit wann haben sie denn das Fieber?“, „Welche Farbe hat der Schleim, den sie aushusten?“ „Sind sie mit Chefarzt versichert?“
Herr Binzel war hiervon etwas verwirrt und als man ihm den wichtigsten Zettel von allen, den Privatversicherten-Zettel, hinlegte, kreuzte er zur Sicherheit überall ja an. Ja, natürlich wäre er privat versichert. Mit Chefarztarztbehandlung.
Am nächsten Tag wanderte also der Chefarzt mit Chefoberarzt, Chef-Privatassistenzarzt und diversem anderem Chefarztbegleitendem Personal durch Herrn Binzels Zimmer.
Herr Binzel freute sich, es fiel ihm im Anschluss jedoch ein, dass er am Vortag wohl ein Kreuz zu viel gesetzt hatte. Seine Privatversicherung war leider ohne Chefarztbeteiligung und nun drohte ihm eine hohe extra Rechnung. Die Klinikverwaltung hatte Verständnis, der Chefarzt Vertrag wurde storniert und man beorderte einen normalen 08/15 Assistenzarzt zur Betreuung des Patienten herbei.
Ich ging also hin und erzählte irgendetwas wie: „Ja hallo ich bin Frau Dr. Zorgcooperations und ab jetzt ihre zuständige Ärztin.“ Dann betreute ich Herrn Binzel täglich ausführlich. Ich machte Visiten, einen extra Ultraschall und nahm Blut ab. Herr Binzel schien zufrieden zu sein.
Nach drei Tagen sagte nun meine Krankenschwester zu mir: „Haha, vorhin hat sich der Herr Binzel beschwert. Er wäre jetzt schon so lange hier und seit drei Tagen sei kein Arzt mehr da gewesen. Da habe ich gesagt: Aber die Frau Dr. Zorgcooperations die war doch jeden Tag bei ihnen!“ Herr Binzel sei hierauf sehr erstaunt gewesen, dass die mitteljunge Frau, die täglich fragte, wie es ihm ginge, die Medikamente umstellte, das Blut abnahm, den Ultraschall machte und die Befunde mit ihm besprach ein Arzt sein solle. 
Was in aller Welt hatte er denn gedacht das ich sei?! Eine Art Spezial-Krankenschwester?
Grumpelig besuchte ich Herrn Binzel also und erklärte nochmals, dass ich der Arzt wäre. Herr Binzel schien jedoch das Zeremoniell der Chefarztvisite voller ernst schauender, grauhaariger Männer zu vermissen und fragte, ob denn nicht mal auch ein Oberarzt vorbei käme.
„Wir haben einmal in der Woche Oberarztvisite. Da treffen sie unseren Oberarzt morgen.“
„Nur einmal in der Woche?!“ Herr Binzel war enttäuscht und murmelte dann noch, dass es sich da ja überhaupt nicht lohne hier im Krankenhaus zu sein.
„Hmhm“, sagte ich 

Hey ho die Post ist da!


Ausnahmsweise war es mitten am Tag und high life auf der Intensivstation. Gegen 13 Uhr oder so ähnlich häufte sich der Piepsalarm an Frau Bliebs Beatmungsgerät und die Pflegekräfte dachten sich etwas in der Art: „Öh da stimmt was nicht. Der Arzt muss her.“
„Hmhm“, sagte ich und starrte misstrauisch auf das Beatmungsgerät, welches außer eine Vielzahl an Knöpfen auch einen Touchscreen besaß, welcher lichtempfindlich war und die Helligkeit an seine Umgebung anpasste.
Die Intensivschwester hielt nun einen Monolog an Dingen, die sie selbst versucht hatte, aber von denen nichts funktioniere. Da die Intensivschwester schon ungefähr 30 Jahre auf dieser Station arbeitete und sämtlich Winkelzüge eines solchen Beatmungsgerät mit geschlossenen Augen und ohne Hände beherrschte, fiel mir jetzt auch nichts besseres ein
Ich zückte nun denn mein Super-Arzt-Stethoskop um die Patientin abzuhören und da sich das Atemgeräusch rechts deutlich leiser anhört, machte ich um hier noch etwas mehr Aktionismus zu versprühen einen Ultraschall und verordnete ein sofortiges Röntgen.
Im Anschluss rief ich meinen Oberarzt an (ein beliebter Internisten-Winkelzug), welcher sich nun auch zum piepsenden Gerät und der Patientin begab.
„Hmhm“, sagte der Oberarzt und die Schwester wiederholte o.g. Monolog.
„Ja“, sagte schließlich der Oberarzt, „sie habe ja dieses Röntgen gemacht und in Zusammenbetracht mit ihrem tollen, stethoskopisch erhobenen Befund, liegt vermutlich eine Schleimverlegung der rechten Lunge vor. Lasst uns eine Notfall-Bronchoskopie machen.“
Kurz darauf standen wir nun also im abgedunkelten Zimmer, es ertönten wilder Alarme vom Monitor und Beatmungsgerät und Frau Bliebs Herzkreislauf, der auch nicht der Beste der Welt war, begann nun deutlich zu schwächeln. Die Schwester rannte ein Katecholamin holen, der Oberarzt saugte schimpfend Schleim aus der Lunge ab und ich hing irgendwie halb über dem Patientenbett und assistierte dem Oberarzt in seinem Unterfangen.
Gerade schloss nun unserer Schwester das Kreislauf unterstützende Medikament an, der Oberarzt rief: „Urgh, ein mikrobiologisches Röhrchen für eine Schleimprobe bitte!“ und ich versuchte mit einer Hand den Alarm des Monitors zu bestätigen, da öffnete sich die Zimmertür und der Postbote betrat den Raum.
„Ist das Frau Blieb?“ fragte der Postbote und holte einen Brief aus der gelben Posttasche.
„Öh“, sagten der Oberarzt, die Intensivschwester und ich.
„Ich muss diesen Brief von Gericht persönlich zustellen!“ sagte der Postbote nun ungeduldig.
„Moment“, rief die Intensivschwester, „das ist eine Intensivstation! Wie sind sie hier überhaupt reingekommen!?“
Der Postbote wedelte ungeduldig mit dem Brief.
„Ding-Ding-Ding Superbeatmungs-Alarm!!!“ schrie das Beatmungsgerät.
„Also, jetzt ist gerade schlecht“, sagte ich zum Postboten und half dem Oberarzt einen großen Schleimklotz vom Bronchoskop zu entfernen.
„Aber ich muss diesen Brief persönlich übergeben“, rief der Postbote, entschied dann, dass die Frau im Koma vor ihm wohl die gewünschte Frau Blieb sein musste und er diese ja nun persönlich getroffen hätte. Daraufhin und vermutlich auch, weil die Intensivschwester sich gerade anschickte ihn persönlich zu erwürgen, überreichte er der Intensivschwester besagten Brief und verschwand wieder.
Nach dem Absaugen des Eiterschleims ging es Frau Blieb dann auch beatmungstechnisch wesentlich besser und wir drapierten ihr den Brief freundlich im Nachtkästchen.